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Rechtsmittel I: Ausbleiben in der Berufungs-HV, oder: Allein OP-Termin keine ausreichende Entschuldigung

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Heute gibt es dann hier drei Entscheidungen „aus der Instanz“ zu Rechtsmittelfragen.

Ich beginne mit dem KG, Beschl. v. 20.02.2024 – 2 ORs 3/24 – zur Verwerfung der Berufung des unentschuldigt ausgebliebenen Angeklagten. Das LG hat die Berufung des Angeklagten am 15.09.2023 nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen. Ausweislich der Urteilsgründe hatte der Angeklagte mit Schreiben vom 31.08.2023 an die Strafkammer mitgeteilt, dass er am Hauptverhandlungstag einen Operationstermin in der Schweiz habe, und um Terminverlegung gebeten. Mit gerichtlichem Schreiben vom 11.09.2023 hatte der Vorsitzende der Berufungsstrafkammer den Angeklagten darauf hingewiesen, dass eine Verlegung nicht in Betracht komme, da nicht dargelegt sei, wann der Termin für die Operation festgelegt worden und ob diese unaufschiebbar sei.

Die Revision des Angeklagten hatte keinen Erfolg:

„b) Die Verfahrensrüge ist aber unbegründet. Der Sachverhalt berechtigte das Landgericht zu der Annahme, der Angeklagte sei unentschuldigt nicht erschienen.

(1) Das Ausbleiben eines Angeklagten in der gerichtlichen Hauptverhandlung ist dann genügend entschuldigt, wenn ihm unter Abwägung aller Umstände des Falles wegen seines Ausbleibens billigerweise kein Vorwurf zu machen ist (vgl. KG, Beschlüsse vom 17. Juni 2021 – [1] 121 Ss 29/21 [13/21] und vom 5. Oktober 2016 – [4] 121 Ss 156/16 [193/16] – mwN). Entscheidend ist dabei nicht, ob der Angeklagte sich genügend entschuldigt hat, sondern ob er genügend entschuldigt ist, wobei eine weite Auslegung zugunsten des Angeklagten geboten ist (vgl. KG, Beschluss vom 4. Juni 2015 – 3 Ws [B] 264/15 – mwN). Ein Krankenhausaufenthalt ist in der Regel kein Entschuldigungsgrund, wenn er aufschiebbar ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 25. Februar 2013 – III-5 Ws 74/13 –; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 329 Rn. 26 mwN). Das gleiche gilt, wenn der Angeklagte eine medizinische Behandlung vornehmen lässt, die sein Erscheinen in der Hauptverhandlung hindert, ohne dass dieser Zeitpunkt der Behandlung medizinisch indiziert gewesen wäre (vgl. KG, Beschlüsse vom 17. Juni 2021 aaO und vom 16. September 2020 – [3] 121 Ss 123/20 [56/20] –). So war es nach den Feststellungen des Landgerichts hier. Der Angeklagte hatte in Kenntnis der ihm am 3. Juli 2023 zugestellten Ladung keine Maßnahmen unternommen, eine Verschiebung seines Operationstermins zu erreichen. Erst mit Schreiben vom 31. August 2023, mithin rund zwei Monate nach Kenntniserlangung vom Termin der Berufungshauptverhandlung, wandte er sich an das Landgericht mit dem Antrag auf Verlegung des Termins.

Weitere Nachforschungen zur Behandlung des Angeklagten musste die Kammer nicht anstellen. Die Nachforschungspflicht des Berufungsgerichts ist nicht grenzenlos, sondern setzt einen schlüssigen Sachvortrag voraus, der geeignet ist, den Angeklagten zu entschuldigen (vgl. KG, Beschluss vom 3. September 2020 – [1] 161 Ss 88/20 [27/20] –). Daran fehlt es hier. Insbesondere hat der Angeklagte nicht vorgetragen, dass seine Operation unaufschiebbar gewesen wäre, so dass die Kammer den Sachverhalt diesbezüglich nicht aufklären musste. Die Unaufschiebbarkeit folgt bei einer Operation an der Hüfte auch nicht zwingend aus der Art der Operation.

(2) Mit dem erst im Rahmen der Revision geltend gemachten Vortrag, der Angeklagte habe erst am 21. September 2023 davon erfahren, dass eine Verlegung des Termins nicht erfolgt sei, sowie dass mehrere aufeinander abgestimmte Operationen – darunter eine „akut notwendige“ Operation am Zeh – angesetzt gewesen seien, so dass eine Verlegung nicht in Betracht gekommen sei, kann der Angeklagte nicht gehört werden. Ob dieser Vortrag zu der Annahme einer genügenden Entschuldigung geführt hätte, kann dahinstehen. Denn das Berufungsgericht kann naturgemäß bei seiner angefochtenen Entscheidung nur solche Tatsachen berücksichtigen, die ihm bekannt geworden sind. Das Revisionsgericht ist an die insoweit festgestellten Tatsachen gebunden und kann sie nicht ergänzen oder gar im Wege des Freibeweises korrigieren (vgl. BGHSt aaO; KG, Beschluss vom 26. Mai 2000 – [5] 1 Ss 121/00 [27/00] – mwN). Denn der Prüfung des Revisionsgerichts unterliegt nur die Frage, ob das Berufungsgericht in der Anwendung von § 329 Abs. 1 StPO fehlerhaft gehandelt hat, insbesondere ob es den Rechtsbegriff der genügenden Entschuldigung verkannt hat oder nicht. Entschuldigungsgründe, die das Gericht nicht gekannt hat und die es unter Ausschöpfung seiner Aufklärungspflicht auch nicht kennen musste, können im Revisionsverfahren keine Berücksichtigung finden (vgl. OLG München, Beschluss vom 10. Oktober 2006 – 4St RR 193/06 –). Ein (rechtzeitiger) schlüssiger Sachvortrag des Angeklagten, der Anlass zu weiteren Nachforschungen der Kammer hätte sein können, ist nicht ersichtlich.“

Na ja. Das kann man auch anders sehen und hätte es ggf. auch anders sehen müssen. Ich räume allerdings ein, dass der Vortrag des Angeklagten „dünn“ war. Aber: Warum schreibt der Vorsitzende erst am 11.09.2023 – also gerade mal vier Tage vor der Berufungs-HV. Und was heißt „unaufschiebbar“? Das KG hat es sich hier m.E. ein wenig leicht gemacht, wenn es sich letztlich auf den Satz zurückzieht: Ein Gerichtstermin hat Vorrang vor allem…..

Ausbleiben in der Berufungshauptverhandlung, oder: Trotz OP-Termin nicht genügend entschuldigt?

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Und dann der Start in die letzte Woche des Jahres 2020 – keine ganze Woche in 2020 mehr, nur noch ein paar Tage, der Rest der Woche – der Kalender spricht von der 53. Woche – gehört dann schon dem neuen Jahr. Also besser: Jetzt ist zwischen den Jahren.

Und ich stelle dann heute zwei Entscheidungen zu § 329 StPO vor, also Verwerfung der Berufung. Ich beginne mit dem KG, Beschl. v. 16.09.2020 – 3 Ss 56/20 – zur Frage der genügenden Entschuldigung. Ich habe mit dem Beschluss meine Probleme, mir geht er zu weit.

Das LG hatte die Berufung des Angeklagten verworfen (§ 329 Abs. 1 StPO). Der hatte sich mit einem OP-Termin entschuldigt. Das hat (auch) das KG nicht ausreichen lassen:

„Der Angeklagte ist der Berufungshauptverhandlung unentschuldigt ferngeblieben, weil er seine Verhandlungsunfähigkeit selbst herbeigeführt hat. Es ist anerkannt, dass eine bewusst selbst herbeigeführte Erkrankung, die zur Verhandlungsunfähigkeit führt, das Ausbleiben grundsätzlich nicht entschuldigen kann (vgl. Gössel in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 329 Rn. 38, auch Rn. 8 m. w. N.; vgl. auch BGHSt 23, 331; BayObLG NStZ-RR 1998, 368; OLG Köln VRS 65, 47). So war es hier: In Kenntnis des am 14. Mai 2020 anstehenden Verhandlungstermins, zu dem er bereits am 27. Februar 2020 geladen worden war, hat der Angeklagte eine Augenoperation vereinbart und kurz vor dem Termin, nämlich am 12. Mai 2020, durchführen lassen, ohne dass dieser Zeitpunkt medizinisch indiziert gewesen wäre.

Dass seine Verhandlungsunfähigkeit allein auf eine (im Übrigen nur pauschal behauptete und nicht näher bezeichnete) „Komplikation“ (RB S. 2) zurückgeht und für ihn daher überraschend kam, wird dadurch infrage gestellt, dass der Angeklagte bereits eine Woche vor dem Verhandlungstermin im Hinblick auf die Operation die Verlegung des Hauptverhandlungstermins beantragt hat.

Sollte der Angeklagte seine Verhandlungsunfähigkeit nicht auf eine (unvorhersehbare) Komplikation, sondern, wie eine andere Formulierung in der Revisionsschrift nahelegt, auf (vorhersehbare) „Besonderheiten der Operation“ stützen wollen (RB S. 2), so ist ihm vorzuwerfen, dass er bei der Bestimmung des Operationstermins nicht nachgefragt hat, ob er zwei Tage danach verhandlungsfähig sein wird und an seiner Berufungshauptverhandlung teilnehmen kann. In diesem Fall wäre er gehalten gewesen, einen anderen Operationstermin in Anspruch zu nehmen.“

Mit geht das zu weit: Warum kann „überraschend“ nicht auch bereits eine Woche vor dem OP-Termin sein? Und muss ich nun wirklich vor der Vereinbarung eines OP-Termins beim Berufungsgericht nachfragen, ob der Termin recht ist? Und wenn ich es nicht tue: Ist das dann vorwerfbar i.S. des § 329 StPO?

Wenn ich solche Entscheidungen lese, frage ich mich immer: Gibt es eigentlich nichts Wichtigeres auf der Welt als die Berufung in einem Betrugsverfahren?

Vom OP-Tisch in die U-Haft?

Vom OP-Tisch in die U-Haft? Nun, ganz so schlimm war es nicht mit dem, was eine kleine Strafkammer des LG Essen angeordnet/verfügt/beschlossen hat. Aber ganz weit davon entfernt ist man nicht, wenn man den OLG Hamm, Beschl. v. 25.02.2013 – III 5 Ws 74/13 – III liest.

Was ist passiert? Der Angeklagte ist wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt worden, wird von dem Vorwurf aber frei gesprochen. Die Staatsanwaltschaft legt Berufung ein. Das LG beraumt HV-Termin auf den 14.02.2013 an, zu dem der Angeklagte ordnungsgemäß geladen wird.  Am 13.02.2013 zeigt der Verteidiger des Angeklagten dem Gericht an, dass sich der Angeklagte ab dem 14. 02. 2013 für mehrere Tage in stationäre Behandlung in das Marienhospital Bottrop begeben werde. Tatsächlich ist der Angeklagte auch am 14. 022013 unter Vollnarkose im Darmbereich operiert worden. Ausweislich einer vom Kammervorsitzenden noch am selben Tage eingeholten Äußerung des behandelnden Arztes war die Operation zwar medizinisch indiziert, sie hätte jedoch nicht sofort, sondern auch zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt werden können. Der Angeklagte habe – so die weitere Erklärung des Arztes – den Operationstermin für den 14. 02.2013 mit dem Krankenhaus abgestimmt, ohne auf die am selben Tage stattfindende Berufungshauptverhandlung hinzuweisen.

Nachdem der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung nicht erschienen war, hat die Kammer auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Verhaftung des Angeklagten angeordnet und den Haftbefehl sowohl auf §§ 329 Abs. 4 S. 1, 230 StPO als auch auf § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO (Fluchtgefahr) gestützt.  Dagegen die Haftbeschwerde, die beim OLG Hamm Erfolg hatte:

Das OLG Hamm hat einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gesehen.

 Zwar ist das Landgericht mit Recht von einem unentschuldigten Ausbleiben des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung ausgegangen (§ 329 Abs. 1 StPO). Denn eine Operation ist kein Entschuldigungsgrund, wenn sie – wie im vorliegenden Fall – aufschiebbar ist (vgl. nur Meyer-Goßner, StPO, 55.. Aufl., § 329 Rdnr. 26 m. w. Nachw.). Auch ist unter Zugrundelegung des vom Senat eingesehenen (und der Ladung beigefügten) Vordrucks „StP 223° von einer ordnungsgemäßen Ladung des Angeklagten auszugehen, und zwar einschließlich des Hinweises auf eine Verhaftung als mögliche Folge eines unentschuldigten Fernbleibens.

 Jedoch ist eine Verhaftung nach §§ 329 Abs. 4, 230 StPO mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht mehr zu vereinbaren, wenn bei verständiger Würdigung aller Umstände die Erwartung gerechtfertigt wäre, dass der Angeklagte in der neu anzuberaumenden Hauptverhandlung erscheinen wird (vgl. BVerfGE 32, 87, 93 f.; • BVerfG NJW 2007, 2318, 2319; NJW 2001, 1341, 1342; Paul, in: Karlsruher Kommentar StPO, 6. Aufl., § 329 Rdnr. 21; Meyer-Goßner, a.a.O., Rdnr. 45). Hiervon ist im vorliegenden Fall auszugehen.

 Das Landgericht hat die Erwartung, dass der Angeklagte zu einer noch anzuberaumenden (neuen) Hauptverhandlung nicht erscheinen werde, allein mit dem Vorgehen des Angeklagten, den Operationstermin gerade für den Tag der Berufungshauptverhandlung abzustimmen, begründet. Sicherlich liegt es auf der Hand, dass der Angeklagte die notwendig gewordene Operation mit Blick auf die anstehende Verhandlung vor dem Landgericht bewusst „ausgenutzt“ und den OP-Termin ganz gezielt auf den Tag der Berufungshauptverhandlung hat ansetzen lassen. Indes begründet allein dieses Verhalten nicht die berechtigte Besorgnis, der Angeklagte werde auch zu zukünftigen Terminen nicht erscheinen. Immerhin hat sich der Angeklagte dem vorliegenden Verfahren bislang gestellt und ist insbesondere auch zur erstinstanzlichen Hauptverhandlung erschienen. Das Amtsgericht hat den Angeklagten auf der Grundlage der dort stattgefundenen Beweisaufnahme – namentlich nach Vernehmung des Geschädigten selbst – vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung freigesprochen, so dass der Angeklagte der Hauptverhandlung in der Berufungsinstanz sogar — jedenfalls aus seiner Erwartungshaltung heraus – etwas „gelassener‘ entgegen sehen mag. Hinzu kommt; dass sich die vorliegende Situation einer aus medizinischer Sicht tatsächlich indizierten Operation nicht beliebig herbeiführen bzw. wiederholen lassen wird.

 Vor allem aber hätte das Landgericht die Möglichkeit eines Vorführbefehls als milderes Mittel näher in Betracht ziehen müssen. Insoweit kommt es nicht allein darauf an, ob der Angeklagte seine Vorführung am 14. Februar 2013— wie das Landgericht näher ausführt — „selbst vereitelt“ hat. Entscheidend ist, ob sich das Erscheinen in einer noch anzuberaumenden (neuen) Hauptverhandlung durch einen Vorführbefehl — als milderes Mittel — sicherstellen lässt. Hierfür sprechen die bereits vorgenannten Gesichtspunkte.

M.E. zutreffend, allerdings kann man m.E. die Frage der Entschuldigung durch einen OP-Termin auch anders sehen. Aber, wenn es so bei Meyer-Goßner steht, dann ist es Gesetz. Jedenfalls hat das OLG Recht, wenn es die Verhältnismäßigkeit des Vorgehens des LG verneint. Es gibt7gab mildere Mittel. Das Vorgehen des LG hatte für mich ein wenig den Anschein einer „Strafaktion“.