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Die Vernehmung des Mitangeklagten als Zeugen – geht das?

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Die Vernehmung des Mitangeklagten als Zeugen – geht das? Nun, die Frage will man, wenn man sie liest, schnell verneinen und darauf verweisen, dass insoweit ein Beweiserhebungsverbot besteht. Allerdings wäre das ein wenig vorschnell. Denn es gibt Ausnahmen. Und zwar einmal dann, wenn das Verfahren gegen den Mitangeklagten abgetrennt ist, und im Berufungsverfahren, wenn die Berufung des (ehemaligen) Mitangeklagten bereits (gem. § 329 Abs. 1 StPO) verworfen worden ist.

Zu letzterem der OLG Bamberg, Beschl. v. 23.02.2015 – 3 OLG 8 Ss 126/14: Da war der Angeklagte vom AG wegen Diebstahls verurteilt. Zusammen mit dem Angeklagten hatte das AG die zusammen mit dem Angeklagten angeklagten beiden Mittäterinnen M. und S. wegen Diebstahls verurteilt. Die gegen das erstinstanzliche Urteil seitens des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft, letztere beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch, eingelegten Berufungen hat das LG dann als unbegründet verworfen, während es die auch von der ehemals Mitangeklagten M. eingelegte Berufung schon zuvor nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen hatte, weil die Mitangeklagte nicht zur Berufungshauptverhandlung erschienen war. Mit seiner gegen das Berufungsurteil gerichteten Verfahrensrüge hat der Angeklagte die Verletzung von § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO bei der Ablehnung eines Antrags auf Einvernahme der Mitangeklagten M. als Zeugin zur Schuldfrage beanstandet. Das OLG Bamberg sagt: Zu Recht, und zwar:

„1. Das Landgericht hätte den in der Hauptverhandlung vom 17.06.2014 gestellten Antrag des Angeklagten auf Vernehmung der (früheren) Mitangeklagten als Zeugin nicht nach § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO als unzulässig ablehnen dürfen.

a) Zwar ist die Berufungskammer zutreffend davon ausgegangen, dass ein auf Vernehmung eines Mitangeklagten als Zeuge gerichteter Beweisantrag deshalb als unzulässig im Sinne von § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO abzulehnen ist, weil ein Mitangeklagter nicht zugleich Zeuge sein kann. Denn der Erhebung des begehrten Zeugenbeweises steht in diesem Fall ein Beweiserhebungsverbot entgegen (BGH NStZ 2011, 168 = StraFo 2011, 90; KK/Krehl StPO 7. Aufl. § 244 Rn. 109; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 57. Aufl. § 244 Rn. 49; LR/Becker StPO 26. Auf. § 244 Rn. 189, jeweils m.w.N.). Allerdings war im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung der Berufungskammer über den Beweisantrag die frühere Mitangeklagte wegen des erlassenen Urteils nach § 329 Abs. 1 StPO bereits aus dem Verfahren ausgeschieden und konnte deshalb als Zeugin vernommen werden.

b) Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung und zutreffender Ansicht im Schrifttum kommt es für die Frage, ob jemand Mitangeklagter ist und deshalb als Zeuge ausscheidet, ausschließlich auf die prozessuale Gemeinsamkeit an (BGHSt 10, 8/11 f.; 10, 186/187 ff; 18, 238/240; 27, 139/141; LR/Ignor/Bertheau Vor § 48 Rn. 33 f.; KK/Senge Vor § 48 Rn. 7 ff.). Nur solange diese Klammer besteht, scheidet die Vernehmung eines Mitangeklagten als Zeuge aus (BGHSt 10, 8/11 f.; BGH NJW 1964, 1034; NStZ 1984, 464 = NJW 1985, 76 = StV 1984, 361; KK/Senge Vor § 48 Rn. 7 f.; Meyer-Goßner/Schmitt vor § 48 Rn. 21 f.; Alsberg/Dallmeyer, Der Beweisantrag im Strafprozess, 6. Aufl. Rn. 322; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 9. Aufl. Rn. 1005, 927 ff., jeweils m.w.N.).

c) Das Landgericht hat diese Grundsätze im Ansatz nicht verkannt. Allerdings hat es dann in rechtfehlerhafter Weise darauf abgehoben, dass die prozessuale Gemeinsamkeit noch bestehe, weil ein Beschluss über die Abtrennung des Verfahrens nicht erlassen worden sei. Durch diese zu enge, mit der obergerichtlichen Rechtsprechung und der im Schrifttum vertretenen Auffassung nicht in Einklang stehende Ansicht hat es sich den Blick auf eine zutreffende Einordnung der Zeugeneigenschaft verstellt. Es entspricht zwar höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass die prozessuale Gemeinsamkeit durch einen Abtrennungsbeschluss aufgehoben wird. Indes hat der Bundesgerichtshof auch stets explizit betont, dass die Abtrennung des Verfahrens nur ein Beispiel sei, durch welches die prozessuale Gemeinsamkeit aufgelöst werde (vgl. BGH a.a.O.; ebenso: KK/Senge Vor § 48 Rn. 8). Es versteht sich gleichsam von selbst, dass ein Abtrennungsbeschluss zur Aufhebung der prozessualen Verbindung dann nicht erforderlich ist, wenn gegen den bisherigen Mitangeklagten ein Urteil ergangen ist. Denn durch diese Entscheidung ist der Mitangeklagte aus dem bis dahin gemeinsam geführten Verfahren ausgeschieden, sodass für einen Abtrennungsbeschluss deshalb schon gar kein Raum mehr bestünde…..“

Verlesung einer (eidesstattlichen) Erklärung eines Mitangeklagten: Zulässig oder nicht?

Über den BGH, Beschl. v. 20.12.2011 – 4 StR 491/11 hatte ich wegen der vom BGH behandelten materiell-rechtlichen Frage – Stichwort: Unrichtige Tatsachen im Mahnbescheid – schon berichtet (vgl. hier).

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Der Beschluss enthält aber auch noch ein interessante verfahrensrechtliche Klarstellung hinsichtlich der Zulässigkeit der Verlesung von Schriftstücken im Verfahren.  Das LG hatte die vom Angeklagten beantragte Verlesung der eidesstattlichen Versicherung einer Mitangeklagten nach § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO mit der Begründung ablehnt hat, dass eine Verlesung dieser Urkunde nur nach § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO möglich sei, die hierfür erforderlichen Einverständniserklärungen der Mitangeklagten und ihres Verteidigers aber nicht vorliegen worden.

Der BGH hat das anders gesehen:

„Das Landgericht durfte die beantragte Verlesung der eidesstattlichen Versicherung der Mitangeklagten U. B. vom 19. Juni 2009 nicht nach § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO mit der Begründung ablehnen, dass eine Verlesung dieser Urkunde nur nach § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO möglich sei, die hierfür erforderlichen Einverständniserklärungen der Mitangeklagten U. B. und ihres Verteidigers aber nicht vorliegen. Der Urkundenbeweis ist immer zulässig, wenn ihn das Gesetz nicht ausdrücklich verbietet (BGH, Urteil vom 24. August 1993 – 1 StR 380/93, NStZ 1994, 184, 185 mwN.). Schriftliche Erklärungen von Angeklagten, zu denen auch in anderen Verfahren abgegebene eidesstattliche Versicherungen zählen, dürfen daher regelmäßig auch ohne Einverständnis der Beteiligten nach § 249 Abs. 1 StPO verlesen werden (vgl. KK-StPO/Diemer 6. Aufl., § 249 Rn. 14; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 249 Rn. 13 mwN.). Das vom Landgericht herangezogene Verbot der vernehmungsersetzenden Urkundenverlesung gemäß § 250 Satz 2 StPO mit den in § 251 StPO geregelten Ausnahmen gilt nur für Aussagen von Zeugen, Sachverständigen und Mitbeschuldigten, nicht aber für Aussagen von Mitangeklagten (SK-StPO/Velten 4. Aufl., § 250 Rn. 7 und § 251 Rn. 10) und war daher schon aus diesem Grund nicht einschlägig. Aus § 254 Abs. 1 StPO kann in Bezug auf Angeklagte lediglich ein Verbot der Verlesung polizeilicher Protokolle zum Beweis über deren Inhalt (BGH, Urteil vom 31. Mai 1960 – 5 StR 168/60, BGHSt 14, 310, 312; OLG Köln, Beschluss vom 3. Juni 1982 – 1 Ss 323/82, StV 1983, 97), nicht aber ein Verbot der Verlesung anderweitiger schriftlicher Erklärungen hergeleitet werden, sodass auch insoweit kein Verlesungshindernis bestand.“

Im Ergebnis hat die Abgrenzung der Begriffe bzw. Verlesungsmöglichkeiten dem Angeklagten aber nichts gebracht, das der BGH, ein Beruhen des landgerichtlichen Urteils auf dem Rechtsfehler ausgeschlossen hat.