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OWi II: Verjährungsunterbrechung? oder: Wiederholter Hinweis auf das Beschlussverfahren

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In der zweiten OWi-Entscheidung des Tages, dem OLG Celle, Beschl. v. 06.03.2020 – 2 Ss (Owi) 70/20 – schon etwas älter, aber erst jetzt veröffentlicht – nimmt das OLG Celle zu einer Verjährungsproblematik in Zusammenhang mit § 33 Abs. 1 Nr. 12 OWiG Stellung – also Beschlussverfahren. Und zwar wie folgt:

„1. Die auch in der Rechtsbeschwerdeinstanz von Amts wegen vorzunehmende Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen hat ergeben, dass der Verfolgung der dem Betroffenen in diesem Verfahren zur Last gelegten Tat das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung nicht entgegensteht.

Die dem Betroffenen vorgeworfene Verkehrsordnungswidrigkeit verjährt gemäß § 26 Abs.3 StVG in drei Monaten nach Tatbegehung, solange wegen der Tat kein Bußgeldbescheid erlassen ist. Hier ist die Tat am 20. August 2018 begangen worden; durch den am 07. November 2018 erlassenen Bußgeldbescheid wurde die Verfolgungsverjährung gem. § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG unterbrochen und die 6-Monatsfrist des § 26 Abs. 3 StVG begann gem. § 33 Abs. 3 Satz 1 OWiG neu zu laufen. Eine weitere Verjährungsunterbrechung trat sodann gem. § 33 Abs. 1 Nr. 11 OWiG durch den am 26. März 2019 anberaumten Termin zur Hauptverhandlung ein.

Letztmals wurde die Verjährung schließlich durch das Schreiben des Amtsgerichts vom 23. August 2019 an den Verteidiger des Betroffenen gem. § 33 Abs. 1 Nr. 12 OWiG unterbrochen, denn darin wies das Gericht (erneut) auf die beabsichtigte Entscheidung im Beschlusswege hin und erfragte zugleich, ob auf eine Begründung des Beschlusses verzichtet werde.

Der Einwand des Beschwerdeführers, es handele sich um einen wiederholten und daher gänzlich überflüssigen Hinweis, dem daher keine verjährungsunterbrechende Wirkung zukomme, geht fehl.

Zwar entfaltet nicht jeder Hinweis auf die Möglichkeit, ohne Hauptverhandlung zu entscheiden, eine verjährungsunterbrechende Wirkung; vielmehr macht der Beschwerdeführer im Ansatz zutreffend geltend, dass nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut durch die Erteilung eines derartigen Hinweises nur einmal eine Unterbrechung der Verjährung her-beigeführt werden kann, so dass einem wiederholt erteilten Hinweis auf eine mögliche Entscheidung gem. § 72 OWiG keine verjährungsunterbrechende Wirkung zukommt, wenn letztere bereits durch einen vorherigen Hinweis begründet wurde (KK-OWiG/Ellbogen, 5. Auflage 2018, § 33, Rn. 92; Krenberger/Krumm, OWiG, 5. Auflage 2018, Rn. 75; OLG Hamm, Beschluss vom 21. März 1977 – 3 Ss OWi 265/77 –, juris). Es ist ferner zutreffend, dass das Gericht bereits zuvor am 26. April 2019 den anberaumten Hauptverhandlungstermin aufgehoben und angeordnet hatte, eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren gem. § 72 OWiG zu treffen.

Hierdurch trat indes keine Unterbrechung der Verfolgungsverjährung ein. Hat der Betroffene – wie hier – zuvor ausdrücklich um Absetzung einer Hauptverhandlung und um Entscheidung im schriftlichen Verfahren gebeten, liegt in der Mitteilung des Gerichts, es werde tatsächlich eine Entscheidung im Beschlussverfahren gem. § 72 OWiG getroffen, kein Hinweis i.S.v. § 33 Abs. 1 Nr. 12 OWiG, sondern nur eine Unterrichtung der Verfahrensbeteiligten über das weitere Vorgehen. Denn in der Mitteilung liegt gerade keine Prozessverfügung, die darauf abzielt, dem Verteidiger die Gelegenheit zu einem Widerspruch gegen das schriftliche Verfahren zu geben; der Verteidiger hatte ja dem schriftlichen Ver-fahren bereits zugestimmt (BeckOK OWiG/Gertler, 25. Ed. 1.1.2020, OWiG § 33 Rn. 136; Göhler, NStZ 1987, 58; OLG Hamm VRS 49, 132; KG Berlin, Beschluss vom 28. Januar 2002 – 2 Ss 153/013 Ws (B) 591/01 –, juris).

Zudem dringt der Einwand des Beschwerdeführers, der gerichtliche Hinweis vom 23. August 2019 sei angesichts der vorherigen Anordnung der Entscheidung im Beschlussverfahren gem. § 72 OWiG sinnlos gewesen, nicht durch.

In Konstellationen, bei denen das Gericht weitere Beweiserhebungen durchgeführt hat und erwägt, die den Verfahrensbeteiligten noch unbekannten Erkenntnisse bei seiner Ent-scheidung zu verwerten, sind selbst einem Betroffenen, der bereits kundgetan hat, dass er von seinem Widerspruchsrecht gem. § 72 Abs. 1 Satz 2 OWiG keinen Gebrauch machen will, abermals seine Rechte zu verdeutlichen, denn eine ursprünglich erteilte Zustimmung zur Entscheidung durch Beschluss wird hinfällig, wenn das Gericht anschließend Ermittlungen anstellt, deren Ergebnis für die Entscheidung erheblich sein kann (OLG Branden-burg, Beschluss vom 20.07.2000 – Aktenzeichen 2 Ss (OWi) 1408/00, NJ 2000, S. 660; KK-OWiG/Senge, aaO, § 72 Rn. 43).

So liegt der Fall hier. Das Amtsgericht hatte nach der Aufhebung des ursprünglich anberaumten Hauptverhandlungstermins mit Verfügung vom 26. April 2019 zur besseren Auf-klärung der Sache gem. § 71 Abs. 2 OWiG ergänzende Ermittlungen in Auftrag gegeben und eine Stellungnahme des Landkreises D. zu der Frage eingeholt, ob die Messanlage erst Geschwindigkeitsüberschreitungen ab 64 km/h erfasst. Das Amtsgericht hat zudem dem Grundsatz rechtlichen Gehörs Rechnung getragen und ist seiner Verpflichtung, die diesbezüglich gewonnenen Erkenntnisse dem Betroffenen mitzuteilen, nachgekommen, indem es dem Verteidiger des Betroffenen die Stellungnahme des Landkreises Diepholz vom 20. August 2019 gemeinsam mit dem Schreiben vom 23. August 2019 zugeleitet hat.

Nach alledem handelt es sich bei dem Schreiben des Amtsgerichts vom 23. August 2019 an den Verteidiger des Betroffenen um den ersten Hinweis i.S.v. § 33 Abs. 1 Nr. 12 OWiG, dem verjährungsunterbrechende Wirkung gem. § 33 Abs. 1 Nr. 12 OWiG zukommt, so dass keine Verfolgungsverjährung eingetreten war, als der angefochtene Beschluss vom 27.12.2019 erging.“

Welche Reisekosten des Verteidigers sind erforderlich?, oder: Ersatz der Kosten für eine Bahncard 50?

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Heute ist Freitag und damit RVG-Tag.

Und an diesem Tag stelle ich zunächst den OLG Celle, Beschl. v.21.12.2020 – 4 StE 1/17 – vor. Er ist in einem dort anhängigen Verfahren wegegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung ergangen. Der Pflichtverteidiger des Angeklagten hatte im Wege des Vorschusses Gebühren für die Teilnahme an 9 Hauptverhandlungsterminen geltend gemacht. Zudem hat er die Festsetzung von Reisekosten beantragt. Der Kostenbeamte hat bei der Festsetzung der Kosten für eine BahnCard 50 für den Zeitraum vom 08.11.2020 bis 07.11.2021 in Höhe von 432,- € nebst MWSt. abgesetzt, weil ein Beschluss über die Erforderlichkeit dieser Aufwendungen nicht vorläge. Dagegen die Erinnerung des Pflichtverteidigers, mit der er beim Einzelrichter des OLG Erfolg hatte:

Die Erinnerung ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg:

„1. Dass der Antragsteller vor Festsetzung seiner Auslagen im Wege des Vorschusses kei-nen Antrag auf Feststellung der Erforderlichkeit nach § 46 Abs. 2 Satz 1 RVG gestellt hat, steht der Festsetzung nicht entgegen. Eine solche Feststellung entbindet im erfolgenden Fall lediglich den Kostenbeamten von der Prüfung, ob die geltend gemachten Auslagen für eine sachgemäße Durchführung der Angelegenheit notwendig war. Wird eine solche Ent-scheidung nicht beantragt oder lehnt das Gericht einen Antrag nach § 46 Abs. 2 RVG ab, verbleibt es bei der durch den Kostenbeamten nach § 55 RVG durchzuführenden Prüfung in eigener Verantwortung.

2. Die vom Antragsteller geltend gemachte Festsetzung war in der ausgesprochenen Höhe vorzunehmen.

a) Zwar sind Aufwendungen für eine Bahncard nach herrschender Meinung als allgemeine Geschäftskosten auch nicht anteilig erstattungsfähig (vgl. Gerold/Schmidt-Müller-Rabe, RVG, 22. Aufl., VV 7003-7006, Rn. 46 m.w.N.). Der Senat hat aber im vorliegenden Verfah-ren, in welcher die Hauptverhandlung über drei Jahren andauert, bereits mehrfach das Er-fordernis des Erwerbs einer BahnCard durch die auswärtigen Verteidiger festgestellt (vgl. hinsichtlich des Antragstellers Beschl. des Senats vom 20. Oktober 2017, 14. März 2019 und 23. September 2019). Bei dem Preis, den der Antragsteller für einen Einzelfahrschein ohne BahnCard-Ermäßigung bezahlen und der ihm sodann als erforderliche Aufwendung ersetzt werden müsste, ist der für die BahnCard50 aufzuwendende Betrag bereits nach der siebten bis achten Fahrt amortisiert. Insoweit entspricht die vom Antragsteller getätigte Aufwendung der ihm zukommenden Pflicht zur kostenschonenden Gestaltung seiner not-wendigen Geschäftsreisen….“

Pflichti III: Beiordnung im Maßregelvollstreckungsverfahren, oder: Dauerhafte Beiordnung?

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Author Denis Barthel

In der dritten und letzten Entscheidung des Tages, dem OLG Celle, Beschl. v. 31.07.2020 – 2 Ws 122/20 – behandelt das OLG eine Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Vollstreckungsverfahren. Die damit zusammenhängenden Fragen habe ja auch ggf. gebührenrechtliche Auswirkungen. Darum ging es hier aber nicht.

Hier hatte der Antrag des Rechtsanwalts und seine sofortigen Beschwerde keinen Erfolg:

„2. Die sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Verteidigers liegen derzeit nicht vor.

a) Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers ist auch im Vollstreckungsverfahren in ent-sprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO zulässig (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 62. Aufl., § 140 Rdnr. 33, 33 a m. w. N.), wenn die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage oder die Unfähigkeit des Verurteilten, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen, dies gebieten (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 27.04.1999, NStZ-RR 1999, 319) oder wenn die Entscheidung von besonders hohem Gewicht ist (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 20. September 2011 – 2 Ws 242/11 –; OLG Frankfurt, Beschluss vom 14.01.2008 – 3 Ws 26/08 -). Betrifft das Verfahren die Vollstreckung einer Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB), ist der untergebrachten Person, die keinen Verteidiger hat, nach § 463 Abs. 4 Satz 8 StPO für die Überprüfung der Unterbringung, bei der nach § 463 Abs. 4 Satz 2 StPO das Gutachten eines Sachverständigen eingeholt werden soll, ein Verteidiger beizuordnen.

b) Die Beiordnung eines Verteidigers im Vollstreckungsverfahren erfolgt – anders als im Erkenntnisverfahren – nicht für das gesamte Strafvollstreckungs- oder Maßregelvollstre-ckungsverfahren, sondern für jeden Verfahrensabschnitt des Vollstreckungsverfahrens geson-dert.

aa) Der Senat folgt insoweit der weit überwiegenden Auffassung in Literatur und Recht-sprechung (vgl. OLG Düsseldorf, StraFo 2011, 371; OLG Zweibrücken, NStZ 2010, 470 f.; OLG München, StraFo 2009, 527; OLG Frankfurt NStZ-RR 2003, 252 f.; KG NStZ-RR 2002, 63; Meyer-Goßner/Schmitt, § 140 Rn. 33a; Willnow in KK-StPO, 8. Aufl., § 141 Rn. 11; Trenckmann in: Kammeier/Pollähne, Maßregelvollzugsrecht, 4. Aufl. 2018, L138 Vollstre-ckungsrecht der freiheitsentziehenden Maßregeln nach § 63 und § 64 StGB). Die in der Recht-sprechung vereinzelt gebliebene Auffassung der Oberlandesgerichte Stuttgart (NJW 2000, 3367) und Naumburg (Beschluss vom 27. April 2010 – 1 Ws 144/10 –), die Bestellung „für das Vollstreckungsverfahren“ gelte bis zu dessen Ende, vermag nicht zu überzeugen. Sie wider-spricht dem – gerade beim Maßregelvollzug – oft lang andauernden und wechselhaften Ver-lauf der Vollstreckung. Insbesondere wird sie dem berechtigten Anspruch des Verurteilten auf die Auswahl des von ihm gewünschten Verteidigers nicht gerecht. Für die dauerhafte Festle-gung auf einen zunächst ausgesuchten Verteidiger bestehen angesichts der außergewöhnli-chen und oft als besonders belastend empfundenen Situation der häufig über lange Zeiträume Untergebrachten keine nachvollziehbaren Gründe (vgl. OLG Zweibrücken a.a.O.). Im Übrigen führt die umfassende Beiordnung auch zu kostenrechtlichen Schwierigkeiten und Widersprü-chen (vgl. OLG Frankfurt a.a.O.).

Eine solche „permanente“ Beiordnung ist auch nicht durch das Urteil des Europäischen Ge-richtshofes für Menschenrechte vom 12. Mai 1992 (StV 1993, 88) geboten, denn dieses Urteil besagt lediglich, dass in Verfahren, in denen es um die Fortsetzung, Aussetzung oder Beendi-gung der Unterbringung einer geisteskranken Person geht, auch ohne eigenen Antrag des Untergebrachten die Beiordnung eines Verteidigers erfolgen muss (vgl. auch KG Berlin a.a.O.).
bb) Für die Richtigkeit dieser Auffassung spricht auch die Gesetzgebungshistorie.
aaa) Der Gesetzgeber hatte durch das Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Ab-standsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung (BGBl. I 2012, 2425) in § 463 StPO einen Abs. 8 angefügt, wonach im Fall der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsver-wahrung dem Untergebrachten für die gerichtlichen Entscheidungen über die Vollstreckung für die gesamte Dauer des Vollstreckungsverfahrens ein Verteidiger zu bestellen ist. Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/9874, S. 26, 27) war sich der Gesetzgeber der Beiord-nungspraxis der Strafvollstreckungskammern im Maßregelvollzug bewusst und bewertete die-se als uneinheitlich und insbesondere restriktiv. Angesichts der Bedeutung und Tragweite je-der Entscheidung über die Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung soll-te nach dem Willen des Gesetzgebers die Bestellung eines Pflichtverteidigers auch im Voll-streckungsverfahren nunmehr künftig immer erforderlich sein, wobei aus Gründen der Verfah-rensvereinfachung nur ein einziger Bestellungsbeschluss vor der ersten gerichtlichen Ent-scheidung erforderlich sein sollte. Eine Rücknahme der Bestellung könne nach § 143 StPO entsprechend erfolgen.

Da der Gesetzgeber in Kenntnis der Beiordnungspraxis der Strafvollstreckungskammern in Unterbringungssachen durch das Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsge-botes im Recht der Sicherungsverwahrung die die Beiordnung eines Verteidigers betreffenden Norm des § 463 Abs. 4 Satz 5 StPO in der vom 01.06.2013 bis zum 24.07.2015 geltenden Fassung unverändert gelassen hat, ist davon auszugehen, dass er die Notwendigkeit für eine dauerhafte Beiordnung für das gesamte Maßregelvollstreckungsverfahren nur im Falle der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung für erforderlich erachtet hat.
bbb) Schließlich hat sich der Gesetzgeber auch im Gesetzgebungsverfahren über das Ge-setz zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Verteidigung (BGBl. I 2019, 2128), mit dem – wenngleich auch in Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 – zahlreiche Regelungen zur notwendigen Verteidigung geändert worden sind, nicht gehalten gesehen, die seit dem 01.8.2016 geltende Regelung des § 463 Abs. 4 Satz 8 StPO, wonach dem nach § 63 StGB Untergebrachten für die Überprüfung der Unterbringung, bei der nach § 463 Abs. 4 Satz 2 StPO das Gutachten eines Sachverstän-digen eingeholt werden soll, einen Verteidiger zu bestellen ist, an die Regelung des § 463 Abs. 8 StPO anzugleichen.

c) Ein solcher neuer, eine Beiordnung eines Verteidigers erforderlich machender Prü-fungsabschnitt hat jedoch hier noch nicht begonnen. Der neue Prüfungsabschnitt beginnt spä-testens mit der Erforderlichkeit und der Auswahl eines externen Sachverständigen, mit der Folge, dass dem Untergebrachten ab diesem Zeitpunkt ein Verteidiger beizuordnen ist (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 02.03.2020 – 2 Ws 69/20 -; OLG Zweibrücken a.a.O. und Be-schlüsse vom 27.07.2006 – 1 Ws 273/06 – und vom 08.08.2006 – 1 Ws 313/06 -; Brandenbur-gisches OLG, Beschluss vom 07.06.2019 – 1 Ws 83/19 -). Die von der Verteidigung vertretene Auffassung, wonach unmittelbar nach Ende des einen Prüfungsabschnitt der nächste beginnt, würde letztlich darauf hinauslaufen, dass dem Untergebrachten für die Dauer des gesamten Maßregelvollstreckungsverfahrens – wenngleich auch in Abweichung von § 463 Abs. 8 StPO durch mehrere Beiordnungsentscheidungen – ein Verteidiger beizuordnen wäre, was jedoch, wie vorstehend dargelegt, von Rechts wegen nicht geboten ist.“

Zusammenstoß mit dem überbreiten Feldhäcksler im Begegnungsverkehr, oder: Haftungsverteilung?

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Heute dann noch voraussichtlich der letzte „Kessel Buntes“ in 2020, denn am nächsten Samstag ist 2. Weihnachtsfeiertag. Da wird es wahrscheinlich keine Entscheidungen geben.

Heute stelle ich dann zunächst noch das OLG Celle, Urt. v. 11.11.2020 – 14 U 71/20 – vor. Das OLG hatte über das Haftungsverhältnis aus erhöhter Betriebsgefahr eines landwirtschaftlichen Fahrzeugs mit Überbreite und großer Masse im Verhältnis zum Verschulden eines Pkw-Fahrers wegen Verstoßes gegen das Rechtsfahrgebot zu entscheiden. Dabei spielte die Frage eine Rolle, ob und wie eine fehlenden Ausnahmegenehmigung nach § 70 Abs. 1 StVZO im Rahmen der Haftungsabwägung zu berückscihtigen ist.

Folgenrder Kurzsachverhalt: Am Unfalltag kam es auf einer im Begegnungsverkehr zur Kollision zwischen dem VW Golf V des Klägers war, und einem vom Beklagten zu 2) geführten, bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten Feldhäcksler. Der Kläger fuhr vor der Kollision hinter einem Kleintransporter, der – wie auch weitere Fahrzeuge – das Beklagtenfahrzeug ohne Kollision passierten. Der genaue Unfallhergang ist/war zwischen den Parteien streitig.

Bei dem Feldhäcksler handelte es sich um ein landwirtschaftliches Fahrzeug mit Überbreite (3,45 m), für dessen Zulassung und Betrieb eine Ausnahmegenehmigung nach § 70 Abs. 1 StVZO erforderlich ist, die am Unfalltag nicht (mehr) vorlag.

Das LG ist von einer Haftungsquote von 60 : 40 zu Lasten des Klägers ausgegangen. Der Unfallschaden sei von dem Häcksler zu 40% und dem VW Golf des Klägers zu 60% verursacht worden. Dem Beklagten zu 2) sei ein Verstoß gegen § 3 Abs. 1 StVO vorzuwerfen, weil eine gefahrene Geschwindigkeit von 25 bis 30 km/h keine ausreichend geringe Geschwindigkeit darstelle, um andere Fahrzeuge das überbreite Fahrzeug passieren zu lassen; eine Geschwindigkeit von 10 bis 15 km/h wäre angemessen gewesen. Der Beklagte zu 2) habe damit auch gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen, weil ein Sicherheitsabstand von mindestens 1 m zwischen den sich begegnenden Fahrzeugen nicht habe eingehalten werden können. Keinen Verursachungsbeitrag stelle dagegen die Tatsache dar, dass die Ausnahmegenehmigung nach § 70 Abs. 1 StVZO bereits abgelaufen war. Dem Kläger sei demgegenüber ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot gemäß § 2 Abs. 2 StVO vorzuwerfen, weil er nicht äußerst weit rechts gefahren und nicht auf das Bankett ausgewichen sei; darüber hinaus stehe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass der Kläger sich unmittelbar vor der Kollision mit seiner linken Fahrzeugflanke über die Fahrbahnmitte hinaus auf dem Gegenfahrstreifen befunden habe. Der Unfall sei für den Kläger auch vermeidbar gewesen, da ein Idealfahrer hinter dem Kleintransporter ebenfalls nach rechts ausgewichen wäre und sein Fahrzeug zunächst zum Stehen gebracht hätte, bis die Ursache für das Fahrmanöver des Kleintransporters erkennbar wäre.

Die Berufung hatte keinen Erfolg. Das OLG sagt: Keine günstigere Quote als 60 : 40. Hier die Leitsätze: 

  1. Kann ein Fahrzeug mit Überbreite, das bereits den Grünstreifen neben der Fahrbahn mitbenutzt, wegen Alleebäumen nicht noch weiter rechts fahren, ist ein der Überbreite geschuldetes gleichzeitiges Überfahren der (gedachten) Mittellinie der Fahrbahn nicht vorwerfbar.
  2. Eine fehlende Ausnahmegenehmigung nach § 70 Abs. 1 StVZO ist im Rahmen der Haftungsabwägung nach §§ 17 Abs. 1, Abs. 2, 18 Abs. 3 StVG nicht zu berück-sichtigen, weil die Norm nicht dem Individualrechtsschutz anderer Verkehrsteilnehmer dient und deshalb ein Unfall bzw. der Unfallschaden außerhalb des Schutz-zwecks der Norm liegt.
  3. Kommt es im Begegnungsverkehr auf einer gerade verlaufenden Straße ohne Fahrbahnmarkierungen bei Tageslicht zu einer Kollision zwischen einem landwirt-schaftlichen Fahrzeug mit Überbreite, das so weit nach rechts gesteuert wird, wie es tatsächlich möglich ist, mit einem Pkw, der die Fahrbahnmitte grundlos leicht überschreitet, so tritt die Haftung aus Betriebsgefahr für das landwirtschaftliche Fahrzeug nicht zurück, sondern fließt mit 30 % in die Haftungsquote ein.

Unfallschadenregulierung II: Mietwagenkosten beim „Luxusauto“, oder: Wenn man einen Ferrari fährt

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By Axion23 – LaFerrari in Beverly Hills, CC BY 2.0,

In der zweiten Entscheidung des Tages, dem OLG Celle, Urt. v. 25.11.2020 – 14 U 93/20, geht es auch noch einmal um Unfallschadenregulierung und auch wieder um Mietwagenkosten. Geltend gemacht hatte der Kläger 5.644, 17 EUR, gezahlt worden waren 122,53 EUR. Den Rest hatte der Kläger geltend gemacht. Das OLG hat die aber nicht zugesprochen. Das Besondere an dem Fall: Bei dem beschädigten Pkw handelte es sich um einen Ferrari:

Restliche Mietwagenkosten in Höhe von 5.521,64 EUR (5.644,17 EUR abzüglich der ausgeurteilten 122,53 EUR) stehen dem Kläger nicht zu. Für die Auffassung des Klägers, die von der Einzelrichterin gewählte Schätzungsmethode gemäß § 287 ZPO sei vorliegend ungeeignet, seinen erstattungsfähigen Schaden zu ermitteln, spricht zwar die Entscheidung des KG Berlin [Urteil vom 11. Juli 2019 – 22 U 160/17 –, Ziffer 2e), VersR 2020, 46 (47)], das moniert, dass die Fraunhofer- und Schwacke-Listen Fahrzeuge aus dem gehobenen Luxuswagenbereich nicht enthalten. Sie sind auf dem Fahrzeugmarkt nicht in einem Umfang verfügbar, der es erlaubt, Mietpreise zu erheben und zu vergleichen. Gegen eine Erstattung der (noch) geltend gemachten 5.521,64 EUR sprechen aber jedenfalls die folgenden Gesichtspunkte:

Gemäß § 249 Abs. 2 BGB sind im Rahmen einer Schadensregulierung diejenigen Kosten vom Schädiger zu ersetzen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten zum Ausgleich seines Fahrzeugs für erforderlich halten durfte [BGHZ 63, 182 (188); BGH, Urteil vom 12. April 2011 – VI ZR 300/09 –, Rn. 10, zitiert nach juris]. Der Halter eines Pkw ist im Schadensfall grundsätzlich berechtigt, sich ersatzweise denselben oder einen vergleichbaren Wagentyp zu beschaffen [BGH, NJW 1970, 1120; KG Berlin, VersR 2020, 46, 47]. Wer einen Sportwagen fährt, darf also im Haftpflichtschadenfall grundsätzlich einen typengleichen Sportwagen als Mietfahrzeug wählen [OLG Düsseldorf, NJW-RR 1999, 907]. Dies gilt allerdings nicht völlig schrankenlos:

Der Geschädigte hat sich auf den Ausgleich der Nachteile zu beschränken, die nach der Verkehrsauffassung Vermögenswert besitzen, wozu auch gute Fahreigenschaften, normaler Komfort, bequemer Sitz, Klimaanlage und eine dem Gebrauchszweck dienende besondere Einrichtung gehören [BGH, Urteil vom 2. März 1982 – VI ZR 35/80 –, Rn. 10, zitiert nach juris]. Dagegen wird ein Verzicht auf den Ausgleich derjenigen Nachteile befürwortet, die lediglich zweckfrei die Freude am Fahren und das äußere Erscheinungsbild betreffen bzw. die durch eine ausgesprochene Luxusausstattung bedingt sind [ders., a. a. O.; BGH, VersR 1970, 547 (548)]. Deshalb kann ein Geschädigter gehalten sein, sich für eine kurze Zeit mit einem weniger komfortablen Wagentyp zu begnügen, wenn ein typengleiches Fahrzeug nur für eine besonders hohe Miete zu haben ist [BGH, Urteil vom 2. März 1982 – VI ZR 35/80 –, Rn. 11 m. w. N.; LG München II, Urteil vom 8. Mai 2012 – 2 S 4044/11 –, Rn. 14; beide zitiert nach juris]. Das war hier der Fall:

Der Kläger trägt selbst vor, dass ein seinem Ferrari vergleichbarer Mietwagen auf dem regionalen Markt nur zu einem Tagessatz von 600,- bis 700,- EUR anmietbar gewesen sei. Dagegen hat die Beklagte unwidersprochen vorgetragen, ein Porsche Carrera oder ein 8-er BMW hätten für ca. 90,- EUR bis 230,- EUR pro Tag angemietet werden können. Mit den gezahlten und ausgeurteilten 1.618,36 EUR ist dem Kläger durch die Beklagte und die Einzelrichterin ein Tagessatz von 147,- EUR zur Verfügung gestellt worden. Hierfür hätte unstreitig ein Fahrzeug der höchsten Gruppen 10 und 11 nach den Fraunhofer- bzw. Schwacke-Listen angemietet werden können, folglich ein Pkw, der hohen Fahrkomfort, eine gehobene Bequemlichkeit und eine erheblich überdurchschnittliche Fahrzeugausstattung geboten hätte (z. B. ein hochklassiger Audi oder BMW). Selbstverständlich sind solche Fahrzeuge mit einem Ferrari oder einem Lamborghini nicht unmittelbar vergleichbar. Aber der Beklagten ist darin zuzustimmen, dass es der Kläger versäumt hat, darzulegen, wozu er während der relativ kurzen Mietdauer von elf Tagen und einer Laufleistung von insgesamt 658 km unbedingt einen Sportwagen der Spitzenklasse benötigte. Auch mit einem sportiven BMW, Audi, Mercedes, Porsche oder einer anderen Marke hätte er technisch auf hohem Niveau und beträchtlicher Reputation unterwegs sein können. Die besonderen Fahreigenschaften eines Ferrari und dessen Ansehen stellen keine Werte dar, auf die der Kläger nicht für wenige Tage hätte verzichten können. Angesichts des Umstandes, dass der Tagesmietpreis für ein solches Fahrzeug deutlich – mehr als das Vierfache – über demjenigen für ein Fahrzeug aus der höchsten Fahrklasse der Fraunhofer- oder Schwackelisten gelegen hat, erscheint es dem Senat aus der Sicht eines wirtschaftlich und vernünftig denkenden Geschädigten nicht mehr angemessen, lediglich aus Gründen der Fahrfreude und des allgemeinen Prestiges auf Kosten des Schädigers einen exorbitant teuren Lamborghini anzumieten. Diese Gesichtspunkte begründen keinen ersatzfähigen materiellen Schaden, sondern stellen ideelle Werte dar, die keine Vermögenseinbuße begründen.

Somit erfolgte die überwiegende Klagabweisung zu den vom Kläger geltend gemachten Mietwagenkosten ebenfalls zu Recht.