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Erwerb von Betäubungsmitteln im Darknet, oder: Urteilsgründe/Beweiswürdigung

Heute dann mal ein Tag, der Entscheidungen gewidmet ist, die sich mit den Urteilsgründen (§ 267 StPO) und/oder Beweiswürdigung (§ 261 StPO) befassen.

Und ich eröffne dann mit dem OLG Stuttgart, Beschl. v. 08.10.2019 – 2 RVs 36 Ss 469/19 -, der zum (versuchten) Erwerb von Betäubungsmitteln in den sog. Darknet-Fällen Stellung nimmt. Den Beschluss hat mir vor einiger Zeit der Kollege H. Stehr, Göppingen, übersandt, der ihn erstritten hat.

Das AG hat den Angeklagten wegen versuchten unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten, die dann mit der Sachrüge Erfolg hatte:

„Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte zu einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt, jedenfalls kurz vor dem pp. mutmaßlich über das Darknet, bei einem unbekannten Verkäufer Marihuana, welches am von einem unbekannten Absender als Briefsendung, adressiert an „Empfanger ……………….“ zusammen mit einer Vielzahl weiterer gleichgestalteter Briefsendungen in einen Postbriefkasten angeworfen und in der Folge beschlagnahmt wurde, bestellt haben soll. Die an den Angeklagten adressierte Briefsendung habe 102,13 Gramm Marihuana (netto) mit einem Wirkstoffgehalt von 6,94 Gramm THC enthalten.

Das Amtsgericht stützt die Verurteilung des Angeklagten auf den Umstand, dass die Briefsendung an das von ihm tatsächlich unterhaltene Postfach übersandt wurde. Dass es sich bei dem Postfach um seines handelt, habe der Angeklagte bei der Polizei nach erfolgter Belehrung eingeräumt, im Übrigen aber von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Angesichts der versandten Menge an Betäubungsmittel schließt das Amtsgericht eine unverlangte Zusendung aus; Anhaltspunkte für einen anderen Besteller als dem Angeklagten hätten sich weder bei den Ermittlungen noch in der Hauptverhandlung ergeben.

2. Unabhängig davon, dass die getroffenen Feststellungen hinreichende Ausführungen zur subjektiven Tatseite des Angeklagten und damit, nachdem seitens des Amtsgerichts ein versuchter unerlaubter Erwerb von Betäubungsmitteln angenommen wurde, zur Frage des Versuchsbeginns vermissen lassen, begegnet die Beweiswürdigung des Amtsgerichts durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zwar ist die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters, dem es alleine obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, wenn sie möglich sind und der Tatrichter von ihrer Richtigkeit überzeugt ist. Die zur richterlichen Überzeugung erforderliche persönliche Gewissheit des Richters setzt allerdings, um willkürliche Entscheidungen zu verhindern, eine objektive Grundlage voraus, welche aus rationalen Gründen den Schluss zulässt, dass das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Die Urteilsgrunde müssen daher erkennen lassen, dass die Beweisführung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und sich nicht nur als bloße Vermutung erweist. Ein auf die Sachrüge zu beachtender Rechtsfehler liegt vor, wenn eine an sich mögliche Schlussfolgerung nicht ausreichend mit Tatsachen abgesichert ist und daher über einen bloßen Verdacht m Sinn einer Vermutung nicht hinauskommt. Rechtsfehler liegen insbesondere im Falle einer Verurteilung vor, wenn das Gericht die tatsächlichen Beweisergebnisse, welche die möglichen Schlussfolgerungen tragen könnten, nicht mitteilt (BGH, Beschluss vom 27. April 2017 — 2 StR 592/16, NStZ 2017, 486 m. w. N.; BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2017 – 4 StR 513/17, BeckRS 2017, 136369; BayObLG, Beschluss vom 4. August 1993 – 5 StR 81/93, BeckRS 2014, 22037; MüK0-Miebach, StPO, 1. Auflage 2016, § 261 Rn. 61 ff; KK-Ott, StPO, 8. Auflage 2019, § 261 Rn 5ff, 62, jeweils m. w. N.).

3. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht hinreichend gerecht. Die seitens des Amtsgerichts mitgeteilten objektiven Umstände rechtfertigen zwar einen entsprechenden Verdacht, dass sich der Angeklagte wie festgestellt strafbar gemacht haben könnte, vermögen aber die getroffene Schlussfolgerung nicht zu tragen. Auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabes hält das Urteil einer sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand. Die Feststellungen des Amtsgerichts entbehren einer tragfähigen Beweisgrundlage; für die getroffenen Feststellungen fehlt in den Beweiserwägungen eine nachvollziehbare und ausreichende Begründung.

a) Rechtsfehlerfrei stellt das Amtsgericht allerdings zunächst fest, dass angesichts der großen Menge an sichergestelltem Marihuana eine unverlangte Versendung an den Angeklagten ausgeschlossen werden kann, dem Geschehen damit eine Bestellung vorangegangen sein muss. Dies besagt aber nichts darüber, wer die Bestellung konkret veranlasst hat.

b) Das Amtsgericht stützt die Bestellung der Betäubungsmittel durch den Angeklagten und damit dessen Verurteilung wegen versuchten unerlaubten (täterschaftlichen) Erwerbs daher im Wesentlichen allein auf den Umstand, dass die Betäubungsmittel an das ihm zuzuordnende Postfach versandt wurden. Anders als in den seitens der Verteidigung zitierten amtsgerichtlichen Entscheidungen liegt hier in dem Umstand, dass das Betäubungsmittel an eine dem Angeklagten mittels seines Namens zuzuordnende Postfach-Adresse versandt wurde, zunächst ein starkes Indiz dafür vor, dass dies mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ohne seine Kenntnis und Billigung erfolgt ist. Dem Besteller der Betäubungsmittel muss zwingend bekannt gewesen sein, dass auf den Namen des Angeklagten ein Postfach mit einer bestimmten Nummer registriert ist; dies kann ihm mit hoher Wahrscheinlichkeit nur vom Angeklagten mitgeteilt worden sein. Betäubungsmittel auf einen fremden Namen zu bestellen und diese dann vor Auslieferung „abzufangen“ ist bei einem Versand an ein Postfach weitgehend ausgeschlossen, weshalb aufgrund der Feststellungen des Amtsgerichts diese Option fernliegt. Den möglichen Schluss, dass damit der Angeklagte der Besteller bzw. Erwerber der Betäubungsmittel war, belegt dieses Beweisergebnis aber noch nicht hinreichend.

c) Der versuchte unerlaubte Erwerb von Betäubungsmitteln setzt gemäß §§ 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BtMG voraus, dass der Erwerber die eigene tatsächliche und freie Verfügungsgewalt über die Betäubungsmittel auf abgeleitetem Wege, d.h. im einverständlichen Zusammenwirken mit dem Vorbesitzer, erlangen will (vgl. Weber, BtMG, 5. Auflage 2017, § 29 Rn 1194, 1202). Hieran fehlt es, wenn der Täter das Rauschgift nur zur (kurzfristigen) Verwahrung erhalten soll; dies gilt auch dann, wenn er ggf. nach Abschluss der Verwahrung einen Teil des Rauschgiftes als Entlohnung bekommt. Erwerb setzt voraus, dass der Täter die tatsächliche Verfügungsgewalt mit der Möglichkeit und dem Willen erlangt, über die Sache als eigene zu verfügen (BGH, Urteil vom 13. August 2009 – 3 Str 224/09, BeckRS 2009, 25653; Weber, BtMG, 5. Auflage 2017, § 29 Rn. 1200, 1202).

Hierzu hat das Amtsgericht weder Feststellungen getroffen noch seine Überlegungen in der Beweiswürdigung hinreichend dargelegt. Für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme gelten auch im Betäubungsmittelstrafrecht die Grundsätze des allgemeinen Strafrechts (BGH, Urteil vom 28. Februar 2007 – 2 StR 516/06, NJW 2007, 1220). Tatsächliche Beweisergebnisse, welche den grundsätzlich möglichen Schluss, dass der Angeklagte als Täter die Betäubungsmittel erwerben wollte, tragen könnten, teilen die Urteilsgründe nicht mit. Allein der Umstand, dass der Versand der Betäubungsmittel an die auf den Angeklagten registrierte Postfachadresse erfolgte, reicht hierfür nicht aus.

Daran ändert auch der Umstand, dass die Urteilsgründe mitteilen, dass die Ermittlungen keinen Hinweis auf einen anderen Besteller ergeben haben, nichts. Das in den Urteilsgründen mitgeteilte Ergebnis der Ermittlungen und der Hauptverhandlung erschöpft sich darin, dass der Zeuge PHK pp. gegenüber der Kammer angegeben hat, der Angeklagte habe nach Belehrung eingeräumt, das Postfach sei auf ihn registriert, im Übrigen habe er von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Selbst wenn im Aussageverhalten des Angeklagten ein der Würdigung zugängliches teilweises Schweigen gesehen werden könnte, dürften zu seinem Nachteil Schlüsse hieraus nur dann gezogen werden, wenn nach den Umständen Angaben zu diesem Punkt zu erwarten gewesen wären und andere mögliche Ursachen des Schweigens ausgeschlossen werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2010 – 4 StR 508/10, NStZ-RR 2011, 118), was vorliegend nicht der Fall ist. Zudem waren die gemachten Angaben ersichtlich nur fragmentarischer Natur.

Die in den Urteilsgründen mitgeteilte Erwägung, die Ermittlungen und die Hauptverhandlung hätten keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass eine dritte Person der Besteller gewesen sei, genügen daher den Anforderungen an eine erschöpfende und lückenlose Beweiswürdigung vorliegend nicht. Um die gezogene Schlussfolgerung, der Angeklagte selbst habe die Betäubungsmittel zur eigenen Verfügung erwerben wollen, mit Tatsachen zu belegen, hätte das Gericht vorliegend das Ergebnis der in den Urteilsgründen benannten Ermittlungen näher benennen müssen. Tatsächliche Beweisergebnisse, welche die vom Gericht gezogene (mögliche) Schlussfolgerung tragen könnten, wurden aber gerade nicht mitgeteilt (vgl. KK-Ott, StPO, 8. Auflage 2019, § 261 Rn. 6ff, 62).

4. Ein Freispruch durch den Senat kommt nicht in Betracht; § 354 Abs. 1 StPO. Dies wäre nur möglich, wenn die rechtsfehlerfrei und erkennbar vollständig getroffenen Feststellungen zweifelsfrei ergeben würden, dass sich der Angeklagte unter keinem denkbaren Gesichtspunkt strafbar gemacht hat, wobei weitere Feststellungen, die zu einer Verurteilung führen könnten, nicht zu erwarten sein dürften. Weder hat das Amtsgericht die Feststellungen fehlerfrei getroffen noch ist ausgeschlossen, dass sich der Angeklagte nicht strafbar gemacht hat.

Für den „Besteller“ von Betäubungsmitteln über den Postversand liegt der Versuch einer strafbaren Handlung, hier des versuchten unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln gemäß §§ 3, 29 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BtMG, §§ 22, 23 StGB, vor, wenn er nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt. Dies hängt davon ab, ob seine Handlung nach seinem Tatplan unmittelbar in die Tatbestandsverwirklichung einmünden soll. Erwerb im Sinn der §§ 3, 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG ist die Erlangung tatsächlicher Verfügungsgewalt auf abgeleitetem Weg. Eine unmittelbare Gefährdung des geschützten Rechtsgutes setzt ein, wenn der Drogenverkäufer vereinbarungsgemäß, wie hier, die Ware bei der Post aufgibt. In diesem Augenblick ist nach der Vorstellung der Vertragspartner alles geschehen, um die unmittelbare Tatbestandsverwirklichung herbeizuführen. Die Aufgabe bei der Post mündet unmittelbar in die Tatbestandsverwirklichung ein. Der Einwurf beim „Besteller“ in dessen „Briefkasten“ stellt keinen wesentlichen Zwischenschritt mehr dar, da bei ungestörtem Fortgang der Eingang der Sendung beim „Besteller“ regelmäßige Folge der Aufgabe bei der Post ist (vgl. BayObLG, Beschluss vom 25. April 1994 — 4 StR RR 48/94, BayObLGSt 1994, 82; Weber, BtMG, 5. Auflage 2017, § 29 Rn. 983, 1217).

Auch wenn das Amtsgericht ggf. keine weiteren Feststellungen mehr treffen kann, wird es zu prüfen haben, ob die bestehende Erkenntnisbasis nicht, unter Berücksichtigung des Grundsatzes in dubio pro reo, zumindest für eine Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zum versuchten unerlaubten Erwerb von Betäubungsmitteln ausreichend sein könnte. Dies unter Berücksichtigung der Auffassung des Senats, dass ein Versand der Betäubungsmittel an das durch den Angeklagten unterhaltene Postfach ohne dessen Kenntnis schwer vorstellbar und wenig sinnvoll ist. Insoweit bestehen auch aktuell weitere Ermittlungsansätze. Ein Indiz, ggf. auch für eine täterschaftliche Begehungsweise durch den Angeklagten, könnte sich insoweit aus dem Eröffnungszeitpunkt des Postfaches durch den Verurteilten ergeben. Umso näher dieser Zeitpunkt an der verfahrensgegenständlichen „Bestellung“ liegt, umso eher spräche dieses Indiz gegen den Angeklagten. Auch die Bewegungen auf Konten des Angeklagten um den Tatzeitpunkt könnten weiteren Aufschluss darüber geben, ob er Geldmittel ggf. zum Erwerb von „Bitcoins“ oder ähnlichen virtuellen Währungen aufgewendet hat, was ein weiteres gegen ihn sprechendes Indiz sein könnte. Aus Kontobewegungen könnten sich zudem Hinweise auf ggf. dritte Personen ergeben, welchen der Angeklagte sein Postfach zum Erwerb der Betäubungsmittel zur Verfügung gestellt haben könnte.“

Der Beschluss bietet dem Verteidiger Argumentationshilfe in den sog. Darknet-Fällen bzw. zeitg, was das AG ggf. feststellen muss. Und: Er zeigt auch, worauf es dann im weiteren Verlauf des Verfahrens im sog. zweiten Durchgang ankommt.

Geldbuße I: Geldbußen von 30.000/45.000 EUR, oder: Und wie sind die wirtschaftlichen Verhältnisse?

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Ich stelle heute dann mal wieder Owi-Entscheidungen vor. Sie kommen alle aus Bayern vom BayObLG und haben alle mit der Geldbuße zu tun.

Im BayObLG, Beschl. v. 09.10.2019 – 201 ObOWi 963/19  – geht es um die Frage, welche Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen bei einer relativ hohen Geldbuße erforderlich sind. Das AG hatte wegen Zweckentfremdung von Wohnraum eine Geldbuße von 30.000 EUR bzw. 45.000 EUR verhängt.

Das BayObLG hat aufgehoben, weil ihm die Feststellungen des AG zu den wirtschaftlichen Verhältnissen nicht genügt haben:

„Der Rechtsfolgenausspruch hält indes hinsichtlich beider Betroffener rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Die Bußgeldbemessung liegt grundsätzlich im Ermessen des Tatrichters, der sich aufgrund der Hauptverhandlung ein umfassendes Bild vom Gewicht der Tat und dem den Täter treffenden Vorwurf machen kann. Die Überprüfung der Bußgeldbemessung durch das Rechtsbeschwerdegericht hat sich demgemäß darauf zu beschränken, ob der Tatrichter von rechtlich zutreffenden Erwägungen ausgegangen ist und von seinem Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat. Grundlage für die Zumessung der Geldbuße sind hierbei nach § 17 Abs. 3 OWiG die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit, der Vorwurf, der den Täter trifft und gegebenenfalls dessen wirtschaftliche Verhältnisse. Nach § 17 Abs. 4 OWiG soll die Geldbuße zudem den aus der begangenen Ordnungswidrigkeit gezogenen wirtschaftlichen Vorteil übersteigen. Unbeschadet dieses nur eingeschränkten Prüfungsmaßstabs begegnet die Rechtsfolgenentscheidung hinsichtlich beider Betroffener durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Auch wenn den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen nach § 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG bei der Bemessung der Geldbuße nur nachrangige Bedeutung zukommt, so hat es das Amtsgericht jedoch in Anbetracht der erheblichen Höhe der verhängten Geldbuße, die den zugrunde zulegenden Bußgeldrahmen fast ausschöpft, versäumt, ausreichende Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen R. zum Zeitpunkt der Entscheidung zu treffen. Hierunter sind alle Umstände zu verstehen, welche die Fähigkeit des Täters, eine Geldbuße in bestimmter Höhe aufzubringen, beeinflussen (BGH NJW 1952, 34, 35). Zwar sind keine übertriebenen Anforderungen an die Urteilsfeststellungen bezüglich der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen zu stellen. In dem Maße, in dem sich die Höhe der Geldbuße jedoch der nach dem Regelfall oder aufgrund besonderer Umstände anzunehmenden Grenze der Leistungsfähigkeit annähert, müssen auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen in den Vordergrund treten. Kommt eine relativ hohe Geldbuße, wie hier verhängt, in Betracht, muss die Leistungsfähigkeit des Täters stets berücksichtigt werden (Göhler/Gürtler OWiG 17. Aufl. § 17 Rn. 22), da von ihr abhängt, wie empfindlich und damit nachhaltig die Geldbuße den Täter trifft (vgl. KG, Beschl. v. 05.11.1998 – 2 Ss 371/98 bei juris und OLG Bamberg, Beschl. v. 19.03.2018 – 3 Ss OWi 270/18 = GewArch 2018, 250 = StraFo 2018, 309). Feststellungen, die notfalls im Wege der Schätzung anhand konkreter Schätzgrundlagen zu treffen sind, sind geboten; bloße Mutmaßungen genügen nicht (vgl. nur BeckOK OWiG/GrafEd. [Stand: 15.06.2019] § 17 Rn. 83 ff. m.w.N.). Eine andere Betrachtungsweise gebietet auch die Anwendung von § 17 Abs. 4 OWiG nicht. Zwar kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob ein zunächst erlangter Vorteil weggefallen ist. Haben sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen jedoch zwischenzeitlich verschlechtert, so kann dies erlauben, den erlangten Vermögensvorteil ganz oder teilweise zu vernachlässigen, soweit es nach den Umständen des Einzelfalles aus sachlichen Gründen geboten ist (BayObLG, Beschl. v. 18.06.1979 – 3 ObOWi 18/79 = BayObLGSt 1979, 92 und 29.05.1980 – 3 ObOWi 174/79 = BayObLGSt 1980, 40). Das Amtsgericht trifft zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen R. folgende Feststellungen: 

„Der Betroffene R. arbeitete zumindest 2015 als Angestellter bei der M. GmbH und verdiente dort netto 1800,- Euro. Er hat zwei unterhaltsberechtigte Kinder und hat im November 2015 […] die Vermögensauskunft abgegeben. Hinsichtlich des Betroffenen R. kann zwar im Hinblick auf die 2015 abgegebene Vermögensauskunft nicht von geordneten Verhältnissen ausgegangen werden. Andererseits ist aber auch zu berücksichtigen, dass die Einnahmen aus der verfahrensgegenständlichen Vermietung nicht in der Vermögensauskunft angegeben wurden und der Betroffene R. auch über ausreichende finanzielle Mittel verfügt, zahlreiche Gerichtsverfahren mit anwaltlicher Vertretung zu führen. Insgesamt ist er daher nicht als mittellos anzusehen, auch bei ihm sind Unterhaltspflichten zu berücksichtigen.“

Da sich aus der Tatsache der abgegebenen Vermögensauskunft Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen R. nicht als geordnet anzusehen sein könnten, musste sich die Tatrichterin gedrängt sehen, konkrete Feststellungen zu Einkommensverhältnissen, Vermögen, Schulden und zur Höhe der Unterhaltsverpflichtung zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung zu treffen. Soweit jedenfalls nach dem Vortrag der Rechtsbeschwerde bereits seit Juli 2018 das Insolvenzverfahren eröffnet ist, ist davon auszugehen, dass sich der Insolvenzakte weitergehende Erkenntnisse bzw. Ermittlungsansätze entnehmen lassen. Der Verdienst im Jahre 2015 und das Führen „zahlreicher Gerichtsverfahren“ mit anwaltlicher Hilfe zeigen jedenfalls nicht hinreichend auf, wie sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen R. tatsächlich darstellen und ob der Betroffene ausreichend leistungsfähig ist. Dem Senat ist es daher nicht möglich nachzuprüfen, ob die von dem Amtsgericht festgesetzte Höhe der Geldbuße – auch in Anbetracht der Tatsache, dass dem Betroffenen mit Blick auf die durch die Bußgeldbewehrung geschützten Rechtsgüter von hohem Rang wegen des Gewichts der Tat und der erheblichen Dauer der zweckfremden Nutzung des Wohnraums eine deutliche Pflichtenmahnung zu erteilen ist – seinen wirtschaftlichen Verhältnissen gerecht wird.“

Sicherlich ein Sonderfall, aber zu beachten sind die Grundsätze des BayObLG

OWi I: Geschwindigkeitsüberschreitung auf der BAB, oder: Vorsatz?

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Heute dann mal wieder ein OWi-Tag, und zwar zunächst eine Entscheidung zum Vorsatz bei Geschwindigkeitsüberschreitung auf Autobahnen. Die Frage der Verurteilung des Betroffenen wegen eines vorsätzlichen Geschwindigkeitsverstoßes hat für den Betroffenen ja große Bedeutung. Denn im Fall der Vorsatzverurteilung ist im Zweifel ein Absehen vom Fahrverbot kaum zu erreichen. Deshalb muss der Verteidiger darauf achten, dass die Urteilsgründe des AG den von der Rechtsprechung ausgestellten Anforderungen entsprechen.

Auf die hat jetzt das OLG Bamberg noch einmal in Zusammenhang mit der Verurteilung eines Betroffenen wegen einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung auf der Autobahn hingewiesen (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 01.03.2019 – 3 Ss OWi 126/19), der folgende Leitsätze hat:

  1. Bei einer Verurteilung wegen einer auf einer Autobahn begangenen vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung müssen die tatrichterlichen Feststellungen eindeutig und nachvollziehbar ergeben, dass der Betroffene die Geschwindigkeitsbeschränkung kannte und entweder bewusst dagegen verstoßen oder den Verstoß zumindest billigend in Kauf genommen hat.
  2. Auch anlässlich der Verurteilung wegen einer auf einer Autobahn begangenen vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung dürfen die Tatgerichte die auf Erfahrung beruhende Wertung, dass ordnungsgemäß aufgestellte, die zulässige Höchstgeschwindigkeit beschränkende Verkehrszeichen von durchschnittlichen Verkehrsteilnehmern bei zumutbarer Aufmerksamkeit anlässlich der Fahrt in aller Regel wahrgenommen werden, regelmäßig zugrunde legen. Die Möglichkeit, dass der Betroffene die eine Geschwindigkeitsbeschränkung anordnenden Verkehrszeichen übersehen hat, ist allerdings dann in Rechnung zu stellen, wenn sich hierfür entweder greifbare Anhaltspunkte ergeben oder der Betroffene im Verfahren einwendet, die beschränkenden Vorschriftszeichen übersehen zu haben.

OWI I: Rotlichtverstoß, oder: Innerorts dürfen die Feststellungen etwas knapper sein

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Und heute ist dann wieder OWi-Tag, den ich mit dem KG, Beschl. v. 28.12.2018 – 3 Ws (B) 304/18 – eröffne. Der nimmt noch einmal zum erforderlichen Umfang der tatsächlichen Feststellungen bei einem innerörtlichen Rotlichtverstoß Stellung. Der im Verkehrsrecht bewanderte Leser merkt sofort, wenn er die Ausführungen des KG liest: Nichts Neues aus Berlin:

„a) Die Urteilsfeststellungen sind ausreichend. Die Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils tragen den Schuldspruch wegen eines fahrlässigen Rotlichtverstoßes.

Die Urteilsgründe müssen in Bußgeldverfahren so beschaffen sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht ihnen zur Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung entnehmen kann, welche Feststellungen der Tatrichter zu den objektiven und subjektiven Tatbestandselementen getroffen hat und welche tatrichterlichen Erwägungen der Bemessung der Geldbuße und der Anordnung oder dem Absehen von Nebenfolgen zugrunde liegen (vgl. OLG Bremen NStZ 1996, 287; Göhler/Seitz, OWiG 17. Aufl., § 71 Rn. 42). Grundsätzlich gilt, dass Ausführungen des Urteils nie Selbstzweck sind (vgl. BGH wistra 1992, 225; 1992, 256) und dass an die Urteilsgründe in Bußgeldsachen von vornherein keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen sind (vgl. BGH NZV 1993, 485; Göhler aaO).

Diesen Ansprüchen genügt die angefochtene Entscheidung. Zwar sind grundsätzlich nähere Ausführungen zur Dauer der Gelbphase, zur zulässigen Höchstgeschwindigkeit, zur Geschwindigkeit des Betroffenen im Zeitpunkt des Umschaltens der Lichtzeichenanlage von Grün auf Gelb und zur Entfernung des Betroffenen von der Lichtzeichenanlage bei Umschalten von Gelb auf Rotlicht erforderlich. Denn nur bei Kenntnis dieser Umstände lässt sich in der Regel entscheiden, ob der Betroffene bei zulässiger Geschwindigkeit und mittlerer Bremsverzögerung in der Lage gewesen wäre, dem von dem Gelblicht ausgehenden Haltegebot zu folgen, was Voraussetzung für den Vorwurf ist, das Rotlicht schuldhaft missachtet zu haben (vgl. Senat, Beschluss vom 17. April 2018 – 3 Ws(B) 100/18 m.w.N.).

Handelt es sich allerdings – wie hier – um einen Rotlichtverstoß innerhalb geschlossener Ortschaften, sind Ausführungen zur Dauer der Gelbphase, der zulässigen und vom Betroffenen eingehaltenen Geschwindigkeit sowie seines Abstands zur Ampel jedoch regelmäßig entbehrlich, weil grundsätzlich von einer gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h und von einer Gelbphase von 3 Sekunden ausgegangen werden kann, was eine gefahrlose Bremsung vor der Ampel ermöglicht, bevor diese von Gelb auf Rot umschaltet (vgl. Senat a.a.O.).

Wäre die Betroffene schneller als die zulässige Höchstgeschwindigkeit gefahren und hätte deshalb nicht mehr rechtzeitig vor der Kreuzung anhalten können, wofür es im konkreten Fall allerdings keine Anhaltspunkte gibt, so würde bereits die Geschwindigkeitsüberschreitung die Vorwerfbarkeit des Rotlichtverstoßes begründen (OLG Bamberg, Beschluss vom 6. März 2014 – 3 Ss OWi 228/14 – [juris]).“

Unterschlagung eines Handys, oder: Manifestation des Zueignungswillens

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Die 11. KW. eröffne ich mit dem BGH, Beschl. v. 28.10.2018 – 3 StR 440/18. Der passt ganz gut zu dem BGH, Beschl. v. 11.12.2018 – 5 StR 577/18 (StGB I: Wegnahme eines Handys, oder: Zueignungsabsicht, wenn “nur” Bilder gelöscht werden sollen…). Denn es geht auch um eine Straftat in Zusammenhnag mit einem Handy, und zwar um die Frage: Welche Feststellungen müssen im Urteil enthalten sein, wenn der Angeklagte wegen der Unterschlagung (§ 246 StGB) eines Handys verurteilt worden ist?

Das LG, das den Angeklagten u.a. wegen Unterschlagung (§ 246 Abs. 1 StGB) verurteilt hatte, hatte dazu Folgendes festgestellt:

a) Nach den Feststellungen übergab der Geschädigte P. dem Angeklagten das Mobiltelefon seiner Mutter ohne deren Wissen im Oktober 2017. Dies sollte dem Angeklagten, der von dem Zeugen zu Unrecht Zahlung von 30 € für zwei geschenkte Zigaretten verlangte, als Pfand dienen; damit wollte P. den Angeklagten von weiteren Einschüchterungen abhalten. Der Angeklagte, der wusste, dass ihm kein Anspruch zustand, verweigerte die Herausgabe des Handys, auch gegenüber P.s Stiefvater; stattdessen forderte er weiterhin von P. die Zahlung von 30 €, andernfalls er das Telefon einbehalten werde. P. zahlte dennoch nicht. Nach der Festnahme des Angeklagten am 16. November 2017 übergab seine Mutter der Polizei das Mobiltelefon.“

Dazu der BGH, der den GBA „einrückt“:

„Mit Recht rügt die Revision im Falle der Nichtherausgabe des Mobiltelefons (Fall 7; UA S. 16) das Fehlen eines nach außen manifestierten Zueignungswillens. Unabhängig davon, ob die Feststellung, der Angeklagte habe nach eigenen Vorstellungen über das Mobiltelefon verfügen wollen, tragfähig belegt ist, begründet dieser Wille – auch verbunden mit dem Ignorieren des Herausgabeverlangens – kein nach außen erkennbares Verhalten, das den sicheren Schluss zulässt, der Angeklagte habe das Gerät unter Ausschluss des Berechtigten seinem eigenen Vermögen einverleiben wollen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. November 2012 – 3 StR 372/12, juris Rn. 10; StraFo 2017, 251; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 246 Rn. 9). Weder hatte der Angeklagte den Standort der Sache verheimlicht, noch die Sache in einer Weise gebraucht, durch die sie erheblich an Wert verloren hätte. Indessen tragen die Feststellungen die diesbezügliche Verurteilung wegen versuchter Erpressung gemäß § 253 Abs. 3, §§ 22, 23 StGB. Denn der Angeklagte forderte den Zeugen    P.     unter Hinweis darauf, dass dieser sonst das als Pfand einbehaltene Mobiltelefon nicht wiederbekomme, mehrfach zur Zahlung eines Geldbetrages von 30 € auf. Der Verzicht auf das Mobiltelefon wäre jedenfalls ein empfindliches Übel. Dabei wusste der Angeklagte, dass er keine die Einbehaltung eines Pfands oder die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts rechtfertigende Forderung hatte (UA S. 16).“