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OWi I: Standardisiertes Messverfahren, oder: Ist uns doch egal, wann die Konformitätsbescheinigung ausgestellt ist

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Wenn man manche OLG-Entscheidungen liest, hat man den Eindruck, dass es den OLG bei der Frage der Verwertbarkeit von Messungen inzwischen weitgehend egal, ob und welche Vorgaben der Bedienungsanleitung und/oder der MessEV erfüllt sind. Hauptsache irgendwann mal „standardisiert“, dann passt das schon. Deckel drauf und Akte zu.

So muss man – jedenfalls habe ich so gedacht – denken, beim OLG Celle, Beschl. v. 06.05.2019 – 1 Ss (OWi 6/19. Das OLG hat mit dem Beschluss eine Rechtsbeschwerde gegen ein Urteil, mit dem der Betroffene wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt worden ist, verworfen.  Der Verteidiger hatte mit seiner Rechtsbeschwerde vorgetragen, dass die vom Hersteller abgegebene Konformi­tätserklärung zeitlich vor Durchführung der Konformitätsbewertung erfolgt sei, weshalb nicht mehr von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen werden könne.

Das interessiert das OLG aber nicht weiter:

„Der weitere vom Gutachter angeführte und im Rahmen der Sachrüge als Rechtsmangel bezeichnete Umstand, dass die Konformitätserklärung bereits drei Wochen vor der Durchführung des Konformitätsbewertungsverfahren erfolgt ist, bewirkt nicht, dass vorliegend nicht mehr von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen werden kann. Die formalen und inhaltli­chen Voraussetzungen, die die Mess- und EichVO aufstellt, sind nämlich eingehalten. So hat sich der Hersteller der Messanlage zur Feststellung der wesentlichen Anforderungen der Mess- und Eichverordnung des Landesbetriebs Mess- und Eichwesen Nordrhein-Westfalen bedient (§ 9 MessEV), der die Konformitätsbescheinigung am 20. Oktober 2016 erteilt hat. Zudem liegt auch die Konformitätserklärung des Herstellers nach § 11 MessEV vor. Zwar ist diese regelmäßig als obligatorischer Abschluss des Bewertungsverfahrens vorgesehen. Ent­scheidend für die Beschaffung gültiger Werte durch die Messanlage ist jedoch deren inhaltliche Prüfung. Die anschließende Konformitätserklarung dient lediglich der Verantwortungs­übernahme durch den Hersteller, ohne dass daraus Rückschlüsse auf die Funktionstüchtig­keit der Anlage abzuleiten sind.“

Ich hatte bislang immer gedacht, dass eine „Bescheinigung“ oder „Konformitätserklärung“ erst erteilt werden kann, wenn man etwas geprüft hat und nicht schon vorher. Ist aber wohl nicht so.

Man sollte wirklich erwägen, die Rechtsbeschwerde in Bußgeldsachen abzuschaffen. Denn, was da zur Zeit abläuft, ist eine Farce und hat mit einem Rechtsmittel nichts oder nur noch sehr wenig zu tun.

Fluchtgefahr, oder: Wenn der Angeklagte 2009 (!) schon mal ins Ausland wollte

entnommen der Homepage der Kanzlei Hoenig, Berlin

Heute dann mal „quer durch den Garten“ oder ein „Kessel Buntes“ in der Woche. Und in dem „schwimmt“ zunächst der OLG Celle, Beschl. v. 08.09.2019 – 3 Ws 102/19, der in einem Verfahren mit dem Vorwurf der Steuerhinterziehung zur Frage der Fluchtgefahr und zur Sicherheitsleistung Stellung nimmt. Das LG hatte die das Vorliegen von Fluchtgefahr insbesondere darauf gestützt, dass der Angeklagte die österreichische Staatsangehörigkeit besitzt und weit überdurchschnittlich vermögend ist, unter Hinzutreten der erheblichen Straferwartung. Er verfüge zwar über tragfähige soziale Bindungen im Inland und lebe seit seiner Kindheit in H., wo er mit seiner Ehefrau und zwei Kindern im Alter von fünf Jahren seinen Lebensmittelpunkt unterhalte. Von den rund 100 Millionen Euro aus dem Verkauf seiner Firma im Jahr 2007 sei aber noch ein erheblicher Anteil vorhanden. Hinzu komme ein erhebliches Privatvermögen aus Vergütungen als Geschäftsführer und Unternehmensvorstand sowie hieraus erzielten Anlageerlösen. Der Angeklagte pflege einen aufwändigen Lebensstil und lebe in einer neu errichteten, großzügigen Villa im … von H. Er verfüge daneben über Immobilienbesitz auf S., in pp. und in S.. Er habe im Jahr 2009 Pläne verfolgt, seinen Wohnsitz nach S. zu verlegen, diese aber aufgegeben, weil ein Umzug aus steuerlichen Gründen unattraktiv gewesen sei. Gleichwohl ließen diese Erwägungen den Schluss zu, dass allein die langjährigen sozialen Bindungen im Inland den Angeklagten von einer dauerhaften Verlegung seines Aufenthalts ins Ausland, insbesondere in Länder, die wie die S., in fiskalstrafrechtlichen Angelegenheiten eine Auslieferung in der Regel ablehnten, im Zweifel nicht abhalten würden. Der Angeklagte habe sich zwar über rund elf Monate den insgesamt 32 Verhandlungstagen bis hin zur Urteilsverkündung ohne Fluchtanzeichen gestellt. Hierbei habe er aber den Eindruck vermittelt, nicht ernsthaft mit einer Verurteilung oder allenfalls mit einer solchen zu einer Bewährungsstrafe zu rechnen.

Das OLG hat das zum Teil „gehalten“, hat allerdings den Haftbefehl gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt:

„a) Soweit die Beschwerde geltend macht, es fehle an jeglichen eine Fluchtgefahr begründenden Tatsachen im Sinne des Gesetzes, trifft dies nicht zu. Die Fluchtgefahr darf zwar nur aus „bestimmten Tatsachen“ hergeleitet werden; bloße Mutmaßungen und Befürchtungen genügen nicht. Die Tatsachen brauchen aber nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts festzustehen; es genügt derselbe Wahrscheinlichkeitsgrad wie beim dringenden Tatverdacht (vgl. Hilger, in: Löwe-Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 112 Rn. 32; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 61. Aufl., § 112 Rn. 22; jew. mwN). Mit dem Begriff „bestimmte Tatsachen“ fordert das Gesetz auch nicht, nur auf äußerlich zutage liegende Tatsachen abzustellen; es kann sich vielmehr auch um Erfahrungssätze und innere Tatsachen handeln, auf die nach der Lebenserfahrung oder aufgrund äußerer Umstände geschlossen werden kann (Hilger aaO Rn. 24; Meyer-Goßner/Schmitt aaO; jew. mwN).

b) Als innere Tatsache zum Tragen kommt hier zunächst der Erfahrungssatz, dass ein Beschuldigter mit hoher Wahrscheinlichkeit umso eher versuchen wird, sich dem Strafverfahren zu entziehen, je höher die zu erwartende Strafe ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt aaO mwN). Dementsprechend kommt bei der Beurteilung der Fluchtgefahr der Straferwartung grundsätzlich maßgebende Bedeutung zu; denn sie bestimmt das Ausmaß des Fluchtanreizes (vgl. OLG Düsseldorf StV 1991, 305; Hilger aaO Rn. 24). Zwar kann auf die Straferwartung allein im Allgemeinen die Annahme von Fluchtgefahr nicht gestützt werden; sie ist aber Ausgangspunkt für die Erwägung, ob der in ihr liegende Anreiz zur Flucht unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände so erheblich ist, dass er die Annahme rechtfertigt, der Angeklagte werde ihm nachgeben und wahrscheinlich flüchten. Je höher die konkrete Straferwartung ist, umso gewichtiger müssen die den Fluchtanreiz mindernden Gesichtspunkte sein (vgl. KG StV 2012, 350; OLG Hamm NStZ-RR 2010, 158; Meyer-Goßner/Schmitt aaO Rn. 24 m.w.N.). Maßgebend für die anzunehmende Straferwartung ist hier die verhängte Freiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten. Von dieser geht – auch nach Anrechnung der bisherigen Untersuchungshaft – ein erheblicher Fluchtanreiz aus. Zwar ist bei der Ermittlung der Dauer der zu erwartenden Strafhaft auch eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung gemäß § 57 StGB zu berücksichtigen; dies gilt jedoch nur, wenn sie im konkreten Fall zu erwarten ist (vgl. BVerfG StV 2008, 421). Diese konkrete Erwartung besteht im vorliegenden Fall zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Außerdem böte auch der Zeitraum bis zum Erreichen des Zweidritteltermins noch einen erheblichen Fluchtanreiz.

c) Demgegenüber spricht das Erscheinen des Angeklagten zu allen Hauptverhandlungsterminen einschließlich der Urteilsverkündung in Kenntnis des bereits zwei Wochen vorher von der Staatsanwaltschaft gestellten Antrags auf Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten im Rahmen der Gesamtwürdigung grundsätzlich gegen eine Fluchtgefahr. Dies hat auch das Landgericht nicht verkannt. Soweit die Beschwerde rügt, es sei dabei unberücksichtigt geblieben, dass der Angeklagte aufgrund seiner Akteneinsicht Kenntnis von einer bereits am 15. Mai 2012 vom Finanzamt für Fahndung und Strafsachen formulierten Anregung auf Beantragung eines Haftbefehls hatte, zeigt mit Blick darauf, dass der Angeklagte somit auch Kenntnis davon hatte, dass die Staatsanwaltschaft der Anregung nicht gefolgt ist, keinen durchgreifenden Abwägungsmangel auf. Entscheidend ist, dass die Bedeutung der vorstehenden Umstände dadurch relativiert wird, dass der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit trotz Aktenkenntnis und Hinweisen seiner Verteidiger bis zuletzt nicht mit einer Freiheitsstrafe in der verhängten Höhe gerechnet hat.

Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt auch unter Geltung des strengeren Maßstabs nach § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO entschieden, dass die Verkündung eines auf Freiheitsstrafe in nicht unerheblicher Höhe lautenden Urteils geeignet sein kann, den Vollzug der Untersuchungshaft zu rechtfertigen, wenn die vom Tatgericht verhängte Strafe von der früheren Prognose erheblich zum Nachteil des Angeklagten abweicht und sich die Fluchtgefahr dadurch ganz wesentlich erhöht (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 15. August 2007 – 2 BvR 1485/07 -, StV 2008, 29; vom 29. November 2006 – 2 BvR 2342/06 -, StV 2007, 84; und vom 1. Februar 2006 – 2 BvR 2056/05 -, StV 2006, 139). Dementsprechend ist es im Rahmen der Gesamtwürdigung von Bedeutung, wenn der Angeklagte „nach dem persönlichen Eindruck der Kammer bis zuletzt auf eine Strafe im bewährungsfähigen Bereich gehofft hat“ (vgl. OLG Hamm PStR 2012, 269). So liegt es mit hoher Wahrscheinlichkeit hier. Der vom Landgericht gezogene Schluss auf diese innere Tatsache aus dem äußerlich wahrnehmbaren Verhalten des Angeklagten bei der Urteilsverkündung liegt nahe und ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Der Senat tritt ihm bei. Soweit die Beschwerde geltend macht, dass der Angeklagte bereits frühzeitig im Verfahren psychosomatische Beschwerden wie Panikattacken erlitten, sich auch nach dem zweiten Verlassen des Saals übergeben und es sich um eine „schockartige Reaktion“ in einer „Extremsituation“ gehandelt habe, führt dies nicht zu einer anderen Schlussfolgerung oder Beurteilung ihres Wahrscheinlichkeitsgrades. Denn zur Überzeugung des Senats handelt es sich in jedem Fall nicht um die Reaktion eines Angeklagten, der ernsthaft mit einer Strafe in annähernd dieser Höhe gerechnet hat.

d) Weitere den Fluchtanreiz mindernde Gesichtspunkte sind die familiären und sonstigen sozialen Bindungen des Angeklagten im Inland. Der Angeklagte hat eine Ehefrau und zwei Kinder im Alter von fünf Jahren, mit denen er auch zusammenlebt. Hinzu kommen zwei Schwestern, die im Umland von H. wohnen und zu denen der Angeklagte ein inniges Vertrauensverhältnis hat. Er verfügt darüber hinaus über einen ausgedehnten Freundes- und Bekanntenkreis im Inland. Er hat Grundeigentum und sonstiges Vermögen im Inland. Diesen Umständen kommt im Rahmen der Gesamtwürdigung erhebliches Gewicht zu.

Nicht von der Hand zu weisen ist allerdings die Erwägung des Landgerichts, der nicht in die Tat umgesetzte Plan des Angeklagten aus dem Jahr 2009 einer Verlagerung seines Lebensmittelpunkts nach S., wo er ebenfalls Grundeigentum hat und sich regelmäßig aufhält, lasse darauf schließen, dass allein die langjährigen sozialen Bindungen im Inland den Angeklagten von einer dauerhaften Verlegung seines Aufenthalts ins Ausland im Zweifel nicht abhalten würden. Zwar weist die Beschwerde insoweit zutreffend darauf hin, dass die sozialen Bindungen des Angeklagten sich seitdem verstärkt haben, insbesondere seine beiden Kinder geboren worden sind. Allerdings würde angesichts der finanziellen Möglichkeiten des Angeklagten eine Verlegung seines Lebensmittelpunkts etwa in die S. nicht den vollständigen Abbruch seiner sozialen Beziehungen nach Deutschland bedeuten. Zudem lehrt die Lebenserfahrung, dass Familien auch aus weit weniger gewichtigen Gründen, wie etwa einem Arbeitsplatzwechsel, ihren Wohnsitz verlegen und dabei in Kauf nehmen, dass die minderjährigen Kinder aus ihrem gewohnten Lebensumfeld herausgelöst werden. Vor diesem Hintergrund kommt auch die Erwägung des Landgerichts zum Tragen, dass der Angeklagte auf Grund seines Vermögens gerade nicht an einen bestimmten Arbeitsplatz gebunden ist, um den Lebensunterhalt für seine Familie zu sichern. Eine von der Beschwerde gerügte rechtsfehlerhafte Bewertung des Lebens des Angeklagten „als Privatier“ liegt darin nicht.

Der Angeklagte verfügt auch über intensive Auslandskontakte und im Ausland angelegtes Vermögen. Diese Umstände begründen zwar allein keine Fluchtgefahr, sind aber bei der erforderlichen Gesamtwürdigung mit zu berücksichtigen (vgl. KG NStZ-RR 2014, 374; OLG Hamm aaO; Hilger aaO Rn. 36). Dies gilt insbesondere in Steuerstrafsachen, weil bei „einfacher“ Steuerhinterziehung durch Verschweigen von Einkünften dem Beschuldigten in einigen Staaten – wie etwa der S. – keine Auslieferung droht (Hilgers-Klautzsch in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, 62. Lieferung 11.2018, § 385 AO Rn. 501). Befände sich der Angeklagte auf freiem Fuß, so könnte er entsprechende Vorbereitungen zur Beschaffung von neuen Papieren, zur Erlangung eines Aufenthaltstitels und zur Verschiebung von Vermögen in ein geeignetes Aufnahmeland selbst oder durch Vertrauenspersonen vom Inland aus treffen, ohne zuvor zur Fahndung ausgeschrieben zu sein oder seine – nicht rechtskräftige – Verurteilung offenzulegen.

4. In Anbetracht der sich aufgrund der vorstehenden Gesamtwürdigung ergebenden Intensität der Fluchtgefahr erachtet der Senat allerdings mildere Mittel im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO als geeignet, um der Fluchtgefahr hinreichend zu begegnen, und hat daher die aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Bedingungen und Weisungen angeordnet.

Dies gilt auch für die Sicherheitsleistung in der angeordneten Höhe. Die vom Landgericht geäußerten Zweifel an der Richtigkeit der dargelegten Vermögensverhältnisse des Angeklagten stehen dem nicht entgegen. Die Sicherheit ist nach Art und Höhe so festzusetzen, dass auf den Angeklagten ein „psychischer Zwang“ ausgelöst wird, eher am Verfahren teilzunehmen und eine etwa erkannte Freiheitsstrafe anzutreten, als den Verlust der Sicherheit zu riskieren (Graf, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl., § 116a Rn. 4). Eine belastbare Grundlage für die Annahme, dass der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit über ein deutlich höheres Vermögen als angegeben verfügt, liegt dem Senat nicht vor. Bei der Bemessung der Sicherheit ist zwar auch den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Angeklagten Rechnung zu tragen; grundlegend für Art und Höhe der Sicherheit sind aber die Intensität des Haftgrundes und die Bedeutung der Sache (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 27. September 2012 – 2 BvR 1874/12, StV 2013, 96). Dem Ausmaß der Fluchtgefahr und der Bedeutung der Sache wird durch die angeordnete Sicherheitsleistung, flankiert durch die weiteren Weisungen, angemessen Rechnung getragen.“

OWi II: Der unbekannte und nicht geschulte Auswertebeamte, oder: Beweismittel ist das Messfoto

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Die zweite OWi-Entscheidung des Tages ist der OLG Celle, Beschl. v. 23.01.2019 – 3 Ss OWi 13/19 -, der schon etwas länger in meinem Blogordner hängt. Verurteilt worden war der Betroffene vom AG wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung. Der einsendene Kollege Ritter aus Laatzen hatte mit der Rechtsbeschwerde beanstandet, dass die Geschwindigkeitsmessung durch einen nicht geschulten Angestellten im öffentlichen Dienst durchgeführt worden war. Das stört das OLG nicht:

„Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde war zu verwerfen, weil gegen den Betroffenen eine Geldbuße von nicht mehr als 100 EURO festgesetzt worden und es nicht geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des sachlichen Rechts zu ermöglichen oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 OWiG).

Die Generalstaatsanwaltschaft hat im Rahmen ihrer Zuschrift hierzu ausgeführt:

„Eine Zulassung wegen der Anwendung von Rechtsnormen über das Verfahren oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung kommt bei einer Geldbuße von nicht mehr als 100 € – wie hier – von vornherein nicht in Betracht (§ 80 Abs. 1 N. 1 OWiG).

Es ist offensichtlich nicht geboten, die Nachprüfung der Entscheidung zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen oder wegen einer Verletzung rechtlichen Gehörs. Eine fortbildungsbedürftige Rechtsfrage wird nicht aufgezeigt. Sie liegt auch sonst nicht vor. Das Ergebnis einer Geschwindigkeitsmessung, die durch einen Angestellten im öffentlichen Dienst durchgeführt worden ist, ist nach der obergerichtlichen Rechtsprechung verwertbar (OLG Oldenburg, Besch. V. 11.03.2009 — 2 SsBs 42109 -, juris). Auf Person und Schulung der Auswertekraft kommt es nicht entscheidungserheblich an. Nicht deren Aussage ist das hier maßgebliche Beweismittel, sondern das Messfoto, dem sich die gemessene Geschwindigkeit des Betroffenen vor Toleranzabzug ohne weiteres und unmittelbar entnehmen lässt. Es war entgegen dem in der Antragsbegründung (S. 15) erweckten Eindruck Gegenstand der Beweisaufnahme.“

Diesen Ausführungen schließt der Senat sich an.“

Na ja, da kann man Zweifel haben. Denn ist es wirklich egal, wer Auswertebeamter war und ob dieser geschult war. Da meint das OLG, auf Person und Ausbildung des Auswertebeamten komme es nicht an. „Beweismittel“ sei stattdessen das Messfoto, dem sich die Geschwindigkeit unmittelbar entnehmen lasse. Zu Recht meinte der Kollege in seinem Übersendungsschreiben, dass die Wertung wohl im Widerspruch zur PTB steht, die ausführt, dass das Beweismittel in den digitalen Messdaten besteht, nicht jedoch in Ausdrucken, Bildschirmanzeigen, etc.

Und: Ob das Foto, das erst eine Auswertung des originären Beweismittels respektive der Daten darstellt, überdies fehlerfrei durch eine ausreichend geschulte Auswertekraft ermittelt wurde, ist für das OLG ebenfalls irrelevant zu sein. Danach wäre die Notwendigkeit einer Ausbildung des Auswertebeamten ebenfalls Makulatur.

Man fragt sich, warum man nicht einfach die Möglichkeit der Rechtsbeschwerde in diesen Fällen abschafft. Denn diese Pseudorechtsstaatlichkeit durch Zurverfügungstellen eines Rechtsmittels ist schon manchmal schwer zu ertragen.

Beweiswürdigung III: Vermittlung der erforderlichen Sachkunde im Freibeweisverfahren

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Und die dritte Entscheidung hat auch eine beweisrechtliche Problematik zum Gegenstand. Ergangen ist der OLG Celle, Beschl. v. 24.01.2019 – 3 Ws 317/18 (StrVollz) allerdings im Vollzugsverfahren. Es geht um die Frage der notwendigen Sachkunde zur Beurteilung der anstaltsärztlichen medizinischen Betreuung des Gefangenen.

Dazu meint das OLG:

Im Rahmen des Freibeweisverfahrens kann unter bestimmten Voraussetzungen auch die anstaltsärztliche Stellungahme dem Gericht die notwendige Sachkunde vermitteln.

Einvernehmliche Umbeiordnung des Pflichtverteidigers, oder: Was sind „Mehrkosten“?

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Gestern frisch rein gekommen ist der OLG Celle, Beschl. v. 06.02.2019 – 2 Ws 37/19. Der nimmt zu einer für die Praxis des Rechts der Pflichtverteidigung wichtigen Frage Stellung. Denn welcher Verteidiger kennt ihn nicht: Den Streit mit der Staatskasse in den Fällen der sog. einvernehmlichen Umbeiordnung, wenn „umbeigeordnet“ wird unter der Vorgabe: „Keine Mehrkosten für die Staatskasse“? Dann wird nicht selten später mit dem Kostenbeamten darum gestritten, was denn nun „Mehrkosten“ sind. Die Vertreter der Staatskasse tendieren dann dahin zu sagen: Alles oder so viel wie möglich.

Das sieht das OLG Celle nun anders, und zwar in folgender Sachverhaltskonstellation:

Das AG Hannover hat einen ortsansässigen Verteidiger zum Pflichtverteidiger des Angeklagten bestellt. Diesen hat das AG später entpflichtet und einen anderen (Wahl)Pflichtverteidiger beigeordnet, der seinen Kanzleisitz in G. hat, unter dem Hinweis, dass durch die Umbeiordnung entstehende Mehrkosten nicht erstattet werden. Dagegen hatte der Pflichtverteidiger Beschwerde eingelegt, die aber u.a. mit der Begründung verworfen worden ist, dass die erfolgte Umbeiordnung nur möglich gewesen sei, wenn der Staatskasse keine Mehrkosten entstehen.

Im Rahmen der Kostenfestsetzung beantragt der Verteidiger die Gebührenfestsetzung in Höhe von 1.265,92 €. Durch Entscheidung der Kostenbeamtin vom 19.09.2018 wurden auf diesen Antrag 785,40 € festgesetzt und angewiesen, wobei Fahrtkosten für drei Hauptverhandlungstermine in Höhe von jeweils 99,60 € (Nr. 7003 VV RVG) und Abwesenheitsgeld in Höhe von einmal 25 € (Nr. 7005/1 VV RVG) und zweimal 40 € (Nr. 7005/2 VV RVG) nebst anteiliger Umsatzsteuer in Abzug gebracht wurden. Diese Kostenpositionen seien lediglich durch die Umbeiordnung entstanden, da der Verteidiger aus G. komme und nicht wie der vormalige Verteidiger aus H. Dagegen das Rechtsmittel des Verteidigers, das Erfolg hatte.

„Zutreffend stellt die Kammer im Ausgangspunkt darauf ab, dass sich der Vergütungsanspruch nach dem Beiordnungsbeschluss bestimmt, § 48 Abs. 1 RVG. Durch diesen wurde vorliegend eine Erstattung der durch die Umbeiordnung entstandenen Mehrkosten ausgeschlossen. Von dem auslegungsfähigen Begriff der „Mehrkosten“ sind die hier geltend gemachten Positionen der Fahrtkosten und des Abwesenheitsgeldes jedoch nicht erfasst. Mit dem Begriff der Mehrkosten werden Fiskalinteressen geschützt: Der Fiskus soll durch den Sinneswandel des Beschuldigten nicht belastet werden. Die so zu schützenden Fiskalinteressen reichen aber nicht weiter, als wenn der Beschuldigte den jetzt gewählten Verteidiger von vornherein bezeichnet hätte und dieser hätte beigeordnet werden können (OLG Oldenburg, Beschlüsse vom 21.03.2017, 1 Ws 122/17 und vom 23.04.2015, 1 Ws 170/15). Angesichts der durch das 2. Opferrechtsreformgesetz vom 29.07.2009 erfolgten Streichung der früheren gesetzlichen Einschränkung, dass der Verteidiger möglichst aus der Zahl der örtlichen Rechtsanwälte ausgewählt werden sollte, ist die Gerichtsnähe des Verteidigers keine wesentliche Voraussetzung mehr (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Auflage, 2018, § 142, Rn. 5; vgl. Laufhütte/Willnow in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Auflage, 2013, § 142, Rn. 5). Zwar kann der ortsferne Kanzleisitz des gewählten Verteidigers nach wie vor im Einzelfall einen Grund darstellen, die Bestellung des gewünschten Rechtsanwalts abzulehnen. Im Bestellungsverfahren tritt der Gesichtspunkt der Ortsnähe im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung aber grundsätzlich gegenüber dem besonderen Vertrauensverhältnis des Beschuldigten zu seinem Verteidiger zurück (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.09.2001,       2 BvR 1152/01; BGH, Beschluss vom 17.07.1997, 1 StR 781/96; OLG Stuttgart, Beschluss vom 13.01.2006, 2 Ws 5/06). Der Umstand der Ortsferne steht nur dann der Bestellung entgegen, wenn dadurch eine sachdienliche Verteidigung des Beschuldigten bzw. der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gefährdet werden (OLG Brandenburg, Beschluss vom 20.10.2014, 1 Ws 162/14). Unter Berücksichtigung dieser Wertung ist der Begriff der „Mehrkosten“ dahingehend zu verstehen, dass diejenigen Gebührenpositionen ausgeschlossen werden sollen, die durch die Umbeiordnung doppelt entstehen und damit den Fiskus „ohne wichtigen Grund“ i.S.d. Widerrufsmöglichkeit einer Bestellung nach § 143 StPO belasten würden. Im Übrigen wäre das „nachträgliche“ Entstehen von Fahrtkosten auch bei einer im Laufe des Strafverfahrens eingetretenen beruflichen Veränderung eines von Beginn an beigeordneten Verteidigers denkbar, etwa bei einem Kanzlei- und damit verbundenen Bezirkswechsel.

Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass das Oberlandesgericht Oldenburg in seinem Beschluss vom 23.04.2015 (1 Ws 170/15) bei der Prüfung der Beiordnungsvoraussetzungen einen Vergleich der räumlichen Entfernungen zwischen Gericht und dem Kanzleiort des Verteidigers sowie der Größe des Landgerichtsbezirks vorgenommen hat. Denn hiermit hat das Oberlandesgericht seine Einzelfallentscheidung lediglich dahingehend begründet, dass der Umstand der Ortsferne im dortigen Einzelfall gerade keine Gefährdung der sachdienlichen Verteidigung und des ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs darstellt. Sofern das Landgericht darauf abstellt, dass diese Argumentation nicht übertragbar sei, weil der Amtsgerichtsbezirk Hannover deutlich kleiner sei als der Landgerichtsbezirk Osnabrück und dementsprechend vergleichbare Reisekosten bei der Auswahl eines ortsansässigen Verteidigers nicht entstünden und deshalb der (umfassend verstandene) Mehrkostenausschluss angemessen sei, folgt der Senat dem nicht. Denn der bloße Vergleich der Höhe der Reisekosten entbindet das Gericht nicht von der Prüfung der Beiordnung nach den oben genannten Grundsätzen. Andernfalls wäre eine erhebliche Einschränkung dieser Grundsätze zur Verteidigerauswahl gegeben, weil dann faktisch lediglich noch Beiordnungen von Rechtsanwälten aus dem Bezirk des Amtsgerichts Hannover in Betracht kämen.

Die Auffassung des Landgerichts, dass nur ein (umfassend verstandener) Mehrkostenausschluss den hinreichenden Schutz der Fiskalinteressen gewährleiste und damit eine missbräuchliche Anwendung verhindere, teilt der Senat nicht. Gerade im Hinblick auf eine missbräuchliche Anwendung gilt die freie Auswahlmöglichkeit hinsichtlich des zu bestellenden Pflichtverteidigers für den Beschuldigten nicht unbegrenzt, sondern das Kriterium der Ortsnähe ist noch immer in die Prüfung der Beiordnungsvoraussetzungen einzubeziehen und kann in einem entsprechenden Einzelfall einer Bestellung entgegenstehen.“

M.E. für den Sachverhalt richtig. Man kann natürlich darum streiten, ob die Einschränkung „keine Mehrkosten“ überhaupt zulässig ist, aber der Streit bringt m.E. nichts. Die h.M. in der Rechtsprechung geht in die andere Richtung. Interessant auch die Ausführungen des OLG zum Kriterium „Ortsnähe“ – „in einem entsprechenden Einzelfall einer Bestellung entgegenstehen“. Generell also nicht (mehr).