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Verkehrsrecht I: Schluss beim Berliner Ku-Damm-Raser, oder: BVerfG nimmt Verfassungsbeschwerde nicht an

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Heute dann noch einmal drei Entscheidungen mit verkehrsrechtlichem Einschlag.

Ich beginne den Reigen mit einer Entscheidung des BVerfG. Die gibt es im Verkehrsrecht ja nun nicht häufig, hier ist aber mal eine. Allerdings handelt es sich bei der vom BVerfG im BVerfG, beschl. v. 07.12.2022 – 2 BvR 1404/20 – geprüften und entschiedenen Frage nicht direkt um ein verkehrsrechtliches Problem, sondern um die Frage. Ist der Angeklagte im sog. Berliner Ku-Damm-Raser-Fall zur echt vom BGH wegen Mordes verurteilt worden (vgl. BGH, Urt. v. 18.6.2020 – 4 StR 482/19 -, BGHSt 65, 42)? Das BVerfG meint ja und hat die Verfassungsbeschwerde gegen das BGH-Urteil nicht zur Entscheidung angenommen. Damit ziejt es – zumindest innerstaatlich – einen Schlussstrich unter das Verfahren. Die Instanzgerichte werden in Zukunft mit der Auffassung des BVerfG und des BGH umgehen (müssen).

Das BVerfG hat seine Auffasssung in einem – wie ich meine – für einen Nichtannahmebeschluss sehr umfangrreich begründeten Beschluss dargelegt. Das kann und möchte ich hier nicht alles einstellen, sondern verweise wegen der Einzelheiten auf den verlinkten Volltext.

In seinem Beschluss setzt sich das BVerfG im Wesentlichen mit zwei Punkten auseinander, nämlich mit einem Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG und/oder einem Verstoß gegen das Schuldsprinzip. Beides wird verneint.

Zum Bestimmtheitsgebot führt das das BVerfG aus: Gemessen an den vom BVerfG in seiner Rechtsprechung aufgestellten Maßstäben hätten die Fachgerichte mit der Annahme, der Verurteilte habe mit Tötungsvorsatz gehandelt, die Vorgaben des Bestimmtheitsgebots nicht missachtet. Die Rüge, es sei eine dem Bestimmtheitsgebot widersprechende Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit vorgenommen worden, dringe nicht durch. Unschädlich sei, dass das Strafgesetzbuch diese Begriffe ohne die Rechtsanwendung anleitende Definitionen verwende. Art. 103 Abs. 2 GG schließe die Verwendung wertausfüllungsbedürftiger Begriffe bis hin zu Generalklauseln im Strafrecht nicht aus, wenn sich mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden, insbesondere durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes, durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs oder aufgrund einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung derartiger Begriffe gewinnen lässt.

Jedenfalls bei Tötungsdelikten bestehe für die Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit eine solche gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung. Es sei vom Verurteilten weder dargetan noch aus sich heraus ersichtlich, dass diese den Vorsatzbegriff konkretisierende Rechtsprechung des BGH mit Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar sei. Zwar sei diese Rechtsprechung Kritik unterworfen, die im Ergebnis jedoch nur aufzeige, dass – auch vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgebots zulässige – Randunschärfen bei der Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit bestehen. Damit umzugehen, obliege der fachgerichtlichen Rechtsprechung und der Strafrechtswissenschaft und berühre die Gewährleistungen des Bestimmtheitsgebots nicht. Es sei auch bei der Rüge eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 2 GG nicht Aufgabe des BVerfG, seine Auffassung von der zutreffenden oder überzeugenderen Auslegung des einfachen Rechts an die Stelle derjenigen der Fachgerichte zu setzen. Die angegriffenen Entscheidungen hätten sich in diese – dem aus Art. 103 Abs. 2 GG abgeleiteten Präzisierungsgebot entsprechende – ständige Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit eingefügt und würden damit den behaupteten Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot nicht erkennen lassen. Beide Entscheidungen nähmen diese ständige Rechtsprechung zum Ausgangspunkt ihrer weiteren Prüfung. Dementsprechend hätten sowohl das LG als auch der BGH nicht nur auf die objektive Gefährlichkeit der Handlung abgestellt, sondern auf die wesentlichen festgestellten Umstände des Einzelfalls, die Rückschlüsse auf das Wissens- und das Willenselement der inneren Tatseite zulassen.

Ein Verstoß gegen das Schuldprinzip habe der Verurteilte ebenfalls nicht dargetan. Der Verurteilte zeige eine sich an den Maßstäben der Rechtsprechung orientierende Verletzung des Schuldgrundsatzes durch die Annahme eines Tötungsvorsatzes nicht auf. Das LG habe bei der Beweiswürdigung nicht nur auf die konkrete Gefährlichkeit der Fahrt abgestellt, sondern die Persönlichkeit des Verurteilten, seine Motivation für das maximale Beschleunigen nach der Kurvenausfahrt, seine grundsätzliche Einstellung zum Autofahren und seine Einschätzung des eigenen fahrerischen Könnens im Blick gehabt hat. Das LG sei damit dem verfassungsrechtlichen Gebot gerecht geworden, den Schuldspruch auf Feststellungen zur individuellen Vorwerfbarkeit der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Tat zu stützen.

StGB I: Tötung eines Säuglings ohne Mordmerkmal?, oder: Mord oder Totschlag?

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Heute dann drei StGB-Entscheidungen. Und ich eröffne den Tag mit dem BGH, Urt. v. 08.03.2022 – 6 StR 320/21, eine vom sachverhalt „schwere“ Entscheidung. Daher überlasse ich den Sachverhalt auch dem Selbststudium.

Das LG hat den Angeklagten wegen der Tötung eines Säuglings wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Hiergegen richten sich jeweils auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft beanstandet die Verurteilung des Angeklagten lediglich wegen Totschlags. Der Angeklagte greift u.a. die Annahme eines Tötungsvorsatzes sowie die Strafzumessung an. Während das vom GBA vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft im Wesentlichen Erfolg hat, ist das des Angeklagten unbegründet.

Der BGH führt aus:

„2. Die Schwurgerichtskammer hat die Auffassung vertreten, dass die vom Angeklagten wenigstens mit bedingtem Tötungsvorsatz ausgeführte Tat kein Mordmerkmal nach § 211 Abs. 2 StGB erfülle. Namentlich lägen keine sonst niedrigen Beweggründe vor. Zwar sei die Belastung der Beziehung des Angeklagten zur Nebenklägerin durch L. und dessen fehlende leibliche Abstammung vom Angeklagten in den Tatentschluss mit eingeflossen, allerdings nicht dergestalt, dass er sich gezielt zu einer Tötung entschlossen habe, um seine Beziehung zur Nebenklägerin von dem ihm ungeliebten „Stiefkind“ zu befreien. Hauptmotiv für die spontan begangene Tat sei vielmehr die „situativ bedingte Wut“ des Angeklagten über das Schreien des Säuglings gewesen. Gerade auch vor dem Hintergrund einer nicht von ihm zu vertretenden kombinierten Persönlichkeitsstörung erreiche dieser Beweggrund noch nicht das erforderliche Maß an Verwerflichkeit.

3. Diese Wertung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Die Beweiswürdigung ist lückenhaft. Die Schwurgerichtskammer hat ein Handeln im Zustand höchster Wut zugrunde gelegt und als „führendes“ Motiv gewertet. Die Urteilsgründe setzen sich hierzu nicht mit der Feststellung auseinander, dass das Verhalten des Angeklagten nicht nur beim Verlassen des Wohnzimmers, sondern auch bei seiner Rückkehr keine Auffälligkeiten aufwies. Sie folgen insofern den Bekundungen des Zeugen M. , auf den der Angeklagte unmittelbar nach der Tat sowie in der weiteren Folge einen ruhigen und gelassenen Eindruck machte. Dieser Umstand tritt indessen in erhebliche Spannung zu dem vom Landgericht für den wenige Augenblicke zurückliegenden Tatzeitpunkt angenommenen Zustand höchster Wut aufgrund persönlichkeitsbedingter Überforderung. Er wird im angefochtenen Urteil nur als etwaiger vorsatzkritischer Gesichtspunkt erörtert, nicht jedoch in Beziehung zu den Befindlichkeiten des Angeklagten während der Tat gesetzt. Dies wäre jedoch angesichts der Fülle von Beweisanzeichen geboten gewesen, die für eine von außerordentlicher Gefühlskälte geprägte Einstellung des Angeklagten gegenüber dem kindlichen Tatopfer sprechen. Sie hatte sich auch schon zuvor in Gewalthandlungen und menschenverachtenden Handlungsweisen zum Nachteil des Kindes dokumentiert. Dies in Verbindung mit dem „gelassenen“ Nachtatverhalten des Angeklagten hätte der Schwurgerichtskammer Anlass zu der Erwägung geben müssen, ob sich statt einer sehr heftigen Gemütsaufwallung nicht „führend“ die – festgestellte – feindselige Grundhaltung des Angeklagten im Verhältnis zu dem Kind in der Tat Bahn gebrochen hat. Hinzu kommt, dass der Tagesablauf keinerlei Besonderheiten aufwies, die eine Überforderungssituation des Angeklagten erklären könnten.

b) Der Generalbundesanwalt weist in seiner Zuschrift ferner mit Recht darauf hin, dass auch gegen die Ausführungen des Landgerichts zum Vorsatz durchgreifende Bedenken bestehen. Die Schwurgerichtskammer ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte „zumindest“ mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt hat. Ein Handeln in Tötungsabsicht hat es nur in Bezug auf die Frage näher geprüft, ob der Angeklagte bereits beim Verlassen des Wohnzimmers einen Tötungsentschluss gefasst haben könnte, nicht aber für den Zeitpunkt der Tat. Dies wäre jedoch angesichts der Feststellung geboten gewesen, dass der Angeklagte Mund und Nase des Säuglings wenigstens drei Minuten verdeckte und ihm zugleich sehr schwere Verletzungen am Rumpf zufügte. Aufgrund dieses höchst gefährlichen Vorgehens liegt die Annahme fern, er habe den Tod des Kindes zu diesem Zeitpunkt nicht als sichere Folge seines Handelns vorausgesehen und damit auch nicht gewollt.

Die Frage, ob der Angeklagte in Tötungsabsicht gehandelt hat, ist nicht nur für den Strafausspruch bedeutsam (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2018 – 2 StR 150/15, BGHSt 63, 54, 59 ff.), sondern auch für die Ermittlung der Beweggründe des Angeklagten (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juli 2000 – 2 StR 96/00, NStZ 2001, 87). Das Landgericht hat das von ihm angenommene Nichtvorliegen einer gezielten Tötung dementsprechend im Rahmen der Prüfung niedriger Beweggründe zugunsten des Angeklagten gewertet. Der Senat kann deshalb nicht ausschließen, dass es bei Annahme von Tötungsabsicht zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.“

StGB III: Noch einmal Mordmerkmal Heimtücke, oder: Die Arglosigkeit des Opfers

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Und zum Tagesschluss dann noch der BGH, Beschl. v. 15.02.2022 – 4 StR 491/21 – zum Mordmerkmal Heimtücke.

Folgende landgerichtliche Feststellungen:

„Am Tattag hielt sich der Bruder des Angeklagten mit Ehefrau, der später Getöteten, und Kindern zu Besuch bei der Ehefrau des Angeklagten und den gemeinsamen Kindern in deren Wohnung auf. Von diesem Besuch, der von seiner Familie vor dem Angeklagten planmäßig verdeckt wurde, hatte der Angeklagte keine Kenntnis.

Gegen Abend fasste der Angeklagte den Entschluss, die ihm aus seiner Sicht von seiner Ehefrau drohende Gefahr zu beenden. Zu diesem Zweck nahm er eine mit sechs Patronen geladene Pistole des Kalibers 7,5 mm, einen Teleskopschlagstock sowie einen ‒ ohne Wissen seiner Familie angefertigten ‒ Nachschlüssel für die Wohnung seiner Ehefrau an sich und fuhr mit seinem Pkw zur Wohnung seiner Ehefrau. Der Angeklagte war gewillt, seine Ehefrau mit seinem Verdacht zu konfrontieren, diese wolle ihn vergiften und spinne seit Jahren eine Intrige gegen ihn, um ihm zu schaden und die Familie gegen ihn aufzubringen. Für den Fall, die von ihr vermeintlich ausgehende Gefahr nicht anders beenden zu können, war er bereit, seine Ehefrau zu töten, wie er es gedanklich schon mehrere Male zuvor durchgespielt hatte. Dabei beabsichtigte er, gegebenenfalls den Nachschlüssel und auch die Waffen für seine Ehefrau und die gemeinsamen Kinder unerwartet einzusetzen und das sich hieraus ergebende Überraschungsmoment für die Tat auszunutzen.

Am Wohnanwesen seiner Ehefrau eingetroffen gelangte der Angeklagte, der die Pistole schussbereit hinter dem Rücken im Hosenbund verborgen hatte und den Teleskopschlagstock versteckt unter der Bekleidung trug, in den Hausflur und klingelte an der Wohnungstür. Auf das Klingeln trat einer der Söhne des Angeklagten an die Wohnungstür und sah durch den Türspion seinen Vater, dessen Bewaffnung für ihn nicht erkennbar war. Ohne die Wohnungstür zu öffnen, kehrte der Sohn in das Wohnzimmer zurück, in dem sich mittlerweile alle in der Wohnung Anwesenden aufhielten, und berichtete, dass der Angeklagte vor der Tür stehe. Für sämtliche Personen in der Wohnung unerwartet, öffnete der Angeklagte mit dem Nachschlüssel die Wohnungstür, betrat den Flur der Wohnung und drängte in das Wohnzimmer, was sein Sohn und der Bruder des Angeklagten durch Zudrücken der Wohnzimmertür vergeblich zu verhindern suchten.

Durch die geöffnete Wohnzimmertür nahm der Angeklagte wahr, dass sich neben seiner Ehefrau und den gemeinsamen Kindern auch sein Bruder und dessen Ehefrau in der Wohnung befanden. Deren Anwesenheit sah er als weitere Bestätigung dafür, dass seine Ehefrau gegen ihn intrigiere und auch sein Bruder und seine Schwägerin Teil dieser Verschwörung seien. Der Angeklagte griff mit einer Hand nach seinem Bruder und forderte diesen auf, mit ihm nach draußen zu gehen. Der Bruder, der davon ausging, dass sich der Angeklagte mit ihm schlagen wolle, erwiderte daraufhin, dass Kinder in der Wohnung seien. Sodann trat die Ehefrau des Bruders auf die beiden Männer zu, um diese zu trennen, was den Angeklagten in Rage versetzte. Aus Wut über die vermeintliche Intrige und die von ihm angenommene unberechtigte Einmischung des Bruders und dessen Ehefrau in seinen Ehekonflikt entschloss sich der Angeklagte nunmehr, seine Schwägerin und seinen Bruder zu töten. Er zog die Pistole aus dem rückenseitigen Hosenbund, richtete die Waffe auf seine Schwägerin und schoss ihr in den Brustkorb, wodurch sie ‒ wie vom Angeklagten beabsichtigt ‒ tödliche Verletzungen erlitt. Sodann richtete der Angeklagte die Pistole auf seinen Bruder und schoss ein weiteres Mal, um auch den Bruder durch einen Schuss in die Brust zu töten. Das Projektil trat in den Brustkorb des Opfers ein, führte aber lediglich zu einem oberflächennahen Durchschuss ohne konkret lebensbedrohliche Verletzungen. Beide Schüsse gab der Angeklagte in dem Bewusstsein ab, dass seine Opfer nicht mit einem Angriff auf ihr Leben mittels einer Schusswaffe gerechnet hatten.

Unmittelbar anschließend gelang es den Anwesenden, den Angeklagten zu überwältigen, wobei sich in dem Gerangel noch zwei weitere Schüsse lösten, ehe sich eine Patronenhülse in der Waffe verklemmte und weitere Schussabgaben unmöglich machte. Bei der Tatbegehung war die Fähigkeit des Angeklagten, entsprechend der vorhandenen Unrechtseinsicht zu handeln, aufgrund seines Bedrohungs-, Verfolgungs- und Vergiftungserlebens im Rahmen der bestehenden paranoiden Schizophrenie erheblich eingeschränkt.

Dem BGH passt die Verurteilung wegen Mordes nicht. Er hebt auf:

„1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen jeweils tateinheitlich begangenen Mordes und versuchten Mordes hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand, weil das Landgericht bei seiner rechtlichen Würdigung von einem unzutreffenden Verständnis des Mordmerkmals der Heimtücke ausgegangen ist.

a) Heimtückisch handelt, wer in feindseliger Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen Angriff rechnet (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 21. Januar 2021 ‒ 4 StR 337/20, NStZ 2021, 609 [BGH 21.01.2021 – 4 StR 337/20] Rn. 12; vom 20. August 2014 ‒ 2 StR 605/13, NStZ 2014, 574 [BGH 20.08.2014 – 2 StR 605/13] ; Beschlüsse vom 29. April 2014 ‒ 3 StR 21/14, NStZ 2014, 633; vom 10. Januar 1989 ‒ 1 StR 732/88, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 7 ; Urteil vom 13. November 1985 ‒ 3 StR 273/85, BGHSt 33, 363, 365 ). Ohne Bedeutung für die Frage der Arglosigkeit ist dabei, ob das Opfer gerade einen Angriff gegen das Leben erwartet (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 1989 ‒ 1 StR 732/88, aaO) oder es die Gefährlichkeit des drohenden Angriffs in ihrer vollen Tragweite überblickt. Besorgt das Opfer einen gewichtigen Angriff auf seine körperliche Integrität, ist es vielmehr selbst dann nicht arglos, wenn es etwa wegen fehlender Kenntnis von der Bewaffnung des Täters die Gefährlichkeit des erwarteten Angriffs unterschätzt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. September 2010 ‒ 2 StR 274/10, NStZ-RR 2011, 10; Urteil vom 9. Januar 1991 ‒ 3 StR 205/90, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13 ).

b) Von diesem rechtlichen Maßstab ausgehend, lässt sich die Arglosigkeit der beiden Tatopfer entgegen den Ausführungen der Strafkammer nicht damit begründen, dass sie nicht mit einem bewaffneten oder sonst lebensbedrohenden Angriff des Angeklagten rechneten. Allein maßgeblich ist vielmehr, ob die Tatopfer zu dem Zeitpunkt, als der Angeklagte mit Tötungsabsicht die Waffe aus dem Hosenbund zog, jeweils irgendwie geartete erhebliche tätliche Angriffe gegen ihre Person erwarteten. Hierzu verhalten sich die Urteilsfeststellungen aber in keiner Weise. Zu dem Bruder des Angeklagten ist der Sachverhaltsschilderung des angefochtenen Urteils zu entnehmen, dass er im Anschluss an das Eindringen des Angeklagten in das Wohnzimmer davon ausging, der Angeklagte wolle sich mit ihm schlagen, wobei allerdings unklar bleibt, ob die tätliche Auseinandersetzung aus Sicht des Opfers im weiteren Handlungsablauf unmittelbar bevorstand oder von ihm nach einer Zäsur mit zeitlichem Abstand erwartet wurde. Bezüglich der Getöteten lassen schließlich auch die Ausführungen der Strafkammer zur rechtlichen Würdigung nicht hinreichend erkennen, ob sie in der Tatsituation einen tätlichen Angriff des Angeklagten auf ihre Person für möglich hielt.

Das Mordmerkmal der Heimtücke bedarf daher einer erneuten tatrichterlichen Prüfung und Entscheidung.“

StGB II: Limburger-Lastwagenattacke, oder: Der BGH verneint zunächst mal das Mordmerkmal „Heimtücke“

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, behandelt dann die Last­wa­gen-At­ta­cke in der In­nen­stadt von Lim­burg vor gut zwei mit 18 Ver­letz­ten. Der Angeklagte hatte gegen seine Verurteilung wegen versuchten Mordes Revision eingelegt. Die hatte im BGH, Beschl. v. 21.07.2021 – 4 StR 53/21 – wegen der Strafzumessung Erfolg:

„2. Die Sachrüge hat bei der Überprüfung der Schuldsprüche sowie der Strafaussprüche hinsichtlich der Taten 1 und 3 der Urteilsgründe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

3. Hingegen hält die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke im Fall 2 der Urteilsgründe sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Beweiserwägungen zu dem in subjektiver Hinsicht erforderlichen Ausnutzungsbewusstsein sind lückenhaft.

a) Das Mordmerkmal der Heimtücke gemäß § 211 Abs. 2 StGB setzt in subjektiver Hinsicht voraus, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 4. Februar 2021 – 4 StR 403/20, Rn. 26; vom 13. November 2019 – 5 StR 466/19, Rn. 14; vom 31. Juli 2014 – 4 StR 147/14, NStZ 2015, 30, 31). Das Ausnutzungsbewusstsein kann im Einzelfall bereits aus dem objektiven Bild des Tatgeschehens abgeleitet werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt (vgl. BGH, Urteile vom 13. November 2019 – 5 StR 466/19, Rn. 14; vom 4. Juli 2018 – 5 StR 580/17, NStZ 2019, 26, 27; Beschluss vom 30. Juli 2013 – 2 StR 5/13, NStZ 2013, 709, 710). Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat (BGH, Urteile vom 31. Juli 2014 ? 4 StR 147/14, NStZ 2015, 30, 31; vom 9. Oktober 2019 – 5 StR 299/19, NStZ 2020, 348, 349). An einem Ausnutzungsbewusstsein kann es bei affektiven Durchbrüchen oder heftigen Gemütsbewegungen allerdings fehlen (BGH, Urteile vom 4. Februar 2021 – 4 StR 403/20, Rn. 26; vom 31. Juli 2014 – 4 StR 147/14, NStZ 2015, 30, 31; vom 17. September 2008 – 5 StR 189/08, NStZ 2009, 30, 31). Wenn auch nicht jeder dieser Zustände einen Täter daran hindert, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tatbegehung zu erkennen, so kann doch die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass er ohne das erforderliche Ausnutzungsbewusstsein gehandelt hat.

b) Die Prüfung und Entscheidung der Frage, ob der Täter mit dem in subjektiver Hinsicht erforderlichen Ausnutzungsbewusstsein gehandelt hat, ist Tatfrage und unterliegt einer nur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Kontrolle. In den Urteilsgründen sind die für und gegen die Annahme des Ausnutzungsbewusstseins sprechenden Beweisanzeichen regelmäßig in einer Weise darzulegen, dass die Überprüfung der tatgerichtlichen Entscheidung auf Rechtsfehler möglich ist.

c) Gemessen hieran ist das heimtückespezifische Ausnutzungsbewusstsein nicht tragfähig belegt. Es fehlt an einer umfassenden Erörterung aller für und gegen das Ausnutzungsbewusstsein sprechenden Beweisanzeichen.

Das Landgericht ist ersichtlich davon ausgegangen, dass der Angeklagte, der in der Innenstadt von L. mit dem von ihm gesteuerten LKW mit dem Ziel, einen aufsehenerregenden Unfall herbeizuführen, absichtlich auf eine verkehrsbedingt wartende Fahrzeugkolonne auffuhr, die Arg- und Wehrlosigkeit der Tatopfer in ihrer Bedeutung für seine Tatausführung mit einem Blick erfasste. Es hat jedoch Beweisanzeichen, die gegen das erforderliche Ausnutzungsbewusstsein sprechen könnten, nicht erkennbar in den Blick genommen. Insoweit hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt:

„Anlass zu Zweifeln an einem bewussten Ausnutzen der Situation ergaben sich zum einen aus den Angaben des Zeugen M. , der von einem „sehr auffälligen Blick“ des Angeklagten und dessen fehlender Reaktion auf verbale Ansprache berichtete […]. Zum anderen hat die Kammer – anders als bei den Ausführungen zum Tötungsvorsatz […] – nicht berücksichtigt, dass sich die Tat spontan entwickelt hat, der Angeklagte unter dem enthemmenden Einfluss von Cannabis stand und aufgrund dessen in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt gewesen ist […]. Eine Berücksichtigung dieser Umstände im Rahmen des Ausnutzungsbewusstseins lässt sich auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen.“

Dem kann sich der Senat nicht verschließen.“

Mord III: Wenn die Ehefrau den Ehemann verbrennen will, oder: Tötung mit einem gemeingefährlichen Mittel

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Und als dritte Entscheidung dann noch der BGH, Beschl. v. 10.02.2021 – 1 StR 500/20 – zum Mord bzw. zur Tötung mit einem gemeingefährlichen Mittel. Das LG hat die Angeklagte wegen Mordes in Tateinheit mit Brandstiftung mit Todesfolge verurteilt. Dagegen die Revision, die Erfolg hatte.

„Nach den Feststellungen des Landgerichts wohnte die 84-jährige Angeklagte mit ihrem neun Jahre jüngeren geschiedenen Ehemann alleine in dessen Haus, das etwa zehn bis 15 Meter von benachbarter Wohnbebauung entfernt

Am Vormittag des 17. Januar 2020 forderte sie ihren geschiedenen Ehemann auf, sich für sein Verhalten am Vorabend zu entschuldigen. Aus Enttäuschung über seine fehlende Gesprächsbereitschaft versetzte sie ihm mit einem Fleischklopfer mindestens einen Schlag auf die linke Kopfseite, um ihn zu verletzen. Er nahm ihr den Fleischklopfer aus der Hand und wählte den Notruf. Nicht ausschließbar äußerte er dabei, dass er sie „jetzt endlich da habe, wo er sie haben wolle“ und sie nun „einweisen“ bzw. in die „Klapse“ bringen lassen werde. Im Rahmen seines Telefonats mit der Rettungsleitstelle forderte ihn die Angeklagte mehrfach erfolglos auf, von der Verständigung der Rettungskräfte abzusehen. Schließlich erkannte sie, dass er sich nicht davon abbringen lassen würde und befürchtete, nun tatsächlich das Haus verlassen zu müssen. Sie beschloss ihn zu töten, ging auf den Balkon und füllte Benzin aus einem dort stehenden Kanister in einen kleinen Eimer. Dann betrat sie das Wohnzimmer und schüttete es in Richtung des dort immer noch mit der Leitstelle telefonierenden Ex-Ehemannes, der von einem Teil des Benzins am Oberkörper getroffen wurde. Der Rest sammelte sich zu seinen Füßen. Dann warf sie ein entzündetes Streichholz in seine Richtung. Wie von ihr beabsichtigt, entzündete sich das Benzin. Auch ihr ExEhemann geriet in Brand, teilte dies der Leitstelle mit und bat flehentlich um das Erscheinen der Feuerwehr bis die Verbindung schließlich abbrach.

Die Angeklagte hatte sich mittlerweile auf den Balkon gesetzt und wurde dort von den sechs Minuten nach dem Abbruch des Telefonats eintreffenden Rettungskräften angetroffen. Auf deren Ansprache reagierte sie nicht. Der Notarzt stellte den Tod ihres Ex-Ehemannes fest. Todesursächlich waren die Verbrennungen fast der gesamten Körperoberfläche in Kombination mit einer Rauchgasvergiftung und Sauerstoffmangel. Einer der Feuerwehrleute erlitt beim Heraustragen der Leiche ohne Atemschutzgerät eine leichte Rauchgasintoxikation.

Der flächige Bodenbrand des hölzernen Fußbodens im Wohn- und Esszimmer erfasste auch die Möblierung und führte zu einem partiellen Deckeneinbrand. Ohne Eingreifen der Feuerwehr wäre es innerhalb weniger Minuten zu einem Brand des ganzen Gebäudes gekommen.

II.

1. Der Schuldspruch wegen Mordes hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Annahme einer Tötung mit einem gemeingefährlichen Mittel (§ 211 Abs. 2 StGB) wird von den Urteilsgründen mit Blick auf die hierfür erforderliche Gefährdung einer unbestimmten Mehrzahl von Menschen nicht getragen.

a) Das Mordmerkmal der Tötung mit einem gemeingefährlichen Mittel ist erfüllt, wenn der Täter ein Tötungsmittel einsetzt, das in der konkreten Tatsituation eine unbestimmte Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil er die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. Dabei ist nicht allein auf die abstrakte Gefährlichkeit eines Mittels abzustellen, sondern auf seine Eignung und Wirkung in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Täters (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 12. November 2019 – 2 StR 415/19 Rn. 7 und vom 14. April 2020 – 5 StR 93/20 Rn. 7, jeweils mwN). Das Mordmerkmal hat seinen Grund in der besonderen Rücksichtslosigkeit des Täters, der sein Ziel durch die Schaffung unberechenbarer Gefahren für eine unbestimmte Anzahl von Personen durchsetzen will (BGH, Beschluss vom 14. April 2020 – 5 StR 93/20 Rn. 7 mwN), obwohl er die Umstände, die die Gemeingefahr begründen, kennt (§ 16 Abs. 1 StGB).

Der subjektive Tatbestand dieses Mordmerkmals setzt voraus, dass der Täter die mangelnde Beherrschbarkeit der Wirkung des Tötungsmittels und die daraus resultierende Möglichkeit der Gefährdung einer unbestimmten Zahl von Personen an Leib oder Leben kennt oder jedenfalls ernsthaft für möglich hält und einen solchen Gefahreneintritt wünscht oder wenigstens billigend in Kauf nimmt (BeckOK-StGB/Eschelbach, 48. Ed., § 211 Rn. 72).

b) Nach den Feststellungen erstrebte die Angeklagte lediglich den Tod ihres Ex-Ehemannes. Die Urteilsgründe bieten keine Anhaltspunkte dafür, dass sie darüber hinaus damit rechnete und billigte, dass das Feuer ? soweit dies tatsächlich möglich gewesen wäre – auf bewohnte Nachbargebäude übergreifen oder Rettungskräfte der Feuerwehr gefährden könnte, was die Annahme des Mordmerkmals wegen der Gefährdung einer unbestimmten Mehrzahl von Personen hätte rechtfertigen können.

Zudem hätte die Strafkammer auch darlegen müssen, weshalb sie sich zwar von der subjektiven Tatseite des Mordmerkmals der Tötung mit einem gemeingefährlichen Mittel hat überzeugen können, nicht aber vom Vorliegen der inneren Tatseite des Mordmerkmals „grausam“. Hierzu hat die Strafkammer ausgeführt, sie habe sich nicht zweifelsfrei von dem Vorliegen der inneren Tatseite einer grausamen Tatbegehung überzeugen können, weil sich die Angeklagte zur Tatzeit in einer psychosozialen Belastungssituation befunden habe, erhebliche Existenzängste gehabt hätte, aufgrund ihrer demenziellen Erkrankung in ihrer Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt gewesen sei und sich so einer „Gemengelage an psychischen Einflüssen“ ausgesetzt gesehen habe.

Diese „Gemengelage“ besteht aber bei dem Mordmerkmal „mit einem gemeingefährlichen Mittel“ in demselben Maße. Auch hier hätte es deshalb der Erörterung bedurft, ob es der Angeklagten infolge ihres Gesamtzustandes möglich war, die ihr bekannten objektiven Umstände zutreffend einzuordnen. Die Erwägung der Strafkammer, dass es – wenn ein Übergreifen des Brandes auf andere Gebäude ausgeschlossen gewesen sein sollte – jedenfalls „für jeden verständigen Täter auf der Hand“ liege, dass Feuerwehrkräfte beim Brand eines Wohnhauses an Leib oder Leben gefährdet werden könnten und der Sachverständige ausdrücklich klargestellt habe, dass dies auch der Angeklagten bewusst gewesen sei, genügt als Begründung nicht, weil sie nicht auf das tatsächliche (individuelle) Vorstellungsbild der Angeklagten abstellt.“