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OWi III: Leivtex XV3, oder: Wenn du deinen Einspruch beschränkst, sehe ich vom Fahrverbot ab

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Urheber Jepessen

Und dann noch die dritte Entscheidung, das AG Eilenburg, Urt. v. 30.09.2021 – 8 OWi 956 Js 12381/21 – zu den Rechtsfolgen bei Geschwindigkeitsverstößen, die mit dem Geschwindigkeitsüberwachungsgerät LEIVTEC XV3 festgestellt wurden. Das AG hat von einem an sich verwirkten Regelfahrverbot abgesehen, u.a. weil der Betroffene seinen Einspruch beschränkt hatte:

„Ausweislich des bundeseinheitlichen Tatbestandskatalogs für Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten ist für eine solche Tat bei fahrlässigem Verhalten und für einen Ersttäter der Ausspruch einer Geldbuße von 200,00 Euro (11.3.7 BKat) nebst Verhängung eines Regelfahrverbotes für die Dauer von einem Monat auf der Grundlage von § 25 Abs. 1 StVG, § 4 Abs. 1 BKatV vorgesehen. Das Gericht hat von dieser Regelfahrverbotsanordnung gemäß § 4 Abs. 4 BKatV i. V. m. § 17 Abs. 3 OWiG unter angemessener Erhöhung der hier grundsätzlich als tat- und schuldangemessen erachteten Regelgeldbuße von 200,00 Euro auf eine Geldbuße in Höhe von 400,00 Euro bei Beachtung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen abgesehen. Dem liegen folgende Erwägungen zugrunde:

Im Ausgangspunkt verkennt das Gericht nicht, dass soweit – wie hier – die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 BKatV vorliegen, unter denen ein Fahrverbot als regelmäßige Denkzettel- und Erziehungsmaßnahme angeordnet werden soll, grundsätzlich von einer groben Pflichtverletzung des betroffenen Kraftfahrers im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG auszugehen ist. Die Gerichte haben diese Vorbewertung des Verordnungsgebers zu beachten. Diese Bindung der Sanktionspraxis dient der Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer und der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der durch bestimmte Verkehrsverstöße ausgelösten Rechtsfolgen. Der Tatrichter ist in diesen Fällen gehalten, ein Fahrverbot anzuordnen. Ein Absehen von der Anordnung eines Fahrverbots wegen Wegfalls des Erfolgs- oder Handlungsunwerts kommt nur dann in Betracht, wenn entweder besondere Ausnahmeumstände in der Tat (z. B. atypischer Rotlichtverstoß wegen Ausschlusses einer Gefahrenlage) oder in der Persönlichkeit des Betroffenen (z. B. Augenblicksversagen beim Rotlichtverstoß) offensichtlich gegeben sind und deshalb erkennbar nicht der von § 4 BKatV erfasste Normalfall vorliegt (vgl. nur KG Berlin, Beschl. v. 02.08.2018 – 3 Ws [B] 202/18 -, juris).

Unabhängig davon ist in der Rechtsprechung ergänzend anerkannt (vgl. nur OLG Dresden, Beschl. v. 11.03.2019 – OLG 23 Ss 80/19 [B] -, juris), dass das Fahrverbot nach § 25 StVG nach der gesetzgeberischen Intention in erster Linie eine Erziehungsfunktion hat. Es ist als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme gedacht und ausgeformt. Von ihm soll eine warnende Wirkung auf den Betroffenen ausgehen und ihn anhalten, sich künftig verkehrsordnungsgemäß zu verhalten. Das Fahrverbot kann deshalb u. a. seinen Sinn verlieren, wenn die zu ahndende Tat lange zurückliegt, die für die lange Verfahrensdauer maßgeblichen Umstände auch außerhalb des Einflussbereiches des Betroffenen liegen und in der Zwischenzeit kein weiteres Fehlverhalten des Betroffenen im Straßenverkehr festgestellt worden ist.

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist zur Überzeugung des Gerichts davon auszugehen, dass allein die erhöhte Geldbuße ausreichen wird, den Betroffenen zu veranlassen, sein Verkehrsverhalten in Zukunft zu verändern und Geschwindigkeitsbeschränkungen genauer zu beachten. Der festgestellte Geschwindigkeitsverstoß liegt über ein Jahr und vier Monate zurück und der Betroffene ist weder zuvor noch danach straßenverkehrsrechtlich in Erscheinung getreten. Als vordringlicher Grund zum Absehen vom Regelfahrverbot wirkt sich hier zugunsten des Betroffenen aus, dass er seinen Einspruch auf die Rechtsfolgen beschränkt hat, dem nach Auffassung des Gerichts nicht nur Geständnisfiktion und Schuldeinsicht zukommt (vgl. nur OLG Stuttgart, Beschl. v. 30.01.2006 – 1 Ss 5/06 -, BeckRS 2006, 1865 zur Rechtsfolgenbeschränkung im Strafbefehlsverfahren).

Vielmehr schließen sich im vorliegenden Fall an eine Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen durchgreifende verfahrensökonomische Erwägungen an. Denn ein Tatnachweis wäre anderenfalls allenfalls durch die Einholung eines kosten- und zeitintensiven Sachverständigengutachtens zu führen gewesen, da bei Geschwindigkeitsmessungen mit dem hier zum Einsatz gekommenen Messgerät LEIVTEC XV3 nicht mehr von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen werden kann.

Das Gericht schließt sich insoweit den Entscheidungen des Bayrischen Obersten Landgerichts (Beschl. v. 12.08.2021 – 202 ObOWi 880/21 -, juris) sowie der Oberlandesgerichte Stuttgart (Beschl. v. 10.06.2021 – 6 Rb 26 Ss 133/21 -, BeckRs 2021, 14050), Celle (Beschl. v. 18.06.2021 – 2 Ss [OWi] 69/21 -, juris), Oldenburg (Beschl. v. 19.07.2021 – 2 Ss [OWi] 170/21 und Beschl. v. 26.08.2021 – 2 Ss [OWi] 199/21 -, beide juris) und Hamm (Beschl. v. 16.09.2021 – III-1 Rbs 115/21 -, BeckRS 2021, 28656) an. Das Messgerät bietet nach den Erkenntnissen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (vgl. Abschlussstand im Zusammenhang mit unzulässigen Messwertabweichungen beim Geschwindigkeitsüberwachungsgerät LEIVTEC XV3 [Stand: 09.06.2021/Physikalisch-Technische Bundesanstalt, Braunschweig und Berlin – DOI: 10.7795/520.20210609]) nicht mehr die Gewähr dafür, dass es bei Beachtung der Vorgaben für seine Bedienung zu hinreichend zuverlässigen Messergebnissen kommt. Vielmehr haben die Überprüfungen durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) ergeben, dass es bei Geschwindigkeitsmessungen mit dem Messgerät zu unzulässigen Messwertabweichungen auch zu Ungunsten Betroffener u. a. wegen des Auftretens sog. Stufenprofil-Fehlmessungen (vgl. hierzu näher Kugele/Gut/Hähnle, VKU 2021 [Heft 3], 88 ff.) kommen kann und deshalb nicht länger von einem vereinheitlichten technischen Verfahren auszugehen ist, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf derart festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind. Die hiervon abweichende Entscheidung des Oberlandesgerichts Schleswig-Holstein (Beschl. v. 17.08.2021 – II OLG 26/21 -, juris) überzeugt aus den im Beschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 26.08.2021 genannten Gründen nicht.

Die genannten Feststellungen und Wertungen rechtfertigen nach Auffassung des Gerichts jedenfalls in ihrer Gesamtschau eine Ausnahme von der Anordnung des Regelfahrverbots. Das Gericht ist sich hierbei bewusst, dass hier nicht der „klassische“ Wegfall des Erfolgs- oder Handlungsunwerts aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls in Betracht kommt. Vielmehr liegt den vorstehenden Erwägungen die Annahme zugrunde, dass die überragende Mehrzahl an Geschwindigkeitsverstößen in der Praxis, für die der Verordnungsgeber die Regelfahrverbotsanordnung vorsehen hat, mittels Geschwindigkeitsmessgeräten festgestellt werden, auf die grundsätzlich die Vorgaben eines standardisierten Messverfahrens angewendet werden können. Soweit aber wie hier mit der LEIVTEC XV3 ein Geschwindigkeitsmessgerät ubiquitär in der Praxis zum Einsatz kommt, bei dem nicht mehr von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen werden kann, gerät die Ahndbarkeit der insgesamt hiermit festgestellten Verstöße an seine Grenzen und es bedarf aus Sicht des Gerichts im Interesse der Gleichbehandlung der sich Geschwindigkeitsüberschreitungsvorwürfen ausgesetzten Betroffenen einerseits und mit Blick auf die Ressourcen an technischen Sachverständigen sowie unter Beachtung verfahrensökonomischer Erwägungen andererseits einer folgenorientierten Abwägung. Vor diesem Hintergrund versteht sich die Rechtsprechungspraxis am hiesigen Gericht, Betroffene, die in derartigen Fällen mit ihrer Einspruchsbeschränkung auf die Rechtsfolgen Schuldeinsicht zeigen und hiermit das andernfalls erforderliche Sachverständigengutachten nicht zum Tragen lassen kommen, nicht mit der Regelfahrverbotsanordnung zu überziehen, sondern es als verkehrserzieherisch ausreichend zu erachten, die ohne Fahrverbot als tat- und schuldangemessen anzusehende Geldbuße angemessen zu erhöhen.

Angesichts dessen, dass der voreintragungsfreie Betroffene einerseits über zwei Kinder verfügt, denen er zum Unterhalt verpflichtet ist, und er anderseits in beruflicher Hinsicht angestellter Bereichsleiter im Anlagenbau für Heizung/Sanitär- und Haustechnik ist, der nach eigenen Angaben in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt, ist es aus Sicht des Gerichts angezeigt, im Ausgangspunkt die für seine Verfehlung vorgesehene Regelgeldbuße anzusetzen und diese in Anwendung von § 4 Abs. 4 BKatV zu verdoppeln.“

Na ja, zumindest etwas 🙂   aber wegen des Fahrverbots falsch. Schöne Formulierung, dass der Betroffene über „zwei Kinder verfügt“.

Sonder-OWi: Messungen mit Leivtex XV 3 derzeit unverwertbar, oder: OLG Oldenburg stellt ein

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Und zwischendruch dann ein Posting zum OWi – Sonder-OWi passt also. Passt ja ganz gut zum verkehrsrechtlichen Thema des heutigen Tages.

Es geht um Messungen mit Leivtex XV 3. Die sind ja seit einiger Zeit in der Diskussion. Dazu gibt es ja auch, wie die Kollegen berichten, inzwischen einige AG-Entscheidungen, in denen die AG Verfahren, denen Leivtex XV3 Messungen zugrunde gelegen haben, eingestellt worden sind. So z.B. mit dem AG Landstuhl, Beschl. v. 17.03.2021 – 2 OWi 4211 js 2050/21, den ich gestern vom AG Landstuhl erhalten habe.

Gerade bin ich dann aber auf die – m.E. erste – OLG-Entscheidung zu der Problematik gestoßen, und zwar auf den OLG Oldenburg, Beschl. v. 16.03.2021 – 2 Ss (OWi) 67/21. Mit dem hat das OLG ein Verfahren eingestellt und führt dazu aus:

„Der Betroffene ist wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße verurteilt worden.

Die Geschwindigkeitsüberschreitung ist festgestellt worden mit dem Messgerät Leivtec XV 3.

Nachdem eine Gruppe von Sachverständigen in „zahlenmäßig relevanten“ Fällen unzutreffende Geschwindigkeitswerte bei Messungen mit diesem Gerät festgestellt hatte (nachzulesen auf der Internetseite www.i….de), hat die PTB ebenfalls Untersuchungen aufgenommen.

Unter dem Datum vom 27.10.2020 hatte die PTB folgenden Zwischenstand im Zusammenhang mit mutmaßlichen Messwertabweichungen veröffentlicht:

„Kürzlich wurde der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) der Verdacht gemeldet, dass das Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Leivtec XV3 möglicherweise in sehr speziellen Konstellationen für manche aktuelle Fahrzeugtypen geeichte Geschwindigkeitsmesswerte mit unzulässigen Messwertabweichungen ausgeben könne. Die PTB hat daraufhin die Situation an ihrer Referenzanlage nachgestellt.

Bisher konnte die PTB die gemeldeten Effekte nicht reproduzieren. Die Untersuchungen sind jedoch noch nicht abgeschlossen. Sobald ein definitives Ergebnis vorliegt, wird die PTB die zuständigen Marktaufsichtsbehörden sowie den Hersteller entsprechend informieren, damit, falls tatsächlich erforderlich, geeignete Maßnahmen eingeleitet werden können.“

Nachdem die PTB die Messfehler im Grundsatz reproduzieren konnte, ist unter dem Datum vom 14.12.2020 eine vom Hersteller vorgelegte Gebrauchsanweisung von der PTB genehmigt worden.

In der Gebrauchsanweisung heißt es nunmehr wie folgt:

„Zur Verwertbarkeit der Beweisbilder muss für alle in Kapitel 5.4 aufgeführten Kriterien zusätzlich folgende Bedingung für das Messung-Start-Bild erfüllt sein:

Sofern sich im Messung-Start-Bild nicht das komplette Kennzeichen innerhalb des Messfeldrahmens befindet, muss die innerhalb des Messfeldrahmens abgebildete Breite des Kennzeichens mindestens der zweifachen Höhe des Kennzeichens entsprechen.

Bei Messungen mit Einfahrt des Fahrzeugkennzeichens in den Messfeldrahmen von oben muss im Messung-Start-Bild das gesamte Kennzeichen innerhalb des Messfeldrahmens abgebildet sein.“

Der Einzelrichter des Senats hat daraufhin mit Mail vom 03.03.2021 folgende Anfrage an die PTB gerichtet:

„Ist das Messgerät Leivtec XV 3 bei Beachtung der oben genannten Ergänzung der Gebrauchsanweisung aus Sicht der PTB nach wie vor als standardisiertes Messverfahren anzusehen?“ ….

Mit Nachtrag vom 12.3.2021 zur o.g. Veröffentlichung (nachzulesen unter (https://doi.org/10.7795/520.20201215) führt die PTB nunmehr hierzu aus:

Am 09.03.2021 erlangte die PTB nun Kenntnis über weitere Versuche von Sachverständigen [M. K., T. G., L. H., Versuche zum Stufeneffekt beim Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Leivtec XV3, Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik, März 2021] die zeigen, dass es darüber hinaus spezielle Szenarien gibt, bei denen es auch unter den Regeln der ergänzten Gebrauchsanweisung zu unzulässigen Messwertabweichungen kommen kann.

Die PTB hat daraufhin umgehend den Hersteller und die zuständigen Stellen der Markt-und Verwendungsaufsichtsbehörden informiert und mit intensiven eigenen Versuchen begonnen. Die Ergebnisse stehen noch aus.

Der Senat hatte die Amtsgerichte des OLG Bezirk Oldenburg aufgrund einer Vorabinformation bereits am 11.03.2021 über die entsprechende Problematik informiert.

Es kann somit derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass auch bei Einhaltung der Vorgaben der geänderten Gebrauchsanweisung in Einzelfällen unzulässige Messwertabweichungen vorkommen – nach einer Mitteilung der PTB vom 13.3.2021 hat der Hersteller des Gerätes seinen Kunden allerdings geraten, amtliche Messungen mit dem Gerät vorerst auszusetzen- bzw. vorgekommen sind. Andererseits versteht der Einzelrichter die vorgenannte Veröffentlichung so, dass die weiteren Versuche wohl zumindest dann keine Anhaltspunkte für Fehlmessungen geliefert haben, wenn das Fahrzeugkennzeichen vollständig im Auswerterahmen des Messung-Start-Bildes abgebildet ist.

Es ist aber jedenfalls so, dass dann, wenn das Messung-Start-Bild die neuen Anforderungen an die Abbildung des Kennzeichens nicht erfüllt, die Beweisbilder nicht verwertbar sind (vergleiche die Formulierung der geänderten Gebrauchsanweisung).

Hier erfüllt das Messung-Start-Foto nicht die gestellten Anforderungen, da sich allenfalls minimale Teile des Kennzeichens im Messfeldrahmen befinden. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit eines Messfehlers zulasten des Betroffenen gering ist, hält der Senat eine Einstellung für sachgerecht, zumal der Betroffene Einwendungen gegen die Richtigkeit des Messergebnisses erhoben hat.“

EncroChat-Erkenntnisse, oder: Verwertbar, auch wenn „nicht mehr hinnehmbar rechtsstaatswidrig….“

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Und als zweite Entscheidung von der „Resterampe“ dann der OLG Hamburg, Beschl. v. 29.01.2021 – 1 Ws 2/21 – zu der Thematik: Zulässigkeit der Verwertung von Daten, die aus einer EncrChat-Überwachung stammen.  Dazu hatte ich ja bereits vor einiger Zeit über den OLG Bremen, Beschl. v. 18.12.2020 – 1 Ws 166/20 berichtet (vgl. BVV I: Verwertung einer Überwachung der TK mit Krypto-Handys, oder: Stichwort “EncroChat”) berichtet. Hier dann noch die Entscheidung des OLG Hamburg.

Die kommt zu demselben Ergebnis wie das OLG Bremen: Die Verwertung der Erkenntnisse ist zulässig. Wen wundert das? Mich nicht.

Aus dem umfangreichen Beschluss hier nur die Passage, die ich besonders „bemerkenswert“ finde:

„(ddd) Hiervon unabhängig würden die Voraussetzungen für ein Verwertungsverbot auch dann nicht vorliegen, wenn das Vorgehen der französischen Behörden teilweise als nicht mehr hinnehmbar rechtsstaatwidrig begriffen werden würde. Denn im Kern ist angesichts der bekannten Fakten davon auszugehen, dass der Zugriff auf die Daten von EncroChat grundsätzlich geboten und damit rechtmäßig war. Das konkrete Vorgehen könnte allenfalls insoweit in Frage gestellt werden, als an gewisse Eingrenzungen der Datenerhebung – etwa durch eine möglichst frühzeitige Ausrichtung auf schwere Straftaten unter Ausklammerung der übrigen Kommunikation – zu denken gewesen wäre. Sollte es bei diesen oder anderen Nuancen des Vorgehens der französischen Ermittlungsbehörden zu Rechtsverstößen gekommen sein, könnten diese aber jedenfalls im Rahmen der den vorliegenden Fall betreffenden Abwägung nicht zu einem Verwertungsverbot führen. Denn bei den dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Straftaten handelt es sich gerade um solche, die besonders schwer wiegen und überragend gewichtige Rechtsgüter gefährdenden bzw. geschädigt haben. Welche Schranken oder Grenzen auch immer hätten greifen müssen: Jedenfalls hätten Straftaten wie diejenigen, die der Beschwerdeführer hochwahrscheinlich begangen hat, zielgerichtet erforscht werden müssen.“

Ach so. Verwertbar also auch, wenn als „teilweise als nicht mehr hinnehmbar rechtsstaatswidrig begriffen werden würde“. Na, da bin ich aber mal gespannt, was das BVerfG dazu sagen wird.

Übrigens: Zu der Thematik gibt es dann im StRR 4/2021 etwas von den Kollegen Stehr, Göppingen, und Rakow, Rostock, die derzeit mit Verfahren, in denen solche Erkenntnisse eine Rolle spielen, befasst sind.

StPO II: „Freiwillige“ Blutprobe, oder: Verwertbarkeit nach fehlerhafter Belehrung

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Die zweite Entscheidung des Tages, der OLG Hamm, Beschl. v. 31.03.2020 – 4 RBs 114/20, den mir der Kollege Urbanzyk aus Coesfeld geschickt hat, befasst sich (noch einmal) mit der Verwertbarkeit einer „freiwillig“ abgegebenen Blutprobe nach willkürlich fehlerhafter Belehrung.

Hier die Beschlussgründen – nur ein Zusatz zur Verwerfung der Rechtsbeschwerde des Betroffenen. Ihnen lässt sich entnehmen, worum es gegangen ist:

Ergänzend zur Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft ist anzumerken, dass die Verfahrensrüge der unzulässigen Verwertung amtlicher gewonnener Beweismittel“ wegen eines Verstoßes gegen die Belehrungspflicht aus §§ 136 Abs. 1 5.2 StPO, 46 Abs. 1 OWiG) jedenfalls unbegründet ist.

Zuzugeben ist der Rechtsbeschwerde, dass es gegen §§ 136 Abs. 1 S. 2; 163a StPO, 46 Abs. 1 OWG verstößt, wenn der der Betroffene, bei dem – wie hier ¬aufgrund stark erweiterter Pupillen ohne Reaktion und starkem Lidflattern nach Anhalten des von ihm geführten PKW im grenznahen Gebiet zu den Niederlanden durch den Zeugen POK pp. der Anfangsverdacht für eine Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG bestand, ohne vorangegangene Belehrung zunächst befragt wird „ob er etwas genommen habe“. Bei dieser Sachlage hatte der Betroffene bereits den Status eines solchen und es war eine Vernehmungssituation gegeben, denn eine solche liegt vor, wenn der Vernehmende dem Betroffenen in amtlicher Funktion gegenübertritt und in dieser Eigenschaft von ihm Auskunft verlangt (vgl. BGH MDR 1996, 1054). Dass der Betroffene im vorliegenden Fall im Weiteren Verlauf etwa noch vor Einholung seiner Zustimmung zu einem „freiwilligen“ Drogentest oder später- qualifiziert in dem Sinne belehrt worden ist, dass er auch einen Hinweis auf die Unverwertbarkeit früherer Aussagen erhalten hat (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 136 Rdn. 9) ist nicht ersichtlich. Vielmehr ist nur eine (einfache) Belehrung erfolgt und zwar nach dem Drogenvortest. Danach ist der Betroffene auch darüber belehrt worden, dass er sich freiwillig einer Blutentnahme unterziehen könne, anderenfalls selbige durch den Zeugen angeordnet würde.

Gleichwohl führt dieses Vorgehen der Polizei nicht zu einem Beweisverwertungsverbot bzgl. „sämtlicher gewonnener Beweismittel“. Eine Aussage des Betroffenen über das Einräumen seiner Fahrereigenschaft in der Hauptverhandlung ist im angefochtenen Urteil nicht verwertet worden. Eine Aussage gegenüber den Polizeibeamten in der Anhaltesituation gibt das angefochtene Urteil nicht ausdrücklich wieder. Der in der Beweiswürdigung niedergelegte Ablauf (Anhalten, Befragung, ob der Betroffene „etwas genommen habe“; im Falle der Bejahung Angebot eines freiwilligen Drogenschnelltests) legt aber nahe, dass der Betroffene die Frage nach der Drogeneinnahme bejaht hat, da es ansonsten wohl nicht zur Durchführung des Drogenschnelltests gekommen wäre. Diese Angaben sind aber im angefochtenen Urteil nicht verwertet worden. Wie sich aus der Rügebegründung ergibt, hat der Betroffene auch die ärztliche Untersuchung anlässlich der Blutprobenentnahme ausweislich des ärztlichen Berichts verweigert, so dass dort unter „Untersuchungsbefund“ nichts angekreuzt ist.

Ob über die Unverwertbarkeit der Angaben des nicht ordnungsgemäß belehrten Betroffenen hinaus ein Beweisverwertungsverbot Fernwirkung bzgl. anderer Beweismittel (hier insbesondere: Ergebnis der Blutprobe, der sich der Betroffene „freiwillig“ unterzogen hat) ist umstritten (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. Rdn. 22). Selbst, wenn man eine solche Fernwirkung – noch dazu im Ordnungswidrigkeitenrecht – bejahen wollte, so lässt sich eine allgemeingültige Regel, wann ein Beweisverwertungsverbot über das unmittelbar gewonnene Beweisergebnis hinausreicht und wo seine Grenzen zu ziehen sind, nicht aufstellen. Die Grenzen richten sich nicht nur nach der Sachlage und Art und Schwere des Verstoßes, sondern auch nach der Kausalität der unzulässig erlangten Erkenntnisse für die weiteren Ermittlungen und die schließliche Überführung des Betroffenen (vgl. OLG Oldenburg, Urt. v. 10.10.1994 — Ss 371/94 — juris; vgl. auch: BVerfG, Beschl. v. 27.04.2010 — 2 BvL 13/07 – juris). Der Verstoß hat ein nicht unbedeutendes Gewicht. Es ist nämlich zu berücksichtigen, dass es sich bei dem unzulässigen Vorgehen nach den Urteilsfeststellungen offenbar um eine gängige Praxis des als Zeugen vernommenen Polizeibeamten handelt. Andererseits ist zu sehen, dass es vorliegend „nur“ um die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten (wenn auch mit der Konsequenz eines Fahrverbots und einer erheblichen Geldbuße) geht. Hier ist aber eine Kausalität des Verstoßes gegen die Belehrungspflicht — wie im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt zu verneinen. Angesichts der Umstände, die den o.g. Anfangsverdacht begründeten, wäre auch dann, wenn der Betroffene nach bereits anfänglicher ordnungsgemäßer Belehrung jede Mitwirkung und jede Angabe verweigert hätte, eine Blutentnahme rechtmäßig nach § 46 Abs. 4 S. 2 OWiG angeordnet worden, deren Ergebnis dann auch hätte verwertet werden dürfen.“

Der Beschluss überrascht nicht. Überraschend wäre eher ein Erfolg der Rechtsbeschwerde gewesen.

StPO II: (Kurzfristige) Observation im Ausland, oder: Verwertbarkeit?

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Und als zweite Entscheidung des Tages dann der BGH, Beschl. v. 21.01.2020 – 3 StR 572/19. Der BGh nimmt ihn ihm kurz – „ergänzend“ zu einer Verfahrensrüge, mit der ein Verstoß gegen § 163f StPO geltend gemacht worden ist, Stellung:

„Soweit die Revision geltend macht, eine vorangehende Beobachtung im Ausland sei hier im Rahmen des § 163f StPO zu berücksichtigen, hat sie damit ungeachtet der Frage der Zulässigkeit der Rüge in der Sache keinen Erfolg.

Für die – nicht einmal sechs Stunden dauernde – planmäßige Beobachtung durch deutsche Polizeibeamte bedurfte es keiner gerichtlichen Anordnung, da es sich nicht um eine längerfristige Observation im Sinne des § 163f Abs. 1 Satz 1 StPO handelte. Dies gilt unabhängig davon, ob der Angeklagte unmittelbar zuvor bereits über mehrere Tage hinweg im Rahmen eines niederländischen Ermittlungsverfahrens durch niederländische Polizeikräfte in den Niederlanden beobachtet wurde.

Eine Einbeziehung derartiger Observationen ist grundsätzlich nicht geboten, weil die Regelung des § 163f StPO nur Ermittlungsmaßnahmen deutscher Strafverfolgungsorgane betrifft. Eine Erstreckung auf die Handlungen ausländischer Hoheitsträger kommt bereits mit Blick auf die Grundsätze der Staatensouveränität und -immunität (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2012 – 1 StR 310/12, BGHSt 58, 32, 42 f.; BVerfG, Beschluss vom 17. März 2014 – 2 BvR 736/13, NJW 2014, 1723 ff.) nicht in Betracht.

Nach den gegebenen Umständen besteht selbst bei einem abgestimmten Vorgehen mit ausländischen Stellen kein Grund, von diesen im Ausland durchgeführte Observationen in die nach § 163f Abs. 1 Satz 1 StPO maßgeblichen Zeiten einzubeziehen, zumal die Ermittlungsmaßnahmen in den verschiedenen Staaten unterschiedlichen rechtlichen Regelungen unterliegen und keine Weisungsmöglichkeiten gegenüber fremden Hoheitsträgern bestehen.“