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Auslieferung in die Türkei, oder: Nicht wegen einer politischen Straftat

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Author David Benbennick

Die zweite Entscheidung, der KG, Beschl. v. 29.08.2018 – (4) 151 AuslA 59/17 (40/18), betrifft eine Auslieferung an die Türkei, und zwar wegen einer politischen Straftat. DasKG hat die Auslieferung als unzulässig angesehen:

„1. Das auf diplomatischem Weg mit Verbalnote der Botschaft der Republik Türkei vom 11. Mai 2017 – 2017/36481099-Berlin BE/12386453 – übermittelte Auslieferungsersuchen der Staatsanwaltschaft in E. vom 20. Oktober 2016 entspricht zwar hinsichtlich des Übermittlungsweges sowie in seiner Form und seinem Inhalt den Anforderungen des Art. 12 EuAlÜbk. Es beinhaltet unter anderem eine Abschrift der anwendbaren Bestimmungen des türkischen Strafgesetzbuches und beglaubigte Abschriften des Urteils des 4. Kriminalgerichts in E. vom 31. Oktober 2012 (Aktenzeichen 2012/19, Urteilsnummer 2012/9) und des – dieses bestätigenden – Beschlusses des Berufungsgerichts vom 23. Dezember 2013 (Aktenzeichen 2013/16659, Urteilsnummer 2013/16700) nebst Rechtskraftbescheinigungen, wonach der Verfolgte – neben bedingten Freiheitsstrafen, hinsichtlich derer die Auslieferung nicht begehrt wird – zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren, einem Monat und 15 Tagen verurteilt wurde, die noch in voller Höhe zu vollstrecken ist. Es wird weiter mitgeteilt, dass gegen den Verfolgten ein Vollstreckungshaftbefehl der Staatsanwaltschaft in E. vom 6. März 2014 – 2014/1-969 – besteht, der dem Ersuchen gleichfalls in beglaubigter Abschrift beigefügt ist. Nach den in einer qualitativ minderwertigen, teilweise unverständlichen Übersetzung mitgeteilten und deshalb auf Veranlassung der Generalstaatsanwaltschaft Berlin zum Teil neu übersetzten Urteilsfeststellungen hatte der Verfolgte, der selbst nicht der PKK angehörte, am 20. März 2012 im Zentrum von E. an einer nicht genehmigten Newroz-Feier teilgenommen, zu der in der PKK nahestehenden Medien aufgerufen worden war und in deren Verlauf Propaganda für die PKK gemacht wurde. Mehrfachen Aufforderungen zur Auflösung der Versammlung soll er keine Folge geleistet und sich einer Gruppe angeschlossen haben, die die Sicherheitskräfte mit Steinen bewarf (an anderer Stelle des Urteils heißt es, der Verfolgte habe eine Getränkekiste aus Kunststoff geworfen). Der Verfolgte soll hierdurch die Terrororganisation PKK unterstützt haben. Dass die Steinwürfe bzw. das Werfen der Getränkekiste zu Verletzungen geführt hätten, ist nicht festgestellt.

2. Die Auslieferung des Verfolgten ist unzulässig. Ihr steht das Verbot der Auslieferung wegen einer politischen Straftat (Art. 3 Abs. 1 EuAlÜbk; § 6 Abs. 1 IRG) entgegen.

Politische Taten sind (jedenfalls) solche, die dem Staatsschutzstrafrecht unterfallen. Sie sind Ausdruck einer Opposition gegen die Regierung, häufig vor dem Hintergrund außen- oder innenpolitischer Auseinandersetzungen (vgl. Vogel in Grützner/Pötz/Kreß/Gazeas, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen 3. Aufl., § 6 IRG Rn. 38 mwN). Die der Verurteilung – soweit die Auslieferung begehrt wird – zugrundeliegende Norm des Art. 314 des türkischen Strafgesetzbuches (Gesetz Nr. 5237) findet sich im Vierten Teil „Straftaten gegen Nation und Staat“ des Zweiten Buches des türkischen Strafgesetzbuches im Fünften Abschnitt „Straftaten gegen die Verfassungsordnung und ihr Funktionieren“ und gehört damit als Staatsschutzdelikt zu den politischen Straftaten (ebenso OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. Juni 2017 – Ausl 301 AR 101/17 – [juris]). Auch das konkret vorgeworfene Tatgeschehen – die Teilnahme an einer Propagandaveranstaltung der in Opposition zur türkischen Regierung stehenden PKK und am Widerstand gegen die Auflösung der Versammlung – stellt sich unabhängig von der auch deutschem Recht entsprechenden Einordnung der PKK als Terrororganisation als ein politisches Handeln des Verfolgten dar.

Die abgeurteilte Tat unterfällt auch nicht einer der Ausnahmen des Europäischen Übereinkommens zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Januar 1977. Weder handelt es sich um eine Katalogtat nach Art. 1 EuTerrÜbk – auch nicht in der Fassung des Art. 1 ZP-EuTerrÜbk – noch um eine schwere Gewalttat im Sinne des Art. 2 Abs. 1 EuTerrÜbk oder eine gegen Sachen gerichtete schwere und gemeingefährliche Tat im Sinne des Art. 2 Abs. 2 EuTerrÜbk. Eine schwere Tat im Sinne von Art. 2 Abs. 1 und 2 EuTerrÜbk liegt nach Art. 2 des Gesetzes zum EuTerrÜbk vom 28. März 1978 (BGBl. II S. 321) nur vor, wenn die Tat bei Abwägung aller Umstände, insbesondere der Beweggründe des Täters sowie der Art ihrer Ausführung und ihrer verschuldeten Auswirkungen, kein angemessenes Mittel zur Erreichung des erstrebten Ziels ist, wobei als Regelbeispiele die Verursachung des Todes oder einer schweren Körperverletzung, die Gefährdung von Leben oder Gesundheit einer großen Zahl von Menschen oder die Tatbegehung auf grausame Weise oder mit gemeingefährlichen Mitteln genannt werden. Dies ist bei der – wovon nach den insoweit schweigenden Urteilsgründen auszugehen ist – folgenlosen Tat des Verfolgten ersichtlich nicht der Fall.

Die Verneinung eines sich aus Art. 3 Abs. 1 EuAlÜbk, § 6 Abs. 1 IRG ergebenden Auslieferungshindernisses käme im Übrigen nur in Betracht, wenn der allgemein-kriminelle Charakter der Tat deren politische Zielrichtung deutlich in den Hintergrund treten ließe (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 16. Februar 2018 – 20 OLGAusl 37/17 – [juris Rn. 16 mwN]). Auch dies ist vorliegend nicht der Fall, sodass es keiner Erörterung bedarf, ob für diesen Grundsatz über die Regelung des Art. 2 des Gesetzes zum EuTerrÜbk hinaus noch ein Anwendungsbereich besteht.“

Auslieferung III: In die Türkei soll es gehen, oder: Nicht grundsätzlich unzulässig

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Author David Benbennick

Und zum Tagesschluss dann noch zwei Entscheidungen, die sich mit der Auslieferung an die Türkei befassen. Es handelt sich um den OLG Hamm, Beschl. v. 11.12.2017 – 2 Ausl. 147/17 – Auslieferung aus Deutschland in die Türkei zur Strafverfolgung – und um den KG, Beschl. v. 21.12.2017 – (4) 151 AuslA 77/16 (107/16) – Auslieferung an die Türkei zur Strafvollstreckung.

Beider Gerichte sagen: Die Auslieferung in die Türkei ist nicht grundsätzlich unzulässig.

Dazu aus dem Beschluss des OLG Hamm:

Der Senat ist – in Übereinstimmung mit dem Oberlandesgericht Köln (vgl. Beschluss vom 01.02.2017, Az. 6 Ausl A 70/16 – 58), dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main (vgl. Beschluss vom 12.05.2017, Az. 2 Ausl A 76/15), dem Kammergericht Berlin (vgl. Beschluss vom 17.01.2017, Az. (4) 151 AuslA 11/16 (10/17)) und dem Oberlandesgericht München (vgl. Beschluss vom 16.08.2016, Az. 1 AR 252/16) – auch nicht der Auffassung, dass die Auslieferung eines Verfolgten aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zur Strafverfolgung oder Strafvollstreckung derzeit generell unzulässig ist (Beschlüsse des Senats vom 12.06.2017, Az. Az. III – 2 Ausl. 94/17, und vom 08.06.2017, Az. III – 2 Ausl. 133/16).

Die aktuellen politischen und sozialen Umstände und Entwicklungen in der Türkei seit der Verhängung des Ausnahmezustandes im Juli 2016 und deren Auswirkungen auf die Rechtsstaatlichkeit und die Haftbedingungen dort können zwar insbesondere im Hinblick auf die Haftbedingungen ein Auslieferungshindernis im Sinne des § 73 IRG begründen, ein diesbezügliches mögliches Auslieferungshindernis kann jedoch aus Sicht des Senats dadurch ausgeräumt werden, dass die türkischen Behörden eine völkerrechtlich verbindliche Zusicherung in Bezug auf das in Rede stehende Auslieferungshindernis abgeben. Im Auslieferungsverkehr zwischen Deutschland und anderen Staaten ist dem ersuchenden Staat im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes grundsätzlich Vertrauen entgegenzubringen (BVerfG, Beschluss vom 09.03.2016, Az. 2 BvR 348/16; Beschluss vom 15.12.2015, Az. 2 BvR 2735/14; Beschluss vom 05.11.2003, Az. 2 BvR 1243/03), wobei die von einem ersuchenden Staat im Auslieferungsverkehr abgegebenen völkerrechtlich verbindlichen Zusicherungen aufgrund des gegenseitigen Vertrauens grundsätzlich auch geeignet sind, etwaige Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Auslieferung auszuräumen, sofern nicht im Einzelfall zu erwarten ist, dass die Zusicherung nicht eingehalten wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.03.2016, Az. 2 BvR 348/16; Beschluss vom 09.04.2015, Az. 2 BvR 221/15; Beschluss vom 01.12.2003, Az. 2 BvR 879/03; Beschluss vom 23.02.1983, Az. 1 BvR 1019/82).

Aufgrund des Schreibens des Bundesamtes für Justiz vom 24.02.2017 über die Auswirkungen des Ausnahmezustandes in der Türkei auf die Rechtsstaatlichkeit und die dortigen Haftbedingungen, wonach die von den türkischen Behörden abgegebenen Zusicherungen nach dem derzeitigen Kenntnisstand belastbar seien und bei Bedarf auch überprüft werden können, sieht der Senat derzeit auch weiterhin keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass die von den türkischen Behörden im abgegebenen Zusicherungen auch tatsächlich beachtet und eingehalten werden sowie bei Bedarf auch überprüft werden können.

Im vorliegenden Fall stehen der Auslieferung des Verfolgten in die Türkei wegen der aktuellen politischen und sozialen Umstände und Entwicklungen in der Türkei seit der Verhängung des Ausnahmezustandes im Juli 2016 und deren Auswirkungen auf die Rechtsstaatlichkeit und die Haftbedingungen aber Auslieferungshindernisse im Sinne des § 73 IRG entgegen………..“

Und vom KG-Beschluss die Leitsätze:

  1. Die Auslieferung an die Türkei (jedenfalls) zum Zwecke der Strafvollstreckung der wegen einer Straftat der Allgemeinkriminalität verhängten Strafe ist in der Regel zulässig, wenn die Türkei völkerrechtlich verbindlich zusichert, dass der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung während der Strafhaft in einer Haftanstalt untergebracht wird, deren Bedingungen Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen – Empfehlung des Europarates REC(2006)2 – entsprechen, dass er keiner Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK unterworfen wird und dass der zuständigen deutschen Auslandsvertretung die Möglichkeit eingeräumt wird, den Verfolgten durch einen Mitarbeiter zu besuchen und sich vor Ort über die bestehenden Verhältnisse zu informieren.
  2. An seinen weitergehenden, erstmals im Beschluss vom 17. Januar 2017 – (4) 151 AuslA 11/16 (10/17) – (juris = StraFo 2017, 70 = NJ 2017, 114 = StV 2017, 249 [LS]) formulierten Anforderungen hält der Senat für diesen Fall nicht mehr fest.

Keine Auslieferung in die Türkei, oder: Wenn die Türkei keine Zusicherungen zu den Haftbedingungen gibt….

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Author David Benbennick

In der zweiten KG-Entscheidung, dem KG, Beschl. v. 14.01.2017 – (4) 151 AuslA 11/16 (10/17) –  geht es um die Zulässigkeit der Auslieferung zur Auslieferung zur Strafvollstreckung an die Türkei. Vollstreckt werden soll dort eine Freiheitsstrafe von rund 3 Jahren und sechs Monaten wegen eines versuchten Tötungsdelikts.

Die formellen Voraussetzungen für die Auslieferung haben vorgelegen, das KG hat aber dennoch die Auslieferung abgelehnt:

„2. Der Senat vermag die Voraussetzungen für die Anordnung der Auslieferungshaft (§ 15 Abs. 2 IRG) aber nicht anzunehmen, weil bei derzeitiger Bewertung davon auszugehen ist, dass ein der Auslieferung entgegenstehendes Hindernis nicht ausgeräumt werden wird. Angesichts der politischen und justiziellen Entwicklungen in der Republik Türkei seit der Verhängung des Ausnahmezustands im Juli 2016 und deren Auswirkungen (auch) auf die Haftbedingungen in der Türkei ist anzunehmen, dass der Auslieferung ein Hindernis aus § 73 Satz 1 IRG i.V.m. Art. 3 EMRK endgültig entgegen stehen wird.

Der Senat lässt offen, ob, wie das OLG Schleswig (NStZ 2017, 50) – allerdings im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die Schilderung von Haftbedingungen im türkischen Polizeigewahrsam in einer Mitteilung des Auswärtigen Amtes vom 16. August 2016 – meint, die Auslieferung an die Türkische Republik zurzeit generell als unzulässig anzusehen ist.

Jedenfalls hält er es in Übereinstimmung mit der Auffassung des OLG München (Beschluss vom 16. August 2016 – 1 AR 252/16 – [juris] = NStZ-RR 2016, 323) für erforderlich, dass die türkische Regierung eine völkerrechtlich verbindliche Zusicherung zu den den Verfolgten konkret erwartenden Haftbedingungen und zur Überprüfbarkeit durch deutsche Behördenvertreter mit folgenden Inhalten abgibt:

  • Angabe der – in einer Entfernung von maximal 250 Kilometern zur Deutschen Botschaft oder zu einem Deutschen (General-)Konsulat befindlichen – Haftanstalt (genaue namentliche Bezeichnung der Haftanstalt), in die der Verfolgte nach erfolgter Auslieferung aufgenommen und in der er während der Dauer des Freiheitsentzugs inhaftiert sein wird;
  • Zusicherung, dass die räumliche Unterbringung und die sonstige Gestaltung der Haftbedingungen in dieser Haftanstalt den europäischen Mindeststandards entsprechen und den Häftlingen dort keine unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung im Sinne von Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten droht;
  • Beschreibung der Haftbedingungen in der namentlich benannten Haftanstalt, insbesondere im Hinblick auf: Zahl der Haftplätze, Gesamtzahl der Gefangenen, Anzahl, Größe und Ausstattung der Hafträume (insbesondere auch Angaben zu Fenstern, Frischluftzufuhr und Heizung), Belegung der Hafträume, Ausstattung der Haftanstalt mit sanitären Einrichtungen, Verpflegungsbedingungen, Art und Bedingungen des Zugangs der Häftlinge zu medizinischer Versorgung;
  • Zusicherung, dass Besuche durch diplomatische oder konsularische Vertreter der Bundesrepublik Deutschland beim Verfolgten während der Dauer seiner Inhaftierung – auch unangekündigt – möglich sind.

Der Senat hat in anderen Verfahren die Erfahrung gemacht, dass die türkische Seite ersichtlich nicht bereit zu sein scheint, solche konkreten Erklärungen verbindlich abzugeben, und Besuche von Angehörigen der diplomatischen oder konsularischen Dienste der Bundesrepublik Deutschland zudem von längerfristigen Ankündigungen abhängig macht. Durch eine Nachfrage bei dem Oberlandesgericht München (zum Fortgang der dortigen Sache 1 AR 252/16) ist ihm überdies bekannt geworden, dass das OLG in jenem Verfahren die Zulässigkeit der Auslieferung nicht feststellen konnte, weil die türkischen Behörden – wie im Übrigen auch in allen anderen vergleichbaren Fällen, in denen das OLG in den vergangenen Monaten Entscheidungen zu treffen hatte – keine ausreichenden Zusicherungen abgegeben haben, da sie hierzu offensichtlich nicht bereit sind, sondern vielmehr lediglich allgemein gehaltene Erklärungen zu Haftbedingungen abgegeben und zunehmend offenes Unverständnis gegenüber entsprechenden Anfragen der deutschen Seite gezeigt haben. Auch im hier gegebenen Fall liegt bislang lediglich eine unzureichende allgemein gehaltene Erklärung vor. Dem Senat ist schließlich aus einem anderen bei ihm anhängigen Verfahren bekannt, dass derzeit solche pauschalen Zusicherungen im Rechtshilfeverkehr mit der Türkischen Republik auch im Bewilligungsverfahren vom Bundesamt für Justiz für nicht ausreichend erachtet werden.“

Auslieferung in die Türkei, oder: Da sind wir ganz, ganz vorsichtig…

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Author David Benbennick

Bei der zweiten Auslieferungsentscheidung, die ich heute vorstelle, handelt es sich um den OLG Celle, Beschl. v. 02.06.2017 – 2 AR (Ausl) 44/17. In dem Verfahren ging es um eine Auslieferung in die Türkei, die derzeit ja – vorsichtig ausgedrückt – eine gewisse Brisanz. Und dementsprechend vorsichtig ist das OLG auch, obwohl es sich nach den Beschlussgründen wohl nicht um die Auslieferung wegen eines „politisch motivierten“ Delikts gehandelt hat. Das OLG befürchtet aufgrund der in der Türkei „überfüllten Gefängnis“, dass die „Haftraumbedingungen“ nicht erfüllt sind und lehnt ab. Folgende Leitsätze:e

  1. Die Auslieferung eines Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung oder Strafvollstreckung in die Türkei ist trotz der dortigen aktuellen politischen Lage nicht grundsätzlich unzulässig.
  2. Angesichts der aktuellen politischen Lage in der Türkei nach dem Putschversuch im Juli 2016 kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass die dortigen Haftbedingungen den in Art. 3 EMRK verankerten menschenrechtlichen Mindestanforderungen widersprechen.
  3. Solange im Einzelfall keine völkerrechtlich verbindliche Zusicherung vorliegt, dass die den Verfolgten konkret erwartenden Haftbedingungen den europäischen Mindestanforderungen entsprechen, steht der Auslieferung ein Hindernis nach § 73 S. 1 IRG entgegen (Anschluss an KG Berlin, Beschluss vom 17. Januar 2017, – (4) 151 AuslA 11/16 (10/17)-).
  4. Es ist angesichts der Erfahrungen anderer Gerichte im Auslieferungsverkehr mit der Türkei derzeit nicht zu erwarten, dass dieses Auslieferungshindernis zeitnah ausgeräumt werden kann, weshalb bereits die Anordnung der förmlichen Auslieferungshaft nicht in Betracht kommt, solange eine entsprechende völkerrechtlich verbindliche Zusicherung fehlt (Anschluss an KG Berlin, Beschluss vom 17. Januar 2017, – (4) 151 AuslA 11/16 (10/17)-).

Begründung:

„Der Senat vermag die Voraussetzungen für die Anordnung der Auslieferungshaft derzeit angesichts der aktuellen politischen Lage in der Türkei dennoch nicht anzunehmen. Zwar hält der Senat eine Auslieferung an die türkische Republik anders als das OLG Schleswig (Beschluss vom 22. September 2016 – 1 Ausl (A) 45/15 (41/15) -, juris) nicht für grundsätzlich unzulässig. Jedoch geht der Senat davon aus, dass ein der Auslieferung entgegenstehendes Hindernis derzeit nicht ausgeräumt werden kann (in einem vergleichbaren Fall auch KG, B. v. 17.01.2017, (4) 151 AuslA 11/16 (10/17), juris). Angesichts der aktuellen politischen und justiziellen Entwicklungen in der Türkei seit dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 und der Verhängung des Ausnahmezustandes ist anzunehmen, dass sich aufgrund der aus der Presse und aus Berichten von nichtstaatlichen Organisationen wie A. I. zu entnehmenden massenhaften Inhaftierungen die Haftbedingungen vor Ort jedenfalls teilweise erheblich verschlechtert haben (OLG München, B. v. 16.08.2016, 1 AR 252/16). Auch wenn dem Senat insoweit keine konkreten Zahlen bekannt sind, ist davon auszugehen, dass eine Vielzahl von Personen innerhalb eines kurzen Zeitraumes inhaftiert worden ist und somit jedenfalls erhebliche Bedenken bestehen, ob die vom Europäischen Menschengerichtshof für erforderlich gehaltenen Haftbedingungen tatsächlich in allen Justizvollzugsanstalten der Türkei derzeit eingehalten werden. Aufgrund der zu vermutenden Haftbedingungen vor Ort könnte der Auslieferung daher langfristig ein Hindernis nach § 73 Satz 1 IRG in Verbindung mit Art. 3 EMRK entgegenstehen (KG a. a. O.). Hinzu kommt, dass die Türkei mit Datum vom 21. Juli 2016 gemäß Art. 15 EMRK eine Deklaration beim Europarat hinterlegt hat und auf diese Weise die in der Europäischen Menschenrechtskonvention niedergeschriebenen Rechte eines Beschuldigten weitestgehend außer Kraft gesetzt hat. Zwar darf ein Vertragsstaat auch in diesem Fall nicht von dem in Art. 3 EMRK niedergelegten Verbot der Folter und unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung abweichen. Jedoch kann der Senat angesichts der geschilderten politischen Lage vor Ort derzeit nicht ausschließen, dass die europäischen Mindeststandards für die Haftbedingungen in der Türkei zurzeit immer eingehalten werden können.“