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Bewährung I: Günstige Sozialprognose?, oder: Führt ein Rücktritt zu einem Verwertungsverbot?

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Vor dem Feiertag morgen – zumindest in einigen Bundesländern – dann zunächst noch drei Entscheidungen, die sich mit Bewährungsfragen befassen.

Bei der ersten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 04.04.2019 – 3 StR 64/19. Das LG hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es nicht zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegenstand der Verurteilung ist der Übergriff des Angeklagten auf eine Prostituierte. Von einer Verurteilung wegen des Versuchs der besonders schweren Vergewaltigung und des Totschlags hat es abgesehen, weil der Angeklagte von der weiteren Ausführung dieser Delikte strafbefreiend nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 StGB zurückgetreten sei. Bei der Prüfung, ob die Vollstreckung der auf zwei Jahre zugemessenen Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden konnte, hat das LG aber im Rahmen der Entscheidung über die Sozialprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB zum Nachteil des Angeklagten in die Gesamtwürdigung eingestellt, dass er bereit gewesen sei, „seine sexuellen Bedürfnisse unter Anwendung erheblicher – mit großen Gefahren für das Opfer verbundener – Gewalt zwangsweise durchzusetzen“.

Der BGH beanstandet das in der Revision nicht.

„…Insbesondere ist es hier von Rechts wegen nicht zu beanstanden, dass das Landgericht zu Lasten des Angeklagten Umstände und Motive in die Prognoseentscheidung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB eingestellt hat, die mit der versuchten besonders schweren Vergewaltigung und dem versuchten Totschlag Delikte betreffen, von denen der Angeklagte nach der rechtlichen Würdigung der Strafkammer gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 StGB strafbefreiend zurückgetreten ist.

1. Das Landgericht hat diese Umstände rechtsfehlerfrei für die Beurteilung der nach § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB erforderlichen Erwartung, dass der Angeklagte sich bereits die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen werde, herangezogen, da sie für diese Entscheidung von erheblicher Bedeutung waren.

a) Die Prognose nach § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB hat das Tatgericht auf Grund einer umfassenden Würdigung aller Gesichtspunkte zu treffen, die Rückschlüsse auf ein künftiges Legalverhalten des Angeklagten zulassen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Mai 1992 – 3 StR 149/92, BGHR StGB § 56 Abs. 2 Sozialprognose 1; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 208). Hierzu zählen gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 StGB insbesondere die Persönlichkeit des Angeklagten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind. In diesem Rahmen können die Umstände der Tat zum einen insofern Bedeutung erlangen, als die inneren Beweggründe, die den Täter zu der Tat veranlasst haben, ebenso wie die von ihm bei und mit der Tatverwirklichung verfolgten Ziele Rückschlüsse auf seine Persönlichkeit und damit auf die Gefahr weiterer Straftaten zulassen (vgl. LK/Hubrach, StGB, 12. Aufl., § 56 Rn. 25; Schönke/Schröder/Kinzig, StGB, 30. Aufl., § 56 Rn. 29); zum anderen können auch äußere Umstände wie die Vorbereitung der Tat oder die Art und Weise des Tatablaufs entsprechende Anknüpfungspunkte bieten.

b) Nach diesen Grundsätzen handelt es sich bei dem von der Strafkammer in die Gesamtwürdigung eingestellten Motiv des Angeklagten, mittels der abgeurteilten Tat seine sexuellen Bedürfnisse – gegebenenfalls unter Anwendung erheblicher Gewalt – durchzusetzen, um einen für die Legalprognose relevanten Umstand, da dieses Vorhaben Anlass für die Tatbegehung und insbesondere auch die massive Gewaltanwendung zum Nachteil der Geschädigten war. Aus diesem Beweggrund und dem Tatablauf hat die Strafkammer den möglichen und für die Entscheidung bedeutsamen Schluss gezogen, dass in dem Verhalten des Angeklagten – trotz der freiwilligen Abstandnahme von der weiteren Tatausführung und des Nachtatverhaltens – erhebliche Persönlichkeitsdefizite zum Ausdruck kommen, die mit Blick auf die Unsicherheiten hinsichtlich der Triebstruktur des Angeklagten die Gefahr begründen, er könne in Zukunft in ähnlichen Situationen in gleicher Weise handeln.

2. Das Landgericht war im vorliegenden Fall auch nicht aus rechtlichen Gründen daran gehindert, das Tatmotiv und den Tatablauf sowie die daraus abgeleiteten Erwägungen im Rahmen der Prognoseentscheidung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB zu berücksichtigen. Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass der Angeklagte nach der rechtlichen Würdigung der Strafkammer vom Versuch der besonders schweren Vergewaltigung und des Totschlags nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 StGB strafbefreiend zurückgetreten und ausschließlich wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist.

a) Die Rücktrittsregelung des § 24 StGB vermittelt einen persönlichen Strafaufhebungsgrund (vgl. BGH, Urteil vom 20. April 2016 – 2 StR 320/15, BGHSt 61, 188 Rn. 10; LK/Lilie/Albrecht, StGB, 12. Aufl., § 24 Rn. 50) mit der Folge, dass der wirksam vom Versuch zurückgetretene Täter wegen dieses Versuchs nicht mehr schuldig gesprochen werden darf (vgl. NKStGB/Zaczyk, 5. Aufl., § 24 Rn. 124; SSWStGB/Kudlich/Schuhr, 4. Aufl., § 24 Rn. 78). Um die privilegierende Wirkung des Rücktritts zu sichern, entspricht es zudem sowohl ständiger Rechtsprechung als auch der herrschenden Meinung im Schrifttum, dass in denjenigen Fällen, in denen der Täter zwar vom Versuch einer Straftat strafbefreiend zurückgetreten, jedoch wegen eines zugleich verwirklichten vollendeten Delikts zu bestrafen ist, der auf die versuchte Straftat gerichtete Vorsatz sowie ausschließlich darauf bezogene Umstände für die Strafzumessung bei dem verbliebenen Delikt grundsätzlich nicht herangezogen werden dürfen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 1996 – 3 StR 445/95, BGHSt 42, 43, 44; Beschluss vom 7. April 2010 – 2 StR 51/10, NStZ-RR 2010, 202; LK/Lilie/Albrecht, StGB, 12. Aufl., § 24 Rn. 498; Schönke/Schröder/Eser/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 24 Rn. 114). Durch diese Erstreckung der Rücktrittswirkung soll verhindert werden, dass sich der Tatbestand, den man mit der Privilegierung der Straffreiheit bedacht hat, über die Höhe der übriggebliebenen Gesetzesverletzung, sozusagen „durch die Hintertür“, wieder einschleichen und im Ergebnis auswirken kann (Dallinger, MDR 1966, 726).

Ein darüber hinausgehendes allgemeines Verwertungsverbot, das die Berücksichtigung sämtlicher Umstände des vom Rücktritt erfassten Strafvorwurfs hinsichtlich der verbleibenden Delikte sperren würde, ist der Vorschrift des § 24 Abs. 1 StGB indes nicht zu entnehmen. Insoweit unterscheidet sie sich etwa von der Regelung des § 51 BZRG, der zufolge getilgte oder tilgungsreife Eintragungen im Bundeszentralregister dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil – etwa im Rahmen einer Prognoseentscheidung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB (vgl. hierzu BeckOK StPO/ Bücherl, § 51 BZRG Rn. 27) – verwendet werden dürfen (BGH, Urteil vom 14. Februar 1996 – 3 StR 445/95, BGHSt 42, 43, 45).

Demgemäß ist es von Rechts wegen nicht zu beanstanden, wenn in die Zumessung der wegen des verbliebenen vollendeten Delikts zu verhängenden Strafe jedenfalls diejenigen äußeren Umstände eingestellt werden, die sich auf das Tatgeschehen insgesamt beziehen und den Unrechts- und Schuldgehalt sowohl des vom Rücktritt erfassten als auch des verbliebenen vollendeten Delikts charakterisieren (vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 1996 – 3 StR 445/95, BGHSt 42, 43, 44; Beschluss vom 25. Juli 2002 – 3 StR 41/02, NStZ 2003, 143, 144; die Berücksichtigung der inneren Tatumstände ablehnend BGH, Beschluss vom 7. April 2010 – 2 StR 51/10, NStZ-RR 2010, 202 mwN; dagegen ausdrücklich offen gelassen in BGH, Beschluss vom 25. Juli 2002 – 3 StR 41/02, NStZ 2003, 143, 144).

b) Bei sachgerechter Übertragung dieser Maßgaben auf die hiesige Fallgestaltung begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, auch bei der Prognosebildung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB jedenfalls diejenigen Umstände zu berücksichtigen, die sowohl das vom Rücktritt vom Versuch erfasste als auch das verbliebene vollendete Delikt betreffen, wenn und soweit sie Rückschlüsse auf die Wahrscheinlichkeit eines künftigen Legalverhaltens des Angeklagten zulassen. In diesem Rahmen können neben den äußeren auch innere Tatumstände, namentlich die Motive und Ziele des Täters, herangezogen werden.

Voraussetzung für die tragfähige Beurteilung der Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten ist eine vollständige und belastbare Entscheidungsgrundlage, die das Tatgericht durch die umfassende und bestmögliche Aufklärung aller für die Prognosebildung relevanten Umstände herzustellen hat (vgl. Schönke/Schröder/Kinzig, StGB, 30. Aufl., § 56 Rn. 24; für die Vorschrift des § 57a StGB vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 1992 – 2 BvR 1041/88 u.a., BVerfGE 86, 288, 326 f.). Nur so kann den prognostischen Unwägbarkeiten Rechnung getragen werden, die sich aus dem weit gefassten Begriff der künftigen Straffreiheit, der alle Arten von Straftaten unabhängig von ihrer Schwere einschließt (vgl. LK/Hubrach, StGB, 12. Aufl., § 56 Rn. 15) und nicht auf die Bewährungszeit beschränkt ist (vgl. BGH, Urteil vom 7. Januar 1992 – 1 StR 599/91, BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 22), ergeben. Dies gilt umso mehr, als der Grundsatz „in dubio pro reo“ hier nicht eingreift und das erkennende Gericht zu einer positiven Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit gelangen muss (vgl. BayObLG, Urteil vom 29. Februar 1988 – RReg. 5 St 17/88, BayObLGSt 1988, 32, 34; LK/Hubrach, StGB, 12. Aufl., § 56 Rn. 12).

Die Handlungsmotive und Beweggründe, die den Angeklagten zu der Tat veranlasst haben, bilden dabei als „psychische Wurzel der Tat“ regelmäßig einen wesentlichen Bestandteil der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Mai 1992 – 3 StR 149/92, BGHR StGB § 56 Abs. 2 Sozialprognose 1). Ihr besonderes Gewicht beziehen sie daraus, dass sie im Unterschied zu anderen Prognosekriterien – wie etwa den Lebensverhältnissen des Angeklagten – an ein konkretes strafrechtlich relevantes Handeln des Angeklagten anknüpfen und jedenfalls für diesen Fall Aufschluss darüber geben können, aus welchen Gründen und unter welchen Umständen er sich zu einem strafbaren Verhalten hat verleiten lassen (vgl. für die Strafzumessung Dreher, MDR 1965, 839, 840). Dies kann Anknüpfungspunkte für die Wahrscheinlichkeit weiterer Straftaten in der Zukunft bieten. So wird die Gefahr etwa geringer zu bewerten sein, wenn es sich bei der Tat um eine einmalige Entgleisung handelte, als wenn der Täter eine zielgerichtete Beeinträchtigung fremder Rechtsgüter unter Ausnutzung einer Gelegenheit verfolgte, die sich jederzeit wieder ergeben kann (vgl. MüKoStGB/Groß, 3. Aufl., § 56 Rn. 32; SSWStGB/Claus, 4. Aufl., § 56 Rn. 18).

Vor diesem Hintergrund sind auch diejenigen Beweggründe des Angeklagten in die Prognoseentscheidung einzubeziehen, die die Verwirklichung sowohl des vom Rücktritt umfassten als auch des verbliebenen vollendeten Delikts betreffen. Blieben diese Umstände in solchen Fällen ausgeklammert und der Blick auf die Motive beschränkt, die ausschließlich das vollendete Delikt betreffen, würde – ungeachtet der Frage, ob eine trennscharfe Aufspaltung der Motive überhaupt möglich ist (vgl. für die Strafzumessung Dallinger, MDR 1966, 726) – die für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit maßgebliche Tatsachengrundlage um einen wesentlichen Aspekt verkürzt. Besonders deutlich wird dies in der – auch hier vorliegenden – Fallkonstellation, in der ausschließlich Beweggründe vorliegen, die beide Delikte gleichermaßen tragen. Hier hätte das Ausblenden der subjektiven Tatsachen nämlich zur Folge, dass eine „gewissermaßen motivlose, im luftleeren Raum schwebende Straftat“ zurückbliebe (vgl. für die Strafzumessung BGH, Beschluss vom 25. Juli 2002 – 3 StR 41/02, NStZ 2003, 143, 144 unter Verweis auf Dallinger, MDR 1966, 726). Damit wäre der Prognoseentscheidung ein wesentlicher tatsächlicher Umstand gänzlich entzogen.“

Pkw mit Schummelsoftware geht zurück, oder: Die Luft wird dünner

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Und die zweite Entscheidung im „Kessel Buntes“ ist mal wieder eine zum Abgasskandal und der Frage des Rücktritts vom Kaufvertrag. Dazu hat das OLG Köln im OLG Köln, Beschl. v. 28.05.2018 – 27 U 13/17 – Stellung genommen. Fazit: Der Händler muss den Pkw mit der Schummelsoftware zurücknehmen.

Die Aussagen der Entscheidung kann man m.E. in folgenden Leitsätzen zusammenfassen:

1. Allein die Verwendung einer Software, die den Betrieb des Fahrzeugs auf einem Prüfstand erkennt und dort in einen Betriebsmodus mit geringen Stickoxid-Emissionen umschaltet, stellt einen Mangel dar, da der Käufer ein rechtmäßiges und redliches Verhalten des Herstellers erwarten dürfe.

2. Eine angemessene Frist zur Nacherfüllung (§ 323 Abs. 1 BGB) ist eine solche von nicht mehr als sieben Wochen.

3. Dass der Mangel nicht unerheblich im Sinne von § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB gewesen ist, folgt daraus, dass zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung das Software-Update weder vom Kraftfahrt-Bundesamt genehmigt war noch zur Verfügung stand.

Die Luft wird dünner….

„Pass auf oder ich knüppel dich nieder!“, oder: Versuchte Nötigung, aber Rücktritt

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Mit der zweiten Entscheidung des heutigen Tages bleibe ich im Norden, gehe aber zum OLG Celle und dem OLG Celle, Beschl. v. 08.06.2017 – 2 Ss 25/17. Zur Entscheidung stand folgender Sachverhalt an:

„Der Angeklagte wollte sich am 1. August 2015 an einer Demonstration von Neonazis in B. N., dem so genannten „Trauermarsch“ zum „W.“, beteiligen. Weil der Bahnverkehr in Richtung B. N. ab dem Bahnhof H. eingestellt war, mussten die Versammlungsteilnehmer etwa 45 Minuten zu Fuß von H. nach B. N. laufen. Der Angeklagte beteiligte sich an diesem in der Zeit zwischen 13.00 Uhr und 13.45 Uhr stattfindenden Fußmarsch, der von der Polizei begleitet und über Nebenstraßen geleitet wurde. Aus Sicherheitsgründen wurden die Teilnehmer dieses Demonstrationszuges von den diesen begleitenden Polizeibeamten angehalten, am rechten Fahrbahnrand zu laufen, denn die Straßen, über die sich die Demonstranten in Richtung B. N. bewegten, waren nicht abgesperrt. Der Angeklagte ging innerhalb des Zuges der Veranstaltungsteilnehmer an der Spitze des Marsches. Dabei trug er eine etwa einen Meter lange und etwa fünf Zentimeter dicke Fahnenstange bei sich. Neben dem Angeklagten ging der Polizeibeamte K.

Der Angeklagte ging während des Fußmarsches – entgegen der polizeilichen Anweisung – wiederholt mitten auf der Straße. Der Polizeibeamte K. forderte ihn deshalb mehrfach auf, sich zurück an den rechten Fahrbahnrand zu begeben und in den Zug der Veranstaltungsteilnehmer einzuscheren. Der Angeklagte widersetzte sich diesen Aufforderungen wiederholt. Der Polizeibeamte K. wandte deshalb letztlich einfache körperliche Gewalt gegen den Angeklagten an, indem er diesen leicht am linken Arm schob und so an den rechten Fahrbahnrand zurückführte.

Der Angeklagte reagierte auf die Aufforderungen und das leichte Schieben des Polizeibeamten K., indem er anschließend zu diesem sagte: „Pass auf oder ich knüppel dich nieder!“

Der Angeklagte tätigte diese Äußerung gegenüber dem Polizeibeamten K., damit dieser es unterlassen sollte, ihn ein weiteres Mal an die rechte Fahrbahnseite und in den Demonstrationszug zu verweisen. Der Polizeibeamte K. nahm die Drohung ernst, und zwar insbesondere angesichts der Fahnenstange, die der Angeklagte mit sich führte.

In der Folgezeit versuchte der Angeklagte indes nicht mehr, in der Mitte der Straße zu gehen.“

Das AG hatte den Angeklagten wegen versuchter Nötigung gemäß §§ 240 Abs. 1 und Abs. 3, 22, 23 StGB verurteilt. Seine Berufung hatte beim LG keinen Erfolg. Das OLG hat aufgehoben und frei gesprochen und sagt/meint: zwar versuchte Nötigung, aber strafbefreiender Rücktritt.

„…..b) Von dieser versuchten Nötigung ist der Angeklagte ausweislich der vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen indes strafbefreiend nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB zurückgetreten.

aa) Die versuchte Nötigung war nicht fehlgeschlagen. Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn aus der Sicht des Täters zum Zeitpunkt unmittelbar nach Ende der letzten Ausführungshandlung der angestrebte Taterfolg mit den bereits eingesetzten oder zur Hand liegenden Mitteln nicht ohne Ingangsetzen einer völlig neuen Handlungs- und Kausalkette erreicht werden kann (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 27. November 2014, NStZ-RR 2015, 105; Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 24 Rn. 7 m.w.N.). Irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte im Anschluss an seine ausgesprochene Drohung davon ausging, den Nötigungserfolg nicht erreichen zu können, sind nicht ersichtlich. Insbesondere spricht nichts dafür, dass der Angeklagte angenommen haben könnte, der Polizeibeamte K. habe seine Drohung nicht ernst genommen und werde ihn auf jeden Fall ungeachtet der Drohung erneut an den Straßenrand verweisen und gegebenenfalls mit Gewalt dorthin zurückdrängen, sollte er erneut in die Mitte der Straße treten. Zwar hat das Landgericht in seinen Urteilsfeststellungen ausgeführt, der Polizeibeamte K. habe nach der vom Angeklagten ausgesprochenen Drohung seinen Einsatzleiter über diese verständigt und sei nicht mehr auf gleicher Höhe wie der Angeklagte gelaufen, sondern sei an der Spitze des Zuges gegangen. Im Hinblick darauf, dass nach den getroffenen Feststellungen auch der Angeklagte an der Spitze des Demonstrationszuges ging, gibt es jedoch keinen Anhaltspunkt für die Annahme, der Angeklagte könne im Hinblick darauf, dass sich der Polizeibeamte K. nicht mehr direkt neben ihm aufhielt, geglaubt haben, dieser werde ein erneutes Heraustreten des Angeklagten auf die Mitte der Straße nicht bemerken oder sonst aus anderen Gründen als wegen der ausgesprochenen Drohung nunmehr davon absehen, erneut auf den Angeklagten einzuwirken, so dass seine Drohung den beabsichtigten Nötigungserfolgt nicht mehr hätte bewirken können.

bb) Der Versuch war vorliegend unbeendet. Unbeendet ist ein Versuch, wenn der Täter im Anschluss an die letzte Ausführungshandlung (sogenannter Rücktrittshorizont) glaubt, zur Vollendung des Tatbestandes bedürfe es noch weiteren Handelns (BGH, Beschluss vom 27. November 2014, NStZ-RR 2015, 105; Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 24 Rn. 14). Der Angeklagte wusste nach dem Ausspruch seiner Drohung jedoch zweifelsohne, dass der beabsichtigte Nötigungserfolg – das Unterbleiben eines erneuten Einschreitens des Polizeibeamten – nur würde eintreten können, wenn er – der Angeklagte – erneut aus dem Demonstrationszug heraus in die Mitte der Straße treten würde. Ohne weiteres Zutun des Angeklagten konnte mithin der Taterfolg – wie dem Angeklagten aufgrund der Gesamtsituation ohne Zweifel klar war – nicht eintreten.

cc) Von diesem nicht fehlgeschlagenen, aber unbeendeten Versuch ist der Angeklagte zurückgetreten, indem er im weiteren Verlauf der Ereignisse aus eigenem Antrieb und damit freiwillig davon Abstand nahm, erneut aus dem Demonstrationszug herauszutreten und sich auf die Mitte der Straße zu begeben. Denn dadurch hat er eine Handlung nicht vorgenommen, die erforderlich gewesen wäre, damit der Nötigungserfolg hätte eintreten können. Zum Rücktritt vom unbeendeten Versuch genügt es in aller Regel – und auch hier –, wenn der Täter untätig bleibt (BGH, Beschluss vom 27. November 2014, NStZ-RR 2015, 105; Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 24 Rn. 26).“

Gebrauchtwagenkauf, oder: Wenn der private PKW-Verkäufer dem Händler falsche Zusicherungen macht

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By Greg Gjerdingen from Willmar, USA – 12 Nissan Juke SV AWD, CC BY 2.0,

Und dann heute noch eine Entscheidung aus dem (Pkw)Kaufrecht. Es ist dann auch noch einmal das OLG Hamm, das im OLG Hamm, Urt. v. 16.05.2017 – 28 U 101/16 – zu den Rücktrittsvoraussetzungen beim Verkauf eines verunfallten Fahrzeugs Stellung genommen hat.

Grundlage war folgender Sachverhalt: Die Klägerin betreibt einen Kraftfahrzeughandel. Sie hat von der Beklagten, einer Privatperson, für 10.660 € ein Gebrauchtfahrzeug vom Typ Nissan Juke erworben. In dem schriftlichen Kaufvertrag vereinbarten die Parteien, dass das Fahrzeug unfallfrei sei und keine Nachlackierung habe. Der Klägerin war bekannt, dass die Beklagte nicht die Ersthalterin des Fahrzeugs war. Zudem hatte die Klägerin vor Vertragsschluss Gelegenheit, das Fahrzeug in ihrer Werkstatt auf Vorschäden und sonstige Mängel zu untersuchen. Nach Abwicklung des Kaufvertrages erklärte die Klägerin den Rücktritt vom Vertrag mit der Begründung, bei dem verkauften Nissan Juke handele sich um einen Unfallwagen, der zudem nachlackiert worden sei. Sie verlangt die Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe des verkauften Fahrzeugs. Das LG hat die Klage abgewiesen, das OLG hat ihr auf die Berufung hin – nach Durchfürhung einer Beweisaufnahme – stattgegeben. Das OLG meint u.a.

c) Das von der Beklagten verkaufte Fahrzeug entspricht nicht der vereinbarten Beschaffenheit und ist deshalb mangelhaft im Sinne des § 434 Abs. 1 S. 1 BGB.

aa) Welche Beschaffenheit der Kaufsache die Parteien vereinbart haben, ergibt sich aus der am 16.02.2015 bei Abholung des Fahrzeugs unterzeichneten Kaufvertragsurkunde. Danach sollte das Fahrzeug unfallfrei sein und keine Nachlackierungen haben; angegeben war eine Beschädigung an der Tür vorn links in Form eines winzigen, kaum bemerkbaren Kratzers.

Entgegen der Einschätzung des Landgerichts ist diese einvernehmliche Fahrzeugbeschreibung zwar nicht als Garantie im Sinne des § 444 BGB auszulegen – diese vom Landgericht in den Vordergrund gestellte Überlegung erscheint fernliegend -, jedoch als „einfache“ Beschaffenheitsvereinbarung i.S. des § 434 Abs. 1 S. 1 BGB.

Enthält ein Kaufvertrag die uneingeschränkte Angabe, das verkaufte Fahrzeug sei unfallfrei, bringen die Parteien damit zum Ausdruck, dass sie einverständlich davon ausgehen, das Fahrzeug habe bis dahin keinen Unfallschaden erlitten, der über eine bloße Bagatellbeschädigung hinausgegangen ist. Mit der Angabe fehlender Nachlackierungen legen sie das Vorhandensein der Originallackierung als geschuldete Fahrzeugbeschaffenheit fest.

Im konkreten Fall ist nichts anderes anzunehmen.

Das gilt auch unter Berücksichtigung dessen, dass die klagende Käuferin Autohändlerin und die beklagte Verkäuferin Privatperson ist, dass die Beklagte – der Klägerin bekannt – nicht die Ersthalterin des Fahrzeugs war und die Klägerin vor Unterzeichnung des Kaufvertrags vom 16.02.2015 die Möglichkeit hatte, das Fahrzeug auf (Unfall-)Vorschäden, Nachlackierungen und sonstige Mängel zu untersuchen.

Die Aufnahme der Angaben zur Unfallfreiheit wie zu den fehlenden Nachlackierungen in den Vertrag belegt, dass u.a. diese Punkte für die Kaufentscheidung der Käuferin wichtig waren, sie also ansonsten den Vertrag nicht zu dem Preis bzw. zu diesen Konditionen abgeschlossen hätte. Das Interesse der Käuferin an der Unfall- und sonstigen Schadensfreiheit bestand – für die Gegenseite ersichtlich – im Hinblick auf die gesamte Lebenszeit des Fahrzeugs und nicht nur beschränkt auf die Besitzzeit der Verkäuferin. Und es bestand erkennbar auch unabhängig davon, ob bzw. inwieweit die private Verkäuferin in der Lage war, die Unfall- / Nachlackierungsfreiheit aus eigener Kenntnis zu beurteilen oder z.B. durch Nachfragen beim Vorbesitzer oder eigene Fahrzeuguntersuchungen in Erfahrung zu bringen.

Dass die Klägerin Wert darauf legte, vor Unterzeichnung des schriftlichen Kaufvertrags das Fahrzeug selbst zu untersuchen, bedeutete nicht, dass sie damit das Risiko übernehmen wollte, dass das Fahrzeug nicht den vorbezeichneten Angaben entsprach. Vielmehr ergab sich nicht zuletzt aus der zum Vertragsgegenstand erhobenen Email vom 11.02.2015 deutlich, dass die Klägerin diese Untersuchung nur im eigenen Interesse zur Vermeidung späterer Streitereien vornehmen wollte, aber nicht, um dadurch die Beklagte zu entlasten bzw. aus der Gewähr zu entlassen.

Die Beklagte brachte ihrerseits durch die Vertragsunterzeichnung zum Ausdruck, dass sie mit der Käufererwartung der Unfall-/Nachlackierungsfreiheit konform ging, also die betreffenden Beschaffenheitsmerkmale als maßgeblich für den Vertragsschluss akzeptierte. Eine Einschränkung dahin, dass sie hierfür nicht einstehen wollte, soweit es um Geschehnisse aus der Zeit vor ihrem Fahrzeugbesitz geht, findet sich im Vertrag nicht.

Die Beklagte wendet auch ohne Erfolg ein, dass die Eingabemaske von *Internetadresse* nicht vorsehe, die entsprechenden Angaben als bloße Wissensmitteilungen zu formulieren. Abgesehen davon, dass individuelle Angaben doch möglich waren – wie der Hinweis auf die Beschädigung in Form eines Kratzers belegt, – hätte die Einschränkung jedenfalls im schriftlichen Vertrag erfolgen können, was aber nicht geschehen ist.

bb) Wie die Beweisaufnahme des Senats ergeben hat, war das verkaufte Fahrzeug bei Übergabe nicht unfall- und nachlackierungsfrei…..“

Alles in allem: „Gebrauchtwagenkauf verkehrt“, denn normalerweise geht es beim Gebrauchtwagenkauf ja meist um falsche Zusicherungen des Händlers.

Achtung/Wichtig beim Gebrauchtwagenkauf: Mangel oder Verschleiß?

Mit der beim Gebrauchtwagenkauf wichtigen Frage: Mangel oder Verschleiß?, hat sich vor kurzem das OLG Hamm, Urt. v. 11.05.2017 – 28 U 89/16 – befasst. Der Kläger hatte im November 2013 beim beklagten Autohändler einen gebrauchten Skoda Octavia RS Combi 2.0 TDI für 8.950 € erworben. Das erstmals im Juni 2007 zugelassene Fahrzeug hatte einen Kilometerstand von ca. 181.000 km. Nach der Fahrzeugübergabe rügte der Kläger Mängel, u.a. schlechtes Anspringen des Motors, Ruckeln beim Fahren, laute Motorgeräusche und eine sich plötzlich erhöhende Motordrehzahl. Es kam zu Instandsetzungsarbeiten, auch durch die Beklagte, die der Kläger allerdings für unzureichend hielt. Deswegen erklärte er im Mai 2014 den Rücktritt vom Kaufvertrag. Dem trat die Beklagte entgegen und verwies darauf, dass die vom Kläger beanstandete Symptomatik auf einem üblichen Verschleiß des Fahrzeugs beruhe und nicht als Mangel zu bewerten sei.

Es hat dann ein Verfahren beim LG Hagen stattgefunden. In dem kam ein Kfz-Sachverständiger zu dem Ergebnis, dass die vom Kläger behauptete Mangelsymptomatik auf einen verstopften Rußpartikelfilter zurückzuführen sei. Dieses hat das LG als übliche Verschleißerscheinung angesehen und die Klage abgewiesen.

Anders die auf die Berufung des Klägers ergangene OLG-Entscheidung. Das OLg hat nämlich nNach weiterer Beweisaufnahme mit erneuter Anhörung des Sachverständigen h der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Fahrzeugs verurteilt. Nach seiner Auffassung war der Vertragsrücktritt berechtigt, weil das verkaufte Fahrzeug bei der Übergabe einen Sachmangel aufgewiesen und sich nicht in einem altersgemäßen Zustand vergleichbarer Gebrauchtfahrzeuge befunden habe:

„Der Käufer eines sechs Jahre alten Fahrzeugs mit einer Laufleistung von 181.000 km muss zwar grundsätzlich einen altersüblichen Verschleißzustand hinnehmen. Dazu mag bei Dieselfahrzeugen auch die im Laufe des Fahrbetriebs zunehmende Verstopfung des Rußpartikelfilters zählen.

Im Streitfall wies der von der Beklagten verkaufte Škoda aber nach den Feststellungen des Kfz-Sachverständigen C zwei technische Defekte auf:

Zum einen war der Drucksensor des Partikelfilters nicht funktionstüchtig, so dass eine Überfüllung des Partikelfilters nicht angezeigt werden konnte. Und zum anderen konnte der Sachverständige anhand der starken Verkokung des Saugrohres feststellen, dass der streitgegenständliche Škoda Octavia TDI von einem für diese Modellreihe typischen Bauteilfehler an den Pumpe-Düsen-Elementen betroffen war. Dieser werkseitige Fehler führte zu einer Überfettung des Brennstoffgemischs und damit zu einer Verkokung, die wiederum eine übermäßige Füllung des Partikelfilters mit Ruß zur Folge hatte.

Aufgrund dieser beiden technischen Defekte blieb der vom Kläger erworbene Škoda negativ hinter der üblichen Beschaffenheit vergleichbarer Gebrauchtfahrzeuge zurück. Zugleich lagerte sich aufgrund der defekten Pumpe-Düse-Injektoren im Partikelfilter mehr Ruß als üblich ab. Eine solche übermäßige Verschleißanfälligkeit ist ebenfalls als Sachmangel i.S.d. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB anzusehen (Reinking/Eggert Der Autokauf, 13. Aufl. 2017, Rnr. 3027), zumal im Streitfall eine bedenkliche Ruß-ablagerung aufgrund des defekten Sensors nicht angezeigt werden konnte.

Selbst wenn man zugunsten der Beklagten davon ausgehen wollte, dass auch ohne den Defekt an den Pumpe-Düse-Elementen angesichts der Laufleistung von über 180.000 km eine ähnlich starke Verstopfung des Partikelfilters nicht auszuschließen war, würde dies die Beklagte nicht entlasten. Denn der Kläger hat den Škoda im Rahmen eines Verbrauchsgüterkaufs erworben (§ 474 Abs. 1 BGB). Für ihn streitet deshalb die Beweislastregel des § 476 BGB, wonach in den Fällen, in denen sich – wie im Streitfall –innerhalb der ersten sechs Monate nach Fahrzeugübergabe ein Mangel zeigt, zu vermuten ist, dass die gekaufte Sache bereits bei Übergabe mangelhaft war. Diese Vermutung greift nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12.10.2016 (BGH MDR 2016, 1437) auch dann ein, wenn offen bleibt, ob der eingetretene mangelhafte Zustand auf einem dem Verkäufer zuzurechnenden Sachmangel oder auf einem sonstigen Grund beruht. Der Streitfall bietet jedenfalls keinen Anlass, zugunsten der Beklagten von einem positiv geführten Entlastungsbeweis auszugehen. Denn der Sachverständige hat im Gegenteil bei seiner Anhörung vor dem Senat bestätigt, dass seiner Meinung nach der (Ursprungs-) Fehler an dem Pumpe-Düse-System die Ursache der Verstopfung des Rußpartikelfilters gewesen sei.“