Am heutigen Freitag dann – wie gewohnt – RVG-Fragen.
Und den Opener mache ich mit dem LG Göttingen, Beschl. v. 3.3.2020 – 6 Ks 25 Js 14421/18 (11/18). Der behandelt zwei Fragen, nämlich die nach der Erstattung von Kopien der elektronischen Akte und die nach Längenzuschlag für den Pflichtverteidiger.
Der antragstellende Kollege, der Kollege Wieseman aus Northeim, Pflichtverteidiger des Angeklagten in einem Verfahren wegen Mordes. Im Verlauf des Strafverfahrens bekam er Akteneinsicht durch Überlassung eines elektronischen Aktendoppels auf einem Datenträger in einem allgemein lesbaren PDF-Format. Nach Abschluss des Verfahrens hat er die Festsetzung seiner Pflichtverteidigervergütung beantragt. Er hat u.a. auch für vier Hauptverhandlungstage die sog. Längenzuschläge Nr. 4122 VV RVG in Höhe von jeweils 212,- EUR sowie eine Pauschale in Höhe von 1.029,25 EUR für 6.745 Ausdrucke aus den Verfahrensakten geltend gemacht. Diese Gebühren und Auslagen sind nicht festgesetzt worden. Dagegen hat der Verteidiger Rechtsmittel eingelegt, das hinsichtlich der Längenzuschläge Erfolg hatte.
Ich will hier nicht die gesamte recht umfangreich begründete Entscheidung einstellen, sondern verweise auf den verlinkten Volltext. Hier nur (meine) Leitsätze, und zwar:
- Der Ausdruck einer vollständigen elektronischen Akte, die dem Rechtsanwalt zur dauerhaften Nutzung überlassen wurde, ist grundsätzlich nicht erforderlich. Wenn die elektronischen Akten durch Ordner und Verzeichnisse übersichtlich gestaltet sind und nach gewünschten Informationen deshalb gezielt gesucht werden kann, ist dem Verteidiger die Arbeit mit ihnen am Computerbildschirm zuzumuten.
- Bei der Beurteilung der Frage, ob eine in die Mittagszeit fallende Unterbrechung als Mittagspause gelten und deshalb sollen und deshalb von der für die Ermittlung eines Längenzuschlag maßgeblichen Hauptverhandlungsdauer abzuziehen ist, ist von Bedeutung, ob die (ungefähre) Dauer der Unterbrechung bereits vor Verhandlungsbeginn an dem jeweiligen Tag absehbar ist und der Pflichtverteidiger sich auf diese Unterbrechung hat einstellen können.
Und folgende „Anmerkung“: Die Auffassung des LG zur Erstattungsfähigkeit der Kopien entspricht wohl dem „Mainstream“ in der Rechtsprechung der OLG (vgl. dazu Burhoff/Volpert/Volpert, RVG, Teil A. Auslagen aus der Staatskasse [§ 46 Abs. 1 und 2], Rn 248 ff). Teilweise werden die Fragen aber auch differenzierter gesehen (Vgl. z.B. OLG Nürnberg RVGreport 2017, 388 = StraFo 2017, 297 = AGS 2018, 73). Es ist m.E. bedauerlich, dass sich das LG damit nicht befasst, sondern (einfach) seinem OLG folgt und diese unpraktikable Rechtsprechung fortschreibt. Denn es schreibt sich leicht, wie einfach man mit einer PDF-Datei umgehen kann. In der Praxis des Verfahrens sieht das dann, wie man von Verteidigern hört, ganz anders aus. Nicht alle JVAs sind so gut gerüstet, dass sie für den Verteidiger und seinen Mandanten Notebooks u.a. vorhalten und/oder den Einsatz von Notebooks ohne Probleme erlauben.
In der Frage der Längenzuschläge wird man dem LG aber folgen können. Wenn man schon nicht auch Mittagspausen generell zur Hauptverhandlungszeit rechnet, dann muss man aber zumindest eine Unterbrechung in der „Mittagszeit“ darauf hin überprüfen, ob es sich um eine geplante/vorhersehbar Mittagspause i.e.S. gehandelt hat oder eben doch nur um eine Unterbrechung, die zufällig in die Mittagszeit gefallen ist (vgl. dazu auch. KG RVGreport 2007, 305 = StRR 2007, 238; OLG Jena RVGreport 2008, 459 = StRR 2008, 478 2; LG Osnabrück StRR 2011, 207).