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Wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in die Entziehungsanstalt?

FragezeichenDas LG verurteilt den Angeklagten wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in drei Fällen und ordnet seine Unterbringung in der Entziehungsanstalt nach § 64 StGB an. Eine „Begehung im Rausch“ stellt das LG nicht fest, sondern lediglich, dass der Angeklagte im Tatzeitraum, generell Amphetamin und gelegentlich Marihuana konsumierte. Der BGH, Beschl. v. 28. 8.2013 – 4 StR 277/13 verneint auf der Grundlage einen „Hang“ i.S. des § 64 StGB und hebt auf:

Anhaltspunkte dafür, dass die Taten, obwohl nicht im Rausch begangen, doch auf einen Hang zum Alkohol- oder Drogenmissbrauch zurückgingen, bestehen nicht. Typisch sind hierfür Delikte, die begangen werden, um Rauschmittel selbst oder Geld für ihre Beschaffung zu erlangen (BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 – 1 StR 693/96 aaO). Derartige Delikte liegen hier nicht vor. Andere Delikte kommen als Hangtaten nur dann in Betracht, wenn besondere Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie gerade in dem Hang ihre Wurzeln finden, sich darin die hangbedingte besondere Gefährlichkeit des Täters zeigt (BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 – 1 StR 693/96 aaO). Solche Anhaltspunkte sind hier nicht ersichtlich. Der Angeklagte hat die Fahrten ohne Fahrerlaubnis jeweils aus Anlass seiner Beziehung zu einer Frau unternommen, ohne dass seine Betäubungsmittelabhängigkeit eine erkennbare Rolle gespielt hätte.

Soweit das Landgericht in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen angenommen hat, die Taten seien auf den Hang zurückzuführen, weil „bei dem Angeklagten durch den jahrelangen übermäßigen Betäubungsmittelkonsum bereits eine deutliche und dauernde Verantwortungslosigkeit unter Missachtung sozialer Normen, Regeln und Verpflichtungen eingetreten“ (UA S. 18) sei, kann dem nicht gefolgt werden. Auch damit ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Taten und dem Hang nicht dargetan (vgl. zur „Enthemmung“ BGH, Urteil vom 20. September 2011 – 1 StR 120/11, NStZ-RR 2012, 72, 74 f.). Die Urteilsfeststellungen enthalten keinen Beleg dafür, dass der Angeklagte die ausgeurteilten Taten wegen einer aufgrund jahrelangen Betäubungsmittelkonsums herabgesetzten Hemmschwelle begangen hat. Dagegen spricht, dass er bereits seit 2004 mit Straftaten in Erscheinung getreten ist, seine Straffälligkeit also zu einer Zeit einsetzte, als er mit dem Konsum von Betäubungsmitteln gerade begonnen hatte...“

Für den Angeklagten war es dann endgültig vorbei, denn:

„2. Der Senat kann sicher ausschließen, dass eine neue Verhandlung Feststellungen ergeben könnte, die eine Unterbringungsanordnung rechtfertigen würden. Daher ist in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO auf den Wegfall der Maßregel zu erkennen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 354 Rn. 26f).“

Muss der Stalker in die Psychatrie?

© Dan Race - Fotolia.com

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Nicht so einfach darzustellen ist wegen seines Umfangs und der vielen Einzelheiten der BGH, Beschl. v. 18. Juli 2013 – 4 StR 168/13, mit dem der BGH eine Verurteilung eines Angeklagten u.a. wegen Nachstellung (§ 238 STGB) und die Unterbringungsanordnung aufgehoben hat. Ich mache es mir da mal einfach und nehme die PM 167/13 des BGH,  in der es heißt:

Das Landgericht Dortmund hat den 27jährigen Angeklagten u.a. wegen Nachstellung („Stalking“), Körperverletzung, Bedrohung und versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.

Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte die Geschädigte im Urlaub kennengelernt und ihr, nachdem sie keine Beziehung mit ihm eingehen wollte, sowie ihren Eltern und ihrem Lebensgefährten über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr zahlreiche unerwünschte Nachrichten übersandt, die zum Teil mit massiven Drohungen versehen waren. In einem Fall kam es auch zu einer Sachbeschädigung am Elternhaus der Geschädigten. Die Betroffenen litten infolge des Verhaltens des Angeklagten an Schlafstörungen, Angstzuständen sowie Albträumen und schränkten ihre Lebensgestaltung ein.

Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten nicht nur als Nachstellung, sondern – tateinheitlich – u.a. auch als Körperverletzung zum Nachteil sämtlicher Betroffenen beurteilt. Es hat zudem angenommen, dass von dem Angeklagten, bei dem eine Borderline-Persönlichkeitsstörung sowie ein erheblicher Alkohol- und Betäubungsmittelmissbrauch festgestellt wurden, mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere erhebliche Taten zu erwarten seien, weshalb er in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht werden müsse.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat das Urteil auf die Revision des Angeklagten aufgehoben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen, weil die Verurteilung wegen Körperverletzung nicht tragfähig begründet war. Er hat außerdem wegen der Dauer der vom Angeklagten bereits erlittenen Untersuchungshaft unter Aufhebung des Haftbefehls dessen unverzügliche Freilassung angeordnet.

Im Hinblick auf die wegen der umfassenden Urteilsaufhebung neu zu treffende Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat der Senat darauf hingewiesen, dass sich die prognostizierte Gefährlichkeit im Sinne von § 63 StGB auf Delikte beziehen muss, die mindestens der mittleren Kriminalität zuzurechnen sind, den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Bei Taten der Nachstellung im Sinne von § 238 StGB, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von nur drei Jahren bedroht sind, ist dies, wenn sie nicht mit aggressiven Übergriffen einhergehen, nicht ohne weiteres zu bejahen.

Die Entscheidung ist ganz interessant im Hinblick auf die Ausfürhungen des BGH zur Nachstellung und zur Gefährlichkeit i.S. des § 63 StGB.

Lang, lang ist es her – aber wen interessiert schon eine Gesetzesänderung aus 2007?

Unter der Überschrift Lang, lang ist´s her – aber was interessiert schon Rechtsprechung des BVerfG, oder? hatte ich im Oktober 2010 über den BGH, Beschl. v. 22.07.2010 – 3 StR 169/10 – berichtet und mich – gelinde ausgedrückt – über den Umstand gewundert, dass die Strafkammer dort (ur)alte Rechtsprechung des BVerfG nicht beachtet hatte. Wer gedacht hat – so wie ich, dass das vielleicht ein Einzelfall ist: Mitnichten, den der BGH, Beschl. v 19.06.2013 – 2 StR 118/13 – greift die Problematik, die an sich keine mehr sein dürfte, noch einmal auf und führt nochmals aus:

„Das – nachträglich durch teilweise Zurücknahme wirksam auf den Maßregelausspruch beschränkte – Rechtsmittel ist begründet. Das Landgericht ist davon ausgegangen, die Vollziehung der Maßregel erscheine „nicht von vornherein aussichtslos“. Es hat sich dazu auf „§ 64 Abs. 2 StGB“ aus der früheren Gesetzesfassung berufen, die insoweit verfassungswidrig war (BVerfG, Beschluss vom 16. März 1994 – 2 BvL 3/90, BVerfGE 91, 1, 29 ff.) und deshalb geändert wurde. Die Anordnung der Maßregel setzt nun nach § 64 Satz 2 StGB voraus, dass die hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Täter von der Sucht zu heilen oder ihn wenigstens für eine erhebliche Zeit vor einem Rückfall in den Rauschgiftkonsum zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten. Insoweit ist das Landgericht von einem fal-schen Prüfungsmaßstab ausgegangen.“

Man ist schon wirklich erstaunt: Das BVerG entscheidet dazu bereits 1994, das Gesetz wird dann 2007 geändert, indem der frühere Abs. 2 des § 64 StGB wegfällt, und keiner merkt es? Gelegentlich hilft ja mal ein Blick ins Gesetz. Und Textbausteine sollte man auch gelegentlich mal auf ihre Richtigkeit hin prüfen. Ahc so: Und bei Fischer, StGB, 60 Aufl., § 64 Rn. 18 steht es auch, und zwar mehr als dick.

Anmerkung: Wer den Beschluss der BGH auf der Homepage des BGH sucht, der wird leider keinen Erfolg haben, daher der Link auf meine HP. Der Beschluss war am 22.07.2013 auf der Homepage des BGH eingestellt, ist dort aber, als ich diesen Beitrag vorbereitet habe, nicht mehr aufzufinden. Warum? Dazu finde ich keine Erklärung.

Die „Gustl-Mollath-Gedächtnis-Reform“….

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Es bewegt sich etwas, nun nicht im Verfahren Gustl Mollath, darüber brütet jetzt das OLG Nürnberg (vgl. Wiederaufnahmeantrag von G. Mollath als unzulässig abgelehnt…Und nun? – auf nach Nürnberg), sondern im Unterbringungsrecht. Es gibt nämlich eine Reforminitiative des BMJ, die – das räumt das BMJ auch offen ein -sicherlich vom Fall Mollath mit initiert worden ist. Da heißt es:

„Vor dem Hintergrund der breiten öffentlichen Diskussion um die Unterbringung von Gustl Mollath in der Psychiatrie und der seit Jahren steigenden Zahl von Personen, die in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind, hat Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Eckpunkte erarbeiten lassen.

Zu dem „Reformpaket wird dann dann ausgeführt auf der Homepage des BMJ:

„..Die strafrechtlichen Vorschriften zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sollen darin reformiert werden. Kern der Überlegungen ist, durch ein engmaschiges Netz an Kontrollen dafür Sorge zu tragen, dass der massive Eingriff in die Freiheit der Betroffenen, den die Unterbringung darstellt, dort, wo er nicht zwingend angezeigt erscheint, vermieden wird.

Künftig soll eine Überprüfung der Maßnahme bereits nach vier Monaten, sodann nach weiteren acht Monaten und schließlich im Jahresrhythmus stattfinden. Dabei ist stets ein Gutachter beizuziehen. Alle zwei Jahre muss sich ein neuer Gutachter mit dem Fall befassen, um zu verhindern, dass stets derselbe Gutachter seine vorherigen Gutachten lediglich fortschreibt und sich nicht eingehend mit möglicherweise neu vorliegenden Umständen befasst. Soll die Unterbringung länger als sechs Jahre vollzogen werden, muss der Richter die Gutachten von zwei Sachverständigen einholen, um eine möglichst umfassende Entscheidungsgrundlage zu haben.

Die Anzahl der Personen, die sich nach den Vorschriften des Strafgesetzbuchs in einem psychiatrischen Krankenhaus befinden, steigt seit Jahren an. Waren es im Jahr 1996 noch knapp 3.000, so sind es inzwischen schon 6.750 Personen – jeweils auf das alte Bundesgebiet bezogen. Allen diesen Personen gemeinsam ist, dass sie eine Straftat begangen haben, für die sie aufgrund verminderter Schuldfähigkeit oder Schuldunfähigkeit nicht oder nur eingeschränkt bestraft werden konnten, ein Gutachter jedoch ihre künftige Gefährlichkeit für die Allgemeinheit festgestellt hat. Bislang überprüft ein Richter lediglich jährlich und ohne zwingende neue Begutachtung, ob die Voraussetzungen einer weiteren Unterbringung noch vorliegen. Erst nach fünf Jahren ist das Gutachten eines „externen“ Sachverständigen einzuholen, also ein Sachverständiger, der vorher mit dem Fall noch nicht befasst war.

Das Eckpunktepapier mit den Reformvorschlägen finden man hier: Eckpunkte: Reformüberlegungen zur Unterbringung nach § 63 StGB).

Nun ja, ein wenig Zeit, bis das mal umgesetzt ist, ist ja noch. Da steht ja erst auch noch eine Bundestagswahl ins Haus.

 

BGH watscht Strafkammer und Sachverständigen ab: Rechtsprechung aus 1994 sollte man kennen

Im BGH, Beschl. v. 11.04.2013 – 2 StR 442/12 findet der BGH mehr als deutliche Wort zu einem Urteil des LG Frankfurt/Main. Das hatte den Angeklagten wegen Mordes verurteilt und seine Unterbringung  in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB angeordnet. Und zu letzterem findet der BGH eben mehr als deutliche Worte, man könnte auch sagen: Ihm springt der Draht aus der Mütze“ oder: Er watscht die Strafkammer ab. Und der Sachverständige bekommt auch gleich noch einen mit. So geht es:

Der Maßregelausspruch kann nicht bestehen bleiben. Das Landgericht hat zur Prognose im Sinne von § 64 StGB ausgeführt, die Behandlung sei „nicht völlig aussichtslos“, auch der Sachverständige Dr. B. habe darauf hingewiesen, „dass von einer Aussichtslosigkeit nicht gesprochen werden könne“.

Das ist rechtsfehlerhaft. Bereits im Jahr 1994 hat das Bundesverfassungsgericht die damalige Regelung des § 64 Abs. 1 aF StGB für verfassungswidrig erklärt (BVerfGE 91, 1). In einer großen Vielzahl von Entscheidungen haben danach alle Strafsenate des Bundesgerichtshofs immer wieder Urteile aufgehoben, die auf einer Anwendung des verfassungswidrigen Kriteriums der „Aussichtslosigkeit“ beruhten. Bei der ab 20. Juli 2007 geltenden Neufassung des § 64 StGB hat der Gesetzgeber auch den Wortlaut des § 64 Satz 2 StGB angepasst und klargestellt, dass es einer „hinreichend konkreten Erfolgsaussicht“ bedarf; dies ist mit dem Fehlen von „Aussichtslosigkeit“ ersichtlich nicht gleichbedeutend. Wenn Tatgerichte beinahe 20 Jahre nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und mehr als fünf Jahre nach der Gesetzesänderung immer noch auf das vom Bundesgerichtshof vielfach bemängelte verfassungswidrige Kriterium abstellen, mag das auch darauf be-ruhen, dass fehlerhafte, ihrerseits uninformierte Sachverständigengutachten kritiklos übernommen werden. Dies zeigt zunächst – jedenfalls hier – eine die Sachkunde in Frage stellende Unkenntnis des Sachverständigen von den nor-mativen Grundlagen seines Gutachtensauftrags. Verantwortlich ist aber in je-dem Fall das Gericht, das den Sachverständigen anzuleiten und Fehler seines Gutachtens kritisch zu hinterfragen hat.

Vorliegend lässt sich auch aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen, dass das Landgericht inhaltlich den richtigen Prognosemaßstab angewendet hat. Über die Maßregelanordnung ist daher neu zu entscheiden.“

Wie verärgert der BGH ist, kann man m.E. daran erkennen, dass er Belege/andere Entscheidungen erst gar nicht mehr anführt, sondern nur auf eine „große Vielzahl von Entscheidungen“ verweist. So nach dem Motto: Das sollte man wissen….