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Keine Auslagen nach Rücknahme der Berufung der StA, oder: Warum wird die Landeskasse geschützt?

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Und dann als zweite gebührenrechtliche Entscheidung dann noch der LG Wuppertal, Beschl. v. 16.05.2022 – 23 Qs 63/22. Der Beschluss behandelt noch einmal die Problematik der Auslagenerstattung für den Angeklagten betreffend die Verteidigerkosten, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Berufung vor Begründung zurücknimmt.

Das LG Wuppertal reiht sich mit seiner Entscheidung in den Chor der Stimmen ein, die meinen: Die werden nicht erstattet:

„Die Kammer schließt sich auch in der Begründung den zutreffenden Erwägungen des mit der Beschwerde angegriffenen Beschlusses an. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine günstigere Entscheidung. Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer (etwa Beschluss vom 17.04.2019 — Az. 23 Qs 82/19) gelten als notwendig nur die Auslagen, die aufgrund eines berechtigten Schutzinteresses aufgewendet worden sind. Die Gebühren und Auslagen deren Festsetzung die Verteidigung mit Schriftsatz vom 20.05.2021 beantragt hat, sind jedoch — soweit sie nicht die erste Instanz       betreffen und damit durch den bereits erlassenen Kostenfestsetzungsbeschluss erledigt sind — nicht notwendig. Der Kostenfestsetzungsantrag wurde daher, soweit er die Positionen für die Berufungsinstanz anbelangt (80,- VV 4124, 80,- VV 4141, 20,- W 7002, 34,20 VV 7008, insgesamt 214,20 Euro), zu Recht vom Amtsgericht Mettmann zurückgewiesen.

Entgegen der Auffassung der Verteidigung berührt die Einlegung der Berufung durch die Staatsanwaltschaft die Sphäre des früheren Angeklagten noch nicht derart weitgehend, dass für ihn ein berechtigter Anlass bestand, bereits zu diesem frühen Zeitpunkt kostenpflichtige anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es ist zwar zutreffend, dass nach den Vorschriften der Strafprozessordnung die Begründung der Berufung weder erforderlich noch zwingend vorgeschrieben ist. Der rechtskundigen Verteidigung ist jedoch bekannt, dass die Staatsanwaltschaft ein von ihr eingelegtes Rechtsmittel aufgrund der Richtlinien für das Strafverfahren zu begründen hat und dem früheren Angeklagten durch die Einlegung der Berufung ohne Begründung keine Nachteile entstehen können. Der Verteidiger weiß auch, dass die Rechtsmitteleinlegung noch nicht bedeutet, dass das Rechtsmittel auch tatsächlich weiter verfolgt wird. So liegen die Dinge auch hier.

Vor Kenntnis der Begründung des von der Staatsanwaltschaft eingelegten Rechtsmittels sind keine sachgerechten Vorbereitungen zur weiteren Verteidigung möglich oder erforderlich. Diese werden erst dann notwendig, wenn die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel begründet und damit den Umfang der Anfechtung klar umrissen hat. Es ist dem früheren Angeklagten zwar unbenommen, sich schon vor diesem Zeitpunkt mit seinem Verteidiger in Verbindung zu setzen und sich beraten zu lassen. Die dadurch entstehenden Auslagen können jedoch nicht als notwendig im Sinne von § 473 Abs. 2 StPO anerkannt werden. Denn zu diesem Zeitpunkt genügt seitens der Verteidigung ein Hinweis auf die bekannte Rechtslage und Praxis der Staatsanwaltschaft. Es liegen auch keine Umstände vor, die im vorliegenden Fall eine Eile bei der Verteidigung hätten begründen können. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass bereits zu diesem früheren Zeitpunkt die Erforderlichkeit bestand, in einem doch eher einfach gelagerten Fall eine Verteidigungsstrategie zu entwickeln. Der allein sachgerechte und notwendige Rat des Verteidigers, zunächst die Berufungsbegründung abzuwarten, löst keine besondere Gebühr aus.“

Der Beschluss gehört m.E. zu der Rubrik: „Hätte man besser nicht gelesen“. Denn es folgt bereits aus dem Beschluss selbst, dass die Auffassung des LG falsch ist. Denn. wenn es „dem früheren Angeklagten zwar unbenommen [ist], sich schon vor diesem Zeitpunkt mit seinem Verteidiger in Verbindung zu setzen und sich beraten zu lassen„, dann ist nicht nachvollziehbar, warum „die dadurch entstehenden Auslagen ….. jedoch nicht als notwendig im Sinne von § 473 Abs. 2 StPO anerkannt werden“ können. Auch, wenn „zu diesem Zeitpunkt …… seitens der Verteidigung ein Hinweis auf die bekannte Rechtslage und Praxis der Staatsanwaltschaft“ genügt, folgt daraus doch nicht, dass der Angeklagte die Auslagen nicht erstattet erhält. Die Kammer geht selbst von der Notwendigkeit eines solchen (kurzen) Hinweises aus, will der Staatskasse die dadurch entstehenden Kosten/Auslagen aber nicht erstatten. Mir erschließt sich nicht, warum man die Staatsanwaltschaft/die Landeskasse an der Stelle so schützt. Die andere – richtige – Auffassung hätte ja vielleicht auch dann mal endlich zur Folge, dass von den Staatsanwaltschaften nicht so viele Berufungen eingelegt werden, die man dann wieder zurücknimmt. Getreu dem Satz: Ist egal, kostet ja nichts.

 

Verkehrsrecht III: Nochmals Fahrt mit Elektro-Roller, oder: Entziehung der Fahrerlaubnis?

entnommen wikimedia.org – gemeinfrei

Und zum Schluss des Tages habe ich dann noch zwei Entscheidungen zur (Trunkenheits)Fahrt mit einem Elektro-RollerScooter (§ 316 StGB).

Der Beschuldigte befuhr am 30.10.2021 gegen 02:08 Uhr, mit einem Elektrokleinstfahrzeug mit Lenk- oder Haltestange (E-Roller) der Marke Bott Cl u.a. in Solingen. Ihm kam zwei Polizeibeamten in einem Funkstreifenwagen entgegen. Die Beamten entschieden sich, den Beschuldigten zu kontrollieren, wendeten ihren Streifenwagen und hielten den Beschuldigten an. Da bei der Kontrolle starker Alkoholgeruch wahrgenommen wurde, wurde eine freiwillige Atemalkoholmessung durchgeführt, die einen Wert von 0,7mg/l ergab. Die um 04:08 freiwillig abgegebene Blutprobe ergab eine mittlere BAK von 1,55 %.

Die Staatsanwaltschaft hat dann die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis beantragt (§ 111a StPO). Das AG Wuppertal hat das mit dem AG Wuppertal, Beschl. v. 17.12.2021 – 22 Gs 47/21 (922 Js 3738/21) – abgelehnt: Begründung:  Wie ein Gericht in der Hauptsache in der strittigen Frage um die Einordnung dieser Fahrzeuge entscheide, sei nicht vorhersehbar, zumal es noch keine obergerichtliche Entscheidung aus dem dortigen Gerichtsbezirk gebe. Daher keine Entziehung der Fahrerlaubnis.

Dagegen dann die Beschwerde der Staatsanwaltschaft, über die das LG Wuppertal mit dem LG Wuppertal, Beschl. v. 02.02.2022 – 25 Qs 63/21 (922 Js 3738/21) – entschieden hat. Das LG hat dem Antrag der StA statt gegeben und die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen.

Das man das, was das LG ausführt so alles schon einmal gelesen hat, hier nur (mein) Leitsatz zu der Entscheidung:

Der für Kraftfahrer ermittelte Grenzwert für die Anwendung des § 316 StGB ist auch auf Führer von E-Scootern anzuwenden.

Pflichti III. Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung, oder: Auch das LG Wuppertal macht es richtig

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Und zum Tagesschluss dann noch der LG Wuppertal, Beschl. v. 08.10.2021 – 26 Qs 175/21 – zur Problematik/Frage der Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung eines Pflichtverteidigers. Über die Frage habe ich ja schon häufig berichtet. Heute dann also noch einmal, und zwar mit dem LG Wuppertal-Beschluss, der es – wie die wohl überwiegende Meinung – richtig macht und rückwirkend – nach Einstellung des Verfahrens nach § 154 StPO – bestellt.

Hier nur der Leitsatz der Entscheidung:

Die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers ist jedenfalls dann zulässig, wenn der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt, wurde, die Voraussetzungen für eine Beiordnung gemäß § 140 Abs. 1, 2 StPO vorlagen und die Entscheidung durch behördeninterne Vorgänge unterblieben ist, auf die ein Außenstehender keinen Einfluss hatte.

Pflichti II: Schwierigkeit der Sachlage, oder: Sichtung von kinderpornografischem Material

Die beiden nächsten Entscheidungen, die ich vorstelle, kommen aus dem Wuppertaler Bezirk. Das AG Wuppertal hatte im AG Wuppertal, Beschl. v. 05.11.2020 – 14 Gs 148/20 – einen Pflichtverteidiger bestellt, damit der Beschuldigte Bildmaterial sichten kann, es handelte sich um „kinderpornografische Schriften“. Dagegen dann die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die das LG Wuppertal im LG Wuppertal, Beschl. v. 16.12.2020 – 23 Qs 160/20 – verworfen hat:

Denn der Beschuldigte soll sich – freilich mit den in § 147 StPO vorgesehenen Einschränkungen – durch die Ausübung seines Akteneinsichtsrecht bereits im Ermittlungsverfahren in die Lage versetzen können, die gegen ihn im Raum stehenden Vorwürfe in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu prüfen, um sich hierzu gegebenenfalls schon frühzeitig sachgerecht erklären oder von seinem Beweisantragsrecht Gebrauch machen zu können. Hierzu gehört auch der Umstand, ob es sich bei den in Rede stehenden Abbildungen überhaupt um kinderpornographische Schriften im Sinne des § 184b StGB handelt. Aus der Ermittlungsakte erhält der Beschuldigte zum Inhalt des (seinem Einsichtsrecht richtigerweise entzogenen) Sonderbandes nur insoweit Auskunft, als dass die Polizei in Hannover feststellt, in der betreffenden Whatsapp-Gruppe seien nach der Bewertung der Sachbearbeiterin („aus hiesiger Sicht“) kinderpornographische Schriften hochgeladen worden. Auch wegen des Inhalts des geführten Chatverkehrs wird auf den Sonderband verwiesen. Auf dieser Grundlage ist dem Beschuldigten jedoch die Subsumtion unter die entscheidenden gesetzliche Tatbestandsmerkmale nicht möglich. Auf die Herstellung einer Beschreibung der Abbildungen durch die Ermittlungsbehörde oder das Abwarten des Ausgangs des Ermittlungsverfahrens muss sich der Beschuldigte nicht verweisen lassen, wenn es sich bei den Abbildungen – wie hier – um den Kern des gegen ihn erhobenen Tatvorwurfs handelt. Dass der Verteidiger bislang tatsächlich kein Interesse an der Einsichtnahme in den Sonderband gezeigt hat, spielt für die Frage, ob eine sachgerechte Verteidigung die Einsichtnahme erfordert, keine Rolle.“

StPO II: ED-Behandlung im Vergewaltigungsverfahren, oder: Nackbilder sind unzulässig

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Bei manchen Entscheidungen, die ich zugeschickt bekomme, stutze ich dann beim Lesen doch mächtig und frage mich, ob das „Fake-News“ sind oder „reales Strafverfahren“. So ist es mir beim LG Wuppertal, Beschl. v. 12.01.2021 – 24 Qs 10/20 – gegangen, den mir der Kollege Lauterbach aus Solingen geschickt hat.

Gegenstand der Entscheidung ist die Zulässigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung eines Beschuldigten in einem Verfahren wegen Vergewaltigung. so weit, so gut. Nicht mehr gut ist es dann aber (m.E.), wenn man liest, dass von der Polizeibehörde die Anfertigung von (Nackt-)Lichtbildern des Beschuldigten angeordnet worden ist. das ging dann auch der Kammer zu weit und sie hat festgestellt, dass diese erkennungsdienstlichen Maßnahme – richterlich bestätigt übrigens – den Beschuldigten in seinen Rechten verletzt hat:

„Die richterliche Bestätigung der vom Beschwerdeführer beanstandeten, zumindest konkludent durch ihre Durchführung am 12.11.2020 seitens der Polizei getroffenen Anordnung gegen ihn gerichteter erkennungsdienstlicher Maßnahmen analog § 98 Abs. 2 S. 2 StPO kann keinen Bestand haben, da die bestätigte Anordnung rechtswidrig war.

Gemäß § 81b StPO dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke eines Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit es für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens oder für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist.

Zur Durchführung des Strafverfahrens zum Az. 324 Js 991/20 der Staatsanwaltschaft Wuppertal war die beanstandete Anordnung nicht notwendig. Die Notwendigkeit i.S.d. § 81b StPO und ihre Grenzen ergeben sich im Strafverfahren aus der Sachaufklärungspflicht (Meyer-Goßner/Schmitt, 63. Aufl. 2020, § 81b StPO Rn. 12; Löwe-Rosenberg/Krause, StPO, 27. Aufl. 2017, § 81b Rn. 11 m.w.N.), die im Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft trifft, § 160 StPO. Maßgeblich ist hiernach, ob die aus der angeordneten erkennungsdienstlichen Maßnahme gewonnenen Erkenntnisse der zu führenden Ermittlungen förderlich sind. Zugleich verweist der Begriff der Notwendigkeit auf den ohnehin bereits aus allgemeinen rechtsstaatlichen Gründen zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der verlangt, dass die angeordnete Maßnahme zur Erreichung des angestrebten Zweckes – hier der Förderung des Ermittlungsverfahrens nach o.g. Maßstab ¬geeignet, erforderlich und angemessen ist.

Vorliegend hat die Staatsanwaltschaft den Zweck der Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung des Angeschuldigten darin gesehen, dass hierbei gefertigte Lichtbilder der Auswertung „etwaiger Tatvideos“ dienen würden, um möglicherweise dort erkennbare Personen damit abgleichen zu können. Insoweit war die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung des Angeschuldigten bereits nicht geeignet, das Ermittlungsverfahren zu fördern. Denn weder im Zeitpunkt ihrer Anordnung und Durchführung (wobei offenbleiben kann, ob dies zeitlich auseinanderfällt), noch ihrer richterlichen Bestätigung war die Existenz vermeintlicher inkriminierender Videos, auf denen der Angeschuldigte zu sehen sein könnte und daher identifiziert werden müsste, geklärt. Hinweise auf derartige Videos ergaben sich ursprünglich (nur) aus einer Aussage der pp. vom 07.10.2020, wonach der Angeschuldigte mitunter Videos von ihr gefertigt habe oder sie zur Fertigung solcher Videos von sich angehalten habe, wobei er zumindest auch sein damaliges Mobiltelefon benutzt habe. Ungeachtet der Frage, inwieweit hiernach vermutet werden durfte, dass auch der Angeschuldigte selbst auf diesen vermeintlichen Videos zu sehen sei, hätte der Verdacht, dass es diese (noch) gebe, zunächst weiterer Aufklärung bedurft. Ohne das Vorliegen solcher Videos lag ein möglicher Nutzen erkennungsdienstlichen Materials wie Lichtbildern zu ldentifizierungszwecken im Unklaren. Daran änderte sich auch im weiteren Verlauf der Ermittlungen bis zur Durchführung der in Rede stehenden Maßnahmen am 12.11.2020 nichts. Vielmehr zeichnete sich nach und nach ab, dass man Videos nicht würde zutage fördern können. So wurden bei einer Wohnungsdurchsuchung vom 23.10.2020 weder ein gesuchtes Tablet noch andere Datenträger gefunden (vgl. BI. 264 d.A.). Die Untersuchung eines Tower-PC-Systems endete am 02.11.2020 ohne positiven Befund; nicht einmal konnte die von der Zeugin erwähnten Webcamnutzung für den untersuchten PC belegt werden. Weitere Ermittlungsansätze ergaben sich ausweislich eines polizeilichen Vermerks vom 10.11.2020 (BI. 288 d.A.) hieraus nicht. Auch war die Wahrscheinlichkeit des erhofften Auffindens inkriminierender Videos nach Aktenlage in keinem Zeitpunkt so hoch, dass es nach Maßgabe der Sachaufklärungspflicht gerechtfertigt war, in der Erwartung des Auffindens gleichsam vorauseilend Ermittlungshandlungen vorzunehmen, die — wie die Beschaffung von Bildmaterial zum Abgleich mit etwaigen Videos — an sich allenfalls als nächster Schritt in Betracht gekommen wäre.

Jedenfalls war die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung des Angeschuldigten aufgrund vorstehender Erwägungen unangemessen. Obgleich es sich bei erkennungsdienstlichen Maßnahmen oftmals um eher niederschweflige Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung handelt, ist vorliegend zu berücksichtigen, dass es im konkreten Fall — wie erst nachträglich aktenkundig gemacht wurde — um die Fertigung von Lichtbildern im unbekleideten Zustand ging („Bilder der Nackt-ED-Behandlung“, BI. 356 d.A.) ging, was dem Eingriff zumindest einige Erheblichkeit verleiht. Dies steht im konkreten Fall außer Verhältnis zum Gewicht des öffentlichen Strafverfolgungsinteresses. Denn weil –  wie dargelegt – der Nutzen der Maßnahme zu Identifizierungszwecken ohne das Vorliegen der (vermeintlichen) mit den Bildern abzugleichenden Videos unklar war, bestand die Gefahr, dass sich die erkennungsdienstliche Maßnahme letztlich als überflüssig erweisen würde und damit dem Grundrechtseingriff kein Gewinn für die staatliche Strafverfolgungstätigkeit gegenüberstünde.

Nur ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass überdies erhebliche Bedenken gegen die Erforderlichkeit der in Rede stehenden Anordnung zu identifizierungszwecken bestehen. Dabei kann dahinstehen, ob es zur Vermeidung einer möglichen Retraumatisierung der mutmaßlichen Geschädigten pp.  durch den Vorhalt etwaiger Videos gerechtfertigt war, von deren Befragung, ob darauf der Angeschuldigte zu erkennen sei, abzusehen und stattdessen der Nutzung der Ergebnisse einer erkennungsdienstlichen Behandlung des Angeschuldigten den Vorzug zu geben. Denn jedenfalls wäre zur Identifizierung des Angeschuldigten auf Videos auch eine Befragung der weiteren Zeugen und pp., in Betracht gekommen, die aufgrund ihrer familiären Beziehung zum Angeschuldigten ebenfalls hierzu in der Lage gewesen sein dürften und sich auch bislang zur Aussage bereitgefunden hatten.

Auf präventivpolizeiliche erkennungsdienstliche Zwecke außerhalb des Ermittlungsverfahrens zum Az. 324 Js 991/20 der StA Wuppertal (§ 81 b Var. 2 StPO) wurde die Anordnung im zur Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit maßgeblichen Zeitraum, dh.. spätestens bis zu ihrem Vollzug, nicht gestützt. Soweit in einem Vermerk der als Ermittlungsperson der Staatanwaltschaft tätigen Sachbearbeiterin des ermittlungsführenden Kriminalkommissariats vom 20.11.2020 (BI. 356 d.A.) die Möglichkeit einer Nutzung der Ergebnisse der in Rede stehende Maßnahmen für künftige Ermittlungsverfahren angedeutet wird, handelt es sich nur um eine im Vermerk wiedergegebene Absichtserklärung des Landeskriminalamtes NRW, das mit den Ermittlungen gegen den Beschwerdeführer nicht unmittelbar befasst war. Auch ist nicht ansatzweise ersichtlich, dass diese Erwägung bereits vor dem 20.11.2020 einmal im Raume gestanden hätte, sodass sie, da die Maßnahmen am 12.11.2020 durchgeführt wurden, auch aus zeitlichen Gründen nicht Grundlage der Anordnung gewesen sein kann. Die Staatsanwaltschaft hat sich die vorgenannte Erwägung erst nachträglich mit ihrer Verfügung vom 07.12.2020 (BI. 373R d.A.) zu eigen gemacht. Im Übrigen bestand auch für Zwecke i.S.d. § 81b Var. 2 StPO keine Notwendigkeit der in Rede stehenden Anordnung, da der anlässlich des vorliegenden Ermittlungsverfahrens festgestellte Sachverhalt keinen Anlass für die Annahme bietet, dass der Angeschuldigte in den Kreis Verdächtiger einer noch aufzuklärenden anderen strafbaren Handlung mit einbezogen werden könnte.

Nach alledem war der angefochtene Beschluss aufzuheben. Zugleich war gem. § 309 Abs. 2 StPO die Feststellung der Rechtswidrigkeit der beanstandeten Anordnung veranlasst. Denn die Anordnung ist inzwischen vollzogen und der Beschwerdeführer hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit, da er einem erheblichen, sich allerdings typischerweise kurzfristig erledigenden Grundrechtseingriff ausgesetzt war und darüber hinaus aus der Feststellung insoweit Nutzen ziehen kann, als dass dadurch zu seinen Gunsten feststeht, dass das in Vollzug der Anordnung gewonnene Material (z.B. Lichtbilder) zu vernichten ist.“

Mann, Mann, warum braucht man dafür eine Strafkammer?