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Die zweite Entscheidung kommt mit dem OLG Celle, Urt. v. 22.01.2020, 14 U 173/19 – auch vom OLG Celle und behandelt auch die Frage der Betriebsgefahr. Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
„Gegenstand des Rechtsstreits ist ein Kollisionsgeschehen in der Nacht vom 18. auf den 19. Juli 2018 in H. auf der C. Straße in Höhe der Hausnummer pp. zwischen dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Toyota Yaris, pp., einem Mietfahrzeug der Firma S. GmbH, das B. C. mit überhöhter Geschwindigkeit gesteuert hatte, und dem Audi A 6, pp., der der V. Bank GmbH – im Rahmen einer Kaufpreisfinanzierung – sicherungsübereignet worden ist (K 1). Die V. Bank GmbH hat den Kläger ermächtigt, im eigenen Namen Zahlungsklage gegen die Beklagte zu erheben (Anlage K 2). Der Audi erlitt einen massiven rechtsseitigen Anstoß gegen das Heck (Anlage K 3). Polizei und Staatsanwaltschaft Stade <113 Js 47688/18> (im Folgenden BA) haben das Geschehen als eine provozierte Kollision nach einer Verfolgungsjagd im Rahmen einer familieninternen Auseinandersetzung gewertet, bei der D. T. mit einem Pkw Daimler Benz E 220, pp., B. C. und seine Freundin R. K. in dem Toyota Yaris verfolgt und zum Auffahren auf den zwischen einer Verkehrsinsel und dem Gehweg stehenden Audi A 6 getrieben habe, um ihn verprügeln zu können (Bl. 1, 6 – 9, 29, 30 d. BA). Zuvor seien am Bahnhof in O., wo sich C. und D. T. verabredungsgemäß getroffen hätten, von D. T. und seinen Begleitern Gleissteine auf den Toyota geworfen worden. C. sei mit dem Toyota geflohen. Nach den Angaben von C. und seiner Freundin R. K. habe T. T. während der Kollision nicht in dem Audi A 6 gesessen, sondern auf dem Gehweg gestanden. T. T. habe dagegen angegeben, C. sei aufgefahren, während er – T. – versucht habe, mit dem Audi auf einen Parkstreifen zu fahren.
Der Kläger hat behauptet, C. sei infolge Unaufmerksamkeit und überhöhter Geschwindigkeit auf den Pkw Audi A 6 aufgefahren, als sein Bruder T. T. dabei gewesen sei, den Wagen auf dem Seitenstreifen neben der Spielbank in H. zu parken. Diesen Parkvorgang habe T. T. durch Bremsen und Blinken angezeigt gehabt. Für T. T. sei das Unfallgeschehen unvermeidbar gewesen. Der Kläger hat die Nettoreparaturkosten laut Sachverständigengutachten in Höhe von 7.131,60 EUR ersetzt verlangt neben einer Kostenpauschale von 25,- EUR sowie 834,19 EUR als Sachverständigenkosten und 729,23 EUR als vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren.
Die Beklagte hat ein Unfallereignis im eigentlichen Sinne bestritten und behauptet, die Kollision sei Folge einer Verfolgungsjagd gewesen, bei der das klägerische Fahrzeug bewusst als Hindernis aufgestellt worden sei, um C. zum Anhalten zu zwingen, damit man ihn verprügeln könne. Dieser sei in die Kollision getrieben worden. …..“
Das LG hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen: Sowohl den Kläger als auch die Beklagte treffe eine Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG. Im Rahmen der Haftungsabwägung gemäß § 17 Abs. 1 StVG trete die Haftung der Beklagten aus der Betriebsgefahr des Toyota Yaris und wegen Verschuldens des Zeugen B. C. hinter dem grob verkehrswidrigen Verhalten des T. T., das sich der Kläger anrechnen lassen müsse, vollständig zurück. Das Klägerfahrzeug sei als Hindernis zweckentfremdet worden, auf das der Zeuge C. mit einer Verfolgungsjagd zugetrieben worden sei.
Der Kläger hat Berufung eingelegt. Die hatte keinen Erfolg.
Dazu erst mal die Leitsätze:
Betriebsgefahr und Hindernisbereiten
- Die Betriebsgefahr aus § 7 Abs. 1 StVG entfällt bei der bewussten Bildung eines Hindernisses auf der Fahrbahn.
- Derjenige, der mit seinem Fahrzeug bewusst ein Hindernis auf der Fahrbahn bereitstellt, um einen Auffahrunfall zu provozieren, haftet allein (§ 17 Abs. 1 StVG).
Und im Einzelnen führt das OLG aus:
3. Haftung der Beklagten
Grundsätzlich haftet die Beklagte gemäß § 115 Abs. 1 VVG, § 7 Abs. 1 StVG für die Schäden, die dem Kläger als Halter des Audi A 6 durch den Betrieb des Toyota Yaris am 18. Juli 2018 entstanden sind. Denn die Beklagte ist die Haftpflichtversicherung der Halterin des Toyota Yaris – Firma S. GmbH -, die den Pkw an B. C. und R. K. vermietet hatte.
Wenngleich der Begriff „bei dem Betrieb“ im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG weit zu fassen ist [BGH, VersR 2005, 992; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage, Bearbeiter König zu § 7 StVG Rn. 4 m. w. N.] und das Beklagtenfahrzeug auf das Klägerfahrzeug aufgefahren ist, verneint der Senat vorliegend die Haftung der Beklagten aus § 7 Abs. 1 StVG. Denn nach der Rechtsprechung des BGH [Urteil vom 31. Januar 2012 – VI ZR 43/11 -, Rn. 17, zitiert nach juris] muss es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handeln, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, d. h. die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist [ebenso: BGHZ 37, 311 (315); BGHZ 79, 259 (262); BGH, VersR 1989, 923 (924); BGH, VersR 1991, 111 (112)]. Das ist hier nicht der Fall.
Die Gefährdungshaftung beruht auf dem Gedanken sozialer Verantwortung für eigene Wagnisse; sie bezweckt den Ausgleich für Schäden aus den durch zulässigen Betrieb eines Kraftfahrzeugs oder Kraftfahrzeuganhängers entstehenden Gefahren [BGH, VersR 2005, 992; Hentschel/König/Dauer, Bearbeiter König zu § 7 StVG Rn. 1 m. w. N.]. Eine Haftung besteht nur für diejenigen äquivalenten und adäquaten Schadensfolgen, die aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Anwendung die verletzte Norm erlassen worden ist [BGH, Urteil vom 26. Februar 2013 – VI ZR 116/12 -, Rn. 13, zitiert nach juris]. Hier ist die Kollision dadurch entstanden, dass die Cousins des Klägers den Führer des Beklagtenfahrzeugs in die Kollision mit dem Klägerfahrzeug getrieben und den Audi A 6 bewusst als Hindernis für das Beklagtenfahrzeug benutzt haben. Damit hat sich keine der allgemeinen Gefahren verwirklicht, die üblicherweise mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs zusammenhängen, und für deren Regelung § 7 Abs. 1 StVG geschaffen worden ist. Der Zeuge C. ist mit dem Beklagtenfahrzeug vor der Aggression seiner Cousins (Steinewerfen am Bahnhof) geflohen. Er war seinen eigenen unwiderlegten Angaben zufolge darum bemüht, eine persönliche Auseinandersetzung mit seinen Familienmitgliedern zu vermeiden. Letztlich wurde er von ihnen auf ein vom Zeugen T. T. aufgebautes Hindernis – dem Klägerfahrzeug – zu getrieben und daran gehindert, dieses Hindernis zu umfahren. Seine Fahrweise war mithin von seinen Familienmitgliedern in einer Art und Weise beeinflusst worden, die seiner freien Willensbestimmung entgegenstand und mit den üblichen Gefahren im Straßenverkehr nichts mehr zu tun hatte.
Eine Haftung der Beklagten aus § 7 Abs. 1 StVG ist folglich zu verneinen. Schon deshalb war die Klage abzuweisen. Das benachteiligt den Kläger auch nicht unangemessen. Denn ihm dürften Schadensersatzansprüche gegenüber seinem Bruder und seinen Cousins aus § 823 BGB zustehen, weil diese mit ihrem Verhalten die Beschädigung seines Fahrzeugs in Kauf genommen (dolus eventualis) haben. Gegen eine Haftung der Beklagten spricht auch der Rechtsgedanke des § 103 VVG, wonach der Versicherer von der Versicherungsleistung befreit ist, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich und widerrechtlich den bei dem Dritten eingetretenen Schaden herbeigeführt hat. Dieser Fall ist mit dem zugrundeliegenden Rechtsstreit vergleichbar.
4. Vorsorglich Quote
Aber selbst wenn man eine Haftung der Beklagten aus § 7 Abs. 1 StVG bejahen wollte, ist es sachgerecht und geboten, im Rahmen der Haftungsabwägung gemäß § 17 Abs. 1 StVG eine alleinige Haftung des Klägers anzunehmen. Der Senat teilt die entsprechenden Erwägungen des Einzelrichters nach einer eigenen kritischen Überprüfung und Bewertung der Sach- und Rechtslage in vollem Umfang.
Der Kläger haftet gemäß § 7 Abs. 1 StVG grundsätzlich aus der Betriebsgefahr des Audi A 6.
Das Verhalten des T. T. und der Cousins ist ihm zuzurechnen, selbst wenn er keinerlei Kenntnis davon hatte. Er musste zwar nicht damit rechnen, dass sein Bruder und seine Cousins B. C. im Straßenverkehr verfolgen und das Klägerfahrzeug als Hindernis benutzen würden, um C. aufzuhalten und verprügeln zu können: Der Kläger war auf Montage. Das Geschehen vom 18. Juli 2018 hat den Zeugen C. völlig überrascht (vgl. Bl. 8 d. BA). Dann dürfte es auch für den Kläger überraschend gewesen sein. Wenngleich die Vorgehensweise hinsichtlich der konkreten Ausführung mit dem Klägerfahrzeug als Hindernis für den Zeugen C. verabredet wirkte, dürfte dies aber spontan und kurzfristig geschehen sein, nachdem C. vom Bahnhof in O. geflohen war und die Cousins erkannten, in welche Richtung er sich bewegte. Es ist aber zu konstatieren, dass der Zeuge T. T., als er das Klägerfahrzeug bewusst als Hindernis für den Zeugen C. eingesetzt hat, dessen Betrieb im Straßenverkehr für seine Zwecke ausgenutzt hat. Ein solches Verhalten ist dem Kläger genauso zuzurechnen, wie das für den Fahrzeughalter unerwartete Verschulden eines Fahrzeugführers im Straßenverkehr durch Alkohol- oder Drogenkonsum oder dessen grob verkehrswidriges Fahrmanöver unter bewusster Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer.
Den Zeugen T. T. trifft an dem Zustandekommen der Kollision ein erhebliches Verschulden, indem er ohne verkehrsbedingten Anlass ein Hindernis auf der Fahrbahn geschaffen hat (§§ 12 Abs. 1 und Abs. 6, 32 Abs. 1 StVO, § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB).
Der Zeuge C. hat die Kollision mitverschuldet: Er ist nach eigenen Angaben mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit gefahren, nämlich ca. 70 bis 90 km/h innerorts (Bl. 40 d. A.), und hat auf den Verkehr voraus nicht genügend geachtet (Bl. 8 d. BA). Damit hat er gegen § 3 Abs. 1 StVO verstoßen.
Bei der Abwägung einer angemessenen Haftungsquote zwischen dem Kläger und der Beklagten gemäß § 17 Abs. 1 StVG erscheint es dem Senat geboten, eine alleinige Haftung des Klägers anzunehmen, weil das Verschulden des Zeugen T. T. gegenüber demjenigen des Zeugen B. C. deutlich überwiegt. T. T. hat sich bewusst strafbar verhalten, während C. aus Angst und Schrecken – quasi blindlings – vor seinen Cousins, die ihm Gewalt antun wollten, geflohen ist. Sein Sorgfaltsverstoß im Straßenverkehr fällt so viel weniger ins Gewicht als derjenige des Zeugen T. T., dass es gerechtfertigt erscheint, die Haftung der Beklagten vollends zurücktreten zu lassen hinter dem gravierenden Verschulden des Zeugen T. T., für das der Kläger einstehen muss. Mit dieser Auffassung steht der Senat im Einklang mit anderen gerichtlichen Entscheidungen, in denen Auffahrunfälle durch ein grob verkehrswidriges Verhalten des Vorausfahrenden verursacht worden sind, und dieser für die Folgen des Unfalles allein haften musste: So haben das Landgericht Essen [Urteil vom 12. Januar 2018 – 17 O 235/16 –, Orientierungssatz und Rn. 15, 17 und 33 m. w. N., zitiert nach juris], das Oberlandesgericht München [Urteil vom 22. Februar 2008 – 10 U 4455/07 –, Orientierungssatz und Rn. 37, zitiert nach juris] und das Landgericht Mönchengladbach [Urteil vom 16. April 2002 – 5 S 86/01 –, Orientierungssatz, zitiert nach juris] entschieden, dass bei einem scharfen Abbremsen zum Zweck der Disziplinierung / Verkehrserziehung des Nachfolgenden der Bremser voll hafte. Das ist mit dem bewussten Hindernisbereiten, um den Nachfolgenden zum Anhalten zu zwingen, damit man ihn verprügeln kann, vergleichbar. Das zuletzt genannte Verhalten muss erst recht zu einer alleinigen Haftung desjenigen führen, der das Hindernis bereitet.