Und als zweites Posting des heutigen Freitags dann hier die Entscheidung fürs Töpfchen, und zwar der AG Braunschweig, Beschl. v. 27.03.2023 – 81a II 1309/21 – zur Anwendung des § 146 StPO im Beratungshilfeverfahren.
Die Entscheidung hat folgenden Sachverhalt: Das Hauptzollamt hatte gegen die in Bedarfsgemeinschaft lebenden Antragsteller ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Betruges eingeleitet. Die Antragsteller benötigten zwecks Verteidigung gegen den bestehenden Strafbefehl Akteneinsicht und wollten hierfür anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen. Mit gemeinsamem Berechtigungsschein vom 01.10.2021 ist den Antragstellern, die jeweils für sich einen Beratungshilfeantrag gestellt hatten, Beratungshilfe für die Angelegenheit „Ermittlung Strafsache wegen Betruges (Zoll: pp.“ bewilligt worden.
Die Antragsteller haben daraufhin separat Beratung durch zwei unterschiedliche Rechtsanwälte einer Kanzlei in Anspruch genommen. Die beiden Rechtsanwälte haben dann jeweils eine Beratungsgebühr und eine anteilige Auslagenpauschale sowie Umsatzsteuer geltend gemacht. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat an jeden der beiden Rechtsanwälte diesen Betrag ausgezahlt.
Die Bezirksrevisorin hat gegen die zweifache Festsetzung der Beratungsgebühr Erinnerung eingelegt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass es sich nur um eine Angelegenheit handle. Das Verbot der Mehrfachverteidigung gem. § 146 StPO gelte nur für „Verteidiger“ und nicht für Beratungspersonen nach dem Beratungshilfegesetz. Die Erinnerung hatte keinen Erfolg:
„Die zulässige Erinnerung ist unbegründet.
Die Urkundsbeamtin hat zu Recht an jeden der beiden tätig gewordenen Rechtsanwälte die Beratungsgebühr, die anteilige Post- und Telekommunikationspauschale und die hierfür anfallende Umsatzsteuer ausgezahlt. Da beiden Antragstellern Beratungshilfe bewilligt worden ist, haben die Anwälte beider Antragsteller einen Anspruch auf Vergütung für die jeweilige Beratung. Eine gemeinsame Beratung hat nicht stattgefunden und wäre zumindest berufs-rechtlich von den Rechtsanwälten nicht zu erwarten gewesen.
Es ist zwar richtig, dass das Verbot der Mehrfachvertretung gemäß § 146 StPO sich „nur“ auf Verteidiger bezieht. Das setzt eine aktuell bestehende Beistandspflicht für einen Beschuldigten im Rahmen der prozessualen Verteidigertätigkeit voraus, die jedenfalls im Zeitpunkt der Bewilligung nicht bestanden hat. Ein vorbestehendes Mandatsverhältnis hätte, sofern es nicht nur zwangsweise zwecks Beantragung von Akteneinsicht begründet worden wäre, die Bewilligung von Beratungshilfe sogar ausgeschlossen.
Gleichwohl wirkt sich § 146 StPO auch im vorliegenden Fall dahingehend aus, dass eine Mehrfachvertretung jedenfalls in Bezug auf die hauptsächlich angestrebte Akteneinsicht unzulässig gewesen wäre und deswegen beiden Anwälten die Beratungsgebühr samt Auslagenpauschale und Umsatzsteuer zu erstatten ist. Für die Akteneinsicht gemäß § 147 Abs. 1 StPO, die für jede sinnvolle Beratung in Strafsachen vorab notwendig ist, bedurfte es zwingend formell einer Verteidigerbestellung. Eine solche kann ein Rechtsanwalt nicht für zwei Beschuldigte in dem gleichen Verfahren einreichen. Die Verteidigerbestellung steht dann der Abrechnung über die Beratungshilfe auch nicht entgegen, weil eine sinnvolle Beratung anders nicht möglich ist.
Die Antragsteller waren auch nicht gehalten, nur einen Rechtsanwalt mit der gemeinsamen Beratung nach Verteidigerbestellung für nur einen der Antragsteller und darauf begründeter Akteneinsicht zu beauftragen. Eine solche Beschränkung gibt der Beratungshilfe bewilligende Beschluss, an den das Gericht im Rahmen der Vergütungsentscheidung gebunden ist, nicht her. Wird beiden Antragstellern uneingeschränkt für eine konkrete Angelegenheit Beratungs-hilfe bewilligt, können auch beide Antragsteller gleichberechtigt sämtliche Beratungsleistungen in Anspruch nehmen, wofür sie aus den vorstehenden Gründen zwingend unterschiedliche Rechtsanwälte beauftragen mussten.
Aufgrund der Bindungswirkung der Bewilligungsentscheidung kommt es nicht mehr darauf an, ob die Beratungshilfe für beide Antragsteller eingeschränkt hätte bewilligt werden können. Es soll gleichwohl angemerkt werden, dass eine Einschränkungsmöglichkeit in einer solchen Konstellation im Regelfall ohnehin zu verneinen wäre. Derjenige, für den die Akteneinsicht bei gemeinsamer Beratung formell beantragt worden wäre, hätte bei späterer Fortsetzung der Verteidigung bei dem gewählten Anwalt bleiben können, während der andere Antragsteller sich ungeachtet des bereits begründeten Vertrauensverhältnisses einen neuen Anwalt suchen müsste. Auch ein selbst zahlender Bürger würde dieses Risiko nicht in Kauf nehmen. Schon im Rahmen der Beratung werden regelmäßig Informationen preisgegeben, die kein vernünftig denkender Mensch dem Anwalt eines Mitbeschuldigten verraten würde. Nicht selten besteht in Strafverfahren die Verteidigung i. E. darin, die Schuld einem Mitbeschuldigten zuzuschieben, was durch solche Erkenntnisse stark erleichtert werden kann.
Der Höhe nach sind zu Recht keine Einwendungen gegen die festgesetzte Vergütung erhoben worden.“
Passt 🙂
Bei der Gelegenheit: Ich bin immer dankbar für gebührenrechtliche Entscheidungen. Im Moment ist der Bestand ein wenig mau. Daher: Schicken, schicken, schicken….