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OWi I: Verstoß gegen Wartepflicht am Bahnübergang, oder: Erforderliche Urteilsfeststellungen

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By Feuermond16 – Own work

Und heute dann ein paar OWi-Entscheidungen. Nichts Besonderes, denn an der „Front“ its es derzeit ziemlich ruhig.

Ich stelle hier zunächst den OLG Oldenburg, Beschl. v. 12.03.2024 – 2 ORbs 32/24  – zum Umfang der erforderlichen Feststellungen bei einer Verurteilung wegen fahrlässigen Überquerens eines Bahnübergangs trotz bestehender Wartepflicht vor.

Das AG hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Überquerens eines Bahnübergangs trotz bestehender Wartepflicht verurteilt. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde hatte beim OLG Erfolg:

„Die bisher getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung nicht.

Das Amtsgericht ist davon ausgegangen, dass der Betroffene den beschrankten (Änderung durch mich: Im Beschluss heißt es „beschränkten“ 🙂 ) Bahnübergang überquert habe, obwohl Rotlicht gegeben worden sei und die Schranken sich bereits senkten. Es ist insoweit den Angaben der vernommenen Polizeibeamten gefolgt. Beide Zeugen — die sich auf der gegenüberliegenden Seite des Überganges befanden – haben nach den Ausführungen des Amtsgerichtes bekundet, dass das Fahrzeug des Betroffenen „über den Bahnübergang gefahren“ sei, als die Schranken sich bereits zu senken begannen. Ob mit diesen Angaben gemeint ist, dass der Betroffene erst begonnen hat den Bahnübergang – unklar, ob damit die eigentlichen Schienen oder der Bereich zwischen den Schranken gemeint ist- zu überqueren oder ob er sich noch im Bereich des Bahnübergangs befunden hat, als die Schranken sich senkten, ist nicht näher dargelegt.

Aus den Feststellungen ist zu entnehmen, dass ein Senken der Schranken nur bei Aufleuchten des Rotlichts erfolgt. Ob und wie lange allerdings das Rotlicht vorher aufleuchtet, wie lange die offenbar vorgeschaltete Gelbphase angedauert hat und welche zulässige Höchstgeschwindigkeit vor dem Bahnübergang bestand, lässt sich dem Urteil nicht entnehmen, da „in Cloppenburg“ nicht zwingend auf Innerörtlichkeit hindeutet. Ohnehin stellt das Amtsgericht, wohl weil die Zeugen die Lichtzeichenanlage in Fahrtrichtung des Betroffenen nicht einsehen konnten, auf das Absenken der Schranken (und damit auch das Rotlicht) ab. Ob dem Betroffenen aber ein Anhalten vor dem Andreaskreuz bei einer mittleren Bremsung (vergleiche OLG Schleswig DAR 85, 291; BayObLG DAR 81,153) möglich gewesen wäre, als die Pflicht vor dem Andreaskreuz zu warten einsetzte -also entweder bei gelben (soweit auch für den Betroffenen feststellbar) oder roten Lichtzeichen und/oder dem Senken der Schranken- lässt sich dem Urteil mangels näherer Angaben unter anderem dazu, wo sich das Fahrzeug des Betroffenen befand, als die Wartepflicht einsetzte, nicht entnehmen (zu einem Verstoß bei einem durch Lichtzeichen und Schranken gesichertem Übergang vgl. Thüringer OLG, VRS 120, 36). Sollten die Zeugen das Passieren des Andreaskreuzes nicht gesehen haben, wäre zudem festzustellen, dass nicht „nur“ ein Verstoß gegen § 19 Abs. 3 StVO vorgelegen hat.

Nur wenn die Zeugen das Passieren des Andreaskreuzes beobachtet hätten, der Verstoß innerörtlich gewesen wäre und auch das Aufleuchten des vorgeschalteten gelben Lichtzeichens in Fahrtrichtung des Betroffenen feststellbar wäre, bedürfte es näherer Darlegungen nicht, da dann ohne Weiteres davon auszugehen wäre, dass der Betroffene rechtzeitig hätte anhalten können.

Da weitere Feststellungen möglich erscheinen, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Auf die von der Generalstaatsanwaltschaft für durchgreifend erachtete Rüge hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruches kommt es nicht mehr an. Der Senat weist zusätzlich darauf hin, dass nicht ersichtlich ist, weshalb dem Betroffenen vom Amtsgericht die sogenannte 4 – Monatsfrist nicht zugebilligt worden ist, obwohl er über keine Voreintragung verfügt.“

Wie gesagt: Ich habe mit erlaubt, aus dem Original enthaltenen „beschränkten Bahnübergang“ den „beschrankten“ zu machen 🙂 .

OWi II: Abweichung von der Bedienungsanleitung, oder: Welche Feststellungen beim Freispruch?

Das BayObLG hat im BayObLG, Beschl. v. 21.11.2022 – 202 OBOWi 1291/22 – zu den Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen bei einem freisprechenden Urteil Stellung genommen.

Das AG hat den Betroffenen aus tatsächlichen Gründen vom Vorwurf, am 29.04.2020 auf der A-Straße in B. mit einem Kraftfahrzeug fahrlässig die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerorts um 34 km/h überschritten zu haben, freigesprochen. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Staatsanwaltschaft mit der Rechtsbeschwerde und begründet diese mit der Sachrüge sowie mit der Verfahrensrüge der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht.

Nach den Feststellungen des AG erfolgte die Geschwindigkeitsmessung mit einem geeichten Messgerät PoliScanSpeed, Softwareversion 3.2.4., welches zum Zeitpunkt der verfahrensgegenständlichen Messung auf einem Stativ auf einer Rasenfläche neben der Fahr-bahn aufgestellt war. Das Amtsgericht sah es nach durchgeführter Beweisaufnahme als erwiesen an, dass das Messgerät entgegen den Vorgaben in Ziffer 7.1.1 der Bedienungsanleitung des Geräteherstellers nicht auf einem hinreichend festen Untergrund aufgestellt gewesen sei. So habe der als Zeuge vernommene Messbeamte zwar pauschal bestätigt, dass er die Messung entsprechend seiner Schulung und gemäß der Bedienungsanleitung durchgeführt habe, sich aber nicht mit Sicherheit daran erinnern können, dass er auf ausreichend festen Unter-grund bei der Aufstellung des Messgeräts im Stativbetrieb geachtet habe. Zudem habe der hinzugezogene Sachverständige für Geräte zur Verkehrsüberwachung feststellen können, dass sich während der Messung der horizontale Schwenkwinkel des Messgerätes verändert habe, und daraus den Schluss gezogen, dass das Messgerät nicht auf einem hinreichend festen Untergrund aufgestellt worden sei und damit ein Verstoß gegen die Bedienungsanleitung vorliege. Das AG ging deshalb nicht vom Vorliegen einer Messung im sog. standardisierten Messverfahren aus. Die damit erforderliche nachträgliche individuelle Überprüfung auf Messfehler sei dem Sachverständigen aufgrund der ihm vorliegenden Anknüpfungstatsachen aber nicht möglich gewesen, da die hierzu von ihm benötigten Daten durch das Gerät nicht gespeichert werden. Daher sei der Betroffene freizusprechen.

Der Betroffene wird sich gefreut haben, aber zu früh. Das BayObLG hat aufgehoben und zurückverwiesen. Ihm reichen die Feststellungen des AG nicht.

Hier nur die Leitsätze zu der Entscheidung:

    1. Wird bei der Durchführung einer amtlichen Geschwindigkeitsmessung von den Vorgaben der Bedienungsanleitung des Geräteherstellers abgewichen, gibt dies Anlass zu der Überprüfung, ob das erzielte Messergebnis den Vorgaben eines sog. standardisierten Messverfahrens entspricht.
    2. Abweichungen von Vorgaben der Bedienungsanleitung des Geräteherstellers vermögen das Vorliegen eines sog. standardisierten Messverfahrens jedenfalls dann nicht in Frage zu stellen, wenn die Möglichkeit einer fehlerhaften Messung ausgeschlossen ist.

OWi II: Messung durch Nachfahren mit Stoppuhr, oder: Was gehört in die Urteilsfeststellungen?

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Urheber Ulfbastel

In der zweiten OWi-Entscheidung des Tages nimmt das OLG Oldenburg im OLG Oldenburg, Beschl. v. 19.12.2022 – 2 Ss(OWi) 183/22 – zu den Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen bei einer Geschwindigkeitsmessung aus einem nachfahrendem Fahrzeug mittels Stoppuhr Stellung.

Das OLG führt dazu aus:

„Die Geschwindigkeitsmessung ist festgestellt worden mittels einer Stoppuhrmessung aus einem nachfahrenden Polizeifahrzeug. Tatzeit war gegen 1:15 Uhr am TT.MM.2021.

Die bisher getroffenen Feststellungen sind für die erfolgte Verurteilung unzureichend.

Soweit ersichtlich, gibt es lediglich eine obergerichtliche Entscheidung zu einer Geschwindigkeitsmessung anhand Fahrbahnkilometrierungen mittels geeichter Stoppuhr.

Das OLG Stuttgart (VRS 85. Band, 366 ff) hat hierzu ausgeführt, dass gegen das genannte Verfahren zur Ermittlung einer Geschwindigkeitsüberschreitung jedenfalls dann grundsätzliche Bedenken bestünden, wenn die Weg-und Zeitmessung von nur einem Beamten aus einem nachfahrenden Fahrzeug erfolge und der Sicherheitsabzug von der ermittelten Durchschnittsgeschwindigkeit bei einer Messstrecke von 500 m nicht mindestens 10 % betrage.

Für die Zuverlässigkeit der Weg-Zeit-Messung sei zunächst wesentlich, dass am Beginn und am Ende der Messung eindeutiger Sichtkontakt der Polizeibeamten zum überwachten Fahrzeug und den die Messstrecke festlegenden Autobahnkilometrierungen bestehe.

Hierzu fehlen dem angefochtenen Urteil jedoch die entsprechenden Feststellungen. Weder enthält es Ausführungen zu den Beleuchtungsverhältnissen auf der nächtlichen Autobahn, noch zum Abstand des Polizeifahrzeugs zum Fahrzeug des Betroffenen. Darüber hinaus fehlen Angaben dazu, wo die Kilometrierungsschilder angebracht gewesen sind und wie sie beschaffen waren.

Bei einem Verfolgungsabstand von (nur) 50-80 m, der der Entscheidung des OLG Stuttgart zugrunde lag, hat das OLG bereits erhebliche Schwierigkeiten der nachfahrenden Beamten gesehen, die Punkte zu bestimmen, an denen das Fahrzeug des Betroffenen den Anfang und das Ende der Messstrecke tatsächlich passierte. Das OLG Stuttgart hat deshalb in dem von ihm zu entscheidenden Fall bereits wegen dieser optischen Fehlermöglichkeit einen Sicherheitsabschlag von mindestens 4 % für erforderlich gehalten. Hinzu kommen die vom OLG Stuttgart vorgenommenen weiteren Toleranzabzüge in Bezug auf die Vermessung der Autobahnkilometrierungen, der Fehlergrenzen der verwendeten Stoppuhr und dem Stoppen der Zeit von Hand.

Anhand der Urteilsgründe kann der Senat aber nicht überprüfen, ob das Amtsgericht bereits die optische Fehlermöglichkeit ausreichend berücksichtigt hat, da die hierzu erforderlichen Feststellungen nicht getroffen sind.

In diesem Zusammenhang verweist der Senat auf seine Anforderungen an die Feststellungen bei einer nächtlichen Nachfahrmessung (die hier zwar nicht vorliegt), die im Rahmen der Frage der Erkennbarkeit des verfolgten Fahrzeuges aber auch hier relevant sind:

„…… (Senat, 2 Ss (OWi) 54/17, Beschluss vom 21. 3. 2017).“

Auch wenn es hier auf den gleichbleibenden Abstand nicht ankommt, können deshalb – je nach Abstand- weitere Ausführungen zu den Sichtverhältnissen erforderlich sein.“

Corona II: Gebrauch eines verfälschten Impfausweises, oder: Was muss im Urteil stehen?

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Die zweite Entscheidung, der BayObLG, Beschl. v. 22.07.2022 – 202 StRR 71/22 – kommt dann auch vom BayObLG. Er nimmt Stellung zu den Feststellungsanforderungen einer bei Verurteilung wegen Gebrauchs eines verfälschten Impfausweises.

Das AG hat den Angeklagten wegen Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe verurteilt. Dagegen die Sprungrevision, die Erfolg hatte: .

„1. Die Feststellungen des Amtsgerichts genügen nicht den Anforderungen des § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO. Nach dieser Bestimmung müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen, also das Tatgeschehen, mitteilen, in dem die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Dies muss in einer geschlossenen Darstellung aller äußeren und jeweils im Zusammenhang damit auch der dazugehörigen inneren Tatsachen in so vollständiger Weise geschehen, dass in den konkret angeführten Tatsachen der gesetzliche Tatbestand erkannt werden kann; denn nur dann kann das Revisionsgericht auf die Sachrüge prüfen, ob bei der rechtlichen Würdigung eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden (st.Rspr.; vgl. nur BGH, Beschl. v. 08.03.2022 – 1 StR 483/21 bei juris; 17.11.2020 – 4 StR 390/20 = NStZ-RR 2021, 83 = StV 2021, 226 = BGHR GVG § 169 S 1 Öffentlichkeit 5; 08.10.2019 – 4 StR 421/19 = NStZ-RR 2020, 28; 24.05.2017 – 1 StR 176/17 = wistra 2017, 445 = StV 2018, 39 = NStZ 2018, 341= NZWiSt 2018, 3839 = BeckRS 2017, 120582; 01.10.2015 – 3 StR 102/15 = NStZ-RR 2016, 12 = StV 2017, 89).

2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.

a) Nach den Feststellungen des Amtsgerichts brachte sich der Angeklagte „zu einem nicht genauer bestimmbaren Zeitpunkt vor dem 18.11.2021 […] entweder in den Besitz eines Impfausweises bzw. -zertifikates oder verfälschte einen solchen Impfausweis/ein solches Impfzertifikat selbst in einer Weise, dass dieser Impfausweis bzw. dieses Impfzertifikat seine eigene (vollständige) Impfung gegen COVID19 auswies, obwohl die dort dokumentierte Impfung bei ihm nicht durchgeführt worden war. Im Wissen hierüber legte der Angeklagte am 18.11.2021 gegen 13.00 Uhr diesen von ihm erworbenen oder von ihm selbst erstellten verfälschten Impfausweis gegenüber der T-Apotheke in der G.-Straße in S. vor, in der Absicht, dass die Apotheke ihm das Impfzertifikat in einem digital erfassten QR-Code als inhaltlich unrichtigen Nachweis für den (vermeintlich) bestehenden Impfstatus umwandelt […]“ Die „Zeugin F. erkannte aber die Fälschung und stellte das digitale Dokument nicht aus“.

b) Diese Urteilsfeststellungen belegen bereits nicht, ob es sich bei dem Impfausweis überhaupt um eine Urkunde im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB handelte. Eine Urkunde setzt das Vorhandensein einer verkörperten Gedankenerklärung voraus, die zum Beweis bestimmt und geeignet ist und einen Aussteller erkennen lässt (vgl. statt vieler nur BGH, Beschl. v. 30.01.2019 – 4 StR 385/18 bei juris; OLG Bamberg, Urt. v. 14.05.2014 – 3 Ss 50/14 = OLGSt StGB § 267 Nr 17; BeckOK StGB/Weidemann StGB [53. Ed.] § 267 Rn. 3; Fischer StGB 69. Aufl. § 267 Rn. 3; Schönke/Schröder/Heine/Schuster StGB 30. Aufl. § 267 Rn. 2 m.w.N.). Keines dieser Merkmale kann den Urteilsgründen entnommen werden. Der Impfausweis und etwaige Eintragungen werden überhaupt nicht beschrieben. Vielmehr beschränkt sich das Tatgericht auf die unbehelfliche, eine Sachdarstellung nicht ersetzende Verwendung von reinen Rechtsbegriffen.

aa) Den Feststellungen des Amtsgerichts ist schon nicht zu entnehmen, ob und gegebenenfalls für welche Person der vorgelegte Impfausweis ausgestellt wurde.

bb) Ferner wird die im Impfausweis angeblich dokumentierte „vollständige Impfung gegen COVID19“ nicht im Einzelnen beschrieben. Das tatrichterliche Urteil stellt nicht fest, ob etwa ein Aufkleber mit einer Chargen-Nummer in dem Impfausweis eingeklebt war und welchen Inhalt dieser gegebenenfalls hatte. Auch zum Zeitpunkt der angeblich erfolgten Impfung verhalten sich die Urteilsgründe nicht.

cc) Völlig offen ist nach den äußerst knappen Feststellungen des Amtsgerichts überdies, ob im Zusammenhang mit der angeblichen Impfung ein Aussteller der Impfbescheinigung ersichtlich wird.

c) Unabhängig davon, dass sich bereits der Urkundenbegriff aus den unzulänglichen Feststellungen des Amtsgerichts nicht ableiten lässt, kann auch nicht beurteilt werden, ob der Angeklagte mit der Vorlage des Impfausweises, sollte dieser die Voraussetzungen einer Urkunde im oben genannten Sinne überhaupt erfüllen, von einer unechten oder verfälschten Urkunde Gebrauch gemacht hat.

aa) Unecht ist eine Urkunde dann, wenn sie nicht von demjenigen stammt, der in ihr als Aussteller bezeichnet ist. Entscheidendes Kriterium für die Unechtheit ist die Identitätstäuschung: Über die Person des wirklichen Ausstellers wird ein Irrtum erregt; der rechtsgeschäftliche Verkehr wird auf einen Aussteller hingewiesen, der in Wirklichkeit nicht hinter der in der Urkunde verkörperten Erklärung steht. Nicht tatbestandsmäßig ist dagegen die Namenstäuschung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Aussteller nur über seinen Namen täuscht, nicht aber über seine Identität (BGH, Beschl. v. 19.11.2020 – 2 StR 358/20 bei juris m.w.N.). Nachdem das Amtsgericht aber schon nicht mitteilt, ob die Eintragung über die Impfung im Impfausweis einen Aussteller erkennen lässt, unterbleiben auch die gebotenen Feststellungen dazu, ob nicht gegebenenfalls die Urkunde von dem Aussteller, sollte ein solcher ersichtlich sein, tatsächlich erstellt wurde. Eine Beweiswürdigung zu dieser für die rechtliche Einstufung der Urkunde als unecht maßgeblichen Frage findet schon gar nicht statt. Das Urteil führt nur aus, dass sich der Angeklagte „entweder in den Besitz des Impfausweises […] brachte oder er einen solchen Impfausweis […] verfälschte, obwohl die dokumentierte Impfung bei ihm nicht durchgeführt worden war.“ Bei der vom Amtsgericht lediglich unterstellten, allerdings nicht beweiswürdigend belegten ersten Alternative kann von einem „unechten“ Dokument nicht die Rede sein. Denn sollte ein aus dem Impfausweis ersichtlicher Aussteller die Eintragung vorgenommen haben, würde es sich um eine echte Urkunde handeln, deren Gebrauch nicht nach § 267 Abs. 1 3. Alt. StGB strafbar wäre.

bb) Den Ausführungen des Amtsgerichts kann ebenfalls nicht entnommen werden, ob es sich um eine Verfälschung einer ursprünglich echten Urkunde handelte. Zwar geht das Tatgericht hiervon alternativ aus, schildert aber auch insoweit keine tatsächlichen Vorgänge, sondern verwendet wiederum nur den Rechtsbegriff des Verfälschens. Eine Verfälschung liegt in der inhaltlichen Veränderung der gedanklichen Erklärung einer ursprünglich echten Urkunde (vgl. BGH, Beschl. v. 21.09.999 – 4 StR 71/99 = BGHSt 45, 197 = EBE/BGH 1999, 348 = NJW 2000, 229 = VersR 1999, 1554 = DAR 1999, 557= MDR 1999, 1503 = ZfSch 2000, 36 = StraFo 2000, 24 = NZV 2000, 47 = wistra 2000, 62 = VRS 98, 129 [2000] = VerkMitt 2000, Nr 17 = BGHR StGB § 267 Abs 1 Verfälschen 2 = JZ 2000, 424 = DAR 2000, 194), was nur dann der Fall sein kann, wenn die Urkunde von dem aus ihr hervorgehenden Aussteller stammte. Auch insoweit kann den Urteilsgründen aber nichts zum tatsächlichen Aussteller und zur Echtheit entnommen werden; schon gar nicht wird der vom Amtsgericht schlicht unterstellte Verfälschungsvorgang beschrieben……“

OWi I: Bezugnahme auf das „Tatlichtbild“ zulässig?, oder: Nein, denn es geht um den „Urkundeninhalt“

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In der Mitte der 11. KW. heute dann drei OWi-Entscheidungen.

Zunächste etwas aus Bayern, und zwar der BayObLG, Beschl. v. 31.01.2022 – 202 ObOWi 106/22 – zur Frage der Bezugnahme auf in ein Messfoto eingeblendete Daten. Das AG hat den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. Das BayObLG meint in der Rechtsbeschwerde, dass die vom AG getroffenen Feststellungen nicht ausreichen, und zwar auch nicht im Hinblick auf die vom AG gemnäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO vorgenommene Bezugnahme auf das „Tatlichtbild“. Denn:

„d) Auch die in den Urteilsgründen nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO erfolgte Bezugnahme auf das „Tatlichtbild“ erlaubt es dem Senat nicht, die dortigen Textfelder zur Korrektur der Urteilsgründe und Auflösung des Widerspruchs in den tatrichterlichen Feststellungen heranzuziehen.

aa) Die Bestimmung des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO, wonach der Tatrichter zur Erleichterung der Darstellung von Abbildungen wegen der Einzelheiten in Abkehr von dem grundsätzlichen Erfordernis, die maßgeblichen Umstände in den Urteilsgründen zu schildern, die Abbildung durch Bezugnahme zum Inhalt der Urteilsurkunde machen kann, erlaubt dem Senat nicht den Rückgriff hierauf, um Widersprüche in den Tatsachenfeststellungen des tatrichterlichen Urteils aufzulösen. Die Verweisung auf Urkunden, um deren Inhalt es geht, gestattet § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO gerade nicht (BGH, Urt. v. 20.10.2021 – 6 StR 319/21; 20.01.2021 – 2 StR 242/20, jew. a.a.O.). Bei den Messdaten handelt es sich aber nicht etwa um Abbildungen, die durch Inaugenscheinnahme zum Inbegriff der Hauptverhandlung gemäß § 261 StPO gemacht werden könnten. Vielmehr geht es bei deren Verwertung um den Inhalt einer textlichen Darstellung, die allein dem Urkundenbeweis nach § 249 StPO zugänglich ist (ebenso: OLG Hamm, Beschl. v. 09.03.2021 – III-4 RBs 44/21 = ZfSch 2021, 531; 21.01.2016 – III-4 RBs 324/15 = NStZ-RR 2016, 121 = NZV 2016, 241; OLG Düsseldorf Beschl. v. 08.01.2016 – IV-3 RBs 132/15 = DAR 2016, 149; BeckOK StPO/Peglau [41. Ed. 1.10.2021] § 267 Rn. 11; KK-StPO/Kuckein/Bartel 8. Aufl. StPO § 267 Rn. 19, Meyer-Goßner/Schmitt StPO 64. Aufl. § 267 Rn. 9), weil es nicht auf das äußere Erscheinungsbild des Textes, sondern allein den Inhalt ankommt. Eine über den Wortlaut des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO hinausgehende, entsprechende Anwendung dieser Bestimmung auf in den Akten befindliche Urkunden verbietet sich schon aus methodischen Gründen. Denn bei § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO handelt es sich um eine eng auszulegende und damit nicht analogiefähige Ausnahmevorschrift, die den Grundsatz, dass ein Urteil aus sich heraus verständlich sein muss, durchbricht.

bb) Es bedarf auch keiner Entscheidung, ob die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach die strenge Differenzierung zwischen Urkunden- und Augenscheinsbeweis für die Frage, ob der Urkundeninhalt wirksam aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung (§ 261 StPO) geschöpft wurde, dann eine Grenze findet, wenn der gedankliche Inhalt der Urkunde quasi „durch einen Blick“ auf diese erfasst wird (BGH, Beschl. v. 12.12.2013 – 3 StR 267/13 = NStZ 2014, 606 = StV 2015, 78), auf die Ergänzung der Urteilsgründe durch Bezugnahme auf entsprechende Textteile übertragen werden kann. Denn jedenfalls fehlt es schon an der vom Bundesgerichtshof postulierten Prämisse der Feststellung „auf einem Blick“. Der Text, der im Zusammenhang mit dem Messbild wiedergegeben wird, erschöpft sich nicht lediglich in einem Messwert, sondern enthält zahlreiche Textfelder über mehrere und auch über das Messbild verteilte Zeilen mit unterschiedlichsten Daten. Darauf, ob eine einzelne der dort abgedruckten Daten „auf einen Blick“ erfasst werden könnte, kommt es nicht an. Denn dies würde zur zuverlässigen Gewährleistung eines richtigen Ergebnisses schon deswegen nicht ausreichen, weil es zum Zwecke einer fehlerfreien Zuordnung zum verfahrensgegenständlichen Vorwurf auch eines Rückgriffs auf die weiteren Daten bedürfte und deren Abgleich untereinander geboten wäre, was darauf hinausliefe, dass das Rechtsbeschwerdegericht unzulässiger Weise Beweis erheben und eigene Sachverhaltsfeststellungen treffen müsste. Es ist indes nicht Aufgabe des Rechtsbeschwerdegerichts, das Urteil möglicherweise tragende Umstände selbst herauszufinden und zu bewerten; bei einem solchen Vorgehen handelt es sich nicht mehr um ein Nachvollziehen des Urteils, sondern um einen Akt eigenständiger Beweiswürdigung, der dem Rechtsbeschwerdegericht verwehrt ist (BGH, Urt. v. 02.11.2011 – 2 StR 332/11 = BGHSt 57, 53 = NJW 2012, 244 = GuT 2011, 541 = NZV 2012, 143 = NStZ 2012, 228 = StV 2012, 272 = BGHR StPO § 267 Abs 1 S 3 Verweisung 4).

cc) Darauf, dass der Tatrichter im Rahmen seiner Bezugnahme nicht einmal die Fundstelle in der Akte zitiert (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 14.09.2011 – 5 StR 355/11 = BGHR StPO § 267 Abs 1 S 3 Verweisung 3), kommt es nach alledem nicht mehr entscheidend an. Gleiches gilt für den Umstand, dass im angefochtenen Urteil, ohne dies weiter zu hinterfragen, zudem festgestellt wurde, dass das Messgerät „bis zum Jahresende 2020 gültig geeicht“ gewesen sei, obwohl der Verstoß sich am 11.04.2021 ereignete.“