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Der erregte Zeuge, oder: Der Staatsanwalt hat hier gar nichts zu sagen

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Ich eröffne die Woche dann mit dem OLG Oldenburg, Beschl. v. 30.05.2017 – 1 Ws 245/17. Das ist die Sache mit dem „erregten Zeugen“. Über den Beschluss haben auf der Grundlage der PM des OLG ja auch schon einige andere Blogs berichtet, ich habe mir dann erst mal den Volltext besorgt. Ist mir immer lieber als (nur) die Pressemitteilungen der Gerichte 🙂 .

Nach dem Sachverhalt des OLG-Beschlusses muss es etwas hitziger zugegangen sein in der Hauptverhandlung des Amtsgericht, als der Zeuge vernommen wurde. Der Zeuge wird vernommen, am Ende seiner Aussage will er noch etwas sagen, was die Richterin aber „unterbinden“ will. Dann:

„Als sich der Vertreter der Staatsanwaltschaft äußern wollte, wurde der Zeuge W……. laut und aggressiv und erwiderte, er hätte sich da nicht einzumischen, die Richterin würde die Fragen stellen.“

Aus der Äußerung wird dann ein Ordnungsgeld in Höhe von 200 €, ersatzweise zwei Tage Ordnungshaft. Nach Erlass des Ordnungsbeschlusses verlässt der Zeuge „wütend und abrupt den Sitzungssaal mit einem lauten Türknallen“. Gegen den Ordnungsgeldbeschluss des AG dann die Beschwerde des Zeuge, die beim OLG keinen Erfolg hat.

„Die Erklärung des Beschwerdeführers ist als Beschwerde im Sinne von § 181 GVG auszulegen und als solche zulässig, aber unbegründet.

Zwar ist dem Protokoll nicht zu entnehmen, dass dem Beschwerdeführer vor der Beschlussfassung rechtliches Gehör gewährt worden ist. Das Absehen von einer vorherigen Anhörung des Betroffenen ist aber ausnahmsweise dann zulässig, wenn die Ungebühr und der Ungebührwille völlig außer Frage stehen und die Anhörung nur zu weiteren Ausfällen Gelegenheit gäbe (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 178 GVG Rn. 14).

So ist es hier. Der Beschwerdeführer hat den protokollierten Geschehensablauf in seinem Schreiben vom 16. März 2017 bestätigt. Der im Protokoll weiter angeführte Erregungszustand des Beschwerdeführers („laut und aggressiv“)  barg die Gefahr, dass dieser bei einer Gelegenheit zur Äußerung vor Erlass des Ordnungsgeldbeschlusses erneut die Würde des Gerichts oder des Vertreters der Staatsanwaltschaft angreifen könnte.

Diese Einschätzung lässt sich zudem auf das Folgegeschehen stützen, als der Beschwerdeführer ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls nach Verkündung des Ordnungsgeldbeschlusses „wütend und abrupt den Sitzungssaal mit einem lauten Türknallen“ verließ.

Auch inhaltlich ist der Beschluss nicht zu beanstanden.

Nach § 178 GVG kann gegen Zeugen, die sich in der Sitzung der Ungebühr schuldig machen, ein Ordnungsgeld bis zu eintausend Euro oder Ordnungshaft bis zu einer Woche festgesetzt werden.

Hierbei ist nach § 182 GVG bei einem Ordnungsmittel wegen Ungebühr sowohl der darüber gefasste Beschluss mitsamt Begründung und auch dessen Veranlassung in das Hauptverhandlungsprotokoll aufzunehmen, um so dem Beschwerdegericht ein möglichst objektives, von Erinnerungsfehlern freies und umfassendes Bild des Vorgangs zu vermitteln (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO., § 182 GVG Rn. 1).

Zwar enthält das Hauptverhandlungsprotokoll vom 16. März 2017 keine ausdrückliche Begründung des Ordnungsgeldbeschlusses. Das Fehlen einer solchen Begründung ist aber ausnahmsweise dann unschädlich, wenn aufgrund des Protokollvermerks über die Veranlassung des Beschlusses davon auszugehen ist, dass die Gründe hierfür auch für den Beschwerdeführer außer Zweifel standen und der Protokollvermerk dem Beschwerdegericht die volle Nachprüfung des Beschlusses ermöglicht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO., § 183 GVG Rn. 4).

So liegt es hier. Im Protokoll ist vermerkt, dass der Beschwerdeführer, als der Vertreter der Staatsanwaltschaft sich äußern wollte, laut und aggressiv erwiderte, er – der Staatsanwalt – hätte sich da nicht einzumischen, die Richterin würde die Fragen stellen.

Dieses Verhalten stellt eine Ungebühr im Sinne des § 178 Abs. 1 GVG dar. Danach ist Ungebühr ein erheblicher Angriff auf die Ordnung in der Sitzung, auf deren justizgemäßen Ablauf, auf den „Gerichtsfrieden“ und damit auf die Ehre und Würde des Gerichts (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO., § 178 GVG Rn. 2).

Selbst wenn der Beschwerdeführer sich aufgrund des Gegenstands der Verhandlung und seiner Vernehmung in einem Zustand emotionaler Erregung befunden haben sollte, ist es für ein Gericht nicht hinnehmbar, wenn ein Zeuge in aggressiver Weise versucht, den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft zu maßregeln.

So obliegt die Verhandlungsleitung gemäß § 238 Abs. 1 StPO ausschließlich dem oder der Vorsitzenden. Die Äußerung des Beschwerdeführers in Richtung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft, er habe sich da nicht einzumischen, die Richterin würde die Fragen stellen, zielt darauf ab, dem Vertreter der Staatsanwaltschaft sein Fragerecht abzuschneiden. Insbesondere den Zeitpunkt der Ausübung des Fragerechts gemäß § 240 Abs. 2 StPO bestimmt aber der oder die Vorsitzende (vgl. Meyer-Goßner/Meyer-Goßner, aaO., § 240 StPO Rn. 6). Dem Beschwerdeführer als Zeugen steht dies hingegen nicht zu.

Selbst der in zeitlicher Hinsicht früher einsetzende vom Beschwerdeführer geschilderte Geschehensablauf rechtfertigt ein Ordnungsmittel wegen Ungebühr. Danach habe er am Ende seiner Zeugenaussage noch zwei Sätze sagen wollen, was die Vorsitzende versucht habe zu unterbinden. Als der Staatsanwalt sich  eingemischt habe, habe er diesem erwidert, er solle ruhig sein, er – der Staatsanwalt – sei von der Richterin nicht zum Sprechen aufgefordert worden.

Der Beschwerdeführer verkennt, dass die Vorsitzende dem Beschwerdeführer zumindest schlüssig das Wort entzogen hatte, weshalb dieser zu weiteren Ausführungen nicht berechtigt gewesen ist. Schon ein Weitersprechen seinerseits stellte eine Missachtung der richterlichen Verhandlungsleitung dar. Hingegen war das Zulassen der Äußerung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft als zumindest schlüssige Anordnung zu verstehen, dem Sitzungsvertreter das Wort zu erteilen. Die an den Staatsanwalt gerichtete maßregelnde Erwiderung des Beschwerdeführers stellte insofern zugleich eine Missachtung des Gerichts dar.

Die Höhe des gegen den Beschwerdeführer festgesetzten Ordnungsgeldes und die Dauer der ersatzweise festgesetzten Ordnungshaft, denen der Beschwerdeführer nicht näher entgegengetreten ist, sind nicht zu beanstanden.“

Nun ja. Ob das AG da nun gleich mit einem Ordnungsbeschluss reagieren musste. Gut, wir kennen die genauen Umstände nicht, aber vielleicht hätte man ja auch erst mal „deeskalieren“ können. Und das OLG arbeitet mir mit ein bisschen viel „schlüssig“. „Schlüssig“ das Wort entzogen, „schlüssig“ das Wort erteilt. Und wenn ich Richter gewesen wäre, hätte ich durch die mitgeteilte Äußerung des Zeugen meine „Würde des Gerichts“ nicht angegriffen gefühlt.

Berufungsverwerfung, oder: Wie muss die Vertretervollmacht formuliert sein?

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Es mehren sich die Entscheidungen zur Neuregelung des § 329 StPO zum 25.07.2015 (s. auch den der OLG Hamburg, Beschl. v. 25.07.2017 – 1 Rev 37/17 und dazu Verteidiger aufgepasst, oder: Vollmacht für den Mandanten selbst unterschreiben geht nicht mehr).  In den Bereich gehört auch der OLG Oldenburg, Beschl. v. 20.12.2016 – 1 Ss 178/16 -, der schon etwas älter ist, auf den ich aber erst jetzt gestoßen bin.

Das AG hat den Angeklagte wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das LG dann nach § 329 StPO verworfen, weil der Angeklagte ohne Entschuldigung ausgeblieben und auch nicht in zulässiger Weise vertreten worden sei. Die Revision des Angeklagten hatte mit der auf eine Verletzung von § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO gestützten Verfahrensrüge Erfolg.

Der Rüge liegt folgendes Geschehen zu Grunde: Zu der Hauptverhandlung vor dem LG war der Angeklagte nicht erschienen, wohl hingegen als Verteidiger Rechtsanwalt R1. Diesem sowie Rechtsanwalt R2 hat der Angeklagte in einer von ihm unterzeichnete „Vollmacht und Prozessvollmacht“ erteilt, die zur Akte gelangt war. Diese Vollmacht hat u.a. folgenden Wortlaut:

Den Rechtsanwälten…, … wird Prozessvollmacht gemäß §§ 81 ff. ZPO und §§ 302, 374 StPO erteilt wegen S. L… – Strafverfahren Amtsgericht Cloppenburg 18 Ds 775 Js 62234/12 (58/15).
Diese Vollmacht erstreckt sich insbesondere auf: 1. Verteidigung und Vertretung in Bußgeldsachen sowie Strafsachen in allen Instanzen, auch als Nebenkläger, Vertretung gem. § 411 Abs. 1 StPO mit ausdrücklicher Ermächtigung gem. § 233 Abs. 1 StPO
.“

Die Entscheidung des OLG behandelt zwei Fragen, und zwar:

Zulässigkeit der Verfahrensrüge:

Die vom Angeklagten erhobene Rüge, das Landgericht habe durch sein Vorgehen § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO (in der seit dem 25. Juli 2015 gültigen Fassung) verletzt, weil zum Termin ein mit einer schriftlichen Vollmacht ausgestatteter Verteidiger erschienen sei, entspricht den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 StPO. Danach muss eine Verfahrensrüge so ausgeführt werden, dass das Revisionsgericht allein auf Grund der Revisionsrechtsfertigungsschrift prüfen kann, ob der geltend gemachte Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen zutreffen. Dem wird die vorliegende Rüge gerecht.

Der Ansicht des Thür. Oberlandesgerichts (Beschluss v. 28.07.2016, 1 Ss 42/16, bei juris), wonach mit der Verfahrensrüge der Verletzung von § 329 Abs. 1 StPO auch vorgetragen werden müsse, der Verteidiger habe von seiner schriftlichen Vertretungsvollmacht auch Gebrauch machen wollen, er sei also – über die bloße Verteidigung des Angeklagten hinaus – auch zu dessen umfassender Vertretung bereit gewesen, vermag der Senat nicht zu folgen. Denn einer ausdrücklichen Erklärung des Verteidigers, er sei zur Vertretung des Angeklagten bereit, bedarf es nicht. Vielmehr ist hiervon bei einem Erscheinen des Verteidigers grundsätzlich auszugehen, solange dieser nicht von vornherein erklärt oder zu erkennen gibt, den Angeklagten nicht vertreten zu wollen. (vgl. amtl. Begründung zum Gesetzentwurf, BT-Drs. 18/3562, S. 69, 2. Abs.). Es ist somit zwar grundsätzlich die Bereitschaft des Verteidigers zur Vertretung des Angeklagten erforderlich. Diese kann aber nur bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte dafür verneint werden, dass es der Verteidiger überhaupt nicht zu einer Sachverhandlung kommen lassen will (vgl. OLG Hamm, Beschluss v. 06.09.2016, 4 RVs 96/16, bei juris, m.w.N.). Dieses wäre etwa dann der Fall, wenn der Verteidiger trotz ausdrücklichen Befragens durch das Gericht keine Erklärung dazu abgibt, ob er den nicht anwesenden Angeklagten vertreten will.“

Und in Zusammenhang mit der Frage der Begründetheit nimmt das OLG Stellung zum Inhalt der Vertretervollmacht:

„Vorliegend war indessen der Angeklagte in dem (ersten) Termin zur Berufungshauptverhandlung durch einen Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht vertreten. Ausweislich der bei den Akten befindlichen Vollmacht vom 19. Juli 2015 war dem Verteidiger Vollmacht zur Verteidigung und Vertretung erteilt. Damit war in der Vollmacht berücksichtigt, dass der Verteidiger als solcher nur der Beistand und nicht der Vertreter des Beschuldigten ist, und es deshalb einer ausdrücklichen Bevollmächtigung zur Vertretung bedarf, weil der Beschuldigte dadurch wichtige Verfahrensrechte in die Hände seines Verteidigers legt, der an seine Stelle tritt und mit Wirkung für ihn Erklärungen abgeben kann. Diese ausdrückliche Ermächtigung reicht aber auch aus. Durch die Forderung einer expliziten Ermächtigung zur Vertretung des Angeklagten „in dessen Abwesenheit“ würde der dem Erfordernis der gesonderten Bevollmächtigung zu Grunde liegende Schutzgedanke überspannt (vgl. bereits Senatsentscheidung v. 23.03.2016, 1 Ss 36/16, n.v., unter Hinweis auf BGH, Beschluss vom 20.09.1956, 4 StR 287/56, BGHSt 9, 356, und OLG Düsseldorf, Beschluss v. 10.05.1991, 5 Ss 171/91 – 53/91 I, VRS 81, 292; jeweils zu § 411 Abs. 2 S. 1 StPO; sowie Meyer-Goßner/  Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 234 Rn. 5).“

Wie immer in solchen Fällen kann man dem Verteidiger nur raten, darauf achten, dass die Punkte, die das OLG Oldenburg angesprochen hat, gar nicht erst streitig werden. Das bedeutet also, dass man zum „Vertreten-Wollen“ in der Hauptverhandlung vortragen und die Vertretervollmacht um den Zusatz: “… in dessen Abwesenheit“ ergänzen sollte. Dann kann nichts schief gehen.

Strafbefehlsverfahren, oder: Gilt die Pflichtverteidigerbestellung auch für die Hauptverhandlung?

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Die Frage, welchen Umfang eine nach § 408b StPO erfolgte Beiordnung eines Rechtanwalts als Pflichtverteidiger hat, ist in der Rechtsprechung der OLG nicht unbestritten. Teilweise wird davon ausgegangen, dass sie nur bis zur Einlegung eines Einspruchs gilt, teilweise wird aber auch vertreten, dass die Bestellung darüber hinaus fortwirkt. In dem Streit hat sich jetzt auch das OLG Oldenburg zu Wort gemeldet, und zwar mit dem OLG Oldenburg, Beschl. v. 15.06.2017 – 1 Ss 96/17.

Das AG hat den Angeklagten  wegen „unbefugter Ingebrauchnahme eines Fahrzeugs“ zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Zuvor hatte es gegen den Angeklagten einen ebenfalls auf diese Rechtsfolgen lautenden Strafbefehl erlassen und ihm durch Beschluss „gemäß § 408b Strafprozessordnung für das Strafbefehlsverfahren“ Rechtsanwalt pp. zum Verteidiger bestellt. Nachdem der Angeklagte gegen den Strafbefehl durch Rechtsanwalt pp. rechtzeitig Einspruch eingelegt hatte, beraumte das AG Termin zur Hauptverhandlung an. Als der Verteidiger, der zu dem Termin nicht geladen worden war, Akteneinsicht beantragte, teilte ihm das AG mit, dass seiner Auffassung nach die Bestellung zum Pflichtverteidiger nach § 408b StPO nur bis zur Einspruchseinlegung, nicht aber für die auf den Einspruch folgende Hauptverhandlung gelte. Ein Fall notwendiger Beiordnung nach § 140 StPO liege nach Auffassung des Gerichts ebenfalls nicht vor. Das Wahlmandat sei für den – vorliegend eingetretenen – Fall der Bestellung als Pflichtverteidiger nach § 408b StPO ausdrücklich niedergelegt worden. Der gegen diese Feststellung gerichteten, mit einem Terminsaufhebungsantrag verbundenen Beschwerde des Angeklagten half das AG nicht ab; eine Vorlage an das Beschwerdegericht erfolgte in der Folgezeit nicht.

Bei dieser Sachlage hat der Angeklagte nach Auffassung des OLG zu Recht einen Verstoß gegen § 338 Nr. 5 i.V.m. § 408b Satz 1 StPO gerügt. Denn – so der Leitsatz der OLG-Entscheidung:

„Die Bestellung eines Verteidigers im Strafbefehlsverfahren gemäß § 408b StPO wirkt über die Einlegung des Einspruchs hinaus jedenfalls bis zur Einlegung des Rechtsmittels gegen das auf den Einspruch hin ergangene amtsgerichtliche Urteil fort.“

M.E. grundsätzlich zutreffend. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob die Entscheidung des OLG zutreffend ist. Denn, wenn man einen Verstoß gegen § 338 Nr. 5 StPO annehmen will, setzt das ja voraus, dass es sich um einen Fall der sog. notwendigen Verteidigung handelt. Hier hatte man es aber nur mit einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten auf Bewährung zu tun. Also geht der Weg über § 338 Nr. 5 StPO m.E. nur, wenn man annehmen will, dass es sich bei § 408b StPO um einen gesetzlich geregelten Fall der „notwendigen Verteidigung“ handelt, der fortbesteht.

Unabhängig von der Frage, hat die OLG-Entscheidung aber auch gebührenrechtliche Auswirkungen. Denn folgt man dem OLG und der insoweit h.M., dann entsteht auch die Terminsgebühr für den (Pflicht)Verteidiger als gesetzliche Gebühr.

Nachfahren zur Nachtzeit, oder; Wie weit leuchten Pkw-Scheinwerfer?

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Urheber Dirk Vorderstraße

Zum Wochenauftakt zwei OWi-Entscheidungen, quasi zum „Warmlaufen“. Zunächst ist das der OLG Oldenburg, Beschl. v. 21.03.2017 – 2 Ss (OWi) 54/17. Also schon etwas älter, aber der Beschluss ist jetzt gerade erst veröffentlicht worden.

Das OLG nimmt noch einmal zum erforderlichen Umfang der Feststellungen in einem Urteil wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung, der eine Geschwindigekeitsmessung durch Nachfahren – zur Nachtzeit – zugrunde gelegen hat, Stellung. Bei diesen Verurteilungen sind die Anforderungen ja immer noch sehr hoch, da es sich nach der Rechtsprechung der OLG nicht um ein standardisiertes Messverfahren handelt. So auch in dem Beschluss des OLG Oldenburg, der das amtsgerichtliche Urteil, das den Betroffenen zu einer Geldbuße von 1.200 € und einem Fahrverbot von 3 Monaten verurteilt hatte, aufgehoben hat. Die Fahrerin des nachfahrenden Polizeifahrzeuges hatte „bekundet, dass sie einen Abstand von 150 m eingehalten und sich dabei an den Leitpfosten am Straßenrand orientiert habe.“:

„Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Betroffenen wegen einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung nicht.

Bei den in der Regel schlechten Sichtverhältnissen zur Nachtzeit bedarf es im Urteil grundsätzlich näherer Feststellungen dazu, wie die Beleuchtungsverhältnisse waren, ob der Abstand zu dem voraus fahrenden Fahrzeug durch Scheinwerfer des nachfahrenden Fahrzeugs oder durch andere Lichtquellen aufgehellt war und damit ausreichend sicher erfasst und geschätzt werden konnte und ob für die Schätzung des gleich bleibenden Abstandes zum vorausfahrenden Fahrzeug ausreichende und trotz Dunkelheit zu erkennende Orientierungspunkte vorhanden waren. Auch sind Ausführungen dazu erforderlich, ob die Umrisse des vorausfahrenden Fahrzeugs und nicht nur dessen Rücklichter erkennbar waren (OLG Hamm DAR 2006, 31; vgl. Senat Beschluss vom 8. November 2012, 2 Ss Bs 253/12).

Im angefochtenen Urteil sind Feststellungen zu den Beleuchtungsverhältnissen nicht getroffen worden.

Bei einem Verfolgungsabstand von nur ca. 100 m und der Orientierung an den Leitpfosten sowie den Rücklichtern des gemessenen Fahrzeugs soll auch auf einer unbeleuchteten Straße eine zuverlässige Schätzung eines gleich bleibenden Abstandes durch geübte Polizeibeamte möglich sein (OLG Hamm VRS 113. Band, 112 ff;. OLG Celle NZV 2004, 419 f.; vgl. auch Thüringer OLG VRS 111. Band, 195 ff., wobei es sich dort um eine innerstädtische Straße handelte). Demgegenüber sind weitere Feststellungen zu den Beleuchtungsverhältnissen bei einem Verfolgungsabstand von 200 m nicht für entbehrlich gehalten worden (OLG Hamm DAR 2006, 31).

Soweit die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift ausgeführt hat, dass erfahrungsgemäß an den vorhandenen Leitpfosten Reflektoren angebracht seien, die bei Dunkelheit von den Scheinwerfern der passierenden Fahrzeuge angestrahlt würden und sich damit aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe noch mit hinreichender Deutlichkeit ergäbe, dass die Sichtverhältnisse  zur Überzeugung der Tatrichterin ausreichten, um den nachfahrenden Polizeibeamtinnen die Überprüfung des gleich bleibenden Abstandes zu ermöglichen, vermag der Senat dem nicht zu folgen:

Bei einem Abstand von 100 m -erst recht bei einem solchen von 150 m- kann unter Berücksichtigung der Reichweite des Abblendlichtes nämlich nicht ohne besondere Feststellungen davon ausgegangen werden, dass allein durch die Scheinwerfer des nachfolgenden Fahrzeuges das vorausfahrende Fahrzeug so aufgehellt worden ist, dass ein gleichbleibender Abstand hinreichend sicher erfasst und geschätzt werden konnte (OLG Hamm DAR 2002, 176 f).

Bereits in den zuvor zitierten zitierten Entscheidungen des OLG Hamm (VRS 113. Band, 112 ff. und OLG Celle (NZV 2004, 419 f) war ausgeführt worden, dass auch bei einem Abstand von 100 m das Scheinwerferlicht des nachfahrenden Polizeifahrzeuges das vorausfahrende Fahrzeug nicht mehr erreiche.

Das bedeutet, dass der Zwischenraum zwischen den Fahrzeugen nicht vollständig erhellt wird und damit auch die Leitpfosten nicht in voller Länge dieser Strecke reflektieren. Zumindest bei einem Abstand von 150 m hält der Senat deshalb in Übereinstimmung mit dem OLG Hamm (DAR 2002, 176 f) weitergehende Darlegungen dazu für erforderlich, wie es den Polizeibeamten möglich gewesen ist festzustellen, dass der Abstand gleich geblieben ist. Dies gilt im vorliegenden Fall erst recht deshalb, weil nach den Angaben der Zeuginnen der Tacho des Polizeifahrzeuges 180 km/h angezeigt hat, die Einschätzung, wann das eigene Fahrzeug und das verfolgte Fahrzeug die Leitpfosten jeweils erreichten, damit umso schwieriger war.

Da nicht auszuschließen ist, dass das Amtsgericht weitere Feststellungen zu den Beleuchtungsverhältnissen treffen kann, die es nachvollziehbar erscheinen lassen, dass eine zuverlässige Einschätzung des gleich bleibenden Abstandes möglich war, war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückzuverweisen.“

 

Sind Essig und Salz Pflanzenschutzmittel?, oder: Entwarnung für Hobby-Gärtner

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Vor einiger Zeit sind die Meldungen zum OLG Oldenburg, Beschl. v. 25.04.2017 – 2 Ss (OWi) 70/17 – über die Ticker gelaufen und verschiedene Blogs haben ja auch schon über die Entscheidung berichtet. Ich ziehe heute auf der Grundlage des Volltextes nach, den mir der Kollege Garcia von dejure zur Verfügung gestellt hat. Besten Dank.

Es geht um die Frage: Sind Essig und Salz Pflanzenschutzmittel? Das ist ein Problem (?), das sicherlich viele Hobbygärtner beschäftigt/berührt. Denn viele Hobbygärtner – darunter auch ich 🙂 – bekämpfen unbeliebtes Unkraut zwischen Pflastersteinen mit normalem Haushaltsessig oder einem Essig-Salz-Gemisch. Wenn man dazu im Internet recherchiert oder etwa bei einer Landwirtschaftskammer nachfragt, bekaommt man dazu als Antwort, dass das nach dem Pflanzenschutzgesetz verboten sei (§ 12 Absatz 2 PflSchG).

Das OLG Oldenburg hat das nun anders gesehen. Nach seiner Auffassung sind weder Essig noch Salz Pflanzenschutzmittel und damit deren Einsatz zur Unkrautvernichtung auch nicht nach dem Pflanzenschutzgesetz verboten. Im konkreten Fall ging es um einen Mann, der das Unkraut auf der Zufahrt zu seiner Garage und auf der öffentlichen Pflasterfläche vor seinem Grundstück mit einer Essig-Salz-Lösung bekämpft hatte. Gegen den war eine Geldbuße von 100,- € verhängt worden, das AG hatte die auf 150,- € erhöht.

Das OLG sagt -verkürzt: Entgegen der bundesweit einheitlichen Auffassung der Verwaltungsbehörden handelt es sich  bei einem Essig-Kochsalz-Gemisch nicht um ein Pflanzenschutzmittel im Sinne des Pflanzenschutzgesetzes, sondern um ein Lebensmittel. Denn Essig und Salz seien nach objektiven Gesichtspunkten nicht zur Pflanzenvernichtung bestimmt. Darauf komme es aber nach dem Pflanzenschutzgesetzs an.

Im Übrigen: Keine Vorlage an den EuGH. Und: Offen gelassen hat das OLG die Frage, ob das Einbringen von Essig und Salz in das Grundwasser nach anderen Gesetzen strafbar oder ordnungswidrig sein kann. Hierzu fehlten ihm ausreichende Feststellungen. Und weitere Feststellungen hat es nicht mehr erwartet. Daher: Freispruch.