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Das Töten von Eintagsküken ist nicht strafbar…

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Ich hatte vor einigen Wochen über den LG Münster, Beschl. v. 07.03.2016 – 2 KLs 7/15  (vgl. dazu Verstößt das Töten von männlichen Eintagsküken gegen das Tierschutzgesetz?) berichtet. In ihm ging es um die Frage, ob die bei Kükenbrütereien ggf. geübte Praxis, männlichen Küken am ersten Tag ihres Lebens zu vergasen oder lebend zu zerschreddern gegen das Tierschutzgesetz verstößt. Das LG Münster hatte die Frage verneint. Und es ist in seiner Rechtsansicht durch das OLG Hamm bestätigt worden. Das hat nämlich im OLG Hamm, Beschl. v. 10.05.2016 – 4 Ws 113/16 – die gegen den LG-Beschluss eingelegte sofortige Beschwerde verworfen.

Verworfen worden ist aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung. Zu den angesprochenen Fragen hat das OLG dann nur noch „ergänzend“ Stellung genommen, und zwar u.a. wie folgt:

„Ein vernünftiger Grund zum Töten eines Tieres im Sinne des § 17 Nr. 1 TierSchG liegt grundsätzlich dann vor, wenn er als triftig, einsichtig und von einem schutzwürdigen Interesse getragen anzuerkennen ist, und wenn er unter den konkreten Umständen schwerer wiegt als das Interesse des Tieres an seiner Unversehrtheit (Oberlandesgericht des Landes Sachsen Anhalt, Beschluss vom 28.06.2011, Az. 2 Ss 82/11; Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 206. Ergänzungslieferung, Stand Januar 2016, § 1 TierSchG Rn. 24). In den Fällen, in denen – wie hier – der Gesetzgeber nicht selbst die Grenze des Erlaubten gezogen hat, ist das Vorliegen eines vernünftigen Grundes im Sinne des § 17 Nr. 1 TierSchG bzw. die Frage, ob die tatbestandsmäßige (Tötungs-) Handlung nicht als im Lebenszusammenhang gerechtfertigt bzw. sozial adäquat erscheint, anhand einer am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierten Güter- und Interessenabwägung zu ermitteln und beurteilen (Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 28.06.2011, Az. 2 Ss 82/11; Kammergericht NStZ 2010, 175; OLG Koblenz NStZ-RR 2000, 155; Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 206. Ergänzungslieferung, Stand Januar 2016, § 1 TierSchG Rn. 28). Das Tierschutzgesetz strebt dabei nicht an, Tieren jegliche Beeinträchtigung ihres Wohlbefindens zu ersparen, sondern wird beherrscht von der dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechenden Forderung, Tieren nicht ohne vernünftigen Grund, vermeidbare, das unerlässliche Maß übersteigende Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen (OLG Celle, Urteil vom 12.10.1993, Az. 2 Ss 107 40/93). Als vernünftige Gründe im Sinne des § 17 Nr. 1 TierSchG sind im Allgemeinen alle erdenklichen ökonomischen Ziele, die Nutzung des Tieres zu Nahrungszwecken des Menschen oder zu wissenschaftlichen Zwecken sowie die Verwendung als Futtermittel anerkannt.“

Damit hat die Sache – zumindest im OLG-Bezirk Hamm – ein Ende.

Wann ist die „Aufnahme eines nackten Körpers oder des Geschlechtsteils eines Kindes“ Kinderpornografie?

FragezeichenDer OLG Hamm, Beschl. v. 10.03.2016 – 3 RVs 22/16 – beantwortet die Frage, wann Aufnahme eines nackten Körpers oder des Geschlechtsteils eines Kindes „Kinderpornografie“ nach altem Recht ist, und zwar nach § 184 b Abs. 1 StGB in der Fassung v. 31.10.2008. Das AG hatte den Angeklagten wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften zu einer Geldstrafe verurteilt. Dem OLG Hamm haben die dazu vom AG getroffenen Feststellungen nicht gereicht:

„Gemäß § 184b Abs. 4 S. 2 StGB in der Fassung vom 31.10.2008 wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer kinderpornografische Schriften besitzt, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben, wobei gemäß § 11 Abs. 3 StGB den Schriften u.a. Datenspeicher gleichstehen. Kinderpornografische Schriften sind nach der Legaldefinition der §§ 184b Abs. 1 S. 1, 1. HS StGB in der Fassung vom 31.10.2008 pornografische Schriften, die sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern zum Gegenstand haben. Eine derartige sexuelle Handlung von, an oder vor Kindern hat das Amtsgericht hier nicht hinreichend festgestellt. Das Amtsgericht hat erkennbar nicht bedacht, dass nicht bereits die Aufnahme eines nackten Körpers oder des Geschlechtsteils eines Kindes Kinderpornografie i.S.v. § 184b Abs. 1 StGB in der Fassung vom 31.10.2008 darstellt; vielmehr ist für die Annahme sexueller Handlungen von oder an Kindern im Sinne eines hier möglicherweise vorliegenden Posierens in sexualbetonter Körperhaltung erforderlich, dass die von dem Kind eingenommene Körperposition objektiv, also allein gemessen an ihrem äußeren Erscheinungsbild, einen eindeutigen Sexualbezug aufweist (BGH, Beschluss vom 03.12.2014 – 4 StR 342/14; BGH, Beschluss vom 26.08.2008 – 4 StR 373/08 und BGH, Beschluss vom 20.12.2007 – 4 StR 459/07, alle [juris]; vgl. auch BGH StV 2015, 471; StV 2014, 416 und StV 2014, 736 sowie BT-Drucks. 16/9646, S. 2, S. 17).

Körperpositionen, die sich bei einem Handlungsablauf ohne eindeutigen Sexualbezug (z.B. Körperpflege, An- oder Umkleiden, Sport, Spiel etc.) naturgemäß ergeben, sind dagegen auch dann keine sexuellen Handlungen von Kindern i.S.v. § 184 b Abs. 1 StGB in der Fassung vom 31.10.2008, wenn sie für Bildaufnahmen zu pornografischen Zwecken ausgenutzt werden (BGH, Beschluss vom 03.12.2014 – 4 StR 342/14; [juris]). Dasselbe gilt für Aufnahmen eines schlafenden Kindes (Röder, NStZ 2010, 113). Diese Strafbarkeitslücke hat der Gesetzgeber zum Anlass genommen, um mit § 184b StGB i.d.F.v. 21.01.2015 das Tatbestandsmerkmal der kinderpornographischen Schriften um solche pornographischen Schriften zu erweitern, die u.a. die sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien eines Kindes zum Gegenstand haben (BT-Drucks. 18/3202, S. 27; BT-Drucks. 18/2601, S. 29f).

Die Feststellungen belegen hier bereits nicht, dass die auf den vier dort näher bezeichneten Bilddateien teilweise dargestellten Kinder zum Zeitpunkt der Fertigung der zugrunde liegenden Aufnahmen ihr Geschlechtsteil „zur Schau gestellt“ und damit eine Handlung vorgenommen haben, die ihrem äußeren Erscheinungsbild nach einen eindeutigen Sexualbezug aufweist (BGH, Beschluss vom 03.12.2014 – 4 StR 342/14; [juris]). Den Feststellungen des Amtsgerichts kann vielmehr lediglich entnommen werden, dass auf den betroffenen Bilddateien jeweils ein weiblicher Unterleib mit der jeweils im Mittelpunkt der Aufnahme stehenden Vagina zu erkennen ist, ohne dass der begleitende Handlungsablauf, der zu der Fertigung der Aufnahme geführt hat, näher dargestellt wird. Es bleibt daher nach den Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils möglich, dass die Aufnahmen im Rahmen eines Handlungsablaufs ohne eindeutigen Sexualbezug gefertigt wurden und damit eine sexuelle Handlung von einem Kind bzw. an einem Kind ihnen nicht zugrunde liegt. Dass es sich bei dem zugrunde liegenden Geschehen tatsächlich um sexuelle Handlungen von oder an einem Kind gehandelt hat, liegt insbesondere bei den Bilddateien „###“ und „###“ durchaus nahe, da dort nach den Feststellungen des Amtsgerichts die äußeren Schamlippen leicht auseinandergezogen sind. Offen bleibt aber auch hier, worauf dies beruht; insbesondere, ob auf den Bildern eine entsprechende Manipulation durch das Kind oder durch einen Dritten dargestellt werden. Da insoweit und auch insgesamt weitere Feststellungen möglich erscheinen, hat der Senat die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bielefeld zurückverwiesen.

Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass allein der Umstand, dass die dargestellte Vagina komplett haarlos ist, ohne nähere Ausführungen nicht ausreicht, um daraus den Schluss zu ziehen, dass es sich um die Vagina eines Kindes handelt. Insbesondere muss insoweit die Möglichkeit einer Intimrasur bei einer dem Kindesalter entwachsenen Frau ausgeschlossen werden. Auch bleibt offen, was unter einem „kindlich geformten“ Oberschenkel zu verstehen sein soll.Hierzu hätte es ebenso näherer Darlegung bedurft wie zu der Annahme, es handele sich „augenscheinlich“ um die Vagina eines Kindes, die in dieser Form über eine bloße Vermutung nicht hinausreicht.“

Schlechtes Lichtbild vom Betroffenen… dem OLG reichts, mir nicht

entnommen wikimedia.org Urheber Sebastian Rittau

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Knapp war es beim OLG Hamm für ein OWi-Urteil des AG Bocholt, in dem es um die Täteridentifizierung ging. Die prozeßordnungsgemäße Bezugnahme hatte der Amtsrichter allerdings wohl noch hinbekommen (vgl. dazu vor einiger Zeit BGH, Urt. v. 28.01.2016 – 3 StR 425/15 und dazu BGH: Wie wird im Urteil „prozessordnungsgemäß“ auf ein Lichtbild verwiesen?). Aber dann würde es wohl dünn(er). Das zeigt sich an der Formulierung im OLG Hamm, Beschl. v. 08.03.2016 – 4 RBs 37/16, in dem es u.a. heißt: „Die Feststellung der Fahrereigenschaft des Betroffenen ist (noch) rechtsfehlerfrei“ und darin, dass das OLG dann auch den“ Gesamtzusammenhang der Entscheidungsgründe“ bemühen muss, um das Urteil zu „halten“:

„Die Feststellung der Fahrereigenschaft des Betroffenen ist (noch) rechtsfehlerfrei. Der Senat konnte von dem Messfoto aufgrund eines zulässigen Verweises nach § 267 Abs. 1 S. 3 StPO Kenntnis nehmen. Daraus ergibt sich, dass nicht nur die Stirn des Betroffenen durch den Rückspiegel verdeckt ist, sondern auch dessen Augenpartie durch eine Sonnenbrille. Auch wenn die Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil sich darin erschöpft, erkennbare Gesichtspartien auf dem Messfoto zu benennen und nicht ausdrücklich dargelegt wird, dass das Aussehen dieser Gesichtspartien auf dem Messfoto dem Aussehen des Betroffenen entsprach, entnimmt der Senat dies – und (vor allem) dass das Amtsgericht tatsächlich einen Abgleich zwischen der auf dem Messfoto abgebildeten Person und dem Betroffenen vorgenommen hat – dem Gesamtzusammenhang der Entscheidungsgründe. Eine bloß deskriptive Darlegung der erkennbaren Gesichtspartien hätte im vorliegenden Fall keinen Sinn gemacht, wenn der Tatrichter nicht damit zum Ausdruck hätte bringen wollen, dass er gerade diese Partien in identischer Form beim Betroffenen wiedererkannt hat. Dass der Tatrichter die beim Betroffenen wiedererkannten Merkmale nicht näher beschrieben hat oder den Grad der Übereinstimmung mit den auf dem Messfoto erkennbaren Merkmalen nicht näher dargelegt hat, ist unschädlich. Denn die Überprüfung, ob der/die Betroffene mit dem/der abgebildeten Fahrzeugführer/in identisch ist, steht dem Rechtsmittelgericht ohnehin nicht zu und wäre diesem zudem unmöglich. Vielmehr steht dem Rechtsmittelgericht ausschließlich die Überprüfung der generellen Ergiebigkeit der in Bezug genommenen Lichtbilder zu, welche es aufgrund der durch die Inbezugnahme ermöglichten eigenen Anschauung vornimmt (BGH, Beschl. v. 19.12.1995 – 4 StR 170/95 – juris; OLG Hamm, Beschl. v. 28.08.2013 – III-5 RBs 123/13, 5 RBs 123/13 – juris).“

Ist/war aber auch wirklich dünn und die Ergiebigkeit des Lichtbildes wird man sicherlich bezweifeln können, wenn „nicht nur die Stirn des Betroffenen durch den Rückspiegel verdeckt ist, sondern auch dessen Augenpartie durch eine Sonnenbrille„. Aber dem OLG hat es gereicht. Ob das richtig ist: M.E. hätte der Amtsrichter schon mehr schreiben müssen, als er geschrieben hat. Nämlich, warum er trotz des offenbar schlechten Bildes den Betroffenen erkannt hat. Und zwar konkret und nicht nur aus dem Gesamtzusammenhang.

Erfüllte Geldauflage – nicht immer wird angerechnet

© ProMotion - Fotolia.com

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Ein Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung ist schon schlimm genug. Aber ggf. wird die Maßnahme ein wenig abgemildert, wenn der Verurteilte während der Bewährungszeit Leistungen erbracht hat, die dann nach § 56f Abs. 3 S. 2 StGB angerechnet werden. Aber: Das muss nicht immer passieren, wie der OLG Hamm, Beschl. v. 04.04.2016 – 4 Ws 73/16 – zeigt. Davon kann nämlich bei einem „besonders krassen Fall des Bewährungsversagens“ abgesehen werden, wenn zudem die Geldauflage den Verurteilten nur unwesentlich belastet hat.

„2. Zu Recht hat die Strafkammer auch von einer Anrechnung der von dem Verurteilten erbrachten Geldleistungen nach § 56f Abs. 3 S. 2 StGB abgesehen. Nach dem Gesetz ist zwar der Grundsatz, dass erbrachte Leistungen zur Erfüllung von Auflagen nicht erstattet werden (§ 56f Abs. 3 S. 1 StGB). Diese können jedoch in bestimmten Fällen – so bei einer Geldauflage nach § 56b Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB – auf die Strafe angerechnet werden. Hierbei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Bei der Ausübung des Ermessens ist zu berücksichtigen, dass Auflagen nach § 56b Abs. 1 S. 1 StGB Genugtuungsfunktion haben und damit auch repressive Zwecke verfolgen (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 56b Rdn. 2).

Hier liegt zwar kein Fall vor, dass die Notwendigkeit einer Anrechnungsentscheidung aufgrund des Wegfalls einer Strafaussetzung zur Bewährung wegen einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung eingetreten ist, bei der der Verurteilte den Wegfall der Bewährung nicht zu vertreten hat und weswegen dort eine Nichtanrechnung nur in engbegrenzten Ausnahmefällen in Betracht kommt (BGH Beschl. v. 12.02.2015 – 1 StR 601/13 [juris]). Aber auch in der Grundkonstellation der Anrechnungsentscheidung wegen eines zum Widerruf führenden Verhaltens wird eine Anrechnung regelmäßig vorgenommen werden müssen, es sei denn es liegen Umstände vor, die eine Anrechnung unangemessen erscheinen lassen (vgl. KG Berlin, Beschl. v. 29.06.2000 -1 AR 683/005 Ws 465/00; BayObLG MDR 1981, 599; OLG Jena NStZ-RR 2007, 220; Stree/Kinzig in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 56f Rdn. 24 m.w.N.; Frank JR 1986, 378, 379). Es ist zu beachten, dass dem Verurteilten letztlich nicht grundlos ein relevantes größeres Strafübel entstehen soll als dann, wenn er für die Taten sogleich zu einer vollstreckbaren Freiheitsstrafe verurteilt worden wäre (ansonsten wäre er schlechter gestellt, als der von vornherein „auflagenfreie“ aber ebenso bewährungsbrüchige Proband, vgl. Frank JR 1876, 378, 379). Das ist z.B. dann nicht der Fall, wenn der Verurteilte das Geld zur Zahlung der Auflage seinerseits aus rechtswidrigen Taten beschafft hat (BGH NStZ-RR 2002, 137; OLG Hamm NStZ-RR 2009, 318; Frank JR 1986, 378, 379) oder wenn der erbrachte Teil der Geldauflage sehr gering ist und nicht nennenswert ins Gewicht fällt (KG Berlin, Beschl. v. 29.06.2000 -1 AR 683/005 Ws 465/00; Stree/Kinzig a.a.O.; Frank JR 1986, 378, 379). Dabei ist nach Auffassung des Senats auf das Verhältnis der erbrachten Leistungen zur seinerzeitigen finanziellen Leistungskraft des Verurteilten abzustellen, um beurteilen zu können, ob er durch die Leistungserbringung spürbare Einbußen erlitten hat. Auch mag Berücksichtigung finden, wenn die Geldauflage durch Dritte – ohne, dass der Verurteilte dies erstatten müsste – für ihn erbracht worden sind. Ein weiterer denkbarer Fall der Nichtanrechnung kann sein, dass die Geldauflage erst bei aktuell drohendem Widerruf der Strafaussetzung, gleichsam allein zu dessen Abwendung, erbracht wurde (vgl. OLG Bamberg MDR 1973, 154). Andererseits kann der Anrechnung ein außergewöhnlicher, besonders krasser Fall des Bewährungsversagens entgegenstehen (KG Berlin a.a.O.). Dies findet seine Berechtigung darin, dass eine dadurch zu Tage getretene Unbelehrbarkeit durch eine strafrechtliche Sanktion, wäre sie schon bei der Verurteilung bekannt gewesen, möglicherweise auch zu einer höheren Strafe geführt hätte.

Im vorliegenden Fall gibt es zwar keine Anhaltspunkte dafür, dass der Verurteilte das Geld für die erbrachten Leistungen in strafbarer Weise erlangt hätte. Andererseits war die erbrachte Geldleistung in Höhe von 3.000 Euro (ratenweise, über einen Zeitraum von zwei Jahren) gemessen an der Leistungsfähigkeit des Verurteilten nur mäßig belastend. Sowohl bei der Anlassverurteilung als auch im Berufungsurteil des Landgerichts Münster vom 17.06.2015 bzgl. der zum Widerruf führenden Taten ist bzgl. der persönlichen Verhältnisse des Verurteilten ein monatlicher Nettoverdienst von 3.000 Euro bzw. 3.000 bis 3.500 Euro festgestellt worden. Zwar gab es im Verlauf der Bewährung auch Zeiten, in denen der Verurteilte nicht erwerbstätig war. In diesen hat er aber auch geringere monatliche Raten erbracht als die an sich erforderlichen 150 Euro/Monat.

Hinzu kommt, dass – jedenfalls bzgl. der vorsätzlichen Körperverletzung, welche Gegenstand der neuen Verurteilung ist, angesichts der zeitlichen Nähe zur Aburteilung in vorliegender Sache, ein besonders krasser, ungewöhnlicher Fall des Bewährungsversagens vorliegt. Der nachfolgende günstige Bewährungsverlauf vermag das Gewicht dieses Umstands nicht zu entkräften.“

Keine zwangsweise Verabreichung von Beruhigungsmittel in der U-Haft….

SpritzeUnd als letzte der (quasi)vollzugsrechtlichen Entscheidungen des heutigen Tages (vgl. vorhin schon den OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.10.2015 – III-3 Ws 231/15 und dazu Der Besuch der eigenen Ehefrau/Mittäterin im Knast…) nun noch der OLG Hamm, Beschl. v. 17.03.2016 – 5 Ws 88/16. In ihm geht es um die Frage, ob die Zwangsmedikation eines in U-Haft Inhaftierten, der der als gefährlich und unberechenbar eingestuft wird, auf der Grundlage des UVollzG NRW erfolgen darf oder nicht. Das OLG sagt: Nein. Erforderlich ist vielmehr eine besondere gesetzliche Grundlage, die die Zulässigkeit des Eingriffs klar und bestimmt regelt.

Im Verfahren gin es um einen 27-jährigen Angeklagten, gegen den beim LG Arnsberg unter strengen Sicherheitsauflagen die Hauptverhandlung wegen Totschlages lief. Dem sollten in einem Justizkrankenhaus wegen einer psychischen Erkrankung und damit verbundenen Aggressionen zwangsweise Neuroleptika verabreicht werden.

Das haben LG und OLG aber abgelehnt. Das OLG weist in seinem Beschluss darauf hin, dass eine Zwangsmedikation nicht allein mit Gefahrenabwehr gerechtfertigt werden könne. Das NRW-Gesetz erfülle nicht die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für einen so schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte wie die Verabreichung von Medikamenten gegen den Willen des Betroffenen. Aus der Begründung:

„Die Vorschrift des § 28 UVollzG lässt bereits eine Regelung der Eingriffsvoraussetzungen in Gestalt einer gegenwärtigen Lebensgefahr oder einer schwerwiegenden Gefahr für die Gesundheit des Inhaftierten oder anderer Personen (vgl. hierzu etwa § 78 Abs. 1 Satz 1 SVVollz NRW) vermissen. Des Weiteren fehlt es an einer – soweit möglich – näheren Beschreibung durchzuführender Zwangsmaßnahmen (medizinische Untersuchung und Behandlung, ggfs. Ernährung). Weder sind Einzelheiten zur Feststellung noch zur Dokumentation der krankheitsbedingten Einwilligungsunfähigkeit geregelt. Gleiches gilt für eine Ankündigung der beabsichtigten Maßnahme gegenüber dem Inhaftierten und deren Verhältnismäßigkeit einschließlich der geplanten Dauer sowie des zu erwartenden Nutzens. Insbesondere sieht § 28 UVollzG NRW – wie bereits vom Oberlandesgericht Köln bemängelt – keine von der Vollzugsanstalt unabhängige ärztliche Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen vor. Diese unabhängige ärztliche Überprüfung muss sich zugleich dazu verhalten, dass die Maßnahme nicht mit einer erheblichen Gefahr irreversibler Gesundheitsschäden verbunden ist. Schließlich beinhaltet § 28 UVollzG NRW keine Regelung zur notwendigen Dokumentation der Eingriffsvoraussetzungen, der ergriffenen Maßnahmen, einschließlich ihres Zwangscharakters, der Durchsetzungsweise, der Wirkungsüberwachung sowie auch des Untersuchungs- und Behandlungsverlaufs.“