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Verständigung II: Rechtsmittelverzicht und keine Verständigung, oder: Wirksam

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Bei der zweiten Entscheidung zur Verständigungsproblematik geht es um die Wirksamkeit eines Rechtmittelverzichts. Das AG hatte den  Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung  verurteilt. Auf die hiergegen rechtzeitig eingelegte Berufung des Angeklagten hat das LG Dortmund die Berufungshauptverhandlung am 20.10.2016 und 26.10.2016 durchgeführt. Im Rahmen des Fortsetzungstermins am 26.10.2016 hat – ausweislich des Protokolls – eine Erörterung der Sach- und Rechtslage stattgefunden. Nach Unterbrechung hat der Pflichtverteidiger „nach Rücksprache und im ausdrücklichen Einverständnis mit dem Angeklagten“ die Beschränkung der Berufung auf die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs erklärt. Diese Erklärung ist vorgelesen und genehmigt worden, der Vertreter der Staatsanwaltschaft hat der Beschränkung zugestimmt. Mit Urteil vom selben Tag hat das Landgericht Dortmund die Berufung des Angeklagten verworfen. Im Anschluss an die Urteilsverkündung hat der Angeklagte im Einverständnis mit seinem Pflichtverteidiger die Annahme des Urteils und den Verzicht auf Rechtsmittel erklärt. Diese Erklärung ist vorgelesen und genehmigt worden, der Vertreter der Staatsanwaltschaft hat ebenfalls Rechtsmittelverzicht erklärt. Gegen das ihm auf Anordnung des Vorsitzenden zugestellte Urteil des LG hat der Angeklagte mit Telefax-Schreiben seines (neuen) Verteidigers Revision eingelegt und diese dann später begründet.

Dazu der OLG Hamm, Beschl. v. 29.05.2017 – 1 RVs 42/17:

„Die gemäß § 333 StPO statthafte Revision des Angeklagten ist zwar rechtzeitig eingelegt und form- und fristgerecht begründet worden.

Sie erweist sich jedoch als unzulässig, weil das angefochtene Urteil des Landgerichts Dortmund bereits am 26.10.2016 in Rechtskraft erwachsen ist…..

b) Der Wirksamkeit des von dem Angeklagten erklärten Rechtsmittelverzicht steht – entgegen der Auffassung des Angeklagten – nicht die Vorschrift des § 302 Abs. 2 StPO entgegen, da dem Urteil eine Verständigung gemäß § 257 c StPO nicht vorausgegangen ist.

Das Hauptverhandlungsprotokoll enthält – worauf die Revision zutreffend hinweist –  Feststellungen gemäß § 273 Abs. 1 a S. 1 oder 3 StPO nicht, sodass es insoweit seine Beweiskraft (§ 274 StPO) verliert und im Freibeweisverfahren zu prüfen ist, ob und ggfls. mit welchem Inhalt eine Verständigung getroffen worden ist, wobei der Beschwerdeführer den Zeitpunkt, die Form und den Inhalt der Verständigung darzulegen hat (zu vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 273 Rn. 12 c, § 320 Rn. 26g m.w.N.).

Dem Revisionsvorbringen ist insoweit zu entnehmen, dass vor Vernehmung der von dem Angeklagten zu seiner Entlastung benannten Zeugen eine Verständigung zwischen dem Angeklagten einerseits und dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft andererseits dahingehend zustande gekommen sein soll, dass die Staatsanwaltschaft Dortmund bei Beschränkung der Berufung auf die Überprüfung der Rechtsfolgen durch den Angeklagten die Ermittlungen in den weiteren dort gegen den Angeklagten anhängigen und im Hinblick auf das vorliegende Verfahren vorläufig gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellten Ermittlungsverfahren nicht wieder aufnehmen werde. Der Angeklagte habe hierauf seine Berufung beschränkt.

Bereits bei Zugrundelegung dieses Verfahrensganges liegt eine Verständigung im Sinne des § 257 c StPO nicht vor, da das Gericht insoweit nicht gestaltend mitgewirkt hat, sondern lediglich die Erklärungen des Angeklagten, seines Verteidigers sowie des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft entgegengenommen hat. Darüberhinausgehende Zusagen ö.ä durch das Gericht werden durch den Angeklagten nicht vorgetragen und erscheinen angesichts der späteren Berufungsverwerfung auch nicht plausibel.

Eine Verständigung zwischen dem Angeklagten und der Staatsanwaltschaft lässt die Wirksamkeit des erklärten Rechtsmittelverzichts jedoch nicht entfallen, da eine analoge Anwendung des § 302 Abs. 2 StPO mangels planwidriger Regelungslücke ausscheidet. Der Gesetzgeber hat durch die Einführung der Vorschrift des § 257 c StPO bewusst die Möglichkeit von Zusagen der Staatsanwaltschaft gegenüber dem Angeklagten, gerade auch im Hinblick auf Einstellungen gemäß § 154 Abs. 1 StPO, nicht einschränken und solche Zusagen auch nicht der nach Verständigungen gemäß § 257 c Abs. 2 und 3 StPO eintretenden Bindungswirkungen unterwerfen wollen (zu vgl. BT-Drucksache 16/12310, S. 13). Das eine Verständigung im Sinne des § 257 c StPO voraussetzende Verbot eines Rechtsmittelverzichts kann daher nach dem Willen des Gesetzgebers lediglich Verständigungen unter Einbindung des Gerichts erfassen.“

Strafzumessung I: Kurzfristige Freiheitsstrafe bei geringem BtM-Besitz zum Eigenkonsum?

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Author H. Zell

Heute gibt es dann mal wieder ein paar Strafzumessungsentscheidungen, aber nicht vom BGH, sondern von OLG. Und das ist zunächst der OLG Hamm, Beschl. v. 04.04.2017 – 1 RVs 23/17 -, und zwar noch einmal zur Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe wegen Besitz geringer Mengen von Betäubungsmitteln zum Eigenverbrauch und zur Frage der Unerlässiglichtkeit i.S. von § 47 StGB.

Das AG hatte den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Nach den Feststellungen des AG war der bereits vielfach u.a..“auch wegen (aufgrund von Betäubungsmittelabhängigkeit begangener) Diebstahlstaten vorbestrafte und langjährig betäubungsmittelabhängige Angeklagte am 01.03.2016 um 11:30 Uhr im Eingangsbereich der Bahnstation „T“ in E im Rahmen einer Polizeikontrolle im Besitz von drei Stücken Haschisch im Gesamtgewicht von 3,68 Gramm, zwei Tabletten mit dem Wirkstoff Buprenorphin und zwei angebrochenen Tabletten mit dem Wirkstoff Buprenorphin und einer zerbrochenen Tablette mit dem Wirkstoff Buprenorphin angetroffen worden.“ Dabei war das AG mangels Wirkstoffgutachtens von einem unterdurchschnittlichen Wirkstoffgehalt des sichergestellten Haschisch ausgegangen.

Dagegen hatte die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt und diese auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Das LG hat die Berufung mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt wurde, deren Vollstreckung nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt worden ist.Die Revision des Angeklagten hatte hinsichtlich des Rechsfolgenausspruchs Erfolg.

„a)….Soweit die Kammer hingegen eine Freiheitsstrafe von 2 Monaten als tat- und schuldangemessen sowie unerlässlich im Sinne des § 47 StGB erachtet hat, hält dies rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Grundsätzlich ist die Strafzumessung allein Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann im allgemeinen nur dann eingreifen, wenn die Erwägungen, mit denen der Tatrichter Strafart und Strafmaß begründet hat, in sich rechtlich fehlerhaft sind, wenn anerkannte Strafzwecke außer Betracht geblieben sind oder wenn sich die Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein, d.h., wenn die Strafe in einem groben Missverhältnis zu Tatunrecht und Tatschuld steht und gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt. Insoweit ist auch hinsichtlich des letztgenannten Aspektes die grundsätzlich dem Tatrichter vorbehaltene Strafzumessung der rechtlichen Überprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 46 Rn. 146, 149 a).

In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird nahezu durchgängig die Auffassung vertreten, dass in den Fällen des Besitzes geringer Mengen Betäubungsmittel zum Eigenkonsum im Sinne der §§ 29 Abs. 5, 31 a BtMG auch bei einschlägig vorbestraften abhängigen Drogenkonsumenten die Verhängung einer Freiheitsstrafe nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt und sich – soweit sie sich als unerlässlich erweist – im untersten Bereich des Strafrahmens des § 29 Abs. 1 BtMG zu bewegen hat (OLG Oldenburg, Beschluss vom 11. 12.2009 – 1 Ss 197/09 –, juris, Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 27. 09.2006 – III – 104/06 – 1 Ss 166/06 -, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14. 04.2003 – 3 Ss 54/03 –, juris; BGH, Beschluss vom 16. 02.1998 – 5 StR 7/98 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 28.12.2011 – III-2 RVs 45/11 -). Dies gilt insbesondere für die Fälle, in denen über den festgestellten strafbaren Betäubungsmittelbesitz zum Eigenkonsum hinausgehend nach den getroffenen Feststellungen konkrete Anhaltspunkte für eine etwaige Fremdgefährdung – etwa durch die nahe liegende Möglichkeit der Abgabe von Betäubungsmitteln an Dritte oder durch Beschaffungskriminalität – nicht ersichtlich sind (vgl. Senatsbeschluss vom 26.03.2014 – 1 RVs 10/14). So liegt der Fall hier; entgegenstehende Feststellungen sind zumindest bisher nicht getroffen.

Grundsätzlich kann nach den gegebenen Umständen die Verhängung einer auch vollstreckbaren kurzen Freiheitsstrafe gemäß § 47 Abs. 1 StGB vorliegend angesichts der zahlreichen Vorstrafen und des Bewährungsversagens des Angeklagten durchaus in Betracht kommen. Durch die Existenz der Vorschrift § 47 Abs. 1 StGB kommt der gesetzgeberische Wille zum Ausdruck, auch in Fällen objektiv verhältnismäßig geringen Tatunrechts namentlich in den Fällen vorangegangener wiederholt fruchtloser Sanktionen mit der im Verhältnis zur Geldstrafe deutlich belastenderen Strafart der Freiheitsstrafrecht reagieren zu können. Dementsprechend steht außer Zweifel, dass auch in Fällen der Bagatellkriminalität die Festsetzung einer Freiheitsstrafe nicht ohne Weiteres gegen das Übermaßverbot verstößt (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 09.06.1994 – 2 BvR 710/94 –, juris; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 22.07.2003 – 5St RR 167/03 – juris; OLG Nürnberg, Beschluss vom 25.10.2005 –2 St OLG Ss 150/05 –, juris). Bei Festsetzung deren Höhe ist jedoch gerade im Bereich der Bagatellkriminalität zu beachten, dass das in § 38 Abs. 2 StGB festgesetzte Mindestmaß von einem Monat im Vergleich zu einer nach dem Gesetz grundsätzlich primär vorgesehenen Festsetzung einer Geldstrafe das insoweit gemäß § 40 Abs. 1 S. 2 StGB festgelegte gesetzliche Mindeststrafmaß von 5 Tagessätzen Geldstrafe bereits deutlich übersteigt und auch die gewählte Sanktionsart für sich genommen eine erheblich belastendere Beschwer darstellt. In den Fällen eines vom äußeren Tatbild eher nur geringen kriminellen Unrechts ist daher auch im Fall der Erforderlichkeit der Festsetzung einer Freiheitsstrafe gemäß § 47 Abs. 1 StGB sorgfältig zu prüfen, ob zur Einwirkung auf den Täter sowie zur Herbeiführung eines gerechten Schuldausgleichs tatsächlich auch hinsichtlich deren Höhe die Verhängung einer möglicherweise auch deutlich über das Mindestmaß hinausgehenden Freiheitsstrafe tatsächlich rechtlich geboten erscheint.

Bei der konkreten Strafzumessung im Rahmen des § 47 StGB hat das Landgericht hierzu ausgeführt, dass mit der Festsetzung von Geldstrafen nicht mehr hinreichend auf den Angeklagten einzuwirken sei. Er sei vielfach vorverurteilt und trotz früher erlittenen Strafvollzugs und mehrfacher Bewährungschancen wiederholt straffällig geworden, so dass eine Freiheitsstrafe unerlässlich sei.

Dabei hat das Landgericht vorliegend jedoch zumindest nicht erkennbar in seine Erwägungen einbezogen, dass sich der Angeklagte zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung aktuell in Strafhaft befunden hat. Das Urteil des Landgerichts verhält sich nicht darüber, welche Einwirkungen die aktuelle Vollstreckung der Freiheitsstrafe von 5 Monaten auf den Angeklagten hat bzw. gehabt hat, mithin nicht zu der Frage, ob der Angeklagte sich als von der aktuell vollzogenen Haft beeindruckt gezeigt hat oder etwa nicht. Insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen erlittenen Strafhaft wäre prognostisch näher zu erörtern gewesen, aus welchen Gründen angesichts des relativ geringen Schuldumfangs die Verhängung einer weiteren zu vollstreckenden kurzzeitigen Freiheitsstrafe auch unter Berücksichtigung dieses Umstandes unerlässlich ist, zumal die letzte Vollstreckung einer Freiheitsstrafe bereits vor knapp 9 Jahren erledigt war.“

Fahren ohne Fahrerlaubnis, oder: Nach Polizeikontrolle neue Tat?

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Die Woche eröffne ich mit Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) und einem Beschluss des OLG Hamm. Im OLG Hamm, Beschl. v. 27.06.2017 – 4 RVs 75/17 – nimmt das OLG noch einmal zu den Konkurrenzen bei einer Unterbrechung der Fahrt ohne Fahrerlaubnis durch eine Polizeikontrolle Stellung. Das LG hatte folgende Feststellungen getroffen:

„Im Jahre 2015 war und noch immer ist die Angeklagte nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis. Gleichwohl schaffte sie sich im September 2015 einen Pkw Corsa an. Dieser wurde auf den Namen ihres damaligen, mittlerweile verstorbenen Lebensgefährten T angemeldet. Den Unterhalt für das Auto zahlte die Angeklagte. Das Fahrzeug parkte zunächst regelmäßig auf einem Parkplatz in der Nähe ihrer Wohnung. Die Angeklagte war es auch, die den einzigen Schlüssel hatte. Wenn sie irgendwo hingebracht werden musste, kam ihr Vater, der Zeuge L3 und fuhr sie mit ihrem Fahrzeug. Der Zeuge wohnt etwa 5 km entfernt von der Angeklagten. Wenn er die Fahrt absolviert hatte, stellte er den Pkw auf den Parkplatz zurück. Die Angeklagte nahm den Schlüssel wieder mit in ihre Wohnung. So wurde das bis Anfang November 2015 gehandhabt. Ab diesem Zeitpunkt nahm der Zeuge L3 den Pkw Corsa mit nach Hause. Regelmäßig parkte das Fahrzeug nun vor seiner Wohnung. Wenn die Angeklagte gefahren werden musste, holte er sie von zu Hause ab.

Bevor das Auto ab Anfang November 2015 regelmäßig bei ihrem Vater stand, benutzte es die Angeklagte zumindest in einem Fall:

Am 28.10.2015 gegen 1.30 Uhr befuhr sie mit diesem Fahrzeug unter anderem die I- Straße in E2. Hier geriet sie in eine Polizeikontrolle, die von den Zeugen E, PK Q und L4 durchgeführt wurde. Die Zeugin E war damals Praktikantin und führte die Kontrolle unter der Aufsicht von PK Q durch. Der Zeuge L4 war der sichernde Beamte. Bei dieser Kontrolle stellte sich heraus, dass die Angeklagte keine Warnweste dabei hatte. Ihr war klar, dass sie ohne Fahrerlaubnis nicht mit dem Fahrzeug hätte fahren dürfen. Um nicht aufzufallen, zeigte sie bei der Kontrolle den Führerschein der Ehefrau ihres Bruders, der Zeugin L2, vor. Da es dunkel war und sich beide Frauen nicht völlig unähnlich sehen, fiel der Zeugin E nicht auf, dass ihr der auf eine andere Person ausgestellte Führerschein gezeigt wurde. Wie die Angeklagte in den Besitz des Führerscheins der Ehefrau ihres Bruders gelangt war, konnte nicht mit letzter Sicherheit festgestellt werden. Die fehlende Warnweste wurde mit einem Verwarnungsgeld geahndet. Da es nicht an Ort und Stelle gezahlt werden konnte, nannte die Angeklagte als Anschrift diejenige der L2, deren Führerschein sie auch vorgezeigt hatte. An deren Adresse wurde die entsprechende Rechnung geschickt.“

Verurteilt wird wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen und wegen Missbrauchs von Ausweispapieren zu einer Gesamtfreiheitsstrafe. Das OLG hat Bedenken:

 

„Ergänzend bemerkt der Senat, dass die vom Landgericht vorgenommene konkurrenzrechtliche Einordnung nicht zweifelsfrei ist. Die vom Landgericht festgestellten Taten stehen möglicherweise tatsächlich in Tateinheit zueinander. Die Dauerstraftat des Fahrens ohne Fahrerlaubnis endet nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung regelmäßig erst mit Abschluss einer von vornherein für einen längeren Weg geplanten Fahrt und wird nicht durch kurze Unterbrechungen in selbständige Taten aufgespalten (BGH, Beschl. v. 07.11.2003 – 4 StR 438/03 – juris; BGH, Beschl. v. 22.07.2009 – 5 StR 268/09 – juris; BGH, Beschl. v. 12.08.2015 – 4 StR 14/15 – juris). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz wird allerdings angenommen, wenn derjenige, der entgegen einer gesetzlichen Warteverpflichtung, wie sie sich auch § 142 StGB ergibt, weiterfährt und damit einen neuen Tatentschluss fasst (vgl.: BGH Urt. v. 17.02.1967 – 4 StR 461/66 – juris; OLG Hamm, Beschl. v. 08.08.2008 – 2 SsOWi 565/08 – juris; OLG Hamm, Beschl. v. 02.12.2008 – 4 Ss 466/08 – juris). Ebenfalls wird eine Ausnahme für den Fall angenommen, dass ein Kraftfahrer nach einer Polizeikontrolle und Untersagung der Weiterfahrt später seine Fahrt fortsetzt (so etwa: AG Lüdinghausen, Urt. v. 02.02.2010 – 9 Ds 82 Js 8979/09 – 186/09 – juris).

So liegt der Fall vorliegend möglichweise aber nicht. Die bisherigen Feststellungen deuten eher darauf hin, dass sich die Angeklagte das fremde Ausweispapier gerade deswegen beschafft hat, um im Falle einer Kontrolle ihre Fahrt unbehelligt fortsetzen zu können. In einem solchen Fall könnte mehr dafür sprechen, eine tateinheitliche Rechtsverletzung anzunehmen (vgl. AG Lüdinghausen, Urt. v. 02.02.2010 – 9 Ds 82 Js 8979/09 – 186/09 – juris; LG Potsdam, Urt. v. 04.12.2008 – 27 Ns 116/08 – juris). Bei der Kontrolle wurde die Angeklagte auch nur wegen einer fehlenden Warnweste belangt, nicht aber wegen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis.

Kommt man zu dem Ergebnis, dass die beiden Fahrten der Angeklagten vor und nach der Polizeikontrolle in Tateinheit (§ 52 StGB) zueinander stehen, gilt Folgendes: Das als Missbrauch von Ausweispapieren gewertete Geschehen steht dann zu diesen ebenfalls in Tateinheit aufgrund der gegebenen Klammerwirkung des ununterbrochenen Vergehens nach § 21 StVG. Dieses ist gegenüber dem Missbrauch von Ausweispapieren kein minderschweres Delikt, welches nicht geeignet wäre, die Delikte zu einer rechtlichen Einheit zu verbinden (BGHSt 18, 66, 69; BGH, Beschl. v. 22.07.2009 – 5 StR 268/09 – juris).“

Fahrverbot und isolierte Sperrfrist, auch beim Wiederholungstäter muss (eingehend) begründet werden

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Und zum Tagesschluss dann noch eine „Fahrerlaubnisentscheidung“, und zwar den OLG Hamm, Beschl. v. 31.01.2017 – 4 RVs 2/17. Man merkt schon am Aktenzeichen, dass er etwas älter ist. In der Entscheidung geht es um die Anordnung eines Fahrverbotes und einer isolierten Sperrfrist. Das AG hatte gegen den Angeklagten wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr eine Geldstrafe sowie ein zweimonatiges Fahrverbot verhängt und eine einjährige Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis angeordnet. Die Revision des Angeklagten hatte hinsichtlich des Fahrverbotes und der Sperrfrist Erfolg:

„1. Die Begründung zur Anordnung des Fahrverbots als Nebenstrafe und die Begründung zur Anordnung der Maßregel der isolierten Sperrfrist halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Zur Begründung des Fahrverbots führt das Amtsgericht aus:

„Darüber hinaus war dem Angeklagten als Nebenstrafe gem. § 44 StGB ein Fahrverbot aufzuerlegen, da die Tat mittels eines grundsätzlich fahrerlaubnisfreien Fahrzeugs begangen wurde und die Anordnung einer Fahrerlaubnissperre hinsichtlich des Angeklagten keine fühlbaren Auswirkungen hat. Soweit der Angeklagte in der Hauptverhandlung darauf hingewiesen habe, dass er das Fahrzeug für Einkäufe und dergleichen benötige, folgt daraus insoweit nichts anderes, da der Angeklagte entsprechende Einkäufe auch mittels eines Fahrrades bzw. mittels öffentlicher Verkehrsmittel sicherlich bewerkstelligen kann. Aus diesem Grund ist auch die Anordnung des Fahrverbotes nicht unverhältnismäßig.“

Diese Begründung lässt besorgen, dass das Amtsgericht den Zweck der isolierten Sperre für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis nach § 69a Abs. 1 S. 3 StGB verkannt und nur deswegen zusätzlich ein Fahrverbot verhängt hat. Die Formulierung, dass die Fahrerlaubnissperre für den Angeklagten keine „fühlbaren Auswirkungen“ habe, deutet darauf hin, dass der Tatrichter dieser Sanktion einen Strafcharakter beigemessen hat. Tatsächlich handelt es sich aber um eine Ergänzung zur nicht freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung der Entziehung der Fahrerlaubnis (vgl. § 61 Nr. 5 StGB). Maßregeln der Besserung und Sicherung dienen aber dem Schutz der Allgemeinheit vor dem Straftäter, also der Gefahrenabwehr, durch bessernde oder sichernde Maßnahmen, nicht – wie die Strafe (jedenfalls auch) – der Zufügung eines (Straf-) Übels (Stree/Kinzig in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., Vor § 71 ff., Rdn. 2 ff.; vgl. zu freiheitsentziehenden Maßregeln auch: BVerfG NJW 2012, 1784, 1786). Da die Verhängung einer Fahrerlaubnissperre damit nur gefahrenabwehrrechtlichen Charakter hat (es geht darum, die Allgemeinheit davor zu schützen, dass unzuverlässigen Kraftfahrern eine Fahrerlaubnis erteilt wird), kommt es nicht darauf an, ob diese Sanktion für den Angeklagten spürbar ist oder nicht.

Da der Tatrichter bei der Bemessung von Haupt- und Nebenstrafe auch das Wechselspiel dieser beiden Strafen nicht erörtert hat, war der Strafausspruch insgesamt aufzuheben. Haupt- und Nebenstrafe zusammen dürfen die Tatschuld nicht überschreiten (vgl.: Fischer, StGB, 64. Aufl., § 44 Rdn. 17 m.w.N.).

b) Darüber hinaus enthält die Begründung zur Verhängung einer isolierten Sperrfrist einen durchgreifenden Erörterungsmangel. Das Amtsgericht führt lediglich aus:

„Darüber hinaus hat sich der Angeklagte allerdings durch die Trunkenheitsfahrt wiederum als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen. Gem. § 69a StGB war eine isolierte Sperrfrist zu erteilen, die das Gericht mit einem Jahr als notwendig und angemessen erachtet hat.“

§ 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB enthält eine Regelvermutung dafür, dass bei Begehung der Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) Umstände in der Person des Angeklagten wirksam geworden sind, welche die Schlussfolgerung auf Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen zulassen. Umstände, welche die Indizwirkung der vorgenannten Katalogtat widerlegen und daher zu einer Ausnahme von der Regelvermutung führen, sind positiv festzustellen. Die Entscheidung ist eingehend zu begründen. Es kommt stets auf die Umstände des Einzelfalls an. An eine Widerlegung der Regelvermutung sind nochmals gesteigerte Anforderungen zu stellen, sofern es sich um einen Wiederholungstäter handelt, gegen den bereits früher Maßregeln nach §§ 69, 69 a StGB verhängt worden sind (OLG Hamm, Urt. v. 10.11.2015 – III-5 RVs 125/15 –juris m.w.N.).

Zwar wurde der Angeklagte bereits im Jahre 2011 wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Straßenverkehr bestraft und gegen ihn auch seinerzeit bereits ein Fahrverbot und eine Sperre für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis angeordnet, so dass ein Wiederholungsfall vor – und eine Sperrfristverhängung vorliegend sehr nahe liegt. Andererseits hat das Amtsgericht aber festgestellt, dass der Angeklagte, der „Spiegeltrinker“ sei, bereits vor der Hauptverhandlung eine dreimonatige Entgiftung durchgeführt und sich eine Kostenzusage für 20 therapeutische Einzelgespräche verschafft habe. Wie sich diese Umstände auf die Geeignetheit des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen auswirken, hat das Amtsgericht weder bzgl. der Anordnung der Sperre noch bzgl. der Bemessung ihrer Dauer erörtert.“

Wenn man müssen muss, oder: Harndrang versus Fahrverbot

Ich eröffne die 45 KW. dann mit der Harndrang-Entscheidung des OLG, die schon in einigen Blogs gelaufen ist und – was klar ist – noch in weiteren laufen wird. Es geht um das Absehen vom Fahrverbot nach einem Geschwindigkeitsverstoß. Der Betroffene – ein Rechtsanwalt – hatte gegenüber dem Fahverbot geltend gemacht – so die Ausführungen des OLG:

„Das Amtsgericht hat unter Zugrundelegung der unwiderlegt hingenommenen Angaben des als Rechtsanwalt tätigen Betroffenen, er verfüge nach einer Prostataoperation nur noch über eine eingeschränkte Kontinenz und habe während der tatgegenständlichen Fahrt von Q zu einem Termin nach L starken, schmerzhaften Harndrang verspürt, so dass er nur noch darauf fokussiert gewesen sei, „rechts ran fahren“ zu können, wobei er eine entsprechende Gelegenheit zum Anhalten auf der Bundesstraße wegen dichten Verkehrs nicht gefunden habe, eine Notstandslage verneint. Im Rahmen der Begründung zum Fahrverbot führt das Amtsgericht aus, dass der Betroffene Tatsachen, welche die Indizwirkung des § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV widerlegen könnten nicht vorgetragen hätte und auch sonstige Umstände, die ausnahmsweise ein Absehen vom Fahrverbot gem. § 4 Abs. 4 BKatV rechtfertigen könnten, weder dargelegt noch sonst ersichtlich seien.

Das OLG Hamm sieht im OLG Hamm, Beschl. v. 10.10.2017 – 4 RBs 326/17 – einen Erörterungsmangel:

„Die Begründung im angefochtenen Urteil zum Rechtsfolgenausspruch weist einen durchgreifenden Erörterungsmangel zu Lasten des Betroffenen auf. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein sehr starker Drang zur Verrichtung der Notdurft, der durch die besondere körperliche Disposition des Betroffenen bedingt ist (etwa: Krankheit, Gebrechen oder Schwangerschaft) und der ursächlich für die Geschwindigkeitsüberschreitung war (in dem Sinne, dass so versucht wurde, baldmöglichst eine Toilette aufsuchen zu können oder der Betroffene abgelenkt war), ein Grund sein kann, vom Regelfahrverbot abzusehen (vgl. OLG Saarbrücken NStZ-RR 1997, 379; AG Bad Segeberg, Urt. v. 04.05.2012 -5 OWi 552 Js 43380/11 (181/11) – juris). Dies ist aber keineswegs der Normalfall. Der bloße Umstand einer bestimmten körperlichen Disposition reicht hier noch nicht, da ansonsten der hiervon betroffene Personenkreis gleichsam einen „Freibrief“ für pflichtwidriges Verhalten im Straßenverkehr erhalten würde. Grundsätzlich muss der Betroffene mit einer solchen körperlichen Disposition seine Fahrt entsprechend planen, gewisse Unwägbarkeiten (wie etwa Stau, Umleitungen etc.) in seine Planungen einstellen und entsprechende Vorkehrungen treffen oder ggf. auf anfänglich auftretenden Harm- oder Stuhldrang rechtzeitig reagieren, damit ihn ein starker Drang zur Verrichtung der Notdurft nicht zu pflichtwidrigem Verhalten verleitet (vgl. etwa: AG Lüdinghausen NZV 2014, 481). Die Formulierungen im angefochtenen Urteil, dass Umstände, „die ein Absehen vom Fahrverbot gem. § 4 Abs. 4 BKatV hätten rechtfertigen können“, „weder dargelegt noch sonst ersichtlich“ seien, obwohl sie doch nach den Urteilsfeststellungen zumindest im Ansatz vorgetragen worden waren, lassen allerdings besorgen, dass der Tatrichter sie insoweit, d.h. bei der Rechtsfolgenbemessung, überhaupt nicht in seine Erwägungen mit einbezogen hat.

Der Senat kann letztlich nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen, dass der Tatrichter bei Berücksichtigung der genannten Umstände bei der Rechtsfolgenbemessung zu einer dem Betroffenen günstigeren Entscheidung gekommen wäre.

Der neue Tatrichter wird im Rahmen seiner Abwägung u.a. zu berücksichtigen haben, wie lange der Harndrang den Betroffenen schon „quälte“, ob der Betroffene in Kenntnis der bevorstehenden Fahrt und Unwägbarkeiten, mit denen immer zu rechnen ist (wie etwa Stau oder Umleitungen), etwa größere Mengen Flüssigkeit zu sich genommen hat (ggf. kann hier der Vortrag aus der Rechtsbeschwerdebegründungsschrift zu weiterer Aufklärung beitragen), inwieweit ein Anhalten am Fahrbahnrand zur Verrichtung der Notdurft eine Gefährdung des Betroffenen durch den Verkehr auf der Bundesstraße bedeutet hätte (vgl. insoweit: OLG Düsseldorf NZV 2008, 470, 471), ob ein Abfahren von der Bundesstraße ab dem Zeitpunkt des Auftretens des Harndrangs auf eine Nebenstraße zur Verrichtung der Notdurft möglich gewesen wäre, aber auch den Umstand, dass der Betroffene den neuen Verstoß nur rund drei Monate nach Ahndung des vorherigen Geschwindigkeitsverstoßes begangen hat. Weiter wird auch zu prüfen sein, ob das Auftreten von sehr dringendem Harndrang eine Situation ist, in welche der Betroffene häufiger kommt. Dann müsste er sich hierauf entsprechend einstellen und es würde das Maß seiner Pflichtwidrigkeit geradezu erhöhen, wenn er dann gleichwohl ein KFZ führt, obwohl er – wie er selbst angegeben hat – wegen des quälenden Harndrangs so „abgelenkt“ gewesen war, dass er der zulässigen Höchstgeschwindigkeit keine Beachtung mehr schenken konnte. Auch wird die in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht aufgrund der Einlassung des Betroffenen zu Tage getretenen Einstellung, dass wenn ihn starker Harndrang quäle, dann „Wichtigeres im Vordergrund“ stehe (als offenbar die Einhaltung von Pflichten im Straßenverkehr) zu werten sein.“

Also: Zweiter Durchgang. Mal sehen, wie das AG nun mit dem „Müssen müssen“ umgeht und ob wir von der Sache noch einmal etwas lesen.