Gestern sind zwei Entscheidungen des 5. Strafsenats des BGH auf dessen HP eingestellt worden, die zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt sind, also „große Entscheidungen“. Vielleicht ein wenig das Vermächtnis des Vorsitzenden des 5. Strafsenats Clemens Basdorf, der zum 01.11.2014 in den Ruhestand gegangen ist? Nun, man weiß es nicht, m.E. aber jedenfalls „bemerkenswerte“ Entscheidungen, von denen ich hier zunächst über den BGH, Beschl. v. 21.01.2014 – 5 StR 296/14 – berichten will. Er behandelt eine Problematik aus § 136a StPO – unzulässige Vernehmungsmethoden – die mich schon ein wenig fassungslos – ein Teil der Kommentatoren liebt dieses Wort – zurücklässt. Es geht nämlich um eine Übermüdungsproblematik, zu der der BGH folgendes „feststellt“.
- Es handelt sich um ein Totschlagsverfahren. Die Angeklagte soll ihr neugeborenes Kind unmittelbar nach der Geburt getötet haben.
- Zugrunde gelegt wird ein polizeiliches Geständnis vom 10.12.2012.
- Bei Beginn der zum Geständnis führenden Vernehmung um 21.25 Uhr hatte die 23 Jahre alte Angeklagte mindestens 38 Stunden nicht geschlafen.
- In den frühen Morgenstunden des 10.12.2012 hatte sie nach verheimlichter Schwangerschaft allein einen Jungen geboren, den sie aufgrund eines spontanen Entschlusses dann erstickte.
- Sie erlitt beträchtlichen Blutverlust und war körperlich wie seelisch entkräftet.
- Bei einem Toilettengang gegen 8.00 Uhr brach sie ohnmächtig zusammen.
- Ein weiterer körperlicher Zusammenbruch folgte kurze Zeit später.
- Ihre Mutter fand die Angeklagte gegen Mittag apathisch und weinend vor. Sie äußerte hier und später, nicht mehr leben zu wollen.
- Am Nachmittag wurde sie ins Krankenhaus verbracht, wo ein Dammriss genäht wurde.
- Gegen 16.00 Uhr kam sie zur Beobachtung auf eine Station.
- Von 17.00 Uhr bis 17.30 Uhr wurde sie erstmals von der Polizei als Beschuldigte vernommen. Sie gab an, dass das Kind tot geboren worden sei.
- Im Anschluss an die Vernehmung wurde der Angeklagten die vorläufige Festnahme erklärt.
- Um 20.00 Uhr erhielt sie zwei Baldriandragees, weil sie nicht zur Ruhe gelangte.
- Gegen 20.30 Uhr wurde sie erneut verantwortlich vernommen. Zunächst wurde mit ihr ein lediglich in einem polizeilichen Vermerk erfasstes Vorgespräch geführt, in dem sie die Tat weiterhin leugnete.
- Um 21.00 Uhr wurde den vernehmenden Polizeibeamten das Ergebnis der rechtsmedizinischen Untersuchung mitgeteilt, wonach von einer Le-bendgeburt auszugehen sei. Die Beamten konfrontierten die Angeklagte sogleich mit diesem Ergebnis. Die Angeklagte stritt die Tat weiter ab.
- Um 21.25 Uhr begann eine nunmehr im Wortlaut schriftlich niedergelegte Vernehmung. Die weinende Angeklagte erklärte zu deren Beginn, es sei gerade ein bisschen viel für sie. Nach anfänglichem weiterem Bestreiten gestand sie die Tat. Die Vernehmung endete am Tattag um 23.25 Uhr.
Bei diesem Verlauf sieht der BGH „eine Fülle von gewichtigen Gründen“, aufgrund derer sich die Annahme tiefgreifender Erschöpfung und daraus resultie-render Besorgnis der Beeinträchtigung der Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung geradezu aufdrängt. Wohl war, kann man nur sagen. Nicht sleepless in Seattle, sondern in Berlin? Und das 38 Stunden lang vor einer für das Verfahren entscheidenden Vernehmung. Das macht mich schon fassungslos.
Und: Man ist auch noch über das weitere Prozedere erstaunt, wenn man liest:
„Bei dieser Sachlage kann der Senat davon absehen, freibeweislich der Frage nachzugehen, wie es erklärt werden kann, dass die entscheidende zweistündi-ge Vernehmung keine andere Dokumentierung erfahren hat, als diejenige in einem Protokoll von lediglich etwas mehr als vier, zudem großzügig formatierten Druckseiten.“
Dazu kann man dan nur noch sagen: Ohne Worte.
Nachtrag: In der Überschrift waren es zunächst nur 36 Stunden 🙂