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Verkehrsunfall mit einem Pedelec, oder: Pedelec ist ggf. ein Fahrrad

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Urheber J. Hammerschmidt

Als zweite Entscheidung dann eine „Haftungsentscheidung“ zu einem recht neuen Verkehrsmittel, nämlich dem Pedelec.

Bei der Entscheidung handelt es sich um den OLG Hamm, Beschl. v. 10.04.2018 – 7 U 5/18. Der Beschluss – ergangen im Verfahren nach § 522 bs. 2 ZPO – ist also schon etwas älter, ich bin auf ihn durch ein Posting des Kollegen Gratz im Verkehrsrechtsblog gestoßen (worden).

Zu entscheiden hatte das OLG folgenden Sachverhalt:

Der Kläger macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aufgrund eines Unfalls, an dem er am 27.9.2015 gegen 13:38 h auf der L  in T als Pedelec-Fahrer beteiligt war, geltend.

Zusammen mit seiner Ehefrau, der Zeugin O, sowie den beiden Zeugen C war der damals 80-jährige Kläger zunächst von der I Straße nach rechts auf den Mehrzweckstreifen der L  in Fahrtrichtung F abgebogen. In dem Bereich gilt eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h. Die Radfahrergruppe beabsichtigte, in der Nähe des Hauses I2  von der L  nach links in das sog. W abzubiegen. Zu diesem Zweck fuhr der Kläger auf die Hauptfahrbahn, um diese in Richtung Linksabbiegerstreifen zu überqueren. Die einzelnen Umstände sind zwischen den Parteien streitig. Es kam zur Kollision mit dem sich von hinten nähernden vom Beklagten zu 2) gehaltenen und gesteuerten Fahrzeug Typ Opel D, amtliches Kennzeichen pp., das bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversichert ist.

Der Kläger wurde zu Boden geworfen; sein Pedelec wurde beschädigt. Der PKW wurde auf der rechten Seite beschädigt.

Der Kläger hat behauptet, er sei von dem Mehrzweckstreifen aus nach links über die Straße in Richtung Linksabbiegerspur gefahren. Als er sich bereits auf der linken Seite der Fahrbahn befunden habe, habe der Beklagte zu 2) trotz unklarer Verkehrslage versucht zu überholen. Dabei habe er die gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen. Vorher sei der Zeuge C als erster der Gruppe bereits über die Fahrbahn auf die Linksabbiegerspur gefahren. Der Beklagte zu 2) hätte daher damit rechnen müssen, dass weitere Radfahrer aus der Gruppe folgen würden. Zudem habe der Beklagte zu 2) die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten. Angesichts des Alters des Klägers wäre besondere Rücksichtnahme erforderlich gewesen.

…..

Die Beklagten haben …..  behauptet, dass der Beklagte zu 2), als er die Radfahrergruppe auf dem Mehrzweckstreifen gesehen habe, seine Geschwindigkeit auf 80 km/h reduziert habe und links auf dem Fahrstreifen gefahren sei, um ausreichend Abstand zu halten.

Der Kläger sei plötzlich, ohne Handzeichen und ohne auf den rückwärtigen Verkehr zu achten, von der Mehrzweckspur nach links rübergefahren. Ein Ausweichen sei dem Beklagten zu 2) nicht mehr möglich gewesen.“

Das LG hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte beim OLG keinen Erfolg.

Hier die Leitsätze zu dem recht umfangreichen Beschluss des OLG:

„Pedelecs, bei denen der Motor ausschließlich unterstützend arbeitet und bei denen die maximale Höchstgeschwindigkeit auf 25 km/h begrenzt ist, sind verkehrsrechtlich als Fahrrad einzuordnen.

Wer an einem auf dem Seitenstreifen fahrenden Verkehrsteilnehmer vorbeifährt, überholt nicht im Sinne des § 5 StVO.

Ein außerhalb des Anwendungsbereichs des § 5 StVO begonnener Überholvorgang wird nicht zu einem Überholen im Sinne des § 5 StVO, wenn der langsamere Verkehrsteilnehmer seine Fahrspur wechselt.

Wechselt ein älterer Verkehrsteilnehmer aus plötzlicher Sorglosigkeit, die nichts mit seinem Alter und einer dadurch bedingten Unfähigkeit, auf Verkehrssituationen zu reagieren, zu tun hat, ohne Beachtung des nachfolgenden Verkehrs vom Radweg auf die Fahrspur, verstößt ein PKW-Fahrer bei einer Kollision nicht gegen § 3 Abs. 2a StVO.“

Die Entscheidung ist wegen der Ausführungen des OLG zur Eigenschaft des Pedelec als Fahrrad ggf. auch für Bußgeld- und Strafverfahren von Bedeutung.

StGB II: Überholen bei sichtbarem Gegenverkehr, oder: Straßenverkehrsgefährdung?

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Und die dritte StGB-Entscheidung kommt ebenfalls aus dem Verkehrsrecht. Es handelt sich um den OLG Jena, Beschl. v. 18.03.2019 – 1 OLG 151 Ss 22/19, ergangen zur Problematik des Überholens i.S. von § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB:

„1. Die getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung nicht.

 Das Amtsgericht hat in seinem Urteil vom 13.06.2018 folgendem Sachverhalt festgestellt.

„Am 11.10.2017 befuhr der Angeklagte mit seinem Ford Transit, amtliches Kennzeichen pp. die Bundesstraße 2 in Höhe von Gera-Cretzschwitz in Höhe Kilometer 1.200 m Richtung pp. Vor dem Fahrzeug des Angeklagten fuhr ein Lkw. Dahinter fuhr das von dem Zeugen pp. geführte Fahrzeug, dahinter das von der Zeugin pp.. geführte Fahrzeug. Auf der Gegenfahrbahn fuhr der von dem Zeugen pp. geführte Lkw, ein vollbeladener sogenannter 40-Tonner. Dahinter befand sich der von dem Zeugen pp. geführte Sattelschlepper mit polnischem Kennzeichen. Dahinter fuhr der Lkw des Zeugen.

Obwohl sich in einer langgezogenen Längskurve der Gegenverkehr deutlich erkennbar war, setzte der Angeklagte mit seinem Pkw pp. zum Überholen es vor ihm fahrenden Lkw an. Als der Zeuge pp. bemerkte, dass ihm der Transporter des Angeklagten entgegenkam, bremste er zunächst langsam und machte dann eine Vollbremsung, um einen Zusammenstoß zu verhindern. Der Transporter des Angeklagten ist sodann in geringem Abstand an ihm vorbeigefahren und fuhr weiter. Lediglich durch das rechtzeitige Bremsen des Lkws das Zeugen pp. konnte ein Frontalzusammenstoßmit dem Fahrzeug des Angeklagten verhindert werden. Sodann machte der Zeuge pp. eine Vollbremsung, gleichwohl fuhr der Zeuge pp. mit seinem Lkw auf die Fahrzeuge auf, da er das vor ihm fahrende Fahrzeug erst recht spät bremsen gesehen hatte. Dieser hielt sich an seinem Lenkrad bei Vollbremsung fest. Daraufhin wurden seine Beine eingeklemmt und er musste befreit werden und hatte einen Schock. Weitere Dauerfolgen hat der Zeuge nicht erlitten.

Ob der Angeklagte diesen Zusammenstoß beim Vorbeifahren bemerkt hat oder über den Rückspiegel bemerkt hat oder einen Knall gehört hat, konnte für eine für die Verurteilung hinreichende Sicherheit nicht festgestellt werden.“

Aufgrund dieses Sachverhalts hat das Amtsgericht im Rahmen der rechtlichen Bewertung eine Strafbarkeit nach § 315c Abs. 1 Nr 2b, Abs. 3 StGB angenommen, wobei es davon ausgegangen ist. dass der Angeklagte die Gefährdung der entgegenkommenden Fahrzeuge lediglich fahrlässig verursacht hat. Ausführungen zur im Urteilstenor angenommenen tateinheitlichen fahrlässigen Körperverletzung enthält das im Urteil Rahmen der rechtlichen Würdigung nicht.

 Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 07.02.2019 zur Begründung des dort – versehentlich hinsichtlich des gesamten Urteils – gestellten Aufhebungsantrags ausgeführt.

„… Der Tatbestand des § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB setzt voraus, dass der Fahrzeugführer falsch überholt oder sonst bei Überholvorgängen falsch fährt.

Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen vermögen jedoch eine Verletzung des § 5 StVO nicht hinreichend zu tragen, da allein ein Überholen bei sichtbarem Gegenverkehr noch keine Verletzung des § 5 Abs. 2 StVO darstellt. Ein falsches Überholen liegt danach nur dann vor. wenn das Überholen unter Berücksichtigung des Gegenverkehrs für einen durchschnittlichen Fahrer gefahr- und behinderungslos möglich ist (gemeint ist ersichtlich: nicht gefahr- und behinderungslos möglich ist).

Dies lässt sich nach den Feststellungen des Amtsgerichts jedoch nicht beurteilen, da der ungefähre Abstand zwischen dem Fahrzeug des Beschuldigten zum Zeitpunkt des Ausschorens beim Überholvorgang und dem Fahrzeug des Zeugen pp. nicht mitgeteilt wird.

Zur inneren Tatseite teilt das Gericht ferner nur mit, dass der Angeklagte die Gefährdung der entgegenkommenden Fahrzeuge lediglich fahrlässig verursacht hat. Es bleibt jedoch offen, ob das Gericht von einer vorsätzlichen Tathandlung im Sinne des § 315c Abs. 3 Nr. 1 StGB ausgegangen ist. Dagegen spricht, dass das Gericht nicht von einer Vorsatztat wie § § 315c Abs. 1 Nr. 1StGB, sondern von fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs im Sinne des § 315c Abs. 3 Nr. 3 StGB ausgegangen ist. …“

OWi I: Überholen des Langsamfahrenden, oder: Führt Langsamfahren zu unklarer Verkehrslage?

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Heute dann drei OWi-Entscheidungen. Den Opener macht der OLG Hamm, Beschl. v. 14.06.2018 – 4 RBs 174/18. Das AG hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Überholens bei unklarer Verkehrslage eine Geldbuße in Höhe von 145 € festgesetzt. Es ist dabei von folgenden Feststellungen ausgegangen:

„Der Betroffene befuhr am 23.09.2017 gegen 15.30 Uhr mit seinem PKW Opel, amtliches Kennzeichen X, die Q Straße in I in Fahrtrichtung I. Vor ihm fuhr der Zeuge C mit seinem PKW Kia, amtliches Kennzeichen Y. Als dieser kurz vor der Kreuzung Q Straße/J Straße seine Fahrt verlangsamte, ohne jedoch einen Fahrtrichtungsanzeiger zu betätigen, setzte der Betroffene mit seinem Fahrzeug zum Überholen an. Als der Betroffene sich in Höhe des Fahrzeugs des Zeugen C befand, lenkte dieser sein Fahrzeug nach links um in die J Straße abzubiegen. Es kam zu einer Kollision der Fahrzeuge.“

Das OLG Hamm hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, das Urteil aufgehoben und zurückverwiesen:

„Die zugelassene und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat auf die Sachrüge hin Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht (§ 79 Abs. 6 OWiG). Die bisherigen Feststellungen ergeben einen Verstoß gegen §§ 5 Abs. 3 Nr. 1, 49 StVO durch ein Überholen bei unklarer Verkehrslage nicht.

Eine unklare Verkehrslage ist dann gegeben, wenn nach allen Umständen mit einem gefahrlosen Überholen nicht gerechnet werden darf, etwa wenn sich nicht verlässlich beurteilen lässt, was der Vorausfahrende sogleich tun werde, wenn er sich unklar verhält, in seiner Fahrweise unsicher erscheint oder wenn es den Anschein hat, er wolle abbiegen, ohne dass dies deutlich wird, z.B. bei einem linken Blinkzeichen des Vorausfahrenden ohne Linkseinordnen. Allein ein relatives Langsamfahren des Vorausfahrenden ohne sonstige Ausfälle ist nicht mit einer unklaren Situation im Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO gleichzusetzen. Eine das Überholen verbietende Verkehrslage entsteht nur dann, wenn Umstände hinzu treten, die für ein unmittelbar folgendes Linksabbiegen sprechen können, wie etwa eine Fahrtrichtungsanzeige. Allein die theoretische Möglichkeit eines verkehrswidrigen Linksabbiegens schafft noch keine unklare Verkehrslage, die ein Überholen unzulässig macht (OLG Düsseldorf, Urt. v. 04.04.2017 – I-1 U 125/16 – juris). Das gilt auch dann, wenn sich der Überholbereich in einem Kreuzungs- oder Einmündungsbereich befindet und das vorausfahrende Fahrzeug in diesem Bereich langsamer fährt (KG Berlin, Urt. v. 09.09.2002 – 12 U 26/01 – juris m.w.N.; OLG Koblenz, Urt. v. 26.01.2004 – – 12 U 1439/02 – juris; OLG Nürnberg VersR 2003, 259 f.; König in: Hentschel/u.a., Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., StVO § 5 Rdn. 35 m.w.N.). Anders wäre dies nur zu bewerten, wenn Umstände vorliegen, die für ein unmittelbar folgendes Linksabbiegen sprechen können (König a.a.O.).

Hier hat das Amtsgericht lediglich eine Verlangsamung der Fahrt des vorausfahrenden Fahrzeugs kurz vor einem Kreuzungsbereich festgestellt. Es geht noch nicht einmal – weder in den Feststellungen noch in seiner rechtlichen Würdigung – davon aus, dass sich das vorausfahrende Fahrzeug zur Mitte hin eingeordnet hat (wie es der als Zeuge vernommene Fahrer dieses Fahrzeugs bekundet haben soll).

Der neue Tatrichter wird zu prüfen haben, ob neben der Verlangsamung der Fahrt in einem Kreuzungsbereich weitere Umstände vorgelegen haben, die für ein unmittelbar folgendes Linksabbiegen sprechen könnten. Dazu könnte eine deutliche Einordnung zur Fahrbahnmitte zählen (OLG Köln, Beschl. v. 15.04.1983- 3 Ss 115/83 Bz. – juris LS), noch nicht aber unbedingt, wenn sich das vorausfahrende Fahrzeug erst „etwas“ zur Fahrbahnmitte hin orientiert hat (OLG Koblenz a.a.O.). Auch die Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers kann hier relevant sein (König a.a.O.). Weiter werden die räumlichen Verhältnisse, insbesondere in welchem Abstand zu dem Einmündungsbereich die Verlangsamung der Fahrt und eine etwaige Einordnung zur Straßenmitte hin erfolgten, näher festzustellen sein.“

Fahrradfahrerzusammenstoß beim Überholen, oder: Wann muss man klingeln?

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Die zweite Entscheidung kommt – wie bereits angekündigt auch vomKG aus Berlin. Gegenstand ist ein Fahrradfahrerunfall. Zwei Fahrradfahrer sind bei einem Überholvorgang im gleichgerichteten Verkehr zusammen gestoßen. Der eine macht gegen den anderen Radfahrer Zahlung von Schmerzensgeld, Krankenbehandlungskosten, Sachschäden und Verdienstausfall sowie Nebenforderungen in Höhe von zuletzt 16.825,52 EUR geltend. Das LG hat die Klage abgewiesen, weil es die Behauptung des Klägers nicht für erwiesen erachtet hat, dass die Beklagte beim Überholen den notwendigen Seitenabstand zu ihm als ebenfalls auf einem Rad Fahrenden nicht eingehalten hat. Die durch den Sturz des Klägers eingetretene Unterarmfraktur habe die Beklagte daher nicht verschuldet. Der Fahrradweg aus Bitumen habe eine Breite von 1,75 m gehabt, bis zum Bordstein habe sich noch ein kleingepflasterter Bereich angeschlossen, der eine Breite von 95 cm gehabt habe. Rechts neben dem Fahrradweg habe sich ein Grünstreifen befunden. Dann aber sei ausreichender Platz für ein Überholen mit einem Abstand von 1 m vorhanden gewesen. Ausreichende Anhaltspunkte für ein Unterschreiten des notwendigen Abstands ergäben sich allenfalls aus den Angaben des Klägers, die aber keinen Vorrang vor den plausiblen Erklärungen der Beklagten hätten. Die Beklagte sei auch nicht verpflichtet gewesen, den Überholvorgang durch ein Klingeln vorzubereiten.

Das KG führt dazu in seinem Hinweisbeschluss, dem KG, Beschl. v. 26.02.2018 – 22 U 146/16, in dem es für den Kläger angeregt hat, seine Berufung zu überdenken:

„…..Diese Ausführungen sind nicht zu beanstanden. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verletzt hat, so dass weder ein Anspruch wegen der eingetretenen Körperverletzung nach § 823 Abs. 1 BGB noch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 229 StGB in Betracht kommt…………

2. Die Entscheidung des Landgerichts unterliegt auch keinem Rechtsfehler. Zu Recht hat das Landgericht eine Verpflichtung zum Klingeln verneint. Eine entsprechende generelle Verpflichtung ergibt sich nicht aus dem Gesetz, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 StVO ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.

Nach § 5 Abs. 1 StVO ist links zu überholen. Dabei ist nach § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO ein ausreichender Seitenabstand zu anderen Radfahrern einzuhalten. Der Überholende muss sich weiter so verhalten, dass eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist und der Überholte nicht behindert wird. Dies alles gilt auch dann, wenn ein Radfahrer einen anderen Radfahrer überholen will, weil ihm das Überholen trotz der Regelung des § 2 Abs. 4 Satz 1 StVO grundsätzlich erlaubt ist. Die Regelung § 2 Abs. 4 Satz 1 StVO betrifft nur den Fall, dass länger nebeneinander gefahren und gerade nicht überholt werden soll (vgl. Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 25. Aufl., § 2 Rdn. 55). Die beim Überholen zu beachtenden Pflichten setzen das vorherige Ankündigen des Überholens grundsätzlich nicht voraus. Selbst nach § 5 Abs. 6 StVO besteht keine Pflicht zur Ankündigung des Überholens durch Schallzeichen. Anderes kann allenfalls dann in Betracht kommen, wenn eine besondere Sachlage vorliegt. Eine solche Konstellation könnte gegeben sein, wenn der Überholvorgang wegen der geringen Straßenbreite besonders gefährlich ist oder der zu Überholende erkennbar unsicher ist. All dies ist hier aber nicht der Fall gewesen. Aus dem gleichen Grund scheidet auch eine Verpflichtung aus § 16 Abs. 1 StVO aus. Dann aber kann hier auch offen bleiben, ob sich eine etwaige Verletzung der Ankündigungspflicht überhaupt auf den Unfall ausgewirkt hat, nachdem der Kläger im Rahmen seiner persönlichen Anhörung ausdrücklich erklärt hat, er habe sich nicht wegen des Überholens erschrocken, sondern wegen der Berührung.“

Der Kläger ist der Anregung des KG übrigens nicht gefolgt. Das hat die Berufung dann im KG, Beschl. v. 09.04.2018 – 22 U 146/18 – zurückgewiesen.

Kleiner Grundkurs in Straßenverkehrsgefährdung, oder: Kann man beim Schwurgericht nicht….

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Heute dann eine kleine Verkehrsrechtsserie, die ich mit dem BGH, Beschl. v. 15.03.2018 – 4 StR 469/17 – eröffne. Es geht um Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c StGB) bei folgendem Verkehrsgeschehen:

Nach den Feststellungen befuhr der Angeklagte am 10. Juni 2016 um 12.33 Uhr in B. mit einem Pkw Opel Astra die linke von zwei Geradeausspuren der J. -Allee in Richtung der Kreuzung J. -/K. -Allee. Im Bereich dieser Kreuzung ist die J. -Allee neben den beiden Geradeausspuren mit einer Links- und einer Rechtsabbiegespur ausgebaut. Als sich der Angeklagte mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit der Kreuzung näherte, zeigten alle Ampeln der dort befindlichen Lichtzeichenanlage Rotlicht. Auf den beiden Geradeausspuren standen jeweils mehrere Fahrzeuge, darunter ein Mercedes-Benz Sprinter und jeweils ein VW Transporter, vor der Haltelinie. Während sich auf der Rechtsabbiegespur ebenfalls ein Pkw befand, war die Linksabbiegespur frei. Der Angeklagte, der die Kreuzung in Geradeausrichtung passieren, sich aber nicht hinter den auf den Geradeausspuren haltenden Fahrzeugen einreihen wollte, wechselte auf die freie Linksabbiegespur und verlangsamte zunächst wegen des unverändert andauernden Rotlichts seine Geschwindigkeit. Er hatte vor, die im Geradeausverkehr haltenden Fahrzeuge links zu überholen, anschließend im Kreuzungsbereich auf eine der Geradeausspuren zurückzuwechseln und auf diese Weise vor den haltenden Fahrzeugen die Kreuzung zu überqueren. Obwohl sämtliche Ampeln der Lichtzeichenanlage weiterhin Rotlicht zeigten, beschleunigte der Angeklagte, der – nicht ausschließbar – irrtümlich davon ausging, einen Wechsel des Ampellichts von Rot auf Gelb-Rot wahrgenommen zu haben, einige Meter hinter dem letzten der auf der linken Geradeausspur stehenden Fahrzeuge mit deutlich wahrnehmbar aufheulendem Motor und fuhr bei Rotlicht mit einer Geschwindigkeit von 40 bis 60 km/h über die Haltelinie in die Kreuzung ein, wo er mit dem damals 13-jährigen Nebenkläger kollidierte. Dieser war gerade im Begriff, als Radfahrer auf der Fußgänger- und Radwegefurt die J. -Allee aus Sicht des Angeklagten von rechts kommend bei Grünlicht zu überqueren. Der Angeklagte hatte den Nebenkläger aufgrund der Beeinträchtigung der Sicht durch die vor der Lichtzeichenanlage haltenden Fahrzeuge erst ca. eine Sekunde vor dem Überfahren der Haltelinie wahrgenommen, die Kollision aber – ebenso wie der Nebenkläger – durch Abbremsen oder Ausweichen nicht mehr verhindern können. Bei dem Zusammenstoß wurde das Vorderrad des Fahrrads durch das rechte vordere Eck des Pkw erfasst, wodurch der Nebenkläger herumgeschleudert wurde, mit dem Oberkörper auf die Motorhaube geriet und nach Anprall mit Kopf und Oberkörper schließlich ca. 12 bis 14 Meter durch die Luft geschleudert wurde.“

Das LG hat auch wegen „tateinheitlich begangener vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs“ verurteilt. Nach Auffassung des BGH tragen die  getroffenen Feststellungen aber lediglich eine Verurteilung wegen fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c Abs. 1 Nr. 2a, Abs. 3 Nr. 2 StGB in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung:

a) Indem der Angeklagte in der festgestellten Weise trotz Rotlichts in die Kreuzung fuhr und mit dem vorrangberechtigten Radfahrer zusammenstieß, hat er fahrlässig den Tatbestand der Straßenverkehrsgefährdung in der Begehungsvariante des § 315c Abs. 1 Nr. 2a, Abs. 3 Nr. 2 StGB verwirklicht. Eine Vorfahrtsverletzung im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2a StGB begeht auch, wer bei Rotlicht in eine Kreuzung einfährt und dadurch den bevorrechtigten Querverkehr beeinträchtigt (vgl. OLG Düsseldorf, VRS 91, 358, 359; OLG Karlsruhe, VRS 107, 292, 293; König in LK-StGB, 12. Aufl., § 315c Rn. 72). Da der Angeklagte um seines schnelleren Fortkommens willen bewusst auf die Rotlicht zeigende Ampel zufuhr und sich daher zu ganz besonderer Sorgfalt bei der Beobachtung der Ampelschaltung veranlasst sehen musste, steht entgegen der Ansicht der Revision die grobe Verkehrswidrigkeit seines Verhaltens außer Frage (vgl. Ernemann in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 3. Aufl., § 315c Rn. 12 mwN).

b) Dagegen erfüllt die Fahrweise des Angeklagten weder die tatbestandlichen Voraussetzungen eines vorsätzlichen falschen Überholens nach § 315c Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 3 Nr. 1 StGB noch liegt eine fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs in der Tatbestandsalternative des § 315c Abs. 1 Nr. 2d, Abs. 3 Nr. 2 StGB vor.

aa) Überholen im Sinne der Strafvorschrift des § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB meint das Vorbeifahren von hinten an sich in derselben Richtung bewegenden oder verkehrsbedingt haltenden Fahrzeugen auf derselben Fahrbahn oder unter Benutzung von Flächen, die mit der Fahrbahn nach den örtlichen Gegebenheiten einen einheitlichen Straßenraum bilden (vgl. BGH, Beschluss vom 15. September 2016 – 4 StR 90/16, BGHSt 61, 249). Ein falsches Fahren beim Überholen ist gegeben, wenn der Täter eine der in § 5 StVO normierten Regeln verletzt oder einen anderweitigen Verkehrsverstoß begeht, der das Überholen als solches gefährlicher macht, sodass ein innerer Zusammenhang zwischen dem Verkehrsverstoß und der spezifischen Gefahrenlage des Überholens besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. November 2016 – 4 StR 501/16, NZV 2017, 135, 136 mwN). Unbeschadet des Umstands, dass ein solches Verhalten nicht gegen § 5 StVO verstößt (vgl. OLG Düsseldorf, VRS 91, 144), kann ein falsches Überholen daher darin liegen, dass der Täter unter Missachtung der auf einer Abbiegespur durch Zeichen 297 nach Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO getroffenen Anordnung über die einzuhaltende Fahrtrichtung überholt. Ob den Urteilsfeststellungen aus der Bezeichnung als Linksabbiegespur hinreichend deutlich entnommen werden kann, dass die vom Angeklagten zum Überholen genutzte Fahrspur mit Zeichen 297 nach Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO markiert war, kann indes dahinstehen. Denn der Annahme einer vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 3 Nr. 1 StGB steht jedenfalls entgegen, dass sich in der Gefährdung und Schädigung des Nebenklägers kein Risiko verwirklichte, das sich gerade aus der Nichtbeachtung der durch eine entsprechende Fahrbahnmarkierung getroffenen Anordnung zur Fahrtrichtung ergab.

Der Tatbestand des § 315c Abs. 1 StGB setzt voraus, dass die unter eine der verschiedenen Begehungsvarianten zu subsumierende Tathandlung zu einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert geführt hat. Wie dem Wortlaut der Norm („und dadurch“) zu entnehmen ist, muss ein innerer Zusammenhang zwischen der herbeigeführten Gefahr und den mit den verschiedenen Tatbestandsalternativen typischerweise verbundenen Risiken in der Weise bestehen, dass sich in der eingetretenen Gefahrenlage gerade das spezifische Risiko der Tathandlung verwirklicht hat (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2006 – 4 StR 459/06, NStZ 2007, 222; Urteil vom 3. Oktober 1974 – 4 StR 427/74, VRS 48, 28; BayObLG, VRS 64, 371 und VRS 61, 212; OLG Hamm, VRS 41, 40; König, aaO, Rn. 113, 183; Ernemann, aaO, Rn. 23; Pegel in Müko-StGB, 2. Aufl., § 315c Rn. 103 ff.). Dass der Gefahrenerfolg nur gelegentlich der Tathandlung des § 315c Abs. 1 StGB eintritt, reicht dagegen nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2006 – 4 StR 459/06, aaO).

Bei dem festgestellten Unfallgeschehen fehlt es an dem erforderlichen Gefahrverwirklichungszusammenhang, weil die zu dem Körperschaden führende Gefährdung des Nebenklägers durch das Einfahren in die Kreuzung unabhängig davon eingetreten ist, in welcher Fahrtrichtung der Angeklagte im Kreuzungsbereich seine Fahrt fortsetzen wollte. Der Zusammenstoß hätte sich bei einem Überholen unter Einhaltung des Richtungsgebots in gleicher Weise ereignet.

bb) Die an die Regelung des § 3 Abs. 1 StVO anknüpfende Begehungsalternative des § 315c Abs. 1 Nr. 2d StGB verwirklicht unter anderem, wer an Straßenkreuzungen die nach der konkreten Verkehrslage gebotene Geschwindigkeit überschreitet. Dies ist etwa der Fall, wenn der Fahrzeugführer vor der Straßenkreuzung so schnell fährt, dass er seinen straßenverkehrsrechtlichen Pflichten im Kreuzungsbereich nicht mehr entsprechen kann (vgl. BGH, Urteil vom 3. Oktober 1974 – 4 StR 427/74, aaO; BayObLG, VRS 61, 212; König, aaO, Rn. 110). Ob auch das bloße Einfahren in eine Kreuzung unter Missachtung eines Haltegebots als zu schnelles Fahren erfasst werden kann, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn einem sich allein aus einer Vorfahrtsverletzung ergebenden Fahren mit nicht angepasster Geschwindigkeit käme angesichts der ohnehin erfüllten Tatbestandsvariante des § 315c Abs. 1 Nr. 2a StGB keine eigenständige unrechtsteigernde Bedeutung zu. Der Unrechtsgehalt der Tat wird vielmehr durch § 315c Abs. 1 Nr. 2a StGB vollständig mit der Folge erfasst, dass § 315c Abs. 1 Nr. 2d StGB hinter § 315c Abs. 1 Nr. 2a StGB zurückträte.

cc) Aus denselben Erwägungen wird das Überholen unter fahrlässiger Nichtbeachtung des Rotlichts hier nicht als fahrlässig falsches Überholen gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB erfasst.“

Tja, kleiner Grundkurs im Verkehrsrecht nennt man das wohl. Aber ok. War ja auch das Schwurgericht, von dem das Urteil kommt. Da kann man meistens kein Verkehrsrecht.