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Fluchtgefahr, oder: Wenn der Angeklagte 2009 (!) schon mal ins Ausland wollte

entnommen der Homepage der Kanzlei Hoenig, Berlin

Heute dann mal „quer durch den Garten“ oder ein „Kessel Buntes“ in der Woche. Und in dem „schwimmt“ zunächst der OLG Celle, Beschl. v. 08.09.2019 – 3 Ws 102/19, der in einem Verfahren mit dem Vorwurf der Steuerhinterziehung zur Frage der Fluchtgefahr und zur Sicherheitsleistung Stellung nimmt. Das LG hatte die das Vorliegen von Fluchtgefahr insbesondere darauf gestützt, dass der Angeklagte die österreichische Staatsangehörigkeit besitzt und weit überdurchschnittlich vermögend ist, unter Hinzutreten der erheblichen Straferwartung. Er verfüge zwar über tragfähige soziale Bindungen im Inland und lebe seit seiner Kindheit in H., wo er mit seiner Ehefrau und zwei Kindern im Alter von fünf Jahren seinen Lebensmittelpunkt unterhalte. Von den rund 100 Millionen Euro aus dem Verkauf seiner Firma im Jahr 2007 sei aber noch ein erheblicher Anteil vorhanden. Hinzu komme ein erhebliches Privatvermögen aus Vergütungen als Geschäftsführer und Unternehmensvorstand sowie hieraus erzielten Anlageerlösen. Der Angeklagte pflege einen aufwändigen Lebensstil und lebe in einer neu errichteten, großzügigen Villa im … von H. Er verfüge daneben über Immobilienbesitz auf S., in pp. und in S.. Er habe im Jahr 2009 Pläne verfolgt, seinen Wohnsitz nach S. zu verlegen, diese aber aufgegeben, weil ein Umzug aus steuerlichen Gründen unattraktiv gewesen sei. Gleichwohl ließen diese Erwägungen den Schluss zu, dass allein die langjährigen sozialen Bindungen im Inland den Angeklagten von einer dauerhaften Verlegung seines Aufenthalts ins Ausland, insbesondere in Länder, die wie die S., in fiskalstrafrechtlichen Angelegenheiten eine Auslieferung in der Regel ablehnten, im Zweifel nicht abhalten würden. Der Angeklagte habe sich zwar über rund elf Monate den insgesamt 32 Verhandlungstagen bis hin zur Urteilsverkündung ohne Fluchtanzeichen gestellt. Hierbei habe er aber den Eindruck vermittelt, nicht ernsthaft mit einer Verurteilung oder allenfalls mit einer solchen zu einer Bewährungsstrafe zu rechnen.

Das OLG hat das zum Teil „gehalten“, hat allerdings den Haftbefehl gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt:

„a) Soweit die Beschwerde geltend macht, es fehle an jeglichen eine Fluchtgefahr begründenden Tatsachen im Sinne des Gesetzes, trifft dies nicht zu. Die Fluchtgefahr darf zwar nur aus „bestimmten Tatsachen“ hergeleitet werden; bloße Mutmaßungen und Befürchtungen genügen nicht. Die Tatsachen brauchen aber nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts festzustehen; es genügt derselbe Wahrscheinlichkeitsgrad wie beim dringenden Tatverdacht (vgl. Hilger, in: Löwe-Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 112 Rn. 32; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 61. Aufl., § 112 Rn. 22; jew. mwN). Mit dem Begriff „bestimmte Tatsachen“ fordert das Gesetz auch nicht, nur auf äußerlich zutage liegende Tatsachen abzustellen; es kann sich vielmehr auch um Erfahrungssätze und innere Tatsachen handeln, auf die nach der Lebenserfahrung oder aufgrund äußerer Umstände geschlossen werden kann (Hilger aaO Rn. 24; Meyer-Goßner/Schmitt aaO; jew. mwN).

b) Als innere Tatsache zum Tragen kommt hier zunächst der Erfahrungssatz, dass ein Beschuldigter mit hoher Wahrscheinlichkeit umso eher versuchen wird, sich dem Strafverfahren zu entziehen, je höher die zu erwartende Strafe ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt aaO mwN). Dementsprechend kommt bei der Beurteilung der Fluchtgefahr der Straferwartung grundsätzlich maßgebende Bedeutung zu; denn sie bestimmt das Ausmaß des Fluchtanreizes (vgl. OLG Düsseldorf StV 1991, 305; Hilger aaO Rn. 24). Zwar kann auf die Straferwartung allein im Allgemeinen die Annahme von Fluchtgefahr nicht gestützt werden; sie ist aber Ausgangspunkt für die Erwägung, ob der in ihr liegende Anreiz zur Flucht unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände so erheblich ist, dass er die Annahme rechtfertigt, der Angeklagte werde ihm nachgeben und wahrscheinlich flüchten. Je höher die konkrete Straferwartung ist, umso gewichtiger müssen die den Fluchtanreiz mindernden Gesichtspunkte sein (vgl. KG StV 2012, 350; OLG Hamm NStZ-RR 2010, 158; Meyer-Goßner/Schmitt aaO Rn. 24 m.w.N.). Maßgebend für die anzunehmende Straferwartung ist hier die verhängte Freiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten. Von dieser geht – auch nach Anrechnung der bisherigen Untersuchungshaft – ein erheblicher Fluchtanreiz aus. Zwar ist bei der Ermittlung der Dauer der zu erwartenden Strafhaft auch eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung gemäß § 57 StGB zu berücksichtigen; dies gilt jedoch nur, wenn sie im konkreten Fall zu erwarten ist (vgl. BVerfG StV 2008, 421). Diese konkrete Erwartung besteht im vorliegenden Fall zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Außerdem böte auch der Zeitraum bis zum Erreichen des Zweidritteltermins noch einen erheblichen Fluchtanreiz.

c) Demgegenüber spricht das Erscheinen des Angeklagten zu allen Hauptverhandlungsterminen einschließlich der Urteilsverkündung in Kenntnis des bereits zwei Wochen vorher von der Staatsanwaltschaft gestellten Antrags auf Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten im Rahmen der Gesamtwürdigung grundsätzlich gegen eine Fluchtgefahr. Dies hat auch das Landgericht nicht verkannt. Soweit die Beschwerde rügt, es sei dabei unberücksichtigt geblieben, dass der Angeklagte aufgrund seiner Akteneinsicht Kenntnis von einer bereits am 15. Mai 2012 vom Finanzamt für Fahndung und Strafsachen formulierten Anregung auf Beantragung eines Haftbefehls hatte, zeigt mit Blick darauf, dass der Angeklagte somit auch Kenntnis davon hatte, dass die Staatsanwaltschaft der Anregung nicht gefolgt ist, keinen durchgreifenden Abwägungsmangel auf. Entscheidend ist, dass die Bedeutung der vorstehenden Umstände dadurch relativiert wird, dass der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit trotz Aktenkenntnis und Hinweisen seiner Verteidiger bis zuletzt nicht mit einer Freiheitsstrafe in der verhängten Höhe gerechnet hat.

Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt auch unter Geltung des strengeren Maßstabs nach § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO entschieden, dass die Verkündung eines auf Freiheitsstrafe in nicht unerheblicher Höhe lautenden Urteils geeignet sein kann, den Vollzug der Untersuchungshaft zu rechtfertigen, wenn die vom Tatgericht verhängte Strafe von der früheren Prognose erheblich zum Nachteil des Angeklagten abweicht und sich die Fluchtgefahr dadurch ganz wesentlich erhöht (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 15. August 2007 – 2 BvR 1485/07 -, StV 2008, 29; vom 29. November 2006 – 2 BvR 2342/06 -, StV 2007, 84; und vom 1. Februar 2006 – 2 BvR 2056/05 -, StV 2006, 139). Dementsprechend ist es im Rahmen der Gesamtwürdigung von Bedeutung, wenn der Angeklagte „nach dem persönlichen Eindruck der Kammer bis zuletzt auf eine Strafe im bewährungsfähigen Bereich gehofft hat“ (vgl. OLG Hamm PStR 2012, 269). So liegt es mit hoher Wahrscheinlichkeit hier. Der vom Landgericht gezogene Schluss auf diese innere Tatsache aus dem äußerlich wahrnehmbaren Verhalten des Angeklagten bei der Urteilsverkündung liegt nahe und ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Der Senat tritt ihm bei. Soweit die Beschwerde geltend macht, dass der Angeklagte bereits frühzeitig im Verfahren psychosomatische Beschwerden wie Panikattacken erlitten, sich auch nach dem zweiten Verlassen des Saals übergeben und es sich um eine „schockartige Reaktion“ in einer „Extremsituation“ gehandelt habe, führt dies nicht zu einer anderen Schlussfolgerung oder Beurteilung ihres Wahrscheinlichkeitsgrades. Denn zur Überzeugung des Senats handelt es sich in jedem Fall nicht um die Reaktion eines Angeklagten, der ernsthaft mit einer Strafe in annähernd dieser Höhe gerechnet hat.

d) Weitere den Fluchtanreiz mindernde Gesichtspunkte sind die familiären und sonstigen sozialen Bindungen des Angeklagten im Inland. Der Angeklagte hat eine Ehefrau und zwei Kinder im Alter von fünf Jahren, mit denen er auch zusammenlebt. Hinzu kommen zwei Schwestern, die im Umland von H. wohnen und zu denen der Angeklagte ein inniges Vertrauensverhältnis hat. Er verfügt darüber hinaus über einen ausgedehnten Freundes- und Bekanntenkreis im Inland. Er hat Grundeigentum und sonstiges Vermögen im Inland. Diesen Umständen kommt im Rahmen der Gesamtwürdigung erhebliches Gewicht zu.

Nicht von der Hand zu weisen ist allerdings die Erwägung des Landgerichts, der nicht in die Tat umgesetzte Plan des Angeklagten aus dem Jahr 2009 einer Verlagerung seines Lebensmittelpunkts nach S., wo er ebenfalls Grundeigentum hat und sich regelmäßig aufhält, lasse darauf schließen, dass allein die langjährigen sozialen Bindungen im Inland den Angeklagten von einer dauerhaften Verlegung seines Aufenthalts ins Ausland im Zweifel nicht abhalten würden. Zwar weist die Beschwerde insoweit zutreffend darauf hin, dass die sozialen Bindungen des Angeklagten sich seitdem verstärkt haben, insbesondere seine beiden Kinder geboren worden sind. Allerdings würde angesichts der finanziellen Möglichkeiten des Angeklagten eine Verlegung seines Lebensmittelpunkts etwa in die S. nicht den vollständigen Abbruch seiner sozialen Beziehungen nach Deutschland bedeuten. Zudem lehrt die Lebenserfahrung, dass Familien auch aus weit weniger gewichtigen Gründen, wie etwa einem Arbeitsplatzwechsel, ihren Wohnsitz verlegen und dabei in Kauf nehmen, dass die minderjährigen Kinder aus ihrem gewohnten Lebensumfeld herausgelöst werden. Vor diesem Hintergrund kommt auch die Erwägung des Landgerichts zum Tragen, dass der Angeklagte auf Grund seines Vermögens gerade nicht an einen bestimmten Arbeitsplatz gebunden ist, um den Lebensunterhalt für seine Familie zu sichern. Eine von der Beschwerde gerügte rechtsfehlerhafte Bewertung des Lebens des Angeklagten „als Privatier“ liegt darin nicht.

Der Angeklagte verfügt auch über intensive Auslandskontakte und im Ausland angelegtes Vermögen. Diese Umstände begründen zwar allein keine Fluchtgefahr, sind aber bei der erforderlichen Gesamtwürdigung mit zu berücksichtigen (vgl. KG NStZ-RR 2014, 374; OLG Hamm aaO; Hilger aaO Rn. 36). Dies gilt insbesondere in Steuerstrafsachen, weil bei „einfacher“ Steuerhinterziehung durch Verschweigen von Einkünften dem Beschuldigten in einigen Staaten – wie etwa der S. – keine Auslieferung droht (Hilgers-Klautzsch in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, 62. Lieferung 11.2018, § 385 AO Rn. 501). Befände sich der Angeklagte auf freiem Fuß, so könnte er entsprechende Vorbereitungen zur Beschaffung von neuen Papieren, zur Erlangung eines Aufenthaltstitels und zur Verschiebung von Vermögen in ein geeignetes Aufnahmeland selbst oder durch Vertrauenspersonen vom Inland aus treffen, ohne zuvor zur Fahndung ausgeschrieben zu sein oder seine – nicht rechtskräftige – Verurteilung offenzulegen.

4. In Anbetracht der sich aufgrund der vorstehenden Gesamtwürdigung ergebenden Intensität der Fluchtgefahr erachtet der Senat allerdings mildere Mittel im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO als geeignet, um der Fluchtgefahr hinreichend zu begegnen, und hat daher die aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Bedingungen und Weisungen angeordnet.

Dies gilt auch für die Sicherheitsleistung in der angeordneten Höhe. Die vom Landgericht geäußerten Zweifel an der Richtigkeit der dargelegten Vermögensverhältnisse des Angeklagten stehen dem nicht entgegen. Die Sicherheit ist nach Art und Höhe so festzusetzen, dass auf den Angeklagten ein „psychischer Zwang“ ausgelöst wird, eher am Verfahren teilzunehmen und eine etwa erkannte Freiheitsstrafe anzutreten, als den Verlust der Sicherheit zu riskieren (Graf, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl., § 116a Rn. 4). Eine belastbare Grundlage für die Annahme, dass der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit über ein deutlich höheres Vermögen als angegeben verfügt, liegt dem Senat nicht vor. Bei der Bemessung der Sicherheit ist zwar auch den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Angeklagten Rechnung zu tragen; grundlegend für Art und Höhe der Sicherheit sind aber die Intensität des Haftgrundes und die Bedeutung der Sache (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 27. September 2012 – 2 BvR 1874/12, StV 2013, 96). Dem Ausmaß der Fluchtgefahr und der Bedeutung der Sache wird durch die angeordnete Sicherheitsleistung, flankiert durch die weiteren Weisungen, angemessen Rechnung getragen.“

„Sicherheitsleistung“/Vorschuss, oder: Angabe ja, aber keine Anrechnung

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Freitag ist „Money-Day“ 🙂 , also gebührenrechtliche Entscheidungen. Und die erste des Tages ist der LG Deggendorf, Beschl. v. 13.03.2019 – 1 KLs 4 Js 5712/17 -, den mir der Kollege Wamser aus Passau übersandt hat. Es geht um die Anrechnung eines „Vorschusses“ (§ 58 Abs. 3 RVG). Zum Sachverhalt teilt der Kollege bei der Übersendung mit:

„Der Mandant war zu der Zeit auswärtig in U-Haft, eine Verständigung nur mit einem erfahrungsgemäß teuren Dolmetscher am dritten Ort möglich. Ein Pflichtverteidiger war bereits bestellt, mir wurde das Mandat dazu angetragen. Ich habe von den in der Kanzlei erschienen Angehörigen die im Beschluss als „Sicherheitsleistung“ beschriebenen € 1.200 zur Deckung der Auslagen eingehoben, für den Fall, dass der potenzielle Mandant meine Dienste letztlich nicht in Anspruch nehmen möchte oder eine Beiordnung nicht erfolgt. Der Betrag wurde vor der Abrechnung 1:1 retourniert, die Rechtspflegerin hatte von der Zahlung offenbar bei einem Antrag auf Beratungshilfe der Angehörigen des Mandanten in völlig anderer Sache von der Erstattung Wind bekommen und eine Rückzahlung anteiliger PV-Gebühren angeordnet.“

Die Rechtspflegerin hat dann angerechnet und vom Kollegen einen Teil der gesetzlichen Gebühren zurückgefordert. Das hat das LG anders gesehen:

„Zwar trifft es zu, dass er Erinnerungsführer bei Abrechnung seiner Pflichtverteidigervergütung die von Dritten erhaltene „Sicherheitsleistung“ – es handelt sich wohl um einen Honorarvorschuss mit bedingter Rückzahlungsvereinbarung – in Höhe von 1.200,00 € unzweifelhaft hätte angeben müssen (vgl. die schon in der Stellungnahme des Bezirksrevisors vom 22.02.2019 zitierte Kommentarstelle bei Poller/Härtl/Köpf, Kostenhilferecht, 3. Auflage 2018, Rn. 6 zu § 55 RVG sowie die dortigen Ausführungen unter Randnummer 7 und zu § 58 unter Randnummern 19 ff., die sinngemäß auch für die Pflichtverteidigergebühren gelten). Denn nur durch die Offenlegung solcher Vorschusszahlungen kann dem dafür zuständigen Rechtspfleger die Möglichkeit zur Prüfung der Anrechenbarkeit eröffnet werden. Dies gilt auch für Vorschüsse, für die ausdrücklich oder stillschweigend eine Rückzahlung vereinbart ist.

Allerdings ist nachvollziehbar, dass jedenfalls dann, wenn eine Rückzahlung eines Vorschusses oder einer „Sicherheitsleistung“ vor Bewilligung einer beantragten Prozesskostenhilfe bzw. vor Abrechnung einer Pflichtverteidigervergütung erfolgt, eine Kürzung des Pflichtverteidigerhonorars zu unterbleiben hat. Für den Bereich des Prozesskostenhilferechtes ist es anerkannt, dass der Rechtsanwalt mit der von ihm vertretenen Partei Vereinbarungen treffen kann, dass bestimmte Zahlungen der Anrechnung entzogen werden oder ein Vorschuss nur für solche Ansprüche gezahlt wird, für die die Staatskasse nicht eintreten muss. Besteht zum Schluss eine Eintrittspflicht der Staatskasse – wie vorliegend durch den Freispruch des Mandanten des Erinnerungsführers, durch den die Staatskasse auch für die Wahlverteidigergebühren einstandspflichtig wurde – kann die Partei vorn Rechtsanwalt die Vergütung zurückverlangen. Es erfolgt dann keine Anrechnung (vgl. Pöller/Härtl/Köpf, § 58 Rn. 19). So liegt es nach dem Vorbringen des Erinnerungsführers vom 08.03.2019 auch im vorliegenden Fall. Aus der Datierung des Bankumsatzes ist nachvollziehbar, dass der Erinnerungsführer die Rückzahlung des Vorschusses in Höhe von 1.200,00 € brutto zugleich mit der Abrechnung des Mandates und Erstellung des Vergütungsfestsetzungsantrages vom 05.06.2018 veranlasst hat. Damit steht fest, dass vom Erinnerungsführer intendiert war, dass die Rückzahlung des Vorschusses noch vor Festsetzung der Pflichtverteidigergebühren erfolgen wird. Eine Anrechnung hat daher zu unterbleiben, eine Rückforderung nach § 58 Abs. 3 Satz 2 RVG ist damit nicht veranlasst, so dass auf die Erinnerung der entsprechende Beschluss des Landgerichts Deggendorf vom 08.02.2019 aufzuheben war.“

OLG München: Da gab es in einer Haftsache zum zweiten Mal einen auf die Mütze vom BVerfG

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Erstaunen macht sich breit: Da hat in einer Haftsache das BVerfG im BVerfG, Beschl. v. 11.07.2012 – 2 BvR 1092/12  – einen LG-Beschluss und die dazu gehörende OLG München -Beschwerdenetscheidung aufgehoben,weil weder das LG noch das OLG  in ihren Ausführungen hatten erkennen lassen, dass nach einem beanstandungsfreien Verlauf einer Haftverschonung von einem Jahr und 8 Monaten neu hervorgetretene Umstände die Invollzugsetzung der Untersuchungshaft erforderlich gemacht hätten. Die Sache wird an das OLG zurückverwiesen.

Was macht das OLG? Es hebt nun den LG, Beschluss auf weil die landgerichtlichen Erwägungen nach Maßgabe des Beschlusses des BVerfG nicht ausreichten. Aber:  Zugleich erhöht das OLG, ohne den Angeklagtenn zuvor zu seiner aktuellen wirtschaftlichen Situation angehört zu haben, die im ursprünglichen Außervollzugsetzungsbeschluss festgesetzte Sicherheit von 45.000 € auf 200.000 €, die der Angeklagte zudem als Eigenhinterleger in bar zu leisten habe. Zur Begründung führt der Strafsenat aus, dass es insgesamt verantwortbar erscheine, „der Fluchtgefahr durch die im Beschlusstenor aufgeführten Maßnahmen nach § 116 Abs..1 StPO zu begegnen und dabei lediglich die ursprüngliche Sicherheit angemessen zu erhöhen.“

Dagegen die Gegenvorstellung des Angeklagten, mit der geltend gemacht wird, dass die nunmehr auf 200.000 € festgelegte Sicherheit keine angemessene Sicherheit im Sinne von § 116 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 StPO darstelle. „Sie werde seinen Vermögensverhältnissen nicht gerecht und erweise sich für ihn als faktische Verweigerung der Außervollzugsetzung. Über sein Vermögen sei mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 29. November 2010 das Privatinsolvenzverfahren eröffnet worden. Seither sei er völlig mittellos und habe nach den Feststellungen des Landgerichts Augsburg im Urteil vom 22. März 2012 Schulden in Höhe von 1,5 Millionen €.“

Das bringt beim OLG (natürlich) nichts, aber beim BVerfG mit der zweiten Verfassungsbeschwerde die erneute Aufhebung.  Dem BVerfG, Beschl. v. 27.09.2012 – 2 BvR 1847/12 – kann man m.E. deutlich entnehmen, dass das BVerfG not amused ist.

1.       Den sich aus Art.2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ergebenden Anforderungen werden die angefochtenen Entscheidungen erneut nicht gerecht.

Die dargestellten verfassungsrechtlichen Maßstäbe erfordern für die haftrichterliche Entscheidung zunächst das Vorliegen „neu hervorgetretener Umstände“ im Sinne des § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO, Erst wenn diese bejaht werden können, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob eine Wiederinvollzugsetzung tatsächlich geboten ist oder – aus Verhältnismäßigkeitsgründen — davon abgesehen werden kann, weil ein milderes Mittel zur Verfügung steht, das im Ergebnis eine Verhaftung nicht erforderlich macht.

Das Oberlandesgericht hat in seiner Entscheidung vom 25. Juli 2012 ausdrücklich festgestellt, dass nach Maßgabe des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juli 2012 neu hervorgetretene Umstände im Sinne von § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO nicht angenommen werden können. Dessen ungeachtet hat der Strafsenat die Auflagen verschärft, indem er die ursprünglich auf 45.000 € festgesetzte Sicherheitsleistung auf 200.000 € erhöht und zugleich die Eigenhinterlegung angeordnet hat.

2.       Die angefochtene Entscheidung vom .1. August 2012 verletzt darüber hin¬. aus das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Willkürverbot.

a) Die Sicherheit Ist nach Art und Höhe so festzusetzen, dass auf den Beschuldigten ein „psychischer Zwang“ ausgelöst wird, eher am Verfahren teilzunehmen und eine etwa erkannte Freiheitsstrafe anzutreten, als den Verlust der Sicherheit zu riskieren. Die Intensität des Haftgrundes und die Bedeutung der Sache sind für Art und Höhe der Sicherheit grundlegend; bei der Bemessung der Sicherheit ist aber auch den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Beschuldigten Rechnung zu tragen (vgl. Graf, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Aufl. 2008, § 116a Rn, 4), Zudem darf bei der Ausgestaltung und Bemessung der Sicherheit nur ihr verfahrenssichernder Zweck berücksichtigt werden. Die Verfolgung anderer Zwecke ist ausgeschlossen; insbesondere darf nicht nach Art einer Strafe ein Rechtsgüterschutz vorweggenommen werden (Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 28. August 1990 – 2 BvR 375190 -, juris Rn. 2).

Hier hat das Oberlandesgericht den Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beschwerdeführers ersichtlich nicht Rechnung getragen, Es hat insbesondere das laufende Insolvenzverfahren ungeachtet des Vorbringens in der Gegenvorstellung und der Feststellungen im Strafurteil zu den finanziellen Verhältnissen des Beschwerdeführers nicht berücksichtigt. Die Anordnung einer „Eigenhinterlegung“ verkennt zudem die aus dem Privatinsolvenzverfahren folgenden rechtlichen Wirkungen. Der Beschwerdeführer ist danach gehindert, jedenfalls aus eigenen Mitteln wirksam eine Sicherheit zu hinterlegen. Nach § 80 Abs. 1 InsO geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Selbst wenn der Beschwerdeführer den geforderten Betrag aus eigenen Mitteln aufbringen könnte, wäre eine Hinterlegung durch ihn angesichts der Regelung des § 81 Abs. 1 S. 1 InsO nicht möglich, der zufolge solche Verfügungen unwirksam sind.“