Nach dem Sitzungsprotokoll haben der Angeklagte und sein Verteidiger, Rechtsanwalt D., im Anschluss an die Urteilsverkündung nach Rechtsmittelbelehrung gem. § 35 a StPO und nach zwei IUnterbrechungen der Hauptverhandlung ebenso wie der Sitzungsvertreter der StA, erklärt, auf die Einlegung von Rechtsmitteln gegen das Urteil zu verzichten. Die im Sitzungsprotokoll vermerkte Verzichtserklärung ist allen Verfahrensbeteiligten vorgelesen und von diesen genehmigt worden (§ 273 Abs. 3 Satz 3StPO).
Vom Angeklagten ist dann später über seinen Revisionsverteidiger die Unwirksamkeit dieses Rechtsmittelverzichts geltend gemacht worden. Der BGH hat ihn aber als wirksam angesehen – die Begründung ist ein bisschen umfangreicher:
„b) Der Rechtsmittelverzicht ist wirksam.
aa) Der Beschwerdeführer stützt seine gegenteilige Auffassung unter Bezugnahme auf eine entsprechende anwaltliche Versicherung seines Instanzverteidigers auf folgenden, von ihm behaupteten Verfahrensablauf:
Nach der Urteilsverkündung am 17. Dezember 2018 habe „die Kammer“ auf Nachfrage des Instanzverteidigers, Rechtsanwalt D. , „was jetzt mit dem Haftbefehl“ sei, zunächst die Frage gestellt, „ob irgendwelche Erklärungen abzugeben“ seien, „das würde der Kammer die Entscheidung erleichtern“. Es sei klar gewesen, dass damit nur der Rechtsmittelverzicht gemeint gewesen sein könne. Nachdem der Verteidiger „dies verneint“ habe, habe die Strafkammer einen Außervollzugsetzungsbeschluss verkündet, der mit einer Kaution in Höhe von 10.000 € verbunden gewesen sei. Weil der Angeklagte nicht in der Lage gewesen sei, eine Kaution in dieser Höhe zu leisten, aber das Weihnachtsfest in Freiheit mit seinen Kindern habe verbringen wollen, habe sich der Verteidiger in das Beratungszimmer begeben und gefragt, ob die Aufhebung des Haftbefehls im Gegenzug zum Rechtsmittelverzicht in Frage käme. Dies sei vom Vorsitzenden für den Fall bejaht worden, dass die Staatsanwaltschaft ihre Zustimmung erklären würde. Der Verteidiger habe sodann bei dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, Oberstaatsanwalt L. , nachgefragt, ob dieser einer Aufhebung des Haftbefehls im Gegenzug zum Rechtsmittelverzicht zustimmen würde. Dieser habe gesagt, dass er „nach Rechtsmittelverzicht“ einen entsprechenden Antrag stellen werde. Dieses Ergebnis habe der Verteidiger der Strafkammer mitgeteilt. Diese sei sodann wieder im Sitzungssaal erschienen und habe den vom Angeklagten, von dem Verteidiger und von dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft erklärten Rechtsmittelverzicht entgegengenommen. Daraufhin sei der Haftbefehl aufgehoben worden.
Der Revisionsverteidiger des Angeklagten ist der Ansicht, dass der Rechtsmittelverzicht gemäß § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO unwirksam sei, weil es sich bei den von ihm behaupteten Vereinbarungen „der Sache nach“ um eine Verständigung im Sinne des § 257c StPO gehandelt habe. Außerdem sieht er darin, dass die Aufhebung des Haftbefehls von dem zuvor erklärten Rechtsmittelverzicht abhängig gemacht worden sei, ein willkürliches Vorgehen der Strafkammer. In Anbetracht dessen habe der Angeklagte den Verzicht nicht freiwillig erklärt. Im Übrigen habe die Strafkammer dem Angeklagten dadurch, dass sie ihm die Aufhebung des Haftbefehls im Gegenzug nach vorausgegangenem Rechtsmittelverzicht zugesagt habe, einen gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteil versprochen. Denn mit dem Eintritt der Rechtskraft des Urteils werde der Haftbefehl gegenstandslos und die Untersuchungshaft gehe ohne weiteres in Strafhaft über. Insoweit habe die Strafkammer den Angeklagten über die rechtliche Möglichkeit einer Aufhebung des Haftbefehls getäuscht.
bb) Diese gegen die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts erhobenen Einwände greifen nicht durch.
(1) Bereits die Schilderung des Verfahrensgeschehens durch den Beschwerdeführer erweist sich als unzutreffend.
(a) Sie steht im Widerspruch zum Sitzungsprotokoll. Diesem lässt sich schon nicht entnehmen, dass es zwischen der Verkündung des Urteils und derjenigen des Haftverschonungsbeschlusses zu Erörterungen über einen etwaigen Rechtsmittelverzicht gekommen ist. Ausweislich des Protokolls wurde der Beschluss über die Außervollzugsetzung des Haftbefehls vielmehr unmittelbar im Anschluss an die Urteilsverkündung und die Rechtsmittelbelehrung verkündet. Wenngleich danach nicht ausgeschlossen ist, dass die vom Beschwerdeführer behaupteten Äußerungen abgegeben wurden, weil dem Protokoll insoweit nicht die Beweiskraft des § 274 Satz 1 StPO zukommt, so wird sein Vorbringen durch die Sitzungsniederschrift jedenfalls nicht gestützt.
Die Behauptung, dass der Haftbefehl aufgrund einer entsprechenden Absprache zwischen den Verfahrensbeteiligten im Anschluss an den Rechtsmittelverzicht aufgehoben worden sei, wird durch das Sitzungsprotokoll widerlegt; sie widerspricht dem darin in Bezug auf diese Verfahrensvorgänge dokumentierten Geschehen. Danach wurde die Hauptverhandlung nach der Verkündung des Außervollzugsetzungsbeschlusses um 13:42 Uhr unterbrochen und um 13:45 Uhr fortgesetzt. Anschließend beantragte der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft die Aufhebung des Haftbefehls. Daraufhin wurde die Hauptverhandlung in der Zeit von 13:47 Uhr bis 13:52 Uhr erneut unterbrochen. Im Anschluss daran wurde der Beschluss verkündet, durch den der Haftbefehl aufgehoben wurde. Schließlich erklärten der Angeklagte, sein Verteidiger und der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft den Rechtsmittelverzicht. Die Sitzungsniederschrift, die gemäß § 274 Satz 1 StPO im Hinblick auf die Abfolge prozessualer Ereignisse in Bezug auf die gemäß § 273 Abs. 3 Satz 3 StPO protokollierte Erklärung des Rechtsmittelverzichts beweiskräftig ist, belegt mithin, dass der Angeklagte nicht schon vor der Aufhebung des Haftbefehls auf Rechtsmittel verzichtete, sondern erst danach.
(b) Dieser protokollierte Verhandlungsablauf entspricht sowohl den zu dem Vorbringen des Beschwerdeführers abgegebenen Stellungnahmen des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft als auch den diesbezüglichen Ausführungen der erkennenden Berufsrichter.
Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft hat in einer dienstlichen Stellungnahme in Abrede gestellt, erklärt zu haben, dass er nach einem Rechtsmittelverzicht die Aufhebung des Haftbefehls beantragen werde. Der Angeklagte habe erst nach der Aufhebung des Haftbefehls auf Rechtsmittel verzichtet. In seiner Revisionsgegenerklärung hat der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft ergänzend ausgeführt, dass es zu keinem Zeitpunkt zu einer Rücksprache bzw. Absprache zwischen der Strafkammer und ihm über die Aufhebung des Haftbefehls gekommen sei. Nach der Verkündung des Urteils und des Haftverschonungsbeschlusses hätten der Verteidiger und der Angeklagte im Sitzungssaal in Abwesenheit der Strafkammer miteinander gesprochen. Danach habe der Verteidiger ihm gegenüber – ohne dies zuzusichern – in Aussicht gestellt, dass der Angeklagte bereit sei, auf die Einlegung von Rechtsmitteln zu verzichten, wenn der Haftbefehl aufgehoben werde. Der Verteidiger habe ihn aufgefordert, in sich zu gehen und einen entsprechenden Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls zu stellen. Unter den gegebenen Umständen sei es ihm – trotz Bedenken – vertretbar erschienen, sodann den von dem Verteidiger erbetenen Antrag zu stellen.
Die an dem Urteil beteiligten Berufsrichter haben sich in einem Beschluss vom 11. März 2019, durch den ein Antrag des Verurteilten, die Strafvollstreckung aufzuschieben, abgelehnt worden ist, mit Blick auf das Vorbringen des Beschwerdeführers wie folgt zu dem Ablauf der Hauptverhandlung geäußert:
Es sei unzutreffend, dass der Verteidiger den Vorsitzenden im Anschluss an die Urteilsverkündung gefragt habe, „was jetzt mit dem Haftbefehl“ sei, woraufhin dieser entgegnet habe, ob denn „Erklärungen abgegeben“ würden, „was dem Gericht die Sache einfacher machen würde“. Unzutreffend sei auch die Behauptung, der Vorsitzende habe im Beratungszimmer gegenüber dem Verteidiger die Aufhebung des Haftbefehls nach erklärtem Rechtsmittelverzicht für den Fall zugesagt, dass der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft einen entsprechenden Antrag stelle. Eine Absprache, wonach die Strafkammer dem Angeklagten die Aufhebung des Haftbefehls im Gegenzug nach vorausgegangenem Rechtsmittelverzicht zugesagt habe, sei zu keinem Zeitpunkt getroffen worden. Tatsächlich habe es sich so verhalten, dass der Verteidiger nach der Verkündung des Urteils und des Außervollzugsetzungsbeschlusses das Beratungszimmer aufgesucht und vorgeschlagen habe, der Angeklagte wolle auf Rechtsmittel gegen das Urteil verzichten, wenn der Haftbefehl aufgehoben werde. Der Vorsitzende habe sich dazu nicht geäußert, sondern den Verteidiger an den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft verwiesen. Dieser habe nach Fortsetzung der Hauptverhandlung die Aufhebung des Haftbefehls beantragt. Im Anschluss daran sei die Hauptverhandlung unterbrochen worden, weil die Strafkammer über den Aufhebungsantrag habe beraten müssen.
(c) Vor diesem Hintergrund entbehrt das Vorbringen des Beschwerdeführers einer tragfähigen Grundlage. Soweit er damit einen Nachweis der Protokollfälschung im Sinne des § 274 Satz 2 StPO erbringen wollte, dringt er im Hinblick auf die mit dem Sitzungsprotokoll sowie untereinander in Einklang stehenden Erklärungen des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft und der erkennenden Berufsrichter nicht durch. Danach kam es nicht zu der behaupteten synallagmatischen Verknüpfung von Rechtsmittelverzicht und anschließender Aufhebung des Haftbefehls. Das Verfahrensgeschehen stellt sich vielmehr wie folgt dar:
Der Angeklagte beriet sich nach der Verkündung des Urteils und des Außervollzugsetzungsbeschlusses mit seinem Verteidiger und veranlasste ihn anschließend aus eigenem Antrieb, gegenüber Staatsanwaltschaft und Gericht zu erklären, dass er im Falle einer Aufhebung des Haftbefehls bereit sei, auf Rechtsmittel zu verzichten. Der Staatsanwalt ließ sich mit Rücksicht auf diese Ankündigung dazu bewegen, die Aufhebung des Haftbefehls zu beantragen, und das Gericht hob den Haftbefehl ebenfalls im Hinblick auf den angekündigten Rechtsmittelverzicht auf. Schließlich erklärten der Angeklagte, sein Verteidiger und der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, auf die Einlegung von Rechtsmitteln gegen das Urteil zu verzichten.
(2) In Anbetracht dieser Sachlage bestehen keine Zweifel an der Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts.
(a) Der Verzicht ist zunächst nicht gemäß § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO unwirksam. Danach ist ein Rechtsmittelverzicht ausgeschlossen, wenn dem Urteil eine Verständigung im Sinne des § 257c StPO vorausgegangen ist. Das war hier nicht der Fall.
Dies ergibt sich schon aus dem Sitzungsprotokoll. Darin ist gemäß § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO ausdrücklich vermerkt, dass eine Verständigung nach § 257c StPO nicht stattgefunden hat. Diese Feststellung zählt zu den wesentlichen Förmlichkeiten im Sinne des § 274 Satz 1 StPO und nimmt an der Beweiskraft des Sitzungsprotokolls teil (vgl. BGH, Beschluss vom 29. September 2010 – 2 StR 371/10, BGHSt 56, 3 Rn. 4). Gegen den die wesentlichen Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nach § 274 Satz 2 StPO nur der Nachweis der Fälschung zulässig, der hier nicht geführt ist.
Im Übrigen geht die Ansicht des Beschwerdeführers fehl, der Rechtsmittelverzicht sei gemäß § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO unwirksam, weil es sich bei der von ihm behaupteten Vereinbarung „der Sache nach“ um eine Verständigung im Sinne des § 257c StPO gehandelt habe, die auch nach Urteilsverkündung noch möglich gewesen sei. Sie ist schon mit dem Wortlaut des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO nicht vereinbar, wonach ein Verzicht ausgeschlossen ist, wenn dem Urteil eine Verständigung im Sinne von § 257c StPO „vorausgegangen“ ist. Weiter kommt eine Verständigung gemäß § 257c StPO als eine ihrer Natur nach das Schuldprinzip sowie den Aufklärungsgrundsatz betreffende Regelung (BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11, NJW 2013, 1058 Rn. 102 ff.) nur bis zum Schluss der Beweisaufnahme in Betracht (KK-Moldenhauer/Wenske, StPO, 8. Aufl., § 257c Rn. 10; BeckOK StPO/Eschelbach, § 257c Rn. 29), jedenfalls nicht mehr nach der Urteilsverkündung.
(b) Auch ein sonstiger Grund, aus dem der als Prozesserklärung grundsätzlich unwiderrufliche und unanfechtbare (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 21. April 1999 – 5 StR 714/98, BGHSt 45, 51, 53 mwN) Rechtsmittelverzicht ausnahmsweise unwirksam sein könnte, ist nicht ersichtlich…..“