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OWI II: Fahrverbot ja, denn du wirst „unproblematisch eine vergleichbare Tätigkeit finden“, oder: Bloße Vermutung

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Die zweite Entscheidung aus dem Bereich OWi ist der OLG Bamberg, Beschl. v. 13.08.2018 – 3 Ss OWi 980/18 – betreffend eine Fahrverbotsfrage. Das AG hatte nicht vom Fahrverbot abgesehen. Ausweislich der Urteilsgründe hat es zwar zu Gunsten des Betroffenen unterstellt, dass dieser im Falle eines Fahrverbots kündigungsbedingt seine Tätigkeit als Getränkeausfahrer verlieren werde, weshalb gleichwohl nicht von einem Härtefall auszugehen sei, weil der Betroffene „bei der derzeitigen Arbeitsmarktlage in M. unproblematisch eine vergleichbare Tätigkeit finden“ werde. Das ging selbst dem OLG Bamberg ein wenig weit:

2. Der Rechtsfolgenausspruch hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Auch wenn ein Absehen von dem gesetzlich angeordneten Regelfahrverbot nach §§ 24a II, III, 25 I 2 StVG i.V.m. § 4 III BKatV nur in Härtefällen ganz außergewöhnlicher Art in Betracht kommt (vgl. nur OLG Bamberg Beschl. v. 29.10.2012 – 3 Ss OWi 1374/12 = BA 50, 27 = OLGSt StVG § 25 Nr 53 und zuletzt Beschl. v. 02.07.2018 – 3 Ss OWi 754/18 [bei juris], jeweils m.w.N.), sind die Erwägungen des AG, welches trotz von ihm unterstellter Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Betr. in der Gesamtschau von der Angemessenheit und Notwendigkeit der Verhängung des Fahrverbots ausgeht, schon im Ansatz von Rechtsfehlern beeinflusst.

„a) Mit seiner Prognose, der Betr. werde nach seiner Kündigung „unproblematisch eine vergleichbare Tätigkeit finden“, entfernt sich die an sich dem Tatrichter nach § 261 StPO obliegende Beweiswürdigung so weit von einer festen Tatsachengrundlage, dass es sich bei ihr letztlich nur um eine bloße Vermutung handelt (Meyer-Goßner/Schmitt StPO 61. Aufl. § 261 Rn. 38). Ebenso wenig wie eine nur auf statistische Wahrscheinlichkeiten gestützte Prognoseentscheidung, welche die Besonderheiten des Einzelfalls nicht in den Blick nimmt, keine geeignete Grundlage für die Anordnung oder Fortdauer gerichtlicher Maßnahmen darstellt (vgl. nur BGH Beschl. v. 16.12.2015 – 2 StR 469/15 = StraFo 2016, 122; 12.04.2016 – 4 StR 17/16 = NStZ-RR 2016), kann eine Existenzgefährdung infolge Verlustes des Arbeitsplatzes nicht mit vom konkreten Fall losgelösten Überlegungen zur allgemeinen Beschäftigungslage verneint werden. Aus der – abstrakt gesehen – guten Arbeitsmarktlage in M. allein folgt nicht, dass auch der Betr. nach seiner Kündigung unproblematisch eine vergleichbare Tätigkeit finden wird. Konkrete Tatsachen, wonach der Betr. eine neue Arbeitsstelle in Aussicht habe, hat das Gericht gerade nicht festgestellt. Die Urteilsfeststellungen verhalten sich auch nicht zu den persönlichen Verhältnissen des Betr., so dass der Senat die Schlussfolgerung des AG schon im Hinblick auf möglicherweise vorhandene Einschränkungen der Vermittelbarkeit nicht auf Plausibilität überprüfen kann. Da solche Einschränkungen gerade dann nahe liegen, wenn sich der Arbeitgeber, wovon das AG zu Gunsten des Betr. ausgeht, trotz der Arbeitsmarktlage, die es ihm erschwert einen neuen Mitarbeiter zu finden, von seinem Arbeitnehmer trennen will, hätte dieser Punkt einer näheren Erörterung in den Urteilsgründen bedurft.“

Und: <<Werbemodus an>>: Zum Fahrverbot verweise ich dann auf die Ausführungen des Kollegen Dr. Deutscher in Burhoff (Hrsg.) Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl. M.E. gibt es nichts Besseres. Zur Bestellung geht es hier.<<Werbemodus aus>>.

Verletzung des rechtlichen Gehörs, oder: Auf Verurteilung wegen Vorsatzes muss hingewiesen werden

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Zur vorhin vorgestellten Entscheidung des BGH zum Hinweis nach § 265 StPO (siehe den BGH, Beschl. v. 14.06.2018 – 3 StR 206/18 und dazu: Wenn sich die Sachlage (beim Mordvorwurf) ändert, oder: Förmlicher Hinweis erforderlich) passt ganz gut der OLG Bamberg, Beschl. v. 19.06.2018 – 3 Ss OWi 728/18.

Das AG hat den Betroffenen wegen einer am 15.09.2017 als Kfz-Führer vorsätzlich begangenen Beförderung seines 8-jährigen Sohnes ohne jede Sicherung (§§ 21 Abs. 1a Satz 1) zu einer Geldbuße von 60 € verurteilt. Mit seiner Rechtsbeschwerde hat der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt. Das OLG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen und das Urteil aufgehoben.

I. Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil es geboten ist, das Urteil wegen Versa­gung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 I Nr. 2, II Nr. 1 OWiG).

1. Die Verfahrensrüge, das Gericht habe einen rechtlichen Hinweis dahingehend unterlassen, dass es möglicherweise von vorsätzlichem Verhalten des Betr. ausgehe, ist […] zulässig und auch begründet. Weder der Betr. noch sein Verteidiger waren auf diese Möglichkeit hingewiesen worden und hatten demgemäß insoweit keine Gelegenheit, ihr prozessuales Verhalten auf die neue Situation einzustellen. Dieses Vorgehen verletzt zugleich den Anspruch des Betr. auf rechtliches Gehör.

a) Der Umstand, dass im Bußgeldbescheid die Schuldform nicht angegeben war, hatte zur Folge, dass vom Vorwurf fahrlässigen Handelns auszugehen war (OLG Bamberg, Beschl. v. 02.05.2017 – 2 Ss OWi 293/17 = DAR 2017, 383 m.w.N.), zumal sich die Zentrale Bußgeldstelle mit ihrer Rechtsfolgenentscheidung ersichtlich an dem für Fahrlässigkeitsdelikte (§ 1 II 2 BKatV) geltenden Regelsatz nach Nr. 99.1 BKat orientiert hatte.

b) Ein Hinweis dahingehend, dass die Verurteilung wegen einer vorsätzlich begangenen Tat erfolgen könne, ist ausweislich der Verfahrensakte und des Hauptverhandlungsprotokolls weder dem Betr. selbst noch dessen Verteidiger, insbesondere auch nicht in der Hauptverhandlung, erteilt worden.“

OWi I: Unzulässige Verlesung von Zeugenangaben, oder: Tatzeugen sind keine Ermittlungsbeamte

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Heute dann noch einmal ein wenig OWi-/Bußgeldverfahren. Ich bin da noch auf ein paar Entscheidungen in meinem Blogordner gestoßen, die „raus müssen“. Das ist zunächst der OLG Bamberg, Beschl. v. 28.12.2017 – 3 Ss OWi 1842/17, also schon ganz schön alt.

Er enthält eine erfolgreiche Beschwerde beim OLG Bamberg! Grund: Unzulässige Verlesung der Angaben von Tatzeugen:

„Die ordnungsgemäß (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) erhobene Verfahrensrüge der Verletzung des § 77a Abs. 1 und Abs. 4 Satz 1 OWiG ist, wovon auch die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg in ihrer Stellungnahme vom 11.12.2017 ausgeht, begründet. Die auf § 77a Abs. 1 OWiG gestützte Verlesung der schriftlichen Aussagen der Tatzeugen, die keine Ermittlungsbeamten i.S.d. § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO waren, hätte nach § 77a Abs. 4 Satz 1 OWiG der Zustimmung des  in der Hauptverhandlung anwesenden Verteidigers des Betroffenen bedurft. Eine solche Zustimmung ist von diesem ausdrücklich verweigert worden, was auch sein stillschweigend erklärtes Einverständnis mit der Verlesung ausschließt. Das Amtsgericht hat auch keinen in § 77a Abs- 4 Satz 2 OWiG genannten Verlesungsgrund herangezogen.

Auf diesem Verfahrensfehler kann das Urteil auch beruhen, denn die Überzeugungsbildung des Amtsgerichts wird auf die verlesenen Angaben der Tatzeugen gestützt.“

Wörtliche Wiedergabe umfangreicher, nicht verlesener Urkunden im Urteil, oder: Inbegriffsrüge

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Die zweite Entscheidung heute kommt auch aus Bayern, und zwar vom OLG Bamberg. Es handelt sich um die den OLG Bamberg, Beschl. v. 29.05.2018 – 3 OLG 130 Ss 30/18 – zur Frage, wie geltend zu machen ist, wenn beanstandet werden soll, dass im Urteil nicht verlesene Vernehmungsniederschriften eines Zeugen wörtlich wieder gegeben werden. Das OLG sagt: Mit der Inbegriffrüge

„Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision ist bereits mit der Verfahrensrüge der Verletzung von § 261 StPO begründet und zwingt den Senat zur Aufhebung des angefochtenen Urteils einschließlich sämtlicher Feststellun-gen (§ 349 IV StPO) und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer des LG, weshalb auf es auf die weiteren Beanstandungen der Revision nicht mehr ankommt.

„1. Die Inbegriffsrüge, mit der ein Verstoß gegen § 261 StPO geltend gemacht wird, weil das LG mehrere Protokolle über die Vernehmung einer Zeugin, auf deren Aussagen es die Verurteilung auch stützt, im Rahmen in der Beweiswürdigung wörtlich niedergelegt habe, ohne diese förmlich verlesen zu haben, ist in zulässiger Weise erhoben. Insbesondere bedurfte es angesichts der wörtlichen Wiedergabe mehrerer umfangreicher Urkunden über Seiten hinweg ausnahmsweise nicht des Vortrags, dass deren Inhalt nicht durch nicht protokollierungsbedürftigen Vorhalt in die Hauptverhandlung eingeführt wurde (BGH, Beschl. v. 09.03.2017 – 3 StR 424/16 = wistra 2017, 351 = StraFo 2017, 206 = NStZ 2017, 722 = BGHR StGB § 283 Abs 1 Nr 1; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 61. Aufl. § 249 Rn. 30; KK/Ott StPO 7. Aufl. § 261 Rn. 80). Bei dieser Sachlage ist die Feststellung des genauen Inhalts der Protokolle durch bloßen Vorhalt an die Zeugin nicht möglich. Denn ein Vorhalt selbst kann nicht Grundlage einer Verurteilung sein; vielmehr kommt es allein auf die Erklärung desjenigen an, dem der Vorhalt gemacht wird (BGH, Beschl. v. 05.04.2000 – 5 StR 226/99 = wistra 2000, 219 = NStZ 2000, 427 = StraFo 2000, 267 = StV 2000, 477 = BGHR StPO § 249 I Verlesung, unterbliebene 1). Dass ein Zeuge aber den genauen Inhalt von Protokollen über frühere Vernehmungen, die sich über mehrere Seiten erstrecken, bestätigen kann, ist ausgeschlossen.

2. Die Verfahrensrüge ist auch begründet. In der wortgetreuen Wiedergabe mehrerer Vernehmungsprotokolle liegt ein Verstoß gegen § 261 StPO, wonach die Überzeu-gungsbildung des Tatgerichts aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung zu schöpfen ist. Eine förmliche Verlesung der Urkunden gemäß § 249 I StPO erfolgte nicht, was durch das Fehlen des entsprechenden Eintrags im Hauptverhandlungsprotokoll gemäß § 274 S. 1 StPO belegt wird (BGH, Urt. v. 09.03.2017 – 3 StR 424/16 = ZInsO 2017, 1038 = StraFo 2017, 206 = NZI 2017, 542 = GmbHR 2017, 925 = BGHR StGB § 283 I Nr. 1 Beiseiteschaffen 6 = wistra 2017, 351 = NStZ 2017, 722). Im Übrigen hat die Berufungskammer die von der Verteidigung beantragte Verlesung der Urkunden sogar ausdrücklich abgelehnt. Da aus den bereits dargelegten Gründen die Einführung des Inhalts dieser Urkunden durch Vorhalt nicht in Betracht kam, ist der Verfahrensverstoß bewiesen.“

OWi II: Absehen vom Fahrverbot, oder: Der Bäcker kann auch deutlich vor Arbeitsbeginn um 2.00 Uhr anreisen oder/und eine Wohnung nehmen

In  der zweiten OWi-Entscheidung handelt es sich um den OLG Bamberg, Beschl. v. 02.07.2018 – 3 Ss OWi 754/18 – zu den Voraussetzungen für die Abkürzung eines an sich nach § 24a Abs. 1 StVG wegen einer Voreintragung verwirkten Fahrverbots von drei Monaten auf einen Monat. Das AG hatte auf einen Monat verkürzt, aber das hat natürlich – Bayern! – die GStA nicht hingenommen und sie hat Rechtsbeschwerde eingelegt, die vom OLG Bamberg Erfolg hatte. Das moniert mal wieder nicht ausreichende Prüfung der Einlassung des Betroffenen, der sich „auf die durch seinen Arbeitgeber als Zeuge in der Hauptverhandlung bestätigte Kündigung seines Beschäftigungsverhältnisses als Bäcker in einer Kleinbäckerei mit branchentypischen nächtlichen Arbeitszeiten“ berufen hatte.

„3. Es entspricht andererseits ständiger obergerichtlicher Rspr., dass Angaben eines Betr., es drohe bei Verhängung eines Fahrverbots der Existenzverlust, nicht ungeprüft übernommen werden dürfen. Vielmehr ist ein derartiger Vortrag vom Tatrichter kritisch zu hinterfragen, um das missbräuchliche Behaupten eines solchen Ausnahmefalles auszuschließen. Zugleich wird das Rechtsbeschwerdegericht nur so in die Lage versetzt, die Rechtsanwendung nachzuprüfen (st.Rspr., vgl. zuletzt nur OLG Bamberg, Beschl. v. 04.05.2017 – 3 Ss OWi 550/17 = BA 54, 383 und v. 30.10.2017 – 3 Ss OWi 1206/17 = ZfS 2018, 114 = VM 2018, Nr 7, jeweils m.w.N.).

4. Dies ist hier zumindest nicht mit der gebotenen Sorgfalt geschehen:

a) So kann der Senat anhand der Urteilsgründe schon nicht übersehen, ob die vom Betr. vorgebrachte eingeschränkte Erreichbarkeit seines Arbeitsplatzes mit öffentlichen Verkehrsmitteln den Tatsachen entspricht. Insoweit ist überdies zu beachten, dass für den Betr. im Zweifel auch angesichts einer drohenden Fahrverbotsdauer von 3 Monaten eine tägliche Anfahrt zu seiner Arbeit zeitlich deutlich vor deren effektivem Beginn um 2.00 Uhr, als zumutbar anzusehen sein wird, gleichgültig ob der Betr. für einen Teilzeitraum eine Mitfahrgelegenheit in Anspruch nehmen könnte oder nicht.

b) Entsprechendes gilt, soweit der Betr. zum Beleg der Notwendigkeit einer alternativlosen eigenen Kraftfahrzeugnutzung vorbringt, erfolglos „versucht“ zu haben, am Ort der Bäckerei „vorübergehend eine kleine Wohnung anzumieten“, ohne dass das AG die insoweit vom Betr. unternommenen konkreten Anstrengungen im Urteil dargestellt oder nach den Urteilsgründen hinterfragt hätte. Auch in dieser Hinsicht wird dem Betr. im Zweifel auch die vorübergehende Einmietung etwa in einer Pension oder die Anmietung eines Ein-Zimmer-Appartements in Arbeitsplatznähe oder in einem benachbarten Ort auf eigene Kosten zuzumuten sein, und sei es nur, um so nach der Nutzung öffentlicher Verkehrsanbindungen die Zeiträume bis zum effektiven täglichen Arbeitsantritt zu überbrücken. Die in diesem Zusammenhang anfallenden Aufwendungen wären schon deshalb als grundsätzlich zumutbar anzusehen, weil ihnen die vom Betr. ersparten Aufwendungen aus der dann zumindest weitgehend entfallenden werktäglichen Pkw-Nutzung ge­genüber zu stellen wären (OLG Bamberg, Beschl. v. 18.03.2009 – 3 Ss OWi 196/09 = DAR 2009, 401 = VM 2009, Nr 63 = OLGSt StVG § 25 Nr 46).“

In meinen Augen: Typisch OLG Bamberg: Also ggf. Anreise „zeitlich deutlich vor deren effektivem Beginn um 2.00 Uhr, als zumutbar anzusehen sein wird“, d.h. also, ggf. Stunden vorher anfahren und dann auf den Arbeitsbeginn warten. Und dann wieder die Geschichte mit der Anmietung der Wohnung. Das hatten wir schon mal aus Bamberg. In meinen Augen unzumutbar. Im Übrigen kann ich mit der Kombination: Frühe Anreise und Anmieten einer Wohnung in der Nähe des Arbeitsplatzes jedes Absehen vom Fahrverbot ablehnen., Aber das will man in Bamberg auch wohl.