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Manche lernen es nie III, oder: Freilassung der Angeklagten wegen Überlastung der Justiz

© Elena Schweitzer - Fotolia.com

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Und dann hier noch „Manche lernen es nie III“. Es geht um den OLG Bremen, Beschl. v. 20.05.2016 – 1 HEs 2/16 -, der (mal wieder) die Problematik der Überlastung der Justiz und die sich daraus ergeben Folgen für die Fortdauer von U-Haft behandelt. Das OLG Bremen hat – ich lege jetzt mal die PM des OLG zugrunde – im Rahmen der sog. „Sechs-Monats-Prüfung“ zwei Haftbefehle aufgehoben, in denen den beiden Angeklagten u.a. gemeinschaftlicher Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, gemeinschaftliche Zuhälterei und Körperverletzung vorgeworfen wurde. Das AG Bremen hatte gegen beide Angeklagten am 28.10.2015 die Haftbefehle erlassen. Die Angeklagten wurden am 28.10.2015 bzw. am 02.11.2015 verhaftet und in U-Haft genommen. Haftgründe waren Flucht- und Verdunkelungsgefahr. Eine erste Anklage ging beim LG Bremen am 11.01.2016 ein. Aufgrund notwendiger Nachermittlungen wurde die Akte an die Staatsanwaltschaft zurück gesandt. Die nach diesen Ermittlungen abgeänderte Anklage ging beim LG Bremen am 14.03.2016 ein. Vor einer Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens und die Fortdauer der Untersuchungshaft hat das LG Bremen die Akte dem OLG zur Haftprüfung vorgelegt und dabei mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, ab dem 15.07.2016 zu verhandeln. Die Vorsitzende der Strafkammer hat darüber hinaus mitgeteilt, dass ein rechtzeitiger Beginn der Hauptverhandlung innerhalb von sechs Monaten nach der Verhaftung wegen des Umfangs und der Schwierigkeit der Sache und wegen anderer bereits begonnener bzw. anberaumter Hauptverhandlungen nicht möglich sei.

Die GStA Bremen hatte in ihrer Stellungnahme beantragt, die Haftbefehle aufzuheben. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, dass bei der zuständigen Strafkammer keine kurzfristige Überlassung vorliege, die eine Fortdauer der U-Haft rechtfertigen könne, sondern dass sich aus verschiedenen Umständen ergebe, dass insgesamt bereits über einen längeren Zeitraum eine erhebliche Belastung der Strafkammern bestehe.

Das OLG hat die Haftbefehle aufgehoben. Zur Begründung hat es „ausgeführt, dass hier eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes vorliege. Eine Überlastung des Landgerichts sei nur dann ein wichtiger Grund für die Fortdauer der Untersuchungshaft, wenn diese Überlastung nur kurzfristig und weder vorhersehbar noch vermeidbar gewesen sei. Das sei hier jedoch nicht der Fall. Vielmehr ergebe sich aus den durch den 1. Strafsenat eingeholten Kennzahlen und sonstigen Informationen, dass die Belastungssituation der Strafkammern des Landgerichts Bremen bereits seit einiger Zeit deutlich geworden sei. Auch wenn sich die Eingänge in den Strafkammern des Landgerichts Bremen unter dem Bundesdurchschnitt bewegten, seien die Bestände im Jahr 2014 um 38 % und im Jahr 2015 sogar um 63 % höher als im Bundesdurchschnitt. Auch die Verfahrensdauer liege deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Eine drohende strukturelle Überlastung habe sich deshalb spätestens seit Mitte 2015 abgezeichnet, ohne dass ihr durch wirkungsvolle Maßnahmen planvoll entgegengewirkt worden wäre. Da auch bei den Zivilkammern des Landgerichts eine hohe Belastung vorliege, sei es nicht möglich gewesen, die Strafkammern durch Richter aus den Zivilkammern zu verstärken. Diese Umstände dürften jedoch nicht zulasten der in Haft befindlichen Angeklagten gehen.“

Manche lernen es eben nie, und zwar hier nicht die Strafkammer, sondern die Justizverwaltung, die einfach nicht genug Personal zur Verfügung stellt. Dafür schafft der BMjV lieber immer neue Strafvorschriften, die nun auch nicht gerade dazu führen werden, dass die Belastung der Justiz zurückgeht.

Zu den Teilen 1 und 2 der „Miniserie“ geht es hier: Manche lernen es nie I, oder: Warum will die Zentrale Bußgeldstelle „angewiesen“ werden? und Manche lernen es nie II, oder: Vierfacher Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot, bemerkenswert.

Was Polizeibeamte so alles können: Abstandsmessung aus vorausfahrendem Pkw

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Ich bin immer erstaunt, was Polizeibeamte so alles können (sollen), wenn es um die Feststellung von Verkehrs-Owi geht. So auch im OLG Bremen, Beschl. v. 24.09.2015 – 1 SsBs 67/15. Da lag dem Verfahren wegen eines Abstandsverstoßes die Messung auf einem vorausfahrenden Polizeifahrzeug zugrunde. Und zwar waren die Polizeibeamten wie folgt vorgegangen: „.… dass zwei Polizeibeamte auf der Autobahn über eine Strecke von ca. 1.500 Metern bei einer auf dem nicht justierten Tacho angezeigten Geschwindigkeit von durchgängig mindestens 130 km/h das nachfolgende Auto der Betroffenen in zwei für den Fahrer und den Beifahrer angebrachten Rückspiegeln beobachteten, sich merkten, welchen Teil der Front des nachfolgenden Fahrzeugs sie auf welche Entfernung sehen konnten (das Kennzeichen teilweise gar nicht mehr) und dann auf dem Standstreifen beide Fahrzeuge in einem solchen Abstand aufstellten, dass bei einem Blick in den Rückspiegel das Fahrzeug der Betroffenen genauso weit entfernt erschien wie während der Fahrt. Der Abstand wurde dabei mit einem geeichten Messrad mit 7,50 m gemessen. Wegen der Ungenauigkeit der rein optischen Wahrnehmung wurde der gemessene Abstand für den Vorwurf an die Betroffene verdoppelt. also auf 15 m erhöht. Von der auf dem Tachometer abgelesenen geringsten Geschwindigkeit von 130 km/h wurde ein Toleranzwert von 20 % abgezogen, für den Tatvorwurf mithin eine Geschwindigkeit von 104 km/h zugrunde gelegt.“

Allein der Aufwand ist schon bemerkenswert. Und die Messmethode m.E. auch. Aber das OLG Bremen hält sie für grundsätzlich zulässig:

„Inwieweit die Feststellung zu geringen Abstands durch Vorfahren möglich ist (Beobachten durch die Heckscheibe des Innenspiegels) ist Tatfrage. Wegen der erheblichen Fehlerquellen sind Mindestvoraussetzungen einzuhalten: ununterbrochene Spiegelbeobachtung durch erfahrenen (geschulten) Polizeibeamten und genaue Messung von Zeit und Strecke (Hentschel/König/Dauer, 43. Aufl., Straßenverkehrsrecht, § 4 StVO Rn. 29). Da sich nach einhelliger Auffassung über eine nachträgliche Rekonstruktion nicht mit absoluter Genauigkeit der Abstand feststellen lässt, der während der Fahrt bestand, muss ein Sicherheitszuschlag auf den gemessenen Abstand erfolgen, der über 33,3 % liegen muss (OLG Bremen a.a.O.; OLG Düsseldorf VRS 68, 229, 232; OLG Koblenz VRS 71, 66, 68: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht. aa0. § 4 StVO Rn. 29). Die insoweit erforderliche Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatgericht übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden.“

Aber ein „Haar hat es dann doch in der Suppe gefunden“, nämlich:

„Angesichts der Schwierigkeit, aus einem vorausfahrenden Fahrzeug heraus sichere Beobachtungen und zuverlässige Schätzungen im rückwärtigen Verkehrsraum zu treffen, bedürfen entsprechende Zeugenaussagen besonders kritischer Würdigung (OLG Hamm, Beschluss vom 24.10.2000 — 3 Ss OWi 968/00 – = BeckRS 2000, 30138862). Die Forderung, es müsse sich um geschulte und in der Anwendung des Abstandsmessverfahrens erfahrene Personen handeln (so OLG Hamm a.a.O.) wäre jedoch völlig überzogen, wenn damit gemeint sein sollte, dass die Polizeibeamten in der Abstandsmessung durch Vorausfahren geschult sein müssen, denn dabei handelt es sich um kein übliches Messverfahren, für das Schulungen stattfinden, sondern um die eher zufällige Feststellung eines Abstandsverstoßes, weil ein Drängler zu dicht auf ein ziviles Polizeifahrzeug auffährt, das er nicht als solches erkannt hat. Vielmehr ist ausreichend, dass ein in der Beobachtung von Verkehrsgeschehen erfahrener Polizeibeamter das nachfolgende Fahrzeug über eine längere Strecke ständig im Innenspiegel beobachtet (OLG Koblenz VRS 71, 66, 68; AG Lüdinghausen NZV 2009, 159, 160). Im Urteil des Amtsgerichts Bremerhaven finden sich keine Feststellungen dazu, über welche Erfahrungen die Polizeibeamten pp. und pp. zur Tatzeit verfügten. Auch wenn es schon allein aufgrund ihrer professionellen Vorgehensweise bei der Abstandsmessung naheliegt, dass sie nicht das erste Mal einen Abstandsverstoß durch ein nachfolgendes Fahrzeug feststellten, muss das Urteil dazu Feststellungen enthalten und diese würdigen.“

Na ja, Aufhebung ok, aber: Muss man bei dem „unüblichen Messverfahren“ – ist das überhaupt eine „Messung“ nicht doch eine besondere Schulung verlangen. Denn wenn man nur auf „Erfahrung“ abstellt, dann bleibt immer noch die Frage/der Einwand, dass sich die Polizeibeamten dann offenbar selbst „geschult“ haben. Wir werden sicherlich sehen/hören, was im zweiten Anlauf daraus wird.

Der manipulierte Verkehrsunfall – Detektivkosten ggf. erstattungsfähig

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Ich habe ja schon häufiger über manipulierte Verkehrsunfälle berichtet. Da ging es aber immer um die Frage, ob es sich überhaupt um einen solchen gehandelt hat, also welche Indizien dafür und/oder dagegen sprechen. Der OLG Bremen, Beschl. v. 08.09.2015 – 2 W 82/15 – befasst sich nun in dem Zusammenhang mit einer anderen Fragestellung. Nämlich: Sind die Kosten, die der Versicherungsgesellschaft entstanden sind, um den Verdacht eine Unfallmanipulation zu prüfen, erstattungsfähig? Das OLG sagt: In dem Fall ja:

Das Landgericht hat zu Unrecht die der Beklagten zu 2. in der Verkehrsunfallsache entstandenen Ermittlungskosten in Höhe von € 630,70 (Kosten des Detekteibüros X) als nicht erstattungsfähig abgesetzt. Diese Kosten waren zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung der Beklagten zu 2. notwendig i.S.d. § 91 Abs. 1 ZPO.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind die Kosten eines vor dem Rechtstreits von einer Partei eingeholten Privatgutachtens nur ausnahmsweise zu erstatten (Senat, Beschl. v. 28.03.2008 – 2 W 41/08 -, Beschl. v. 12.06.2015- 2 W 32/15 -). Voraussetzung ist, dass ein solches Gutachten gerade mit Rücksicht auf den konkreten Prozess in Auftrag gegeben wurde (Prozessbezogenheit), wobei es genügt, dass sich der Rechtsstreit einigermaßen konkret abzeichnet (vgl. BGH, Beschl. v. 14.10.2008 – Az. VI ZB 16/08 -). Dabei wird allerdings grundsätzlich ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Gutachten und Rechtsstreit zu verlangen sein (siehe Senat, aaO.).

Dabei macht es grundsätzlich keinen Unterschied, ob es um Kosten für ein Privatgutachten oder – so, wie es hier der Fall war – um Detektivkosten geht. In beiden Fällen sind die relevanten Gesichtspunkte die gleichen. Es geht jeweils um prozessbezogene Sachverhaltsermittlung, wie sie im Rahmen einer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig erscheint.

Vorliegend besteht jedenfalls ein enger Bezug der von der Beklagten zu 2. veranlassten Ermittlung zu dem Rechtsstreit. Der streitgegenständliche Verkehrsunfall ereignete sich am 13.07.2011. Die Klägerin forderte die Beklagte zu 2. am 20.07.2011 außergerichtlich zur Zahlung auf und erhob am 21.05.2015 Klage. Sie veranlasste die Beklagte zu 2. mit ihrem Vorgehen, sich an ein Detekteibüro zu wenden, um von dort aus Ermittlungen durchführen zu lassen, auf deren Ergebnis sie sich im Rahmen ihrer Klageerwiderung bezog.

Der zeitliche Zusammenhang wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Klage erst am 09.05.2015 eingereicht wurde. Würde man allein auf diesen letztgenannten Aspekt abstellen, hätte es der Kläger in der Hand, allein durch Zuwarten mit der Klageerhebung, die dann erst zu einem späten Zeitpunkt erfolgt, den zeitlichen Zusammenhang eines von der Gegenseite vorgelegten Privatgutachtens und damit dessen Prozessbezogenheit und die Erstattungsfähigkeit im Rahmen des § 91 ZPO zu zerstören. Es kommt vielmehr darauf an, welche Maßnahmen aus Sicht einer verständigen, wirtschaftlich denkenden Partei aus damaliger Sicht zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig waren.

Eine Prozessbezogenheit wäre allerdings zu verneinen, wenn ein Gutachten lediglich der allgemeinen und eher routinemäßigen Prüfung der Frage, ob es sich um ein vorgetäuschtes Versicherungsereignis handelte und damit der Prüfung der Einstandspflicht der Beklagten diente (Senat, Beschl. v. 04.03.2011 – 2 W 99/10 -). Eine solche Prüfung hat die Versicherung grundsätzlich in eigener Verantwortung vorzunehmen und den dadurch entstehenden Aufwand deshalb grundsätzlich auch selbst zu tragen (vgl. BGH, NJW 2008, 1597 f). Ein Gutachten muss gerade mit Rücksicht auf den konkreten Prozess in Auftrag gegeben und damit „prozessbezogen“ sein (BGH, NJW 2003, 1398 ff). Prozessbezogenheit wird bejaht, wenn ausreichende Anhaltspunkte für den Verdacht eines versuchten Versicherungsbetruges vorhanden sind, weil dann von Anfang an damit zu rechnen ist, dass es zum Prozess kommt (BGH, MDR 2009, 231 f; OLG Celle, Beschluss vom 10.01.2011, Az. 2 W 8/11 – zitiert nach juris). Dasselbe gilt nicht nur für Gutachten, sondern grundsätzlich ebenso – wie oben bereits dargestellt – für andere kostenauslösende Ermittlungstätigkeiten.

Vorliegend bestanden, wie die Bekl. zu 2. bereits in ihrer Klagerwiderung aufgeführt und im Einzelnen dargestellt, aufgrund zahlreiche Indizien, die für eine Unfallmanipulation sprachen. Diese Umstände waren geeignet, Anhaltspunkte für einen versuchten Versicherungsbetrug zu sehen, so dass damit zu rechnen war, der Kläger werde auf jeden Fall versuchen, seine vermeintlichen Ansprüche in einem Rechtsstreit durchzusetzen.

Aus Sicht der Beklagten zu 2. bestand damit die Notwendigkeit, zeitnah detektivische Ermittlungen in Auftrag zu geben, um im Falle des – zu erwartenden – nachfolgenden Prozesses auf das Vorbringen des Klägers zu dem angeblichen Unfall substantiiert erwidern zu können.“

Wann haste denn gekifft?

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Die Frage: „Wann haste denn gekifft?“ und die Antwort des Betroffenen darauf können beim Vorwurf der Drogenfahrt nach § 24 Abs. 2 StVG von entscheidender Bedeutung für den Vorwurf der Fahrlässigkeit sein. Denn die überwiegende Meinung der OLG geht davon aus, dass bei einem Konsum von rund 24 Stunden und mehr vor der Fahrt und einer nur geringfügigen Überschreitung des Grenzwertes von 1,0 ng/ml ein Fahrlässigkeitsvorwurf nicht bzw. nur nach Treffen besonderer Feststellungen gemacht werden kann. Und daran halten die OLG fest trotz der Angriffe, die gegen diese Rechtsprechung von RiBGH König immer wieder gefahren werden So jetzt das OLG Bremen im OLG Bremen, Beschl. v. 02.09.2013 – 2 SsBs 60/13 , das dazu ausführt:

„An der Erkennbarkeit der Wirkung des Rauschmittels kann es jedoch dann ausnahmsweise fehlen, wenn zwischen dem Zeitpunkt des Drogenkonsums und der Fahrt längere Zeit vergangen ist (KG, OLG Celle, OLG Frankfurt, OLG Hamm a.a.O.; Hans. OLG Bremen NZV 2006, 276; OLG Stuttgart DAR 2011, 218 ff.). Denn mit zunehmendem Zeitablauf schwindet das Bewusstsein dafür, dass der zurückliegende Rauschmittelkonsum noch Auswirkungen bis in die Gegenwart haben könnte. Das Tatgericht hat daher in denjenigen Fällen, in denen ein zeitnaher Rauschmittelkonsum vor der Tatzeit nicht festgestellt werden kann, zu prüfen, ob weitere Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dem Betroffenen die Möglichkeit einer im Tatzeitpunkt noch andauernden Beeinflussung durch das Rauschmittel bewusst gewesen ist bzw. hätte bewusst sein müssen.

Diesen Anforderungen genügen die getroffenen Feststellungen nicht.

Das Tatgericht geht davon aus, dass der Betroffene, der nach seinen eigenen Angaben zuvor noch nie Cannabis konsumiert hatte, 24 bis 28 Stunden vor der Tatzeit am 08.06.2012 um 21.50 Uhr, also am späten Nachmittag bzw. Abend des 07.06.2012, Cannabis konsumiert hat und schließt allein aus der Überschreitung des Grenzwerts, dass der Betroffene nicht in einer nur ganz geringfügigen Menge Cannabis zu sich genommen hat, sei es durch wiederholten Konsum am Vorabend oder aufgrund eines besonders hohen Wirkstoffgehalts. Diese Feststellungen reichen nicht aus, um ein fahrlässiges Handeln zu tragen.“

Auch du mein Sohn Brutus/OLG Bremen: Was schert uns der EGMR – oder kein Abgesang auf die Berufungsverwerfung

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Der EGMR hat im EGMR, Urt. v. 08.11.2012 in Sachen Neziraj gegen Deutschland (Nr. 30804/07 – die bundesdeutsche Rechtslage und Praxis der Verwerfung der Berufung des in der Hauptverhandlung ausgebliebenen Angeklagten nach § 329 Abs. 1 StPO trotz Anwesenheit eines verteidigungsbereiten Verteidigers als mit der EMRK nicht vereinbar angesehen. Es war m.E. zu erwarten, dass die deutschen OLG die Entscheidung des EGMR nicht umsetzen würden. So hat das dann auch bereits das OLG München unter Hinweis auf den Wortlaut der Vorschrift des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO abgelehnt (OLG München: Was schert mich der EGMR – oder kein Abgesang auf die Berufungsverwerfung). Nun auch das OLG Bremen im OLG Bremen, Beschl. v. 10. 6. 2013 – 2 Ss 11/13 , zwar mit einer anderen Begründung als das OLG München, aber in der Sache ebenso „unnachgiebig“ :-(. Die Leitsätze:

„1. Auch unter Berücksichtigung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 08.11.2012 (EGMR Nr. 30804/07) steht allein die Anwesenheit eines verteidigungsbereiten Verteidigers der Anwendung des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO nicht entgegen.

2. . § 329 Abs. 1 S. 1 StPO enthält eine Öffnungsklausel für sämtliche Fälle der gesetzlich vorgesehenen zulässigen Vertretung durch einen Verteidiger. Die der Entscheidung des EGMR zugrunde liegende Konstellation ist jedoch deshalb nicht als (weiterer) zulässiger Vertretungsfall i. S. der genannten Norm anzusehen, weil eine derartige Auslegung zwar nicht dem Wortlaut, aber dem sich aus dem Regelungszusammenhang der Vorschrift ergebenden eindeutig entgegenstehenden Willen des nationalen Gesetzgebers widerspricht.“

M.E. wird die Frage, ob und wie das EGMR-Urteil hier in der Bundesrepublik umzusetzen ist, letztlich nur vom Gesetzgeber entschieden werden können. Ggf. sogar erst nach einem weiteren Urteil des EGMR? Verteidiger sollten in der Hauptverhandlung, wenn die Verwerfung der Berufung des Mandanten droht, aber auf jeden Fall die Einhaltung  der Vorgaben des EGMR anmahnen und die Verwerfung mit der Revision (Verfahrensrüge!!!!!!!!) angreifen.