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beA II: Owi-Antrag auf gerichtliche Entscheidung, oder: Richtige Rechtsmittelbelehrung?

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Und als zweite Entscheidung dann ein Beschluss des AG Aschersleben, und zwar der AG Aschersleben, Beschl. v. 18.07.2023 – 6 OWi 139/23, noch einmal zur richtigen Rechtsmittelbelehrung.

Es geht um einen Wiedereinsetzungsantrag. Der Betroffene hatte gegen einen Bußgeldbescheid per E-Mail Einspruch eingelegt, der von der Behörde als formwidrig verworfen worden ist. Den dagegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat das AG zurückgewiesen:

„1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unzulässig, denn er ist nicht fristgerecht eingegangen. Nach Zustellung des Verwerfungsbescheides am 06.05.2023 lief die zweiwöchige Frist des § 69 Abs. 1 S. 2 OWiG am 22.05.2023 ab, weil der 20.05.2022 ein Sonnabend war. Der Betroffene stellte erst am 23.05.2023 den Antrag auf gerichtliche Entscheidung, da es auf den Zeitpunkt des Ausdrucks der E-Mail ankommt (BGH NJW 2019, 2096 (2097); OLG Zweibrücken BeckRS 2020, 10324; Thüringer Oberlandesgericht Beschluss vom 10. November 2017 – 1 OLG 145 SsBs 49/16). Anders als für den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eröffnete die Behörde hier keinen zusätzlichen Übertragungsweg.

2. Dem Betroffenen war für diese Fristversäumung keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da die Rechtsmittelbelehrung unter dem Verwerfungsbescheid vom 03.05.2023 – anders als die Rechtsmittelbelehrung unter dem Bußgeldbescheid vom 21.03.2023 (AG Aschersleben Beschl. v. 2.1.2023 – 6 OWi 301/22, BeckRS 2023, 1, beck-online) – richtig ist und der Betroffene keine Gründe für eine unverschuldete Versäumung der Frist geltend gemacht hat.

Die Verwaltungsbehörde war nicht gehalten, in die Rechtsbehelfsbelehrung zusätzlich aufzunehmen, dass auch die elektronische Übersendung nach § 32a Abs. 2, Abs. 3 StPO i.V.m. § 110c OWiG möglich ist. Die Belehrung muss nur enthalten, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zur Niederschrift bei der Verwaltungsbehörde oder schriftlich eingelegt werden muss, §§ 69 Abs. 1 S. 2, 62 Abs. 2 S. 2 OWiG i.V.m. § 306 Abs. 1 StPO. Die Behörde muss nicht darüber belehren, wie diese Schriftform einzuhalten ist. Seit dem 01.01.2022 muss die Verwaltungsbehörde zwar auch den Zugang nach § 32a Abs. 2, Abs. 3 StPO i.V.m. § 110c OWiG eröffnen. Darüberhinausgehende Zugangsmöglichkeiten stehen in ihrem Belieben (BeckOK OWiG/Gertler, 31. Ed. 1.7.2021, OWiG § 67 Rn. 69). Der Wortlaut von § 32a Abs. 3 StPO gestaltet jedoch keine neue Formvorschrift, sondern definiert die Umstände, unter denen ein elektronisches Dokument schriftlich abgefasst ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, erfüllt das Dokument die Schriftform. Es wird gerade keine neue Form geschaffen (was im Einklang mit BGH NJW 2019, 2096 (2097) steht), über die dann zu belehren wäre.

Auch wenn die Arten, Dokumente „schriftlich“ bei den Gerichten und Behörden einzureichen, damit noch unübersichtlicher werden und die „Schriftlichkeit“ kaum noch etwas mit dem gemeinen Wortsinn zu tun hat, ist es Aufgabe des Rechtsbehelfsführers, sich über die konkrete Art der Schriftform selbst zu informieren (BeckOK OWiG/A. Bücherl, 38. Ed. 1.4.2023, OWiG § 50 Rn. 16.1).

Gemessen daran erfüllt die oben dargestellte Rechtsbehelfsbelehrung unter dem Verwerfungsbescheid die Anforderungen der §§ 69 Abs. 1 S. 2, 62 Abs. 2 S. 2 OWiG i.V.m. § 306 Abs. 1 StPO.

Darüberhinausgehende Gründe, die für eine unverschuldete Fristversäumung sprächen, hat der Betroffene nicht dargetan. In seinem Schreiben vom 26.06.2023 wendet er sich inhaltlich im Wesentlichen gegen den Bußgeldbescheid, wenn er ausführt, dass die Geschwindigkeitstafeln keine Geschwindigkeitsbegrenzung angezeigt hätten. Das wäre erst nach zulässigem Einspruch zu prüfen gewesen. Dem Betroffenen ist zwar zuzustimmen, dass wir im Digitalzeitalter leben. Die Grenzen der Digitalisierung werden jedoch durch die Gesetze gezogen. Bei rechtzeitigem und formwirksamen Antrag auf gerichtliche Entscheidung wäre seinem konkludenten Antrag auf Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist auch entsprochen worden, weil die Rechtsbehelfsbelehrung unter dem Bußgeldbescheid wie in AG Aschersleben Beschl. v. 2.1.2023 – 6 OWi 301/22, BeckRS 2023, 1, beck-online dargestellt irreführend ist. Da er jedoch auch gegen den Verwerfungsbescheid nicht formgerecht Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellte und die Rechtsbehelfsbelehrung hier richtig ist, musste ihm der Erfolg versagt werden.

§ 110c OWiG i.V.m. § 32a Abs. 6 StPO ist nicht anzuwenden, weil sich dieser nur auf die Möglichkeit der Bearbeitung des eingereichten Dokuments, nicht jedoch auf die Einreichungsmodalitäten bezieht.“

 

Rechtsstaat heißt auch: „Ausländer dürfen nicht dumm sterben“

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Manche Dinge sind für mich so einfach, dass ich mich frage, warum es eigentlich zur Klärung der Frage der Rechtsprechung eines OLG gebraucht, das dann auch noch Art. 6 MRK bemühen/heranziehen muss. So wird sicherlich auch – hoffentlich – manch anderer denken, der den OLG München, Beschl. v. 18. 11.2013, 4St RR 120/13 – liest. Da war/ist vom LG eine Revision eines Polen gegen ein nach § 329 Abs. 1 StPO ergangenes Verwerfungsurteil  gemäß § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen worden, weil der Angeklagte die Revision nicht rechtzeitig innerhalb der Wochenfrist des § 341 Abs. 1 StPO eingelegt habe. Das LG hatte „angemerkt, dass die nicht vorgenommene Übersetzung des Berufungsurteils vom 11.11.2011 und der dazugehörigen Rechtsmittelbelehrung die Wirksamkeit der Zustellung gemäß § 341 Abs. 2 StPO nicht berührt habe.“

Der Antrag des Angeklagten auf Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 346 Abs. 2 StPO) hat dann aber Erfolg. Hier Auszüge aus der Entscheidung des OLG:

„…Dieses vermeintliche Fristversäumnis des Angeklagten ist jedoch unschädlich, da die Übersetzung des Berufungsurteils und der Rechtsmittelbelehrung in die polnische Sprache für eine wirksame Zustellung des Berufungsurteils und Ingangsetzung der für die Einlegung der Revision maßgeblichen Wochenfrist des § 341 Abs. 1 StPO erforderlich ist…..

Der Angeklagte hat als Ausländer vor einem deutschen Gericht die gleichen prozessualen Grundrechte und den gleichen Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren wie ein deutscher Staatsbürger. Mangelnde Sprachkenntnisse dürfen nicht zu einer Verkürzung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantien führen (BVerfG, Beschluss vom 7.4.1976, NJW 1976, 1021). Dies gebietet bereits der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG und das Verbot der Benachteiligung von Personen aufgrund ihrer Sprache gemäß Art. 3 Abs. 3 GG (BVerfGE 40, 95).

Unter Beachtung dieser den Angeklagten schützenden Rechte hätten das Berufungsurteil des Landgerichts München I vom 11.11.2011 und die dazugehörige Rechtsmittelbelehrung ihm mit Übersetzung in die polnische Sprache zugestellt werden müssen, um den Lauf der Revisionseinlegungsfrist in Gang zu setzen.

1) Nach deutschem Recht gilt gemäß § 184 S. 1 GVG, dass alle schriftlichen Äußerungen des Gerichts in deutscher Sprache abzufassen sind (vgl. Meyer-Goßner StPO 56. Aufl. § 184 GVG Rdn. 3).

 2) Der mit Wirkung vom 6.7.2013 durch Gesetz vom 2.7.2013 (BGBl. I S. 1938) neu gefasste § 187 Abs. 2 GVG, der der Umsetzung der europäischen Richt-linie 2010/64/EU über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzun-gen im Strafverfahren und der Richtlinie 2012/13/EU über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung im Strafverfahren dient, verpflichtet in Satz 1 zur Übersetzung des Berufungsurteils und der Rechtsmittelbelehrung in die polnische Sprache…..

a) Vorliegend waren dem Angeklagten sowohl der Strafbefehl mit Rechtsmittelbelehrung als auch das amtsgerichtliche Urteil mit Rechtsmittelbeleh-rung in polnischer Sprache zugestellt worden, sodass er über die gegen ihn erhobenen Tatvorwürfe und das Verfahren ordnungsgemäß in Kennt-nis gesetzt worden ist.

b) Dies reichte jedoch nicht aus, um den Anspruch des der deutschen Spra-che nicht mächtigen Angeklagten auf eine effektive Verteidigung im gebo-tenen Maß zu erfüllen. Vielmehr ergibt sich gemäß Artikel 3 Abs. 2 der EU-Richtlinie 2010/64/EU eine Verpflichtung zur Übersetzung des landgericht-lichen Urteils, die ihre Grundlage ihrerseits in Art. 6 Abs. 1 MRK findet. Die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten als völkerrechtlicher Vertrag wirkt als einfaches Recht unmittelbar in die Rechtsordnung und hat darüber hinaus insoweit verfassungsrechtliche Bedeutung, als sie die Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes beeinflussen kann (Meyer-Goßner StPO 56. Aufl. Anh. 4 MRK Vorbem Rdn. 3).

 4) Zur Wahrung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantien gemäß Art. 103 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG ist in Beachtung der allgemeinen Garantie eines fairen Verfahrens gemäß Art. 6 Abs. 1 MRK und der in Art. 6 Abs. 3 MRK garantierten Mindestrechte des Angeklagten eine Übersetzung des Berufungsurteils und der Rechtsmittelbelehrung zwingend geboten:…..

b) Zwar lässt sich aus Art. 6 Abs. 3 e) MRK kein Anspruch auf schriftliche Übersetzung jeder Beweisurkunde oder jedes Aktenstücks ableiten (EGMR-E 4, 472 aaO; Frowein/Peukert aaO Rdnr. 316, 317), doch beinhaltet der Anspruch auf ein faires Verfahren und effektiven Rechtsschutz jedenfalls die Bekanntmachung einer in Abwesenheit des Angeklagten ergangenen nicht rechtskräftigen Gerichtsentscheidung mit Übersetzung in eine ihm verständlich Sprache (Meyer-Goßner StPO 56. Aufl. Anh. 4 MRK Art. 6 Rdn. 27), da ihm nur so die Ausschöpfung aller ihm zustehenden Rechtsmittel möglich ist. Dies gilt als Selbstverständlichkeit in gleicher Weise für die entsprechende Rechtsmittelbelehrung.“

Dem kann und muss man m.E. nichts hinzufügen, außer: Gleiches Recht für alle heißt auch: Man muss auch wissen, welche Rechte man hat und wie und wann man sie geltend macht. Auch das ist Rechtsstaat… Oder flapsig:“ Ich darf Ausländer nicht dumm sterben lassen“.