StGB I: Wegnahme eines Handys, oder: Zueignungsabsicht, wenn „nur“ Bilder gelöscht werden sollen…

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Urheber User:Mattes

Heute dann seit längerem mal wieder drei Entscheidungen zum materiellen Recht.

Den Auftakt macht der BGH, Beschl. v. 11.12.2018 – 5 StR 577/18. In meinen Augen handelt es sich um einen Klassiker. Es geht nämlich um die Frage der Zueignungsabsicht beim Raub (§§ 249, 250 StGB), ein Problem, das in der Praxis (und auch im Studium 🙂 ) ja immer eine große Rolle spielt bzw. – bei mir gespielt hat.

Das LG hatte folgende Feststellungen getroffen:

„Nach den Feststellungen des Landgerichts bestiegen die Angeklagten am 27. September 2016 in Meißen eine S-Bahn. Wenig später betrat die Geschädigte das Abteil und setzte sich lautstark telefonierend wenige Meter vom Angeklagten M.    entfernt auf einen Sitzplatz. Nachdem dieser die Geschädigte aufgefordert hatte, das laute Telefonieren zu unterlassen, entwickelte sich ein Wortgefecht mit gegenseitigen Beleidigungen. Als sich die Angeklagten um 23:24 Uhr zum Ausstiegsbereich begaben, um die S-Bahn zu verlassen, belebte sich das Wortgefecht aufs Neue, in dessen Verlauf die Geschädigte den Angeklagten M. bespuckte. Zudem fertigte sie mit ihrem Handy Bildaufnahmen von den Angeklagten an.

Der Angeklagte M. fasste nunmehr den Entschluss, sich in den Besitz des Handys der Geschädigten zu bringen, um die Bilder zu löschen. In dieser Absicht führte er einen Tritt in ihre Richtung aus, um ihr das Handy aus der Hand zu treten, traf jedoch das Gesicht der Geschädigten. Unmittelbar darauf zog die Mitangeklagte K. eine mit Bleikugeln gefüllte CO2-Pistole und feuerte zwei Schüsse auf die Geschädigte ab, welche diese an Nasenflügel und Unterarm trafen.

Da die Geschädigte weiterhin ihr Handy in der Hand hielt, entschloss sich der Angeklagte, ihr das Handy endgültig wegzunehmen. Er schlug ihr mehrmals mit wuchtigen Faustschlägen auf den Oberkörper und in das Gesicht, wodurch es ihm gelang, das Handy in seinen Gewahrsam zu nehmen. Die Geschädigte erlitt hierbei ein Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades und ein Orbitahämatom.

Um 23:26 Uhr verließen die Angeklagten die S-Bahn mit dem Handy der Geschädigten. Danach löschten sie die auf dem Handy befindlichen Bilder, auf denen sie abgebildet waren, und legten es unter eine Tanne.2

Das LG hatte wegen Raubes verurteilt. Die Zueignungsabsicht der Angeklagten bei der Wegnahme des Handys hat es damit begründet, dass deren Wille zumindest vorübergehend darauf gerichtet gewesen sei, wie ein Eigentümer über die auf dem Handy gespeicherten Daten zu verfügen. Der BGH hebt auf die Revision hin auf und ändert den Schuldspruch in gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung, wegen des Rechtsfolgenausspruch verweist er zur neuen Verhandlung zurück:

Zueignungsabsicht ist gegeben, wenn der Täter im Zeitpunkt der Wegnahme die fremde Sache unter Ausschließung des Eigentümers oder bisherigen Gewahrsamsinhabers körperlich oder wirtschaftlich für sich oder einen Dritten erlangen und sie der Substanz oder dem Sachwert nach seinem Vermögen oder dem eines Dritten „einverleiben“ oder zuführen will (BGH, Urteile vom 28. Juni 1961 – 2 StR 184/61, BGHSt 16, 190, 192; vom 26. September 1984 – 3 StR 367/84, NJW 1985, 812; vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699). An dieser Voraussetzung fehlt es dagegen in Fällen, in denen der Täter die fremde Sache nur wegnimmt, um sie „zu zerstören”, „zu vernichten”, „preiszugeben”, „wegzuwerfen”, „beiseite zu schaffen” oder „zu beschädigen” (BGH, Urteile vom 10. Mai 1977 – 1 StR 167/77, NJW 1977, 1460; vom 26. September 1984 – 3 StR 367/84, NJW 1985, 812; vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699 jeweils mwN).

Entsprechend verhält es sich in Fällen, in denen der Täter ein Handy lediglich in der Absicht wegnimmt, dort abgespeicherte Bilder zu löschen. Eine Zueignungsabsicht ist in solchen Konstellationen nur dann zu bejahen, wenn der Täter das Handy – wenn auch nur vorübergehend – über die für die Löschung der Bilder benötigte Zeit hinaus behalten will (BGH, Beschluss vom 28. April 2015 – 3 StR 48/15, NStZ-RR 2015, 371; vgl. auch BGH, Beschluss vom 14. Februar 2012 – 3 StR 392/11, NStZ 2012, 627 zur Zueignungsabsicht bei Durchsuchung und Kopieren vom Speicher des entwendeten Handys). Ein auf eine Aneignung gerichteter Wille lässt sich den getroffenen Feststellungen jedoch nicht entnehmen. Er versteht sich auch nicht von selbst. Sowohl der Anlass für die Wegnahme als auch die Besitzaufgabe am Handy kurz nach der Tat sprechen vielmehr dafür, dass die Angeklagten das Handy nicht über den Löschungsvorgang hinaus behalten wollten.

Und dann noch folgender Hinweis – für die „neue“ Strafkammer:

„Der Senat weist jedoch darauf hin, dass das Landgericht beim Angeklagten M. nach den getroffenen Feststellungen die Qualifikation nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB rechtsfehlerhaft angenommen hat. Die Strafkammer ist insofern ersichtlich davon ausgegangen, dass der Verwendung der CO2-Pistole durch die Mitangeklagte K. kein entsprechender gemeinsamer Tatplan zugrunde lag (UA S. 18). Entgegen ihrer Auffassung kommt eine Zurechnung zum Angeklagten M. nach den Grundsätzen der sukzessiven Mittäterschaft jedoch nicht in Betracht, weil der Einsatz der Pistole zum Zeitpunkt der Fortsetzung der Gewalthandlungen durch diesen bereits beendet war (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Mai 2013 – 2 StR 14/13, BGHR StGB § 25 Abs 2 Mittäter 37). Die Verwirklichung von § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB hat das Landgericht (auch) beim Angeklagten M. dagegen rechtsfehlerfrei bejaht.“

8 Gedanken zu „StGB I: Wegnahme eines Handys, oder: Zueignungsabsicht, wenn „nur“ Bilder gelöscht werden sollen…

  1. Miraculix

    Jetzt frage ich mich doch ganz ernsthaft warum der Angeklagte sich bespucken und fotografieren lassen muss? Ich sehe da eher eine gerechtfertigte Notwehr.

  2. WPR_bei_WBS

    Und wo soll hier ein *gegenwärtiger* Angriff stattfinden, der die geschilderten Taten des Angeklagten evtl. als Notwehr gelten lassen könnte?

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  4. RA Ullrich

    Nach den Feststellungen war von vorausgegangenen wechselseitigen Beleidigungen die Rede, so dass dem Angeklagten gegen das Anspucken nur ein eingeschränktes Notwehrrecht zustand, er hätte sich dem Angriff der Geschädigten aufgrund seines eigenen rechtswidrigen Vorverhaltens primär durch Ausweichen/Flucht entziehen müssen, soweit dies nicht möglich gewesen sein sollte, vorrangig sich auf Schutzwehr beschränken und nur als letztes Mittel zum Gegenangriff übergehen dürfen. Wobei nach dem hier mitgeteilten Sachverhalt unklar ist, ob das Anspucken als rechtswidriger Angriff überhaupt noch andauerte. Das Fotografieren zur Gewinnung eines Beweisfotos dürfte aufgrund der vorangegangenen Straftaten durch den Angeklagten wegen berechtigten Beweisinteresses gerechtfertigt gewesen sein und als solches in dieser Situation kein Notwehrrecht begründen.
    Über die Frage, ob ein Tritt ins Gesicht und gegen die Hand tatsächlich das mildeste geeignete Mittel gewesen wären, um ein weiteres Anspucken/Fotografieren zu verhindern, brauchen wir demnach gar nicht erst zu spekulieren.

  5. WPR_bei_WBS

    Anspucken ist ein gegenwärtiger Angriff, während gespuckt, sowie bei mehrmaligem Spucken / Spuckversuch zwischen den einzelnen „Spuckungen“. Nach den Ausführungen müssen wir davon ausgehen, dass nur einmal gespuckt wurde. Der Angriff ist also bereits vorüber, wenn zum Schlag / tritt angesetzt wird und nicht versucht wurde, weiter zu spucken (was auch unwahrscheinlich ist), und somit ist eine Handlung logischerweise nicht geeignet, den Agriff zu beenden (man kann halt nicht mehr beenden, wasbereits vorbei ist).

    Selbst wenn wir aber von mehreren „Spuckungen“ ausgehen, ist aus dem Tatverlauf klar ersichtlich, dass die ganze Spuckerei beim Anfang der Schläge / Tritte / Schüße bereits vorbei war (und es vielmehr um das Handy ging, mit dem *nach* dem Spucken Fotos gemacht wurden). Also auch kein gegenwärtiger Angriff mehr bei dieser Annahme, damit keine Notwehr.

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