Schlagwort-Archive: Vergütungsvereinbarung

Widersprüchliche Angaben des Mandanten zu viel Geld, oder: Auswirkungen auf den abrechenbaren Aufwand

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Im zweiten „Gebühren-Posting“ geht es dann heute auch um die Abrechnung eines Zeithonorars aus einer Vergütungsvereinbarung. Es handelt sich um das OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 0. 7.10.2024 – 2 U 86/23. Das OLG befasst sich in der umfangreich begründeten Entscheidung u.a. mit dem Rückzahlungsanspruch eines Mandanten aus einer Vergütungsvereinbarung und in dem Zusammenhang mit der Höhe der anwaltlichen Gebühren.

In der Sache geht es in etwa um Folgendes: Der Kläger macht aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung Rückzahlungsansprüche von Anwaltshonoraren geltend, die die beklagte Rechtsanwaltskanzlei eingezogen hat und deren Begründetheit der Kläger in Abrede stellt. Gegen den Kläger waren Verfahren im Zusammenhang mit zollrechtlichen und strafrechtlichen Vorwürfen eingeleitet worden, nachdem das Zollfahndungsamt an einem Flughafen in seinem Gepäck Bargeld in kleiner Stückelung im Gesamtwert von 394.050,00 EUR aufgefunden und nach § 12a Abs. 7 ZollVG zur Durchführung eines Clearingverfahrens sichergestellt hatte, weil die Behörde davon ausging, es bestehe ein Anfangsverdacht, dass das sichergestellte Geld zum Zwecke der Geldwäsche in das Ausland habe transferiert werden sollen und deshalb der Einziehung nach §§ 73 ff. StGB unterliegen könnte. Zur Herkunft des Geldes hatte ein zunächst vom Kläger beauftragter Rechtsanwalt RA1 in dessen Namen eine Stellungnahme über die Herkunft der in der Tasche sichergestellten 394.050,00 EUR abgegeben, wonach diese Summe nach den Angaben des Mandanten aus einer schenkweise erfolgten Überweisung seiner Mutter herrühren sollten.

Der Kläger beauftragte dann die Beklagte/Rechtsanwalt RA2 am 09.12.2020 mit der Vertretung seiner rechtlichen Interessen, unterzeichnete eine „Mandatsbedingungen“ überschriebene Vereinbarung, ein SEPA -Lastschriftmandat und schloss mit der Beklagten eine Vergütungsvereinbarung. Unter anderem wurde ein Stundenhonorar von 400,00 EUR zuzüglich Umsatzsteuer einschließlich einer so genannten Mindestpauschale i.H.v. 2.000,00 EUR zuzüglich gesetzlicher Umsatzsteuer vereinbart. Mit Schreiben vom 23.12.2020 nahm Rechtanwalt RA2 Bezug auf ein Akteneinsichtsgesuch vom 15.12.2020, ging auf das Ereignis am Flughafen ein und gab eine Stellungnahme über Hintergründe und die Herkunft des Geldes ab, korrigierte ein auf einem sprachlichen Missverständnis beruhende Unrichtigkeit in dem Schreiben von Rechtsanwalt RA1, erläuterte die angebliche Herkunft des Geldes genauer, berief sich im Zusammenhang mit der subjektiven Tatseite auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum des Klägers, dem die Notwendigkeit, eine größere Menge Bargeld, der die Grenze von 10.000 EUR überschreite, zu deklarieren, nicht bekannt gewesen sei. Durch Beschluss vom 18.03.2021 ordnete das AG – Ermittlungsrichter – gemäß §§ 111b, 111c, 111j StPO die Beschlagnahme der Geldscheine mit der Begründung an, das Verhalten des Beschuldigten sei auf eine gezielte Verschleierung des Besitzes und der beabsichtigten Verbringung des Bargeldes ins Ausland angelegt gewesen, die nach der kriminalistischen Erfahrung für den Transfer inkriminierter Gelder geradezu typisch sei, so dass die gesetzlichen Voraussetzungen einer Beschlagnahmeanordnung bei dieser Sachlage erfüllt seien.

Mit Schreiben vom 21.4.2021 kündigte ein neuer Klägervertreter das Mandatsverhältnis im Hinblick auf die strafrechtliche Angelegenheit, forderte die Beklagte auf, die vereinnahmten Vorschüsse ordnungsgemäß abzurechnen oder zurückzuerstatten und setzte hierfür eine Frist bis zum 30.4.2021. Durch Verfügung vom 21.11.2021 stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren des gegen den Kläger wegen Verdachts der Geldwäsche allerdings ein.

Es geht dann jetzt um die Abrechnung und die Höhe/Anzahl der geltend gemachten Stunden. Das OLG nimmt im Einzelnen zur Wirksamkeit der Vergütungsvereinbarung und dann zur Berechtigung der von dem Rechtsanwalt angesetzten Stunden Stellung. Insoweit bitte ich weitgehend selbst lesen. Ich will hier aus Platzgründen nur eine Passage herausgreifen, in der es um den abrechenbaren Aufwand einesVerteidigers bei widersprüchlichen Angaben des Mandanten geht:

„Zu 1.): Hinsichtlich der Tätigkeit gemäß Position 1.) für den 14.12.2020, hat das Landgericht von geltend gemachten und vom Kläger bestrittenen 5:50 h für die dort beschriebenen Tätigkeiten insgesamt 0:40h und 0:30 h mit der Begründung für bewiesen angesehen, die Tätigkeit sei zwar bestätigt, allerdings nicht genau genug beschrieben worden, welche Recherchemaßnahmen erforderlich gewesen seien. Bewiesen sei lediglich, das Durchsehen von insgesamt 15-35 Seiten Unterlagen, was zu einem Mindestaufwand auf 45 Minuten führe zuzüglich der Einarbeitung in die Rechtslage.

Die hiergegen erhobenen Einwände der Beklagten greifen durch. Soweit die Beklagte dargelegt hat, es habe sich um zollrechtliche Fragen und der sich daraus ergebende Probleme für die Mandanten und den Ablauf des Verfahrens, ist dies aufgrund der besonderen Umstände des Sachverhaltes und des Akteninhaltes belegt.

Vorliegend war zunächst die zollrechtliche Besonderheit zu berücksichtigen, dass es ursprünglich um ein – aufgrund neuer europarechtlicher Vorschriften -sog. „Clearing-Verfahren“ ging, im Zusammenhang mit dem Verbot, nicht deklarierte Bargeldsummen von über 10.000 € über die Grenze zu bringen.

Belegt ist indes auch der vom Beklagten dargelegte Umstand, besondere Schwierigkeiten hätten sich aus dem Vortrag des Klägers ergeben, dessen unklare Ausführungen im Termin zur Eingangsberatung mit den Unterlagen erst einmal hätten in Einklang gebracht werden müssen. Dies ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass der Kläger unterschiedliche, teilweise nicht nachvollziehbare und von der Behörde als unglaubhaft angesehene Angaben gemacht hatte. Dies hatte zur Folge, dass es nicht mehr um die bloße Herkunftsklärung im Zusammenhang mit zollrechtlichen Ausfuhrbestimmungen, sondern wegen der widersprüchlichen Angaben und Unklarheiten zu Anfangsermittlungen wegen des Verdachts der Geldwäsche kam. Der zuvor vom Kläger beauftragte Rechtsanwalt RA1 hatte Angaben gemacht, die später korrigiert werden mussten, wobei auch der Beklagtenvertreter an späterer Stelle erläutern musste, dass es sich bei einem bestimmten Teil der Einlassung um ein sprachliches Missverständnis gehandelt habe.

Der Anwalt darf nicht jede Darstellung des Mandanten ungeprüft als Einlassung weitergeben, um im Hinblick auf seine Pflicht zur effektiven Vertretung die Position des Mandanten nicht durch abwegige und widersprüchliche Einlassungen zu verschlechtern. Dabei hat die Einhaltung der die in § 43a BRAO geregelten Berufspflichten zu beachten. § 43a Abs. 3 S. 2 BRAO schreibt vor, dass der Rechtsanwalt sich bei seiner Berufsausübung der bewussten Verbreitung von Unwahrheiten zu enthalten hat. Dies gebietet besondere Sorgfalt. Zugleich muss der zur effektiven Interessenvertretung verpflichtete Rechtsanwalt darauf achten, dass seine Tätigkeit weder als Beihilfe zur Strafvereitelung gemäß §§ 258, 27 StGB noch als Begünstigung gemäß § 257 BGB oder einer Hilfeleistung en dazu (§§ 257,27 StGB) eingestuft werden könnte. All dies gebietet besondere Sorgfalt und erheblichen Aufwand, je nach der Art des Verhaltens des Mandanten. Dies nimmt erhebliche Zeit in Anspruch. Jedes Wort muss abgewogen werden. Die Akte muss mehrfach gelesen werden, gegebenenfalls muss hin und her geblättert werden. Mithin ist plausibel und glaubhaft, soweit der Beklagtenvertreter in diesem Zusammenhang erläutert hat, die Durchsicht der Akte sei vor dem Hintergrund der bisherigen Sachverhaltsdarstellung besonders kritisch vorzunehmen gewesen.

Der Einwand des Klägers, die Akten hätten sich zum Zeitpunkt der Einsicht aus einer Vielzahl von im Ergebnis bedeutungslos und Verfügungen zusammengesetzt, trifft zu. Hieraus folgt allerdings nicht, dass sich vermeintlich und unwichtige Teile des Akteninhaltes sich notwendig auf die Dauer des Aktenstudiums auswirken muss. Denn erst die genaue Durchsicht der Akte und die Erfassung des Sachverhaltes im Detail ermöglicht die Entscheidung welche Teile der Akte wichtig und welche unwichtig sind.

Handelt es sich um eine ihrem Aufbau und Struktur im Vergleich zu üblichen Behördenakten, insbesondere Gerichtsakten auch für den erfahrenen Rechtsanwalt um Akten mit besonderer Struktur und ungewöhnlichem Inhalt, so wirkt sich dies auch auf die Dauer der erforderlichen Durchsicht aus. Gleiches gilt für die vom Landgericht zugemessene Dauer für die Einarbeitung in die fremde, zollrechtliche Rechtsmaterie.

Insgesamt hält der Senat daher eine Dauer von 04:30 h für angemessen.“

Zur Wirksamkeit einer Zeithonorarvereinbarung, oder: Zwischenrechnungen und unzulässige Kombi-VV

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Heute am Gebührenfreitag stelle ich zunächst eine BGH-Entscheidung zur Vergütungsvereinbarung vor. Das BGH, Urt. v. 12.09.2024 – IX 65/23 – hängt leider schon länger in meinem Blogordner. Ich habe es bisher aber immer übersehen (wie kann man nur den BGH übersehen? 🙂 ).

In der Sache geht es um die Gebührenklage eines Rechtsanwalts auf Zahlung von Gebühren aus verschiedenen Mandaten im Erb- und Familienrecht. Insgesamt ist eine Vergütung von ca. 132.000 EUR eingeklagt worden. Im Wege der Aufrechnung bzw. Hilfswiderklage verlangte der Mandant 52.000 EUR Anwaltshonorar zurück, weil nach seiner Auffassung die zugrunde liegende Vergütungsvereinbarung unwirksam sei.

Der Rechtsanwalt hat in den Mandaten formularmäßig eine Vereinbarung verwendet, in der durch eine Kombination aus Stundensätzen und gesetzlicher Vergütung abrechnet. Zudem hatte er eine Auslagenpauschale, eine Einigungs- sowie eine Erfolgsgebühr vorgesehen.

Das LG hatte der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Das OLG hat die Klage in Höhe von rund 92.000 EUR nebst Zinsen abgewiesen und eine Hilfsaufrechnung in Höhe von rund 3.400 EUR als gegeben erachtet. Der BGH hat auf die Berufungen beider Parteien das Urteil aufgehoben und an das OLG zurück verweisen.

Ich will hier jetzt nicht die gesamte Begründung einstellen, sondern verweise auf die u.a. Leitsätze. Der BGH hat vor die Kombination des an sich zulässigen Stundensatzes mit einer Erhöhungsregelung sowie mit Einigungs- und Erfolgsgebühren beanstandet, das sei intransparent nach § 307 BGB. Das führte zur Unwirksamkeit der gesamten Gebührenvereinbarung, sodass nunmehr nach dem RVG abgerechnet werden müsse.

Die Leitsätze lauten:

1. Eine formularmäßig getroffene anwaltliche Zeithonorarabrede ist auch im Rechtsverkehr mit Verbrauchern nicht allein deshalb unwirksam, weil der Rechtsanwalt weder dem Mandanten vor Vertragsschluss zur Abschätzung der Größenordnung der Gesamtvergütung geeignete Informationen erteilt noch sich dazu verpflichtet hat, ihm während des laufenden Mandats in angemessenen Zeitabständen Zwischenrechnungen zu erteilen oder Aufstellungen zu übermitteln, welche die bis dahin aufgewandte Bearbeitungszeit ausweisen.

2. Ist eine formularmäßig getroffene anwaltliche Vergütungsvereinbarung aus AGB-rechtlichen Gründen insgesamt unwirksam, richten sich die Honoraransprüche des Rechtsanwalts nach den Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.

Die Entscheidung sollte man als Rechtsanwalt lesen. Und zwar vor allem auch deshalb, weil sich der BGH mit dem EuGH, Urt. v. 12.01.2023 – C-395/21 befasst. Der hatte ja in ähnlichen Fällen Zwischenabrechnungen für erforderlich gehalten, damit der Mandant immer informiert ist,  welche Gebühren bisher angefallen sind. Das sieht der BGH weniger streng.

Nach Auffassung des BGH kann man aber die Bestimmung zur Erhöhung des Stundensatzes, zur Auslagenpauschale, zur Einigung- und zur Befriedigungsgebühr sowie die Streit- und Anerkenntnisklausel jedenfalls im Rechtsverkehr mit Verbrauchern nicht kombinieren.

Vorsicht! Wirksamkeit einer Vergütungsvereinbarung, oder: Der Begriff des „deutlichen Absetzens“

© frogarts -Fotolia.com

Die obergerichtliche Rechtsprechung hat sich längere Zeit nicht mit der Vergütungsvereinbarung befassen müssen. Jetzt hat sich das OLG Düsseldorf in OLG Düsseldorf, Urt. v. 07.11.2023 – 24 U 116/22zum Begriff des „deutlichen Absetzens“ in § 3a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 RVG geäußert.

Die Klägerin hat die Beklagte auf Zahlung von Anwaltshonorar nebst Verzugszinsen auf der Basis einer Vergütungsvereinbarung, deren rechtliche Wirksamkeit in Streit steht, in Anspruch genommen. Zugrunde liegt eine Vereinbarung zwischen den Parteien, bei der sich auf einem Deckblatt die Überschrift „Vergütungsvereinbarung“ und die Worten „wird folgende Vergütungsvereinbarung geschlossen:“ befinden. In der Vereinbarung ist dann ohne besondere Hervorhebung ein § 3 eingefügt, der einfach mit „Vergütung/Auslagen/Fälligkeit“ überschreiben ist.

Das LG hat verurteilt. Es ist von der Woirksamkeit der Vergütungsvereinbarung ausgegangen, insbesondere verstoße sie nicht gegen § 3a Abs. 1 S. 2 RVG. Da die Vereinbarung schon in der Überschrift als „Vergütungsvereinbarung“ bezeichnet sei und die Vereinbarung über die Vergütung alsdann in einem gesonderten und entsprechend mit einer Überschrift „Vergütung…“ gekennzeichneten § 3 geregelt sei, seien die Anforderungen an ein „deutliches Absetzen“ erfüllt.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie Erfolg hatte:

„Entgegen der Ansicht des Landgerichts verstößt die streitgegenständliche Vergütungsvereinbarung gegen § 3a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 RVG, weil sie nicht deutlich von anderen Vereinbarungen, die verschieden von der Vergütungsvereinbarung und der Auftragserteilung sind, abgesetzt ist. Dass die Vergütungsvereinbarung dem Gebot des § 3a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 RVG nicht entspricht, führt zwar – anders als die Beklagte (teilweise) geltend gemacht hat – nicht etwa zur Nichtigkeit gem. § 125 BGB. Der Verstoß hat jedoch zur Folge, dass die Beklagte an die Klägerin keine höhere als die gesetzliche Vergütung entrichten muss (§ 4b RVG).

1. Zunächst ist festzuhalten, dass die streitgegenständliche Vergütungsvereinbarung neben der Vergütungsabrede und der Auftragserteilung noch als „andere Vereinbarungen“ iSv § 3a Abs. 1 S. 2 RVG einzustufende Regelungen enthält.

Das gilt unzweifelhaft für den in § 8 vereinbarten „Haftungsausschluss“ sowie die Gerichtsstandvereinbarung gem. § 10 Abs. 3 (vgl. dazu explizit BGH NJW 2016, 1596 Rn. 15), aber auch für § 2 („Heranziehung von Mitarbeitern des Auftragnehmers/Mitwirkung Dritter“), § 5 („Mitwirkungspflichten des Auftraggebers“), („Mündliche Auskünfte“), § 7 („Weitergabe beruflicher Äußerungen des Auftragnehmers“) sowie § 9 („Kommunikation“), da sich auch die letztgenannten Paragraphen auf das gesamte Mandatsverhältnis beziehen (vgl. allgemein hierzu BGH, a.a.O. Rn. 15 mwN).

Demzufolge liegt eine kombinierte Vergütungs- und Mandatsvereinbarung vor, die sämtlichen Anforderungen des § 3a Abs. 1 S. 2 RVG genügen muss.

2. Die streitgegenständliche Vereinbarung erfüllt zwar unstreitig das Bezeichnungsgebot iSv § 3a Abs. 1 S. 2 Hs. 1 RVG, nicht jedoch das Gebot eines „deutlichen Absetzens von anderen Vereinbarungen“ iSv § 3a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 RVG.

a) Für das Erfordernis „deutlich abgesetzt“ iSv § 3a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 RVG kommt es weder auf die Anforderungen an die äußere Gestaltung einer Widerrufsbelehrung nach Art. 246 Abs. 3 EGBGB noch auf diejenigen Maßgaben an, die im Heilmittelwerberecht (§ 4 Abs. 3 S. 1 HWG) oder Arzneimittelrecht (§ 11 Abs. 5 S. 2 AMG) an „deutlich abgesetzte und abgegrenzte“ Angaben gestellt werden. Entscheidend sind vielmehr allein die vom Gesetzgeber mit § 3a Abs. 1 RVG verfolgten Regelungsziele (BGH, a.a.O. Rn. 17 mwN). Nach dem Willen des Gesetzgebers zielt dies auf eine räumliche Trennung zwischen der Vergütungsvereinbarung und sonstigen Abreden ab und soll dem Schutz des rechtsuchenden Auftraggebers dienen (vgl. BT-Drs. 16/8384, 10; BGH, a.a.O. Rn. 17). Regelungsziel ist es, den Mandanten auf die Vergütungsvereinbarung klar erkennbar hinzuweisen und auf diese Weise davor zu schützen, unbemerkt eine Honorarabrede abzuschließen, die dem Rechtsanwalt von den gesetzlichen Gebührenvorschriften abweichende Honoraransprüche auf vertraglicher Grundlage verschafft (BGH, a.a.O. Rn. 17 mwN).

Um dieser Schutz- und Warnfunktion gerecht zu werden, genügt es für ein „Absetzen“ als solches von anderen Vereinbarungen mit Ausnahme der Auftragserteilung, wenn der Vertrag die Vergütungsvereinbarung in einem gesonderten und entsprechend gekennzeichneten Abschnitt oder Paragrafen regelt (BGH, a.a.O. Rn. 18). „Deutlich“ ist dieses Absetzen, wenn die Vergütungsvereinbarung optisch eindeutig von den anderen im Vertragstext enthaltenen Bestimmungen – mit Ausnahme der Auftragserteilung – abgegrenzt ist. Dies ist objektiv zu beurteilen (BGH, a.a.O. Rn. 18). Mehr ist im Hinblick auf die vom Kostenmodernisierungsgesetz vom 5.5.2004 (BGBl. I 2004, 718) grundsätzlich erstrebte Lockerung der Formvorschriften gegenüber der Vorgängervorschrift des § 3 a.F. BRAGO (vgl. BT-Drs. 15/1971, 188) nicht erforderlich. Dies lässt sich durch eine klare räumliche Trennung, aber auch auf andere Art und Weise erreichen. Das Gesetz schreibt keine bestimmte Gestaltung vor (BGH, a.a.O. Rn. 18 mwN). Entscheidend ist, dass die Art der gewählten Gestaltung das gesetzgeberische Ziel erreicht: Der Mandant muss bereits bei einem einfachen Blick auf die Gesamtheit der im Vertrag getroffenen Vereinbarungen unschwer erkennen können, dass sie eine Abrede enthalten, die dem Rechtsanwalt einen Vergütungsanspruch auf vertraglicher Grundlage verschafft, der möglicherweise von der gesetzlichen Vergütung abweicht (BGH a.a.O. Rn. 18).

b) Vorstehenden Anforderungen genügt die streitgegenständliche Vereinbarung nicht.

aa) Abgesehen von der jeweils auf dem Deckblatt (LGA 45) befindlichen Überschrift „Vergütungsvereinbarung“ und den Worten „wird folgende Vergütungsvereinbarung geschlossen:“ entspricht die weitere Gestaltung der Vergütungsvereinbarung im Kern derjenigen, welcher der BGH (a.a.O. Rn. 19) die Qualität eines „deutlichen Absetzens“ gerade abgesprochen hat:

Die in § 3 der streitgegenständlichen Vereinbarung mit „Vergütung/Auslagen/Fälligkeit“ überschriebene Abrede ist ebenfalls unauffällig in den übrigen Vertragstext eingefügt. Weil sich der besagte § 3 zwischen anderen Regelungen befindet und sich in seiner Gestaltung in keiner Weise von den anderen – oben aufgezählten – Vereinbarungen unterscheidet oder abhebt, wird dem Mandanten nicht hinreichend vor Augen geführt, dass der Vertrag eine Vergütungsvereinbarung enthält, die von den gesetzlichen Regelungen abweicht. Dass die Überschriften aller einzelnen Paragraphen und deren Nummerierung jeweils durch Fettdruck und Zentrierung hervorgehoben sind, führt ebenso wenig zu einem deutlichen Absetzen gerade des § 3 wie der Umstand an sich, dass der Vergütungsvereinbarung mit dem § 3 ein eigener Paragraph gewidmet ist. Denn der gesamte Vertragstext ist völlig einheitlich gestaltet, so dass der § 3 in diesen gleichförmig eingebettet ist.

bb) Vergeblich argumentiert die Klägerin dahingehend, dass aufgrund der einleitend unter aa) geschilderten Umstände gleichwohl ein deutliches Absetzen gegeben sei.

Zwar ist der Klägerin noch darin zu folgen, dass sich die Sachverhaltskonstellation insofern vom oben zitierten BGH-Fall unterscheidet, als dort die Überschrift auf „Beratervertrag“ lautete und die Worte „wird folgende Vergütungsvereinbarung geschlossen:“ nicht vorhanden waren. Jedoch verfängt die rechtliche Argumentation der Klägerin, die scheinbar auf der Annahme beruht, eine besonders ausgestaltete Bezeichnung iSv § 3a Abs. 1 S. 2 Hs. 1 RVG könne dazu führen, dass trotz der unter aa) aufgezeigten Missstände der Gestaltung gleichwohl ein „deutliches Absetzen“ bejaht werden könnte, nicht.

In diesem Kontext braucht der Senat hier nicht abstrakt zu klären, ob das Gesetz überhaupt im Ansatz Raum für eine derartige Wechselwirkung zwischen den Anforderungen des § 3a Abs. 1 S. 2 Hs. 1 RVG einerseits und jener des § 3a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 RGV andererseits mit der Folge zulässt, dass aufgrund einer solchen ein Defizit in Bezug auf die eine Anforderung durch überobligatorische Maßnahmen in Bezug auf die Erfüllung der jeweils anderen kompensiert werden kann. Jedenfalls vermag eine entsprechende Wechselwirkung nicht derart weit zu reichen, dass die jeweils andere, kumulativ zu beachtende weitere gesetzliche Anforderung im Ergebnis obsolet wäre.

Die Beklagte verkennt insoweit, dass sich das Erfordernis des „deutlichen Ansetzens“ nämlich gerade auf den Inhalt der Vergütungsvereinbarung als solche (hier: die „eigentliche“ Vergütungsabrede gem. § 3 der Vereinbarung) und nicht etwa auf die Bezeichnung iSv § 3a Abs. 1 S. 2 Hs. 1 RVG bezieht. Eine vermeintlich besonders ins Auge fallende Verortung der Bezeichnung als Vergütungsvereinbarung kann daher nicht die eigens auf die eigentliche Vergütungsvereinbarung bezogene Anforderung des § 3a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 RVG gänzlich hinfällig machen.

Dass die Bezeichnung als „Vergütungsvereinbarung“ nicht notwendig im Rahmen einer Überschrift vor der gesamten Mandatsvereinbarung aufscheinen muss, streitet daher keineswegs in entscheidungserheblicher Weise für die Sichtweise der Klägerin. Weder die vergrößerte Überschrift mit dem Wort „Vergütungsvereinbarung“ noch der zusätzliche Umstand, dass auf dem Deckblatt die Worte „wird folgende Vergütungsvereinbarung geschlossen:“ dispensieren je für sich noch zusammen betrachtet von einem deutlichen Absetzen der eigentlichen Vergütungsvereinbarung in § 3 von weiteren Vereinbarungen jenseits der Auftragserteilung.

Insofern verfängt auch nicht die Überlegung der Klägerin, wonach vorstehend genannte Maßnahmen auf dem Deckblatt den Mandanten bereits derart sensibilisierten, dass die Gefahr eines unabsichtlichen Abschlusses eines (von der gesetzlichen Vergütung möglicherweise abweichenden) Zeithonorars von vornherein gebannt sei. Denn eine der vom Gesetzgeber insoweit geforderten Maßnahmen liegt in einem deutlichen Absetzen gerade der Vergütungsvereinbarung als solcher von sonstigen Vereinbarungen jenseits der Auftragserteilung begründet. Die „eigentliche“ Vergütungsvereinbarung als solche muss in einer irgendwie gearteten, geeigneten Weise so gestaltet sein, dass auch diese an der Etablierung der gewünschten Warn – und Schutzfunktion in maßgeblicher Weise teilhat. Wie der BGH – siehe oben – klargestellt hat, muss der Mandant bereits bei einem einfachen Blick auf die Gesamtheit der im Vertrag getroffenen Vereinbarungen (Hinzufügung diesseits: und nicht etwa nur auf die Bezeichnung als Vergütungsvereinbarung) unschwer erkennen können, dass sie eine Abrede enthalten, die dem Rechtsanwalt einen Vergütungsanspruch auf vertraglicher Grundlage verschafft, der möglicherweise von der gesetzlichen Vergütung abweicht. Es reicht also gerade nicht ein Blick auf die Überschrift oder auf andere Vertragsteile im bloßen Vorfeld der einzelnen konkreten Vereinbarungen.

Die gegensätzliche Argumentation der Klägerin läuft letztlich darauf hinaus, dass jede Vereinbarung, die mit „Vergütungsvereinbarung“ überschrieben ist, zugleich die Anforderungen des § 3a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 RVG erfüllen würde. Das würde indessen die gesetzliche Vorgabe des § 3a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 RVG in unstatthafter Weise gleichsam aushöhlen.

2. Da die streitgegenständliche Vereinbarung nach alledem nicht der gesetzlichen Vorgabe des § 3a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 RVG entspricht, ist der Vergütungsanspruch der Klägerin aus der Vergütungsvereinbarung der Höhe nach auf denjenigen Betrag nach obenhin begrenzt, welcher der gesetzlichen Vergütung entspricht (§ 4b RVG).

Die Beklagte hat insofern auf ihren unwidersprochen gebliebenen erstinstanzlichen Vortrag im Schriftsatz vom 14.10.2021 (LGA 220f; s. auch LGA 245 a.E.) Bezug genommen (OLGA 131 a.E.), in dem sie das gesetzlich geschuldete Honorar berechnet und ausgeführt hat, dass die Klägerin bereits überbezahlt sei. Dem ist die Klägerin auch zweitinstanzlich nicht gesondert entgegen getreten.

Damit sind gesetzliche Honoraransprüche der Klägerin im gegebenen Umfang bereits vorgerichtlich erfüllt worden (§ 362 Abs. 1 BGB), so dass für eine weitergehende Verurteilung der Beklagten kein Raum besteht.“

Teures Lehrgeld für die Klägerin, aber: Nach der vom OLG angeführten Entscheidung des BGH (NJW 2016, 1596 = AGS 2016, 56) war das zu erwarten. Denn die vom BGH an das „deutliche Absetzen“ gestellten Anforderungen, die vom OLG angewendet werden, sind recht streng. Zu deren Erfüllung reicht eben nicht, worauf auch das OLG hingewiesen hat, dass versucht wird, durch Maßnahmen auf einem Deckblatt den Mandanten bereits derart zu sensibilisieren, dass die Gefahr eines unabsichtlichen Abschlusses eines (von der gesetzlichen Vergütung möglicherweise abweichenden) Zeithonorars von vornherein gebannt ist.

Fazit: Vergütungsvereinbarung/Formulare ggf. anpassen.

Vergütungsvereinbarung mit dem WEG-Verwalter, oder: Person des Rechtsanwalts bestimmen die Eigentümer

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Und heute dann etwas zur Vergütungsvereinbarung (§ 3a RVG).

Zunächst hier das LG Karlsruhe, Urt. v. 04.09.23 – 11 S 68/22 – zur Frage des wirksamen Zustandekommens eine Vergütungsvereinabrung.

Das LG sagt:

Bei einer die Wohnungseigentümergemeinschaft verpflichtenden Vergütungsvereinbarung muss zumindest die Person des Rechtsanwalts durch die Eigentümerversammlung bestimmt werden. Eine weitergehende Delegation an den Verwalter ist – abgesehen von tatsächlich geringfügigen Vergütungsbeträgen – durch Beschluss nicht möglich.

Mit der Begründung hat das das LG den Beschluss einer Eigentümerversammlung betreffend die Entscheidungskompetenz der Verwalterin zum Abschluss einer Honorarvereinbarung mit einem Anwalt für Beschlussklagen auf Passivseite für ungültig erklärt. Der Beschluss widerspricht nach Auffassung des LG einer ordnungsgemäßer Verwaltung. Denn bei einer Vergütungsvereinbarung müsste zumindest die Person des Anwalts durch die Eigentümerversammlung bestimmt werden (zur wohl überwiegend vertretenen Auffassung Bärmann, WEG, 15. Aufl., 2023, § 27 Rn. 180 f.). Ein praktischer Bedarf für Vergütungsvereinbarungen besteht in der Regel in WEG-Sachen nicht. Hinzukommt, dass nur bei einer Abrechnung nach RVG gewährleistet ist, dass im Obsiegensfall alle Kosten vom Gegner im Rahmen des Kostenfestsetzung erlangt werden können. Im Regelfall ist eine Vergütungsvereinbarung auch nicht von § 27 Abs. 1 WEG n.F. gedeckt. Etwas anderes kann nach Auffassung des LG Karlsruhe gelten, wenn es sich um tatsächlich geringfügige Beträge etwa in einer sehr großen Gemeinschaft handelt. Die Frage hat es aber dahinstehen lassen (können), weil im entschiedenen Fall alle Beschlussklagen auf Passivseite von der Delegation umfasst waren, also auch solche mit sehr hohen Streitwerten und entsprechend hoher Anwaltsvergütung.

Als Rechtsanwalt wird man sich also vor Abschluss einer Vergütungsvereinbarung mit einer WEG, die dabei vom Verwalter vertreten wird, darüber informieren, ob die Beschlusslage den Vorgaben der Entscheidung des LG Karlsruhe entspricht.

EuGH zur Vergütungsvereinbarung (mit Verbrauchern), oder: Auf jeden Fall belehren, belehren, belehren!

Bild von paulracko auf Pixabay

Am Gebührenfreitag stelle ich heute zunächst ein EuGH-Urteil vor. Ja, richtig gelesen. „EuGH“ im deutschen Gebührenrecht. Über dieses EuGH, Urt. v. 12.01.2023 – C-395/21 ist ja auch schon an anderer Stelle, so z.B. bei LTO, berichtet worden. Es zieht sich ein wenig durch die gebührenrechtliche Berichterstattung der letzten Tage. Daher stelle auch ich es vor. Zu den Auswirkungen siehe unten.

In der Entscheidung nimmt der EuGH Stellung zur Transparenz bei der Vereinbarung eines Stundenhonorars. Die Vergütungsvereinbarung ist für viele Rechtsanwälte „tägliches Brot“. Sie ist nach § 3a RVG grundsätzlich zulässig. Die dabei nach dem RVG einzuhaltenden Vorgaben sind überschaubar. Grundsätzlich ausreichend ist die Textform und die Vereinbarung außerhalb der Vollmacht. Nach der Entscheidung des EuGH stellt sich nun aber die Frage, ob demnächst bei Vergütungsvereinbarungen auf Stundenbasis mit Verbrauchern ggf. mehr zu beachten bzw. zu erklären ist.

Ergangen ist das Urteil des EuGH aufgrund einer Vorlage des Obersten Gerichts in Litauen an den EuGH ergangen. In Litauen hatten ein Rechtsanwalt und ein Verbraucher fünf Verträge über Rechtsdienstleistungen geschlossen. Die Vergütung sollte sich jeweils nach dem Zeitaufwand richten. Für die Beratung oder Erbringung von Rechtsdienstleistungen wurde ein Stundensatz von 100 EUR vereinbart. Da der Verbraucher die Honorarrechnungen nicht vollständig bezahlte, hat der Rechtsanwalt ihn auf Zahlung von rund 10.000 EUR verklagt.

Das Verfahren war schließlich beim Oberste Gericht Litauens anhängig. Dieses legte dem EuGH diverse Fragen zur Auslegung der unionsrechtlichen Bestimmungen zum Schutz der Verbraucher vor missbräuchlichen Vertragsklauseln vor, wie sie sich aus der EU-Richtlinie 93/13 des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29) ergeben. Die Fragen betrafen insbesondere den Umfang des Erfordernisses der klaren und verständlichen Abfassung einer Klausel eines Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen und die Folgen der Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Klausel, mit der die Vergütung dieser Dienstleistungen festgelegt wird. Diese hat der EuGH nun beantwortet.

Diese Fragen hat der EuGH nun beantwortet, und zwar wie folgt:

„1. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen in der durch die Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 geänderten Fassung ist wie folgt auszulegen:

Eine Klausel eines zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher geschlossenen Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen, nach der sich die Vergütung Letzterer nach dem Zeitaufwand richtet, fällt unter diese Bestimmung.

2. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 in der durch die Richtlinie 2011/83 geänderten Fassungist wie folgt auszulegen:

Eine Klausel eines zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher geschlossenen Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen, nach der sich die Vergütung Letzterer nach dem Zeitaufwand richtet, genügt nicht dem Erfordernis gemäß dieser Bestimmung, dass die Klausel klar und verständlich abgefasst sein muss, wenn dem Verbraucher vor Vertragsabschluss nicht die Informationen erteilt worden sind, die ihn in die Lage versetzt hätten, seine Entscheidung mit Bedacht und in voller Kenntnis der wirtschaftlichen Folgen des Vertragsabschlusses zu treffen.

3. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 in der durch die Richtlinie 2011/83 geänderten Fassung ist wie folgt auszulegen:

Eine Klausel eines zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher geschlossenen Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen, nach der sich die Vergütung Letzterer nach dem Zeitaufwand richtet und die daher den Hauptgegenstand des Vertrags betrifft, ist nicht bereits deshalb, weil sie dem Transparenzerfordernis gemäß Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie in der geänderten Fassung nicht entspricht, als missbräuchlich anzusehen, es sei denn, der Mitgliedstaat, dessen innerstaatliches Recht auf den betreffenden Vertrag anwendbar ist, hat dies gemäß Art. 8 der Richtlinie in der geänderten Fassung ausdrücklich vorgesehen.

4. Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 in der durch die Richtlinie 2011/83 geänderten Fassung sind wie folgt auszulegen:

In Fällen, in denen ein zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher geschlossener Vertrag über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen nach der Aufhebung einer für missbräuchlich erklärten Klausel, nach der sich die Vergütung für die betreffenden Dienstleistungen nach dem Zeitaufwand richtet, nicht fortbestehen kann und in denen die Dienstleistungen bereits erbracht sind, stehen nicht dem entgegen, dass das nationale Gericht, auch dann, wenn dies dazu führt, dass der Gewerbetreibende für seine Dienstleistungen überhaupt keine Vergütung erhält, die Lage wiederherstellt, in der sich der Verbraucher ohne die Klausel befunden hätte. Hätte die Nichtigerklärung des Vertrags insgesamt für den Verbraucher besonders nachteilige Folgen – was das vorlegende Gericht zu prüfen haben wird –, stehen die genannten Vorschriften nicht dem entgegen, dass das nationale Gericht der Nichtigkeit der Klausel abhilft, indem es sie durch eine dispositive oder im Fall einer entsprechenden Vereinbarung der Vertragsparteien anwendbare Vorschrift des innerstaatlichen Rechts ersetzt. Hingegen stehen die genannten Vorschriften dem entgegen, dass das nationale Gericht die für nichtig erklärte missbräuchliche Klausel ersetzt, indem es selbst bestimmt, welche Vergütung für die betreffenden Dienstleistungen angemessen ist.“

Wie immer ist der EuGH nicht einfach zu verstehen (ich habe immer Probleme mit der Art seiner Darstellung). Aber ich meine man kann festhalten:

Es stellt sich die Frage, welche Folgerungen aus dieser Entscheidung für unser innerstaatliches Recht zu ziehen sind. Fasst man die Aussagen des EuGH zusammen, dann soll die Vereinbarung einer Zeitvergütung in einem Vertrag zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher nur dann klar und verständlich sein, wenn der Verbraucher vor Vertragsabschluss so informiert wurde, dass er seine Entscheidung zum Vertragsschluss mit Bedacht und in voller Kenntnis der wirtschaftlichen Folgen treffen konnte (vgl. auch § 307 Abs. 1 S. 2 BGB). Geschieht das nicht, könne das nationale Gericht die Lage wiederherstellen, in der sich der Verbraucher ohne die Klausel befunden hätte, auch wenn der Anwalt dann keine Vergütung erhalte.

Legt man den strengen Maßstab wortgenau an, wäre m.E. die Vereinbarung eines Stundenhonorars kaum noch möglich. Denn welcher Rechtsanwalt kann bei Mandatsübernahme den zeitlichen Aufwand so abschätzen, dass er den Mandanten so informiert, dass der schon zu dem Zeitpunkt seine Entscheidung, ein Stundenhonorar zu vereinbaren „in voller Kenntnis der wirtschaftlichen Folgen treffen konnte ?“ Das wird vom EuGH zwar auch gesehen, wie damit aber umzugehen ist, bleibt offen. Fraglich ist m.E. auch, ob der Rechtsanwalt in den Fällen einer „missbräuchlichen Klausel“ nach nationalem deutschen Recht keine Vergütung erhält. Denn die nationale Rechtsprechung ist (bislang) davon ausgegangen, dass dann, wenn eine Stundensatzvereinbarung unwirksam ist, nach RVG abgerechnet werden kann (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. Teil A Rn 2440, AnwKomm-RVG/N. Schneider, 9. Aufl. 2021, § 3a Rn 17, jeweils m.w.N.).

Auf der Grundlage der Entscheidung ist aber auf jeden Fall zu empfehlen, noch genauer als in der Vergangenheit, den Mandanten über den voraussichtlich erforderlichen Zeitaufwand zu informieren. Vor der Vereinbarung eines Stundenhonorars (mit einem Verbraucher) ohne weitere Erläuterungen und Erklärungen ist jedenfalls zu warnen. Insoweit wird insbesondere die Komplexität des Sachverhalts, der Umfang des vorhandenen und des ggf. noch zu erwartenden Materials, das für die Fallbearbeitung eine Rolle spielt bzw. spielen kann, die Schwierigkeit der Rechtslage von Bedeutung sein. Auf der Grundlage wird der Rechtsanwalt eine zumindest grobe Einschätzung des zu erwartenden Zeitaufwands geben können/müssen. Ist das nicht möglich, was z.B. in Strafsachen der Fall sein kann, sollte der Rechtsanwalt m.E. einen Vorbehalt machen und im Einzelnen darlegen, welche Umstände die Einschätzung als fehlerhaft erscheinen lassen können. Darüber hinaus dürften sich „Zwischeneinschätzungen“ und Teilrechnungen empfehlen, da diese es dem Mandanten ermöglichen, die bei Vertragsschluss vorgenommene „Grundeinschätzung“ zu überprüfen.

Ich denke, die Entscheidung und ihre Auswirkungen wird uns noch beschäftigen.