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U-Haft I: Trennung von Jugendlichen und Erwachsenen, oder: Keine faktische Einzelhaft zur Organisation

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Ich starte in die 2. KW. dann mit zwei Haftentscheidungen, und zwar zur Problematik der U-Haft von Jugendlichen. Ich beginne mit dem LG Oldenburg, Beschl. v. 29.11.2022 – 6 Qs 62/22 – zur Frage der Zulässigkeit von „Einzelhaft“ eines Jugendlichen.

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung. In dem ist gegen den 16.jährigen Angeklagten Haftbefehl erlassen worden. Der ist im Rahmen der Vollstreckung des Haftbefehls zur Wahrung des Trennungsgebotes von anderen erwachsenen Untersuchungshäftlingen abgesondert worden. Er hat sich dann über seinen Verteidiger gegen diese „Maßnahme“ gewendet und die Feststellung begehrt, dass sein Einschluss von 23 Stunden täglich rechtswidrig sei. Mit Erfolg:

„Die gemäß § 167 NJVollzG i.V.m. mit § 304 StPO zulässige Beschwerde ist begründet.

Die Kammer hat das Begehren des Beschwerdeführers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit seines Einschlusses über 23 Stunden täglich dahingehend ausgelegt, dass er auch die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner faktischen Einzelhaft durch Aussonderung aufgrund des Trennungsgrundsatzes begehrt.

Das für die Zulässigkeit eines Feststellungsantrags erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse liegt vor. Der Beschwerdeführer befindet sich weiterhin in Untersuchungshaft und sein Strafverfahren wird vor dem Amtsgericht Cloppenburg fortgesetzt, sodass im Falle einer erneuten Vorführung über die JVA Vechta eine mögliche Wiederholung der Absonderung zur Wahrung des Trennungsgrundsatzes droht.

Diese von der Justizvollzuganstalt Vechta vorgenommene Absonderung des Beschwerdeführers zur Einhaltung des Trennungsgrundsatzes, die faktisch der Anordnung der Einzelhaft gegenüber einem Jugendlichen gleichkam, war rechtswidrig.

Eine gerichtliche Anordnung über eine Einzelhaft des Beschwerdeführers nach § 119 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 StPO im Rahmen einer haftgrundbezogenen Beschränkung lag nicht vor, sodass sich vorliegend die Zulässigkeit der Maßnahme nach dem NJVollzG richtet.

Auch die Vorschriften des NJVollzG rechtfertigen die vorgenommene Maßnahme nicht. Die Ausgestaltung der Untersuchungshaft von jungen Gefangenen richtet sich dort nach den § 157 ff. NJVollzG. Gemäß § 158 Abs.1 NJVollzG soll der Vollzug von jungen Untersuchungshaft-Häftlingen erzieherisch gestaltet werden. Der junge Gefangene soll in der Entwicklung von Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie in der Bereitschaft zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Lebensführung in Achtung der Rechte anderer gefördert werden. Nach § 159 NJVollzG gilt für die Unterbringung des jungen Gefangenen § 120 NJVollzG entsprechend mit der Maßgabe, dass eine Unterbringung in einer Wohngruppe, eine gemeinschaftliche Unterbringung während der Arbeitszeit und Freizeit sowie eine gemeinsame Unterbringung während der Ruhezeit ausgeschlossen oder eingeschränkt werden können, wenn es der Zweck der Untersuchungshaft erfordert.

Eine faktische Einzelhaft aus organisatorischen Gründen ist jedoch von Seiten des Gesetzgebers weder normiert worden, noch war diese nach Auffassung der Kammer aus sonstigen Gründen im vorliegenden Fall zulässig.

Nach § 82 i.V.m. § 166 NJvollzG ist Einzelhaft, worunter die unausgesetzte Absonderung eines Gefangenen zu verstehen ist, nur zulässig, wenn dies aus Gründen, die in der Person des Gefangenen liegen, unerlässlich ist. Solche Gründe sind hier jedoch ersichtlich.

Vielmehr fand die Absonderung des Beschwerdeführers über einen längeren Zeitraum zur Gewährung des Trennungsgrundsatzes statt, dessen organisatorische Umsetzung dieser nicht zu vertreten hat. Hierbei ist zu beachten, dass die Einhaltung des Trennungsgrundsatzes gerade dem Schutz von insbesondere jugendlichen Untersuchungshäftlingen dient, die besonders haftempfindlich sind.

Soweit die JVA Vechta in ihrem Schreiben vom 04.11.2022 gegenüber dem Verteidiger des Beschwerdeführers ausführte, dass die Vollzugsbeamten sich speziell um solche Durchgangsgefangenen kümmerten, gerade damit diese nicht „vereinsamen“, ist diese allgemein gehaltene Ausführung nicht geeignet, darzulegen, in welchem Umfang durch welche Personen eine Betreuung des Beschwerdeführers stattfand.

Es kann zudem dahinstehen, ob dies nicht näher konkretisierte „Kümmern“ grundsätzlich ausreichend ist, um die Isolation des Beschwerdeführers durch Absonderung zu durchbrechen, da eine Einzelhaft aus organisatorischen Gründen jedenfalls unzulässig war.

Zudem erfordert aus Sicht der Kammer auch der gesetzlich normierte Erziehungsgedanke der Ausgestaltung der Untersuchungshaft, dass eine gemeinsame Unterbringung von jugendlichen Untersuchungshäftlingen stattfindet. Nur diese ermöglicht neben der täglichen Frei-stunde/Hofgang, dem Gemeinschaftsfernsehen und sonstigen Gemeinschaftsveranstaltungen die gemeinsame Unterhaltung oder Beschäftigung und wirkt den mit der Untersuchungshaft verbundenen psychischen Belastungen junger Inhaftierter entgegen.

Hierbei ist unerheblich, dass der Beschwerdeführer vorliegend die Wahl hatte, sich einer rechtswidrigen faktischen Einzelhaft durch eine Zustimmung zur Ausnahme vom Trennungsgrundsatz zu entziehen. Der Trennungsgrundsatz soll gerade dem Wohl des Jugendlichen dienen und dieser soll nicht durch die Vollstreckung von faktischer Einzelhaft durch Isolierung und Absonderung von anderen Häftlingen dazu gehalten werden, auf dieses günstige und schützende Recht zu verzichten.“

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Cannabiskonsum, oder: Wiederholter Verstoß gegen das Trennungsgebot

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In der zweiten Entscheidung, dem VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 08.07.2021 – 13 S 1800/21 – geht es auch um Cannabis-Konsum und die Entziehung der Fahrerlaubnis.

Grundlage der Entscheidunge ist folgender Sachverhalt:

„Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Aberkennung des Rechts, von seiner kroatischen Fahrerlaubnis im Gebiet der Bundesrepublik Gebrauch zu machen.

Dem Antragsteller wurde erstmals 2014 die Fahrerlaubnis der Klasse B erteilt. Nachdem er am 08.02.2017 unter Cannabiseinfluss ein Kraftfahrzeug geführt hatte – eine bei ihm durchgeführte Blutprobe ergab eine THC-Konzentration von 2,41 ng/ml und eine THC-COOH-Konzentration von 58,5 ng/ml – hörte die Stadt … ihn zu einer beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis an. Der Antragsteller verzichtete daraufhin mit Erklärung vom 03.03.2017 auf seine Fahrerlaubnis.

Am 24.09.2020 wurde dem Antragsteller eine kroatische Fahrerlaubnis der Klasse B erteilt.

Am 04.11.2020 führte der Antragsteller ein Kleinkraftrad. Im Rahmen einer Verkehrskontrolle stellten die Polizeibeamten unter anderem ein deutliches Muskelzittern sowie ein extremes Liedflattern fest. Eine insoweit beim Antragsteller durchgeführte Blutprobe ergab eine THC-Konzentration von 2,3 ng/ml und eine THC-COOH-Konzentration von 39,1 ng/ml.

Mit – dem Antragsteller am 12.02.2021 zugestelltem – Bescheid vom 09.02.2021 entzog das Landratsamt pp. (im Folgenden: Landratsamt) dem Antragsteller nach vorheriger Anhörung seine kroatische Fahrerlaubnis bzw. erkannte ihm das Recht, von dieser im Gebiet der Bundesrepublik Gebrauch zu machen, ab (Ziff. 1 des Bescheids), forderte diesen auf, den Führerschein binnen einer Woche zur Eintragung eines Sperrvermerks vorzulegen (Ziff. 2 des Bescheids), ordnete die sofortige Vollziehbarkeit hinsichtlich Ziff. 1 an (Ziff. 3 des Bescheids) und setzte eine Gebühr von 200,– EUR fest (Ziff. 4 des Bescheids).

Der Antragsteller erhob am 10.03.2021 Widerspruch, über den – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden wurde. Gleichzeitig beantragte er beim Verwaltungsgericht Stuttgart die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Zur Begründung machte er im Wesentlichen geltend: Er sei Cannabispatient und könne zwischen dem medizinisch indizierten Konsum und den Anforderungen des Straßenverkehrs trennen. Soweit bei ihm am 04.11.2020 ein Zittern festgestellt worden sei, beruhe dies auf einer Unterkühlung.

Mit – dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers am 10.05.2021 zugestelltem – Beschluss vom 04.05.2021 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus: Die Aberkennung des Rechts, von der kroatischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, erweise sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig. Der Antragsteller könne sich wohl hinsichtlich der Fahrten am 08.02.2017 und am 04.11.2020 nicht auf das Arzneimittelprivileg berufen. Dies gelte ohne weiteres für die Fahrt am 08.02.2017, da zu diesem Zeitpunkt das Arzneimittelprivileg noch nicht eingeführt gewesen sei. Nichts anderes ergebe sich für die Fahrt am 04.11.2020. Den Ausführungen des Antragstellers und den vorgelegten ärztlichen Attesten lasse sich nicht entnehmen, dass dem nachgewiesenen Konsum im November 2020 tatsächlich Medizinal-Cannabis zugrunde gelegen habe. Weder der verantwortliche Arzt noch der Zeitraum der Verordnung seien hinreichend erkennbar, ebenso wenig auf Grund welcher Erkrankung die Verordnung erfolgt sei. Auch sei zu berücksichtigen, dass der Antragsteller den Ausweis als Cannabispatient nicht bereits bei der Polizeikontrolle oder zu einem sonstigen Zeitpunkt vor Erlass des angegriffenen Bescheids vorgelegt habe. Ausgehend hiervon könne offenbleiben, ob der Antragsteller regelmäßig Cannabis konsumiere. Er habe jedenfalls zweimal gegen das Trennungsgebot verstoßen und sei daher nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen.

Der Antragsteller hat am 25.05.2021 Beschwerde erhoben und macht zur Begründung im Wesentlichen geltend: Bei der Fahrt am 05.11.2020 seien verkehrsbedingte Auffälligkeiten nicht festgestellt worden. Er nehme das Medizinal-Cannabis zuverlässig im Rahmen des medizinischen Behandlungsplans ein und halte sich strikt an die Vorgaben seines Arztes. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts dazu, dass naheliegender Weise zahlreiche cannabisaffine Personen versuchten, durch ärztliche Verschreibungen ihren Gebrauch zu legalisieren, widerspreche der Unschuldsvermutung und diffamiere Cannabispatienten. Der Antragsteller legalisiere keinen missbräuchlichen Konsum, sondern sei auf Medizinal-Cannabis angewiesen. Er sei im Sommer 2020 von pp. über die Trennung hinsichtlich des Konsums von Cannabis und der Teilnahme am Straßenverkehr belehrt worden. Soweit das Verwaltungsgericht nähere Ausführungen zu der ärztlichen Verordnung vermisse, missachte es strafprozessuale Rechte sowie Grundrechte und verkenne die Schweigepflicht des Arztes sowie die Interessen eines Kranken. Überdies könne beim Zeitablauf von mehreren Jahren zwischen zwei selbständigen Konsumeinheiten auch nicht von einem gelegentlichen Konsum ausgegangen werden. Selbst wenn man von gelegentlichem Cannabiskonsum ausgehe, sei davon auszugehen, dass er hinreichend trenne. Die vom Verwaltungsgericht zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts betreffe Erkenntnisse der Grenzwertkommission, die auf Untersuchungen aus dem Jahr 2002 basierten. Zwischenzeitlich gebe es neuere wissenschaftliche Erkenntnisse, insbesondere sei die Entscheidung nicht auf den Gebrauch von medizinischem Cannabis eins zu eins übertragbar. In einem solchen Fall sollte möglicherweise ein medizinisch-psychologisches Gutachten zur Beeinträchtigung in Betracht gezogen werden.“

Das Rechtsmittel hatte Erfolg. Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

  1. Auch ein wiederholter Verstoß gegen das Trennungsgebot genügt für sich genommen regelmäßig nicht, um ohne weitere Sachverhaltsaufklärung von der Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen auszugehen.
  2. Der Konsum von Cannabis fällt nur dann nicht unter Ziff. 9.2 der Anlage 4 zur FeV, wenn dieses ärztlich verordnet und entsprechend der ärztlichen Verordnung eingenommen wird. Dies darzulegen ist Sache des Fahrerlaubnisinhabers.

Fahrerlaubnisentziehung nach Konsum von Cannabis, oder: Erstmaliger Verstoß reicht i.d.R. nicht

entnommen wikimedia.org
By Dundak – Own work

Schon etwas länger hängen in meinem Blogordner die Hinweise auf zwei BVerwG-Entscheidungen. Die hatte ich bislang immer übersehen. Heute ist es dann aber soweit, nachdem dann jetzt auch die Volltexte vorliegen; deren Veröffentlichung dauert beim BVerwG ja immer auch ein wenig.

Bei der ersten Entscheidung handelt es sich um das BVerwG, Urt. v. 11.04.2019 – 3 C 13.17, das für die „Fahrerlaubnis-Praxis“ von Bedeutung ist. Es geht um die Frage, ob schon der erstmalige „Drogenverstoß“ eines gelegentlichen Konsumenten gegen das sog. Trennungsgebot  verstößt und unmittelbar zur Entziehung der Fahrerlaubnis führt. Dazu aus der PM des BVewG:

In den Verfahren beim BVerwG „war bei Verkehrskontrollen jeweils festgestellt worden, dass die Kläger, die gelegentliche Cannabiskonsumenten waren, trotz vorangegangenen Konsums ein Kraftfahrzeug geführt hatten. Aufgrund der ermittelten Konzentration von Tetrahydrocannabinol (THC), dem psychoaktiven Cannabiswirkstoff, im Blutserum von 1 ng/ml oder mehr gingen die Fahrerlaubnisbehörden davon aus, dass die Fahrsicherheit der Kläger beeinträchtigt sein konnte. Daher fehle ihnen nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung wegen fehlender Trennung zwischen dem Cannabiskonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeuges die Fahreignung. Die Fahrerlaubnisbehörden entzogen den Betroffenen deshalb gestützt auf § 11 Abs. 7 FeV ohne die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens die Fahrerlaubnis.

Die hiergegen erhobenen Klagen sind erfolgreich gewesen, soweit der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in der Berufung entschieden hat. Er ist der Auffassung, dass die Fahrerlaubnisbehörde bei einem gelegentlichen Cannabiskonsumenten nach einer erstmaligen, als Ordnungswidrigkeit geahndeten Fahrt mit einem Kraftfahrzeug unter der Wirkung von Cannabis nicht unmittelbar von der Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgehen darf, sondern zur Klärung der damit begründeten Zweifel an der Fahreignung im Ermessenswege über die Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu entscheiden hat. Dagegen hat das Nordrhein-Westfälische Oberverwaltungsgericht in dem bei ihm anhängigen Berufungsverfahren die unmittelbare Entziehung der Fahrerlaubnis für zulässig erachtet.

Das BVerwG hat seine Rechtsprechung aus dem BVerwG, Urt. v. 23.10.2014 – BVerwG 3 C 3.13. Danach trennt (auch) ein gelegentlicher Konsument von Cannabis den Konsum und das Führen eines Kraftfahrzeugs nicht (Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung), wenn bei der Fahrt die Möglichkeit einer cannabisbedingten Beeinträchtigung seiner Fahrsicherheit besteht. Von einer solchen Möglichkeit kann nach wie vor ausgegangen werden, wenn beim Betroffenen im Anschluss an die Fahrt eine THC-Konzentration von 1 ng/ml oder mehr festgestellt wird.

Aber – und das ist/war neu – so der Leitsatz der Entscheidung vom 11.04.2019:

Bei einem gelegentlichen Konsumenten von Cannabis, der erstmals unter einer seine Fahrsicherheit möglicherweise beeinträchtigenden Wirkung von Cannabis ein Kraftfahrzeug geführt hat, darf die Fahrerlaubnisbehörde in der Regel nicht ohne weitere Aufklärung von fehlender Fahreignung ausgehen und ihm unmittelbar die Fahrerlaubnis entziehen. In solchen Fällen hat sie gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV nach pflichtgemäßem Ermessen über die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu entscheiden.

Allein der erstmalige Verstoß gegen das sog. Trennungsgebot rechtfertigt also in der Regel nicht die Annahme, dass sich der Betroffene als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat. Das hatte das BVerwG im o.a. Urteil vom 23.10.2014 noch anders gesehen.

Auch ein einmaliger Verstoß begründet aber Bedenken (nach wie vor) gegen die Fahreignung, denen die Fahrerlaubnisbehörde nachgehen muss. Erforderlich – so das BVerwG – sei eine Prognose, ob der Betroffene auch künftig nicht zwischen einem möglicherweise die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Cannabiskonsum und dem Fahren trennen wird. Um hierfür eine ausreichend abgesicherte Beurteilungsgrundlage zu haben, bedürfer es in der Regel der Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens.

Entziehung der Fahrerlaubnis erst mit 3,0 ng/ml THC im Blutserum?

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Hinweisen möchte ich heute in der Abteilung: „Ein Kessel-Buntes“ zunächst auf zwei verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, und zwar auf das VG Gelsenkirchen, Urt. v. 20.01.2016 – 9 K 4970/15 – und auf den VG Aachen, Beschl. v. 07.03.2016 – 3 L 972/15. In beiden Verfahren ist um die Rechtsmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis wegen fehlender Fahreignung, die mit Cannabis-Konsum begründet worden ist, gestritten worden. Beide Entscheidungen haben die Entziehung der Fahrerlaubnis – zumindest vorläufig – „abgesegnet“, und dabei zur Frage Stellung genommen, ob eine Erhöhung des Grenzwertes angenommen werden kann/muss, ab dem ein Verstoß gegen das sog. Trennungsgebot vorliegt. Beide Entscheidungen lehnen das ab.

Dazu der Leitsatz zum VG Gelsenkirchen, Urt. v. 20.01.2016 – 9 K 4970/15

Und die Leitsätze vom VG Aachen, Beschl. v. 07.03.2016 – 3 L 972/15:

  • Die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen fehlender Fahreignung ist gerechtfertigt, wenn der Betroffene in der Vergangenheit gelegentlich Cannabis konsumiert und zusätzlich unter Einwirkung von Cannabis ein Kraftfahrzeug geführt hat.
  • Eine Fahrt unter Einwirkung von Cannabis ist im Fahrerlaubnisrecht ebenso wie im Ordnungswidrigkeitenrecht weiterhin ab einer THC-Konzentration von 1,0 ng/ml im Blutserum anzunehmen.
  • Der Charakter dieses Grenzwerts als „Risikogrenzwert“ lässt es nicht zu, ihn zu Gunsten des Betroffenen auf 3,0 ng/ml THC im Blutserum anzuheben, wie dies die Grenzwertkommission (Blutalkohol 52, 2015, S. 322) vorgeschlagen hat.

Wir werden zu der Frage dann sicherlich bald was vom OVG Münster hören.