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Gesetzesvorhaben I: Verdeckter Ermittler und V-Person, oder: Vorratsdatenspeicherung

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Ich berichte heute im Kessel Buntes zunächst über zwei Gesetzesvorhaben, die in der „Pipe-Line“ sind, und zwar:

Zunächst geht es um die Tatprovokation, den sog. Verdeckten Ermittler und/oder die V-Person. Nach der Absichtserklärung im GroKo 2018-Vertrag sollte der gesetzgeberische Handlungsbedarf einer Rechtsgrundlage für die Tatprovokation geprüft werden. Gesetzgeberische Aktivitäten hatten sich in der 19. Legislaturperiode dazu aber nicht ergeben (dazu BT-Drucks. 19/16593 u. BT-Drucks. 19/17910).

Ein sich derzeit im Gesetzgebungsverfahren befindender Regierungsentwurf zu einem „Gesetz zur Regelung des Einsatzes von Verdeckten Ermittlern und Vertrauenspersonen sowie zur Tatprovokation“ (BR-Drucks. 125/24 = BT-Drucks. 20/11312) enthält nun aber Vorschläge für eine Gesetzesänderung vor allem für zwei Bereiche zum Einsatz von V-Leuten. Im Einzelnen umfasst der Entwurf etwas folgende wesentliche Änderungsvorschläge

  • Die Anforderungen an den Einsatz von V-Personen sollen gesetzlich geregelt werden. Es wird geregelt, welche Personen nicht als V-Personen eingesetzt werden dürfen und unter welchen Voraussetzungen Einsätze grundsätzlich zu beenden sind oder beendet werden sollen. Darüber hinaus wird geregelt unter welchen Voraussetzungen, Angaben über V-Personen geheim gehalten werden dürfen.
  • Es soll im Bereich der Zeugenvernehmung eine neue Regelung zum besseren Schutz der Identität von Zeugen eingeführt werden, die insbesondere auch für Verdeckte Ermittler und V-Personen relevant ist.
  • Für Einsätze von V-Personen wird ein Richtervorbehalt eingeführt und die Einsätze werden einer regelmäßigen richterlichen Kontrolle unterstellt.
  • Für Einsätze Verdeckter Ermittler und von V-Personen werden Berichtspflichten eingeführt.
  • Die Regelungen zum Kernbereichsschutz werden unter Berücksichtigung der Vorgaben des BVerfG (Beschl. v. 9.12.2022 – 1 BvR 1345/21, BVerfG 165, 1) für Einsätze Verdeckter Ermittler erweitert und auf V-Personen erstreckt.
  • Die Voraussetzungen eines zulässigen Verleitens zu einer Straftat werden geregelt.
  • Die rechtsstaatswidrige Tatprovokation wird definiert und als Rechtsfolge ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis festgelegt.

Das Gesetzesvorhaben befindet sich derzeit im Gesetzgebungsverfahren. Ob, wann und in welcher Form die Änderungen in Kraft treten, lässt sich derzeit nicht abschätzen. Dies gilt m.E. vor allem. nachdem der Bundesrat teilweise ablehnend Stellung genommen hat (s. BT-Drucks. 20/11312, S. 43 ff.). Da dürften die nächsten „Gespräche“ in der Koaltion im Raum stehen.

Und als Zweites: Vorratsdatenspeicherung

§ 100g i.d.F. vom 1.12.2021 ist derzeit zwar geltendes Recht und kann als Grundlage für Ermittlungsmaßnahmen dienen. Da jedoch die Regelung zur Erhebung und Speicherung von Vorratsdaten in §§ 175 ff. TKG nach der Entscheidung des EuGH v. 20.9.2022 (C-793/19, C-794/19 u.a., NJW 2022, 3135) nicht mit EU-Recht vereinbar ist, ist jedenfalls § 100g Abs. 2 faktisch überholt und nicht mehr anwendbar. Geplant daher ist, wegen der Europarechtswidrigkeit der sog. anlasslose Vorratsdatenspeicherung in Deutschland (EuGH, a.a.O.) die Möglichkeit einer anlassbezogenen Sicherungsanordnung für Verkehrsdaten („Quick-Freeze-Verfahren“) einzuführen (hier die PM des BMJ v. 10.4.2024) . Aber auch da hakt es wohl (vgl. hier den Bericht bei LTO).

Zwei Gesetzesvorhaben sind jetzt auf dem Weg, oder: Strafen bei „Kinderpornos“ und Vertrauensleute pp.

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So, heute ist Samstag und damit Zeit für den „Kessel Buntes“. Und in dem ist es heute ganz bunt. Denn ich stelle jetzt zunächst zwei Gesetzesvorhaben bzw. den Stand dieser Vorhaben vor und bringe heute Nachmittag dann einige Entscheidungen mit vereinsrechtlichen Inhalt.

Hier also zunächst zwei Gesetzesvorhaben, und zwar:

Zunächst der Hinweis auf das „Gesetz zur Anpassung der Mindeststrafen des § 184b Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 des Strafgesetzbuches – Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte“ Die Problamtik, die zu diesem Gesetzesvorhaben geführt hat, dürfte bekannt sein. Es geht um die „Reparatur“ einer Gesetzesänderung aus Sommer 2021. Da ist u.a. der Strafrahmen des § 184b StGB – Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte von Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren auf ein Jahr bis zu zehn Jahren und der Strafrahmen des § 184b Abs. 3 StGB auf ein Jahr bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe angehoben worden.. Alle Taten nach § 184b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 StGB sind damit „Verbrechen“ i.S. des § 12 Abs. 1 StGB. Damit ist keine Einstellung des Verfahrens nach §§ 153, 153a StPO und keine Erledigung durch Strafbefehl mehr möglich.

Das hat in der Praxis vor allem in den Fällen zu Problemen geführt, in den der/die Beschuldigte „nicht aus einem eigenen sexuellen Interesse an kinderpornographischen Inhalten gehandelt hat, sondern (im Fall des § 184b Absatz 1 Satz 1 StGB) im Gegenteil, um eine andere Tat nach § 184b StGB, insbesondere eine weitere Verbreitung oder ein öffentliches Zugänglichmachen eines kinderpornographischen Inhalts, zu beenden, zu verhindern oder aufzuklären. Besonders häufig sind solche Fälle bei Eltern sowie Lehrerinnen und Lehrern älterer Kinder oder Jugendlicher aufgetreten, die kinderpornographisches Material bei diesen gefunden und an andere Eltern, Lehrerinnen oder Lehrer oder die Schulleitung weitergeleitet haben, um diese über den Missstand zu informieren.“

Das soll nun behoben werden. Alle Tatbestände des § 184b Abs. 1 und 3 StGB sollen durch Absenken der Mindeststrafen wieder zu Vergehen herabgestuft werden Die Erhöhung der Höchstfreiheitsstrafe auf zehn Jahre für die schwerer wiegenden Tatbestände des § 184b Abs. 1 StGB wird aber beibehalten.

Die Stimmen zu dieser (geplanten) Gesetzesänderung waren zwiespältig. ich empfehle die Lektüre der Stellungnahmen auf der Homepage des BMJ. Inzwischen gibt es den o.a. Regierungsentwurf. Wie man hört, soll der schnell im Bundestag beraten werden. Es ist (angeblich) geplant, die Gesetzesänderungen schon zum 01.04.2024 in Kraft treten zu lassen. Das ist für laufende Verfahren von Bedeutung.

Und dann der Hinweis auf den „Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Einsatzes von Verdeckten Ermittlern und Vertrauenspersonen sowie zur Tatprovokation. Dazu existiert, wenn ich es richtig sehe, bisher nur der Referentenentwurf des BMJ, mit dem der Einsatz von Vertrauenspersonen und der Umgang mit der Tatprovokation erstmals gesetzlich geregelt werden soll.

Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den verlinkten Entwurf, der in etwa Folgendes vorsieht:

  • Die Anforderungen an den Einsatz von V-Personen werden gesetzlich geregelt. Es wird geregelt, welche Personen nicht als V-Personen eingesetzt werden dürfen und unter welchen Voraussetzungen Einsätze grundsätzlich zu beenden sind oder beendet werden sollen. Darüber hinaus wird geregelt unter welchen Voraussetzungen, Angaben über V-Personen geheim gehalten werden dürfen.
  • Es wird im Bereich der Zeugenvernehmung eine neue Regelung zum besseren Schutz der Identität von Zeugen eingeführt, die insbesondere auch für Verdeckte Ermittler und V-Personen relevant ist.
  • Für Einsätze von V-Personen wird ein Richtervorbehalt eingeführt und die Einsätze werden einer regelmäßigen richterlichen Kontrolle unterstellt.
  • Für Einsätze Verdeckter Ermittler und von V-Personen werden Berichtspflichten eingeführt.
  • Die Regelungen zum Kernbereichsschutz werden unter Berücksichtigung der Vorgaben des BVerfG (Beschluss vom 9. Dezember 2022 – 1 BvR 1345/21, Randnummern 100-123) für Einsätze Verdeckter Ermittler erweitert und auf V-Personen erstreckt.
  • Die Voraussetzungen eines zulässigen Verleitens zu einer Straftat werden geregelt. Die rechtsstaatswidrige Tatprovokation wird definiert und als Rechtsfolge ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis festgelegt.

Der Stand des Gesetzgebungsverfahren: Die Verbände hatten beis zum 27.01.2024 Zeit sich zu äußern. Dazu steht bisher nichts auf der Homepage des BMJ. Eine Reaktion habe ich aber schon gefunden: „Klares Nein aus Niedersachsen zu Referentenentwurf für den Einsatz Verdeckten Ermittlerinnen und Ermittlern und von Vertrauenspersonen – Justizministerin Dr. Wahlmann und Innenministerin Behrens erteilen Bundesjustizminister eine Absage.

Hochaktuell und hochinteressant: BGH zum Verwertungsverbot für verdecktes Verhör eines inhaftierten Beschuldigten

Heute ist auf der Homepage des BGH der für BGHSt bestimmte Beschl. des BGH v. 18.05.2010 – 5 StR 51/10 eingestellt worden, in der der Senat zu einem Verwertungsverbot für ein verdecktes Verhör eines inhaftierten Beschuldigten durch einen als Besucher getarnten nicht offen ermittelnden Polizeibeamten unter Zwangseinwirkung Stellung nimmt und – man lese und staune – zu einem Beweisverwertungsverbot kommt. Allerdings noch nicht zum Freispruch, da nach Auffassung des BGH eine Verurteilung aufgrund anderer Beweismittel nicht ausgeschlossen ist.

Der BGH schreibt u.a.:

„Das Vorgehen verstieß nämlich gegen das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 MRK) unter besonderer Berücksichtigung des Grundsatzes, dass niemand verpflichtet ist, zu seiner eigenen Überführung beizutragen, insbesondere sich selbst zu belasten (nemo tenetur se ipsum accusare). Dabei schließt sich der Senat – wie bereits der Sache nach der 4. Strafsenat in StV 2009, 225 – den Darlegungen des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs in BGHSt 52, 11, 17 Tz. 20 zur Genese, Verankerung und Bedeutung dieses Grundsatzes an (vgl. auch BGHSt 53, 294, 309 Tz. 49). Da der Beamte sogar eindeutig die Kompetenzen überschritten hat, die einem Verdeckten Ermittler zugestanden hätten, stünden einem noch nicht formal als unzulässig bewerteten entsprechenden Vorgehen als nicht offen ermittelnder Polizeibeamter identische durchgreifende Bedenken – erst recht – entgegen (vgl. Roxin StV 1998, 43, 44; Meyer-Goßner aaO § 110a Rdn. 4; BT-Drucks 14/1484 S. 24).

aa) Die Aushorchung des Angeklagten unter Ausnutzung der besonderen Situation seiner Inhaftierung begründet von vornherein Bedenken gegen die Zulässigkeit der heimlichen Ermittlungsmaßnahme. Nicht weniger als in anderen von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beanstandeten Fällen heimlicher Informationsgewinnung unter Ausnutzung begleitender belastender Haftsituationen (vgl. BGHSt 34, 362; 44, 129; 52, 11; 53, 294) liegen auch hier Umstände vor, die zur Bewertung des Vorgehens als unfaire Vernachlässigung der zu achtenden Selbstbelastungsfreiheit führt.

Im Einklang mit der Auffassung des Großen Senats für Strafsachen (BGHSt 42, 139, 152; vgl. auch BGHSt 49, 56, 58) und in Übereinstimmung mit der die Selbstbelastungsfreiheit auf Art. 6 Abs. 1 MRK stützenden Rechtsprechung des EGMR (StV 2003, 257; NJW 2008, 3549; 2010, 213) sieht der Senat durch die Anwendung von Zwang den Kernbereich der Selbstbelastungsfreiheit des Angeklagten als verletzt an. Zwar sind Verdeckte Ermittler berechtigt, unter Nutzung einer Legende selbstbelastende Äußerungen eines Beschuldigten entgegenzunehmen und an die Ermittlungsbehörden weiterzuleiten. Sie sind aber nicht befugt, in diesem Rahmen den Beschuldigten zu selbstbelastenden Äußerungen zu drängen (BGHSt 52, 11, 15 Tz. 14; vgl. auch BGH StV 2009, 225, 226).“

Lesenswerte Entscheidung, die die bisherige Rechtsprechung des BGH fortführt.

Neues vom Verdeckten Ermittler…

Länger nicht vom Verdeckten Ermittler gehört. Daher ist die Entscheidung des BGH v. 06.05.2010 – 4 StR 98/10 – mal wieder interessant. Sie behandelt allerdings nicht den Kernbereich dieser Problematik, sondern eine Auswirkung des Einsatzes eines Verdeckten Ermittlers, nämlich die Strafzumessung. Der BGH rüffelt das LG Magdeburg, weil es bei der Bemessung einer Strafe für Geldfälschung die auf die „Übergabe von Falschgeld zielende polizeiliche Einwirkung auf den Angeklagten“ nicht „ausdrücklich“ gewürdigt hat. Das darf das LG jetzt nachholen. Viel wird – wenn ich die Praxis richtig einschätze – dabei nicht herauskommen.