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Die (zu) späte Nachtrunkbehauptung, oder: Dann gibt es keine Entschädigung

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Die letzte Entscheidung kommt heute aus dem Saarland. Es ist der LG Saarbrücken, Beschl. v. 05.06.2018 – 8 Qs 38/18, ergangen zu einer Entschädigungsfrage nach dem StrEG. Es geht mal wieder um die Versagung einer Entschädigung wegen grober Fahrlässigkeit (§ 5 Abs. 2 StrEG), und zwar nach einem Verfahren wegen einer Trunkenheitsfahrt. Der Beschuldigte war zwei Stunden nach der ihm vorgeworfenen Trunkenheitsfahrt von Ermittlungsbeamten in seiner Wohnung angetroffen worden. Diesen gegenüber hatte er nach Belehrung angegeben, das Fahrzeug geführt zu haben, weiter hatte er sich nicht geäußert. Die erste daraufhin abgenommene erste Blutprobe ergab einen Wert von 1,56 Promille, eine zweite ca. 30 Minuten später 1,42 Promille. Im Rahmen einer später über seine Verteidigerin erfolgten Einlassung gab der Betroffene an, er habe nach seiner Rückkunft in seiner Wohnung „mindestens fünf Flaschen dunkles Kellerbier à 0,5 l und mindestens zwei gut gefüllte Gläser Rotwein getrunken. Diese Angaben wiederholte er im Rahmen der mündlichen Hauptverhandlung. Das AG hat ihn frei gesprochen und später festgestellt, dass der Beschuldigte auf Grund der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz zu entschädigen sei. Das LG hat auf die Beschwerde der StA eine Entschädigung versagt.

„Der ehemals Beschuldigte hat vorliegend grob fahrlässig im Sinne des § 5 Abs. 2 StrEG gehandelt, da er in ungewöhnlichem Maße die Sorgfaltspflicht außer Acht ließ, die ein verständiger Mensch in gleicher Lage aufwenden würde, um sich vor Schaden durch Strafverfolgungsmaßnahmen zu schützen (vergleiche zum Begriff der „groben Fahrlässigkeit“ BGH, Beschluss vom 17.07.1974, Az.: 2 StR 92/74, BeckRS 1974, 00116). Maßgeblich war dabei auf den Zeitpunkt der Anordnung der Maßnahme abzustellen (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 60. Aufl. 2017, Anh 5 StrEG, § 5, Rn. 10).

Der ehemals Beschuldigte hat vorliegend nach Belehrung über den Tatvorwurf der Trunkenheit im Verkehr Angaben gemacht, die den gegen ihn bestehenden Tatverdacht entscheidend erhärteten. Denn er hat gegenüber den ermittelnden Polizeibeamten die in Rede stehende Fahrt zugestanden und seine Fahrereigenschaft ausdrücklich eingeräumt. Erst mit Schriftsatz vom 30.08.2017, mithin rund sechs Monate nach dieser Einlassung, ließ er über seine Verteidigerin den Nachtrunk vortragen, der letztlich zu dem freisprechenden Urteil führte. Das bloße Verschweigen des Nachtrunks wäre unter Umständen dann unschädlich gewesen, hätte sich der ehemals Beschuldigte überhaupt nicht zur Sache geäußert (§ 5 Abs. 2 S. 2 StrEG). Das hat er hingegen nicht getan, vielmehr hat er mit seiner teilgeständigen Einlassung zur Untermauerung des bestehenden Tatverdachts in erheblichem Maße beigetragen. Ein verständiger Mensch in der Situation des ehemals Beschuldigten hätte den Polizeibeamten, die bei ihm in direktem zeitlichem Zusammenhang mit der vorgeworfenen Tat erschienen waren, ohne schuldhaftes Zögern auch mitteilen können, dass umfangreicher Nachtrunk gehalten wurde (Geppert in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl. 2007, § 69, Rn. 208; OLG Frankfurt, Beschluss vom 26.09.1977, Az.: 4 Ws 118/77, NJW 1978, S. 1017; zur Frage der Anwendbarkeit des § 5 Abs. 1 S. 2 StrEG bei nicht sachgerechten Mitwirkung des Beschuldigten an einem Alkoholtest (bejahend): LG Passau, Beschluss vom 17.12.1985, Az.: 1 Qs 197/85, JurBüro 1986, S. 1218). Denn das Verschweigen wesentlicher entlastender Umstände durch einen – wie hier – jedenfalls teilweise aussagebereiten Beschuldigten führt zur Versagung einer Entschädigung, wenn der Umstand dem Beschuldigten bekannt war und es sich um einen für seine Verteidigung wesentlichen entlastenden Punkt handelte, wie dies beim Verschweigen eines Nachtrunkes bei einem teilweise aussagewilligen Beschuldigten in aller Regel zu bejahen ist. Hat sich daher ein der Trunkenheit am Steuer verdächtiger Beschuldigter teilweise zur Sache eingelassen, dabei aber einen ihn entlastenden Nachtrunk verschwiegen, hat er die daraufhin gegen ihn angeordnete Führerscheinmaßnahme in grob fahrlässiger Weise selbst verursacht, sodass er demzufolge bereits nach § 5 Abs. 2 S. 1 StrEG kraft Gesetzes von einer Entschädigung ausgeschlossen ist (Geppert, a.a.O., OLG Frankfurt am Main, a.a.O.).

Es besteht vorliegend auch kein Anlass zu der Annahme, dass der ehemals Beschuldigte zu einer entsprechenden Mitteilung aufgrund seiner körperlichen oder geistigen Fähigkeiten nicht in der Lage gewesen wäre oder, dass er nicht merkte, durch sein Verhalten den gegen ihn gerichteten Tatverdacht zu erhärten.

Der Hinweis auf den Nachtrunk hätte das Ergebnis der Blutprobe, das maßgeblich zur Begründung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis und der Beschlagnahme des Führerscheins herangezogen wurde, in einem anderen Licht erscheinen lassen.“

Na ja, ich habe auf den ersten Blick Zweifel, ob die Zahlen überhaupt passen 🙂 . Aber das wird die Verteidigerin schon ausgerechnet haben. Allerdings ist eine Nachtrunkbehauptung nach anwaltlicher Beratung nie schön….. Nachtrunk wendet man besser sofort ein.

Unfallflucht II: Wenn der Geschädigte am Unfallort keine Feststellungen treffen will/kann, oder: Präjudiz

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Bei der zweiten Entscheidung zu § 142 StGB handelt es sich um den LG Saarbrücken, Beschl. v. 10.04.2018 – 8 Qs 5/18. Er ist im Verfahren wegen einer Beschwerde gegen die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a-StPO ergangen. Nach dem (verkürzten) Sachverhalt waren der Beschuldigte und der Geschädigte an einem Auffahrunfall beteiligt. Nach dem Unfall sind beide aus ihren Pkws ausgestiegen. Der Beschuldigte versuchte den Geschädigten zu überreden, den Unfall ohne Polizei zu regeln“, was der Geschädigte abgelehnt und sogleich mit seinem Mobiltelefon die zuständige Polizeiinspektion informiert hat. Von dort wurde mitgeteilt, dass ein Streifenkommando zum Unfallort kommen werde, was aber wegen Überlastung etwas dauern könne. Der Beschuldigte hat dann nochmals den Geschädigten zu einer Regulierung ohne Einschaltung der Polizei zu überreden versucht, was dieser wiederum abgelehnt und auf das Abwarten des Eintreffens der Polizeibeamten bestanden hat. Der Beschuldigte ist dann nach ca. fünf bis zehn Minuten in sein Fahrzeug gestiegen und weggefahren. Er hat sich in der Folge weder mit dem Geschädigten noch einer Polizeidienststelle zum Zwecke der Regulierung des Schadens in Verbindung gesetzt.

Das LG hat die Beschwerde gegen den amtsgerichtlichen Beschluss, der die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis auf § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB gestützt hatte, verworfen. Es weist darauf hin, dass nicht nur die Anwendung von § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB, sondern auch von § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB oder gegebenenfalls von § 142 Abs. 2 Nr. 1 StGB in Betracht. Das LG setzt sich dann umfangreich mit den Fragen auseinander,

  • ob der Geschädigte bis zum Sich-Entfernen des Beschuldigten als feststellungsbereite Person anzusehen,
  • ob er auf die Hinzuziehung der Polizei bestehen durfte, und
  • ob er auch nicht auf die Feststellungen verzichtet.

Zum ersten Punk:

a) Die Anwendung von § 142 Abs 1 Nr. 1 StGB setzt zunächst voraus, dass am Unfallort eine feststellungsbereite Person anwesend ist (Umkehrschluss aus Nr. 2; Zopfs in Münchener Kommentar zum StGB, Band 3, 3. Auflage 2017 [nachfolgend zitiert: MüKo – Bearbeiter], § 142 Rn. 53; Fischer, StGB, 65. Auflage 2018, §142 Rn. 23; Niehaus in Freymann/Wellner, juris-Praxiskommentar Straßenverkehrsrecht, 1. Auflage 2016 [nachfolgend zitiert: juris-PK – Bearbeiter], § 142 StGB Rn. 8, 38; Ernemann in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 3. Auflage 2016 [zitiert: SSW – Bearbeiter], § 142 Rn. 22). Feststellungsbereit ist eine Person, die geeignet und fähig ist und ggf. ein Interesse daran hat, die erforderlichen Feststellungen zugunsten des Berechtigten zu treffen (MüKo – Zopfs, a.a.O., Rn. 53; ebenso, aber lediglich in Bezug auf Dritte, die nicht selbst Berechtigte sind: juris-PK – Niehaus, a.a.O., Rn. 38; Geppert in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Auflage 2009 [nachfolgend zitiert: LK – Bearbeiter], § 142 Rn. 52). Nicht ausreichend ist hingegen, dass ein Feststellungsberechtigter am Unfallort anwesend ist, wenn dieser nicht in der Lage ist, die erforderlichen Feststellungen selbst zu treffen (so zutreffend MüKo – Zopfs, a.a.O., Rn. 53). Ob ein Anwesender am Unfallort insbesondere dazu fähig ist, Feststellungen selbst zu treffen, richtet sich danach, welche Feststellungen im Einzelfall notwendig sind und ob der Anwesende tatsächlich und rechtlich in der Lage ist, die jeweiligen Tatsachen selbst zu erheben (MüKo – Zopfs, a.a.O., Rn. 53 und ausführlich zur rechtlichen Befugnis in Rn. 66). Im Falle der Anwesenheit feststellungsbereiter Personen hat der Unfallbeteiligte durch die Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt war (aktive Vorstellungspflicht) und durch seine Anwesenheit (passive Duldungspflicht) die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung zu ermöglichen. Der Umfang der zu ermöglichenden und zu duldenden Feststellungen erstreckt sich unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der Norm auf alle Umstände, die zur Durchsetzung berechtigter bzw. Abwehr unberechtigter Schadensersatzansprüche erforderlich sind (LK – Geppert, a.a.O., Rn. 102; MüKo – Zopfs, a.a.O., Rn. 64; SSW – Ernemann, a.a.O., Rn. 27). Diese Umstände erschöpfen sich indes regelmäßig nicht in den Personalien des Unfallbeteiligten. Die erforderliche Feststellung des Fahrzeugs des Unfallbeteiligten umfasst etwa auch die Angabe des Fahrzeughalters und des Haftpflichtversicherers (LK – Geppert, a.a.O., Rn. 105; a.A.: MüKo – Zopfs, a.a.O., Rn. 73), die Feststellungen zur Art der Beteiligung umfassen jedes tatsächliche Verhalten eines Unfallbeteiligten, das nach Lage der Dinge zur Entstehung des Unfalls geführt und für die erfolgversprechende Durchsetzung begründeter bzw. die Abwehr unbegründeter zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche Bedeutung haben kann (LK – Geppert, a.a.O., Rn. 106), wozu u.a. auch die Sicherung von Unfallspuren, Art und Umfang der verursachten Schäden und auch der körperliche Zustand eines Beteiligten, insbesondere eine mögliche Alkoholisierung zählen können, sofern dies für die zivilrechtliche Haftungsfrage und gerade nicht nur für die Strafverfolgung von Bedeutung ist (LK – Geppert, a.a.O., Rn. 107; MüKo – Zopfs, a.a.O., Rn. 74 f.; Fischer, a.a.O., Rn. 27; SSW – Ernemann, a.a.O., Rn. 28; Lackner/Kühl, StGB, 28. Auflage 2014, § 142 Rn. 17; BGH, VRS 39, 184; OLG Köln, NStZ-Rr 1999, 251).

Zu den in diesem Sinne erforderlichen Feststellungen war der am Unfallort anwesende Geschädigte nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen selbst nicht in der Lage und daher auch nicht als feststellungsbereite Person im Sinne des § 142 Abs. 1 StGB anzusehen. Selbst wenn der Geschädigte in den nach seiner eigenen Aussage mehreren Minuten, die der Beschuldigte am Unfallort verblieben ist, in der Lage gewesen sein mag, die Person des Beschuldigten durch Befragen – unterstellt, der Beschuldigte sei kooperationswillig gewesen und hätte auch wahrheitsgemäß geantwortet und seine Angaben auf Verlangen durch Vorzeigen geeigneter Identitätspapiere freiwillig belegt (vgl. hierzu MüKo – Zopfs, a.a.O., Rn. 54, 65) – und dessen Fahrzeug durch Inaugenscheinnahme und ggf. Anfertigen von Lichtbildern festzustellen, wäre dies im Hinblick auf die nicht völlig geklärte Unfallsituation unzureichend gewesen. Denn einerseits soll der Beschuldigte nach Angaben des Geschädigten sinngemäß geäußert haben, der Geschädigte habe ohne zureichenden Grund zu stark gebremst, andererseits will der Geschädigte bei dem Beschuldigten vor dem Unfall ein Fahren in Schlangenlinien als Anzeichen einer etwaigen Alkoholisierung wahrgenommen haben. Ersterer Umstand darf den Geschädigten befürchten lassen, dass die Tatsachen des Unfallgeschehens bei der Regulierung des Schadens keineswegs unstreitig sein werden, weshalb der Geschädigte ein beachtenswertes Interesse an der Feststellung äußerer Anzeichen für den Unfallhergang (etwa Bremsspuren, Beschädigungen oder Beeinträchtigungen der Betriebssicherheit des Fahrzeugs des Beschuldigten) haben durfte. Angesichts eines bei streitigem Unfallhergang mit dem möglichen Vorwurf grundlosen Abbremsens in Betracht kommenden Verursachungsbeitrags des Geschädigten kommt weiterhin auch anderen verschuldensrelevanten Umständen mit Blick auf die zivilrechtliche Haftungsverteilung Bedeutung zu, insbesondere der Frage einer etwaigen Alkoholisierung des Beschuldigten. Zumindest zu den hierzu erforderlichen Feststellungen war der Geschädigte selbst unzweifelhaft weder in der Lage noch befugt (MüKo – Zopfs, a.a.O., Rn. 66 spricht insoweit von einer Kompetenzlücke). Gleiches gilt auch mit Blick auf die Feststellung der Identität des Beschuldigten, sofern dieser auf etwaige Nachfrage seine Personalien nicht freiwillig angegeben oder belegt haben sollte (MüKo – Zopfs, a.a.O., Rn. 53, 66).“

Diese und die weiteren Ausführungen des LG zeigen mir mal wieder, dass man es sich immer gut überlegen muss, ob man in solchen Fällen ins Rechtsmittel geht und damit ein Präjudiz für das weitere Verfahren schafft.

Unfallschadenregulierung, oder: Erhöhen vorgerichtliche RA-Kosten den Streitwert?

entnommen openclipart.org

Die zweite Gebührenentscheidung kommt aus dem Bereich des Verkehrszivilrecht. und zwar geht es um die Frage, ob vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten als streitwerterhöhend zu berücksichtigen sind. Nicht unbedingt mein Bereich, aber es gibt ja das LG Saarbrücken, Urt. v. 01.06.2018 – 13 S 151/17, über das der Kollege Gratz ja auch schon berichtet hat:

„Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Dabei war zu berücksichtigen, dass die geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten den Streitwert des Rechtsstreits in 1. und 2. Instanz erhöhen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wirkt sich die Geltendmachung von vorprozessualen Anwaltskosten im Klageverfahren streitwerterhöhend aus, soweit sie sich auf einen ursprünglich geltend gemachten Anspruch beziehen, der nicht Gegenstand des Rechtsstreits geworden ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17.02.2009 – VersR 2009, 806 und vom 26.03.2013 – VI ZB 53/12, VersR 2013, 921). Dies gilt nicht nur im Rahmen der Bestimmung des Zuständigkeitsstreitwerts (§ 4 ZPO), sondern auch im Rahmen des Gebührenstreitwerts nach § 43 GKG (vgl. OLG Celle, MDR 2013, 53; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 23. Aufl., § 4 Rn. 40; Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl., § 43 GKG Rn. 29; Hartmann, Kostengesetze, 47. Aufl., § 43 GKG Rn. 5; Dörndorfer/Binz/Petzold/Zimmermann, GKG, 3. Aufl., § 43 Rn. 4 ff; Nugel, jurisPR-VerkR 14/2013 Anm. 1). Verlangt der Geschädigte mithin – wie hier – Anwaltskosten aus dem gesamten vorgerichtlich verfolgten Schadensersatzanspruch, so handelt es sich um eine den Zuständigkeits- und Gebührenstreitwert erhöhende Hauptforderung, soweit sich die Anwaltskosten auf einen Teil des ursprünglich geltend gemachten Schadensersatzanspruchs beziehen, der bereits vorgerichtlich reguliert und deshalb von vorneherein nicht Gegenstand des Rechtsstreits geworden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17.02.2009 – VI ZB 60/07, VersR 2009, 806).

Allerdings ist bislang nicht abschließend geklärt, wie der Streitwert der die Hauptforderung erhöhenden Anwaltsgebühren im Einzelnen zu bemessen ist. Das Kammergericht hat insoweit eine Wertberechnung vorgenommen, bei der der Wert nach den gesamten außergerichtlichen Kosten abzüglich der Kosten bestimmt worden ist, die auf den anhängigen Teil der Forderung entfielen (KG, NJW-RR 2008, 879). Denkbar wäre auch, nach Streitwertanteilen zu quoteln. Allerdings wird zu Recht darauf hingewiesen, dass beide Methoden dazu führen, dass sich der Wert des Kostenerstattungsanspruchs, der sich auf einen feststehenden, weil „erledigten“ Teil bezieht, nach diesen Meinungen im Laufe eines Verfahrens ändern kann, wenn es etwa zu Klageerweiterungen oder Klagerücknahmen kommt (vgl. Schneider, NJW-Spezial 2009, 381). Die Kammer hält es deshalb für vorzugswürdig, den Streitwert dieser Forderung nach dem Wert der Gebühren aus dem (vorgerichtlich) erledigten Wert zu bestimmen (ebenso Schneider, DAR 2008, 432, 433; NJW-Spezial 2009, 381; ders. in: Schneider/Volpert/Fölsch aaO Rn. 31 ff). Wegen der leichten Wertbestimmung entspricht dies nicht nur praktischen Bedürfnissen, sondern folgt auch nachvollziehbaren Sachargumenten. Denn es handelt sich bei dieser Forderung um eben jene (feststehenden) Anwaltskosten, die sich auch ergeben hätten, wenn der Anwalt ausschließlich mit der Geltendmachung der vorgerichtlichen Anwaltskosten als Teil des Schadensersatzanspruchs beauftragt worden wäre oder wenn sich im Klageverfahren herausstellt, dass ein weiterer Anspruch in der Hauptsache nicht besteht. Insoweit lässt sich diese Art der Wertberechnung auch ohne weiteres mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vereinbaren, dass sich der materiell-rechtliche Kostenanspruch nach dem berechtigten Gegenstandswert bemisst (vgl. BGH, Urteile vom 07.11.2007 – VIII ZR 341/06, NJW 2008, 1888 und vom 18.07.2017 – VI ZR 465/16, VersR 2017, 1282).

Danach ergibt sich ein Wert dieses Anspruchs in Höhe von

1,3 Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG

(Wert regulierter Ansprüche: 4.143,38 €) 393,90 €

Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 €

19% Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG 78,64 €

492,54 €

und damit ein Gesamtstreitwert von (1.127,78 + 492,54 =) 1.620,32 € (§ 39 GKG).

Auf die Höhe des materiell-rechtlichen Kostenanspruchs des Geschädigten insgesamt wirkt sich die hier angewandte Methode zur Bestimmung des Streitwerts nicht aus (vgl. dazu unter 4.). Denn dem Geschädigten steht auch in Fällen wie hier nach höchstrichterlicher Rechtsprechung die Geschäftsgebühr nur einmal aus dem berechtigten Gesamtgegenstandswert zu und nicht zweimal aus (dann niedrigeren) Teilgegenstandswerten (vgl. BGH, Urteil vom 20.05.2014 – VI ZR 396/13, VersR 2014, 1100).“

Öffnen der Fahrzeugtür versus Seitenabstand des Vorbeifahrers, oder: Haftungsverteilung?

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In den engen Straßen hier in Münster auch immer wieder ein Problem. Die Frage der Haftung, wenn bei einem am Fahrbandrand abgestellten Pkw eine Tür geöffent wird und es dann zu Schäden an einem vorbeifahrenden Pkw kommt. Dann stellen sich verschiedene Frage: War der Seitenabstand groß genug oder zu eng, welche Geschwindigkeit ist gefahren worden usw.  Zu den Fragen und zur Haftungsverteilung verhält sich der LG Saarbrücken, Beschl. v. 12.09.2017 – 13 S 69/17, ein Hinweisbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO, über den der Kollege Gratz ja auch schon berichtet hat. Das LG kommt in einer solchen Situation in seinem Verfahren zur Alleinhaftung. Verklagt war der „Parker“, geklagt hatte der „Vorbeifahrer, dessen Klage Erfolg gehabt hat. Die Berufung des Beklagten hatte dann keinen Erfolg:

„Insbesondere ist entgegen der Berufung nicht zu beanstanden, dass das Erstgericht eine alleinige Haftung der Beklagtenseite für das Unfallgeschehen bejaht hat.

1. Das Erstgericht ist zunächst davon ausgegangen, dass sowohl die Kläger- als auch die Beklagtenseite grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gem. §§ 7, 17, 18 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 115 VVG einzustehen haben, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG darstellt. Dies ist zutreffend und wird mit der Berufung auch nicht angegriffen.

2. Keinen Bedenken begegnet es, dass das Erstgericht eine Verletzung des § 14 Abs. 1 Straßenverkehrsordnung (StVO) durch die Erstbeklagte festgestellt hat. Nach dieser Vorschrift muss, wer ein- oder aussteigt, sich so verhalten, dass eine Gefährdung anderer am Verkehr Teilnehmender ausgeschlossen ist. Wird – wie hier – beim Ein- oder Aussteigen ein anderer Verkehrsteilnehmer geschädigt, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung des Ein- oder Aussteigenden (vgl. nur BGH, Urteil vom 6.10.2009-VI ZR 316/08, VersR 2009, 1641; OLG Köln VersR 2015, 999, jew. m.w.N.). Diesen Anscheinsbeweis hat die Beklagtenseite nicht zu entkräften vermocht. Insbesondere ist die Behauptung der Beklagten, die Tür sei lediglich einen Spalt breit geöffnet gewesen, als es zu dem Zusammenstoß mit dem vorbeifahrenden Klägerfahrzeug gekommen war, vom Erstgericht als widerlegt angesehen worden. Hiergegen wendet sich die Berufung nicht.

3. Das Erstgericht hat ferner angenommen, der Fahrerin des Klägerfahrzeuges, der Zeugin M, könne ein Geschwindigkeitsverstoß nicht beweissicher vorgeworfen werden. Auch dies ist zutreffend und wird von der Berufung nicht angegriffen.

4. Ohne Erfolg wendet sich die Berufung gegen die Annahme des Erstgerichts, wonach auch ein Mitverschulden der Zeugin M wegen der Nichteinhaltung eines ausreichenden Seitenabstands (§ 1 Abs. 2 StVO) nicht festgestellt werden kann.

a) Wer an einem stehenden Fahrzeug vorbeifährt, muss nach dem allgemeinen Gebot der Gefährdungsvermeidung ( 1 Abs. 2 StVO) einen angemessenen Seitenabstand einhalten. Für die Angemessenheit des Abstandes gibt es kein feststehendes Maß, sie ist abhängig von den jeweiligen Umständen, muss aber zumindest so bemessen sein, dass ein geringfügiges Öffnen der Wagentür noch möglich bleibt, wenn für den Vorbeifahrenden nicht mit Sicherheit erkennbar ist, dass sich im haltenden Fahrzeug und um das Fahrzeug herum keine Personen aufhalten (BGH, Urteil vom 24. Februar 1981 – VI ZR 297/79 = VersR 1981, 533; OLG Frankfurt NZV 2014, 454). Der beim Vorbeifahren einzuhaltende Seitenabstand darf nach den Umständen des Einzelfalles durchaus geringer sein als der beim Überholen und bei der Begegnung regelmäßig verlangte Mindestabstand von 1 m (vgl. etwa OLG Köln, Beschluss vom 10. Juli 2014 I-19 U 57/14 -, juris). Wie groß der Abstand zu sein hat, ist letztlich eine Frage des Einzelfalles, wobei es auf die Verkehrslage, Geschwindigkeit und die bauliche Situation, insbesondere die Breite der Straße, sowie die Art der beteiligten Fahrzeuge ankommt (zum Ganzen etwa Müther in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 14 StVO Rn. 18; Geigel/Freymann, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 27 Rn. 383, jew. m.w.N.).

b) Dass der von der Zeugin M eingehaltene Seitenabstand ausreichend war, um die Seitentür geringfügig öffnen zu können, ist nicht zweifelhaft. Ob dies allein die Einhaltung eines angemessenen Seitenabstands indiziert, zumindest wenn, wie hier, ein Seitenabstand selbst zwischen den Außenspiegeln beider Fahrzeuge von mindestens 50 cm eingehalten ist (so insbesondere KG NZV 2010, 343; a.A. offenbar OLG Frankfurt SVR 2017, 27; vgl. auch König in Hentschel u.a., Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., 14 StVO Rn. 8, jew. m.w.N.), kann hier letztlich dahinstehen. Denn zu Lasten der Beklagtenseite kann nämlich nur der Abstand als unfallursächlich zugrunde gelegt werden, der noch eingehalten worden sein muss, um eine Kollision zu vermeiden. Nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen war die Tür des Beklagtenfahrzeugs im Zeitpunkt der Kollision 85-90 cm geöffnet (S. 23 des Gutachtens unter W), so dass der Seitenabstand der beiden Fahrzeuge ohne Berücksichtigung der Spiegel ausweislich der maßstabsgetreuen Skizze des Sachverständigen (S. 23 des Gutachtens) bei cirka 80 cm lag. Dem widerspricht nicht die Feststellung des Sachverständigen, der einen Fahrabstand ohne Spiegel von 60-65 cm (S. 23 des Gutachtens unter S2) ermittelte. Insoweit ist nämlich zu berücksichtigen, dass das Beklagtenfahrzeug schräg stand, so dass lediglich im Heckbereich, nicht aber in dem entscheidenden Türbereich der beiden Fahrzeuge der ermittelte Abstand bestand. Ein Abstand von rund 80 cm erscheint auch angesichts der Breite der Straße – zwischen den Randsteinen der Straße besteht ein Abstand von etwas unter 7 Metern, so dass für jede Fahrspur etwas weniger als 3,5 Meter zur Verfügung steht – umständehalber noch angemessen, zumal der Sachverständige bestätigen konnte, dass die Türöffnung in die Vorbeifahrbewegung des Klägerfahrzeuges erfolgt, mithin so geöffnet wurde, dass sich die Zeugin M nicht rechtzeitig darauf einstellen konnte.

5. Lässt sich danach ein unfallursächliches Mitverschulden der Zeugin M nicht feststellen, bestehen keine Bedenken dagegen, dass das Erstgericht angesichts des schwerwiegenden Verstoßes gegen die nach § 14 StVO gebotene äußerste Sorgfalt von einer Alleinhaftung der Klägerin ausgegangen ist (vgl. etwa KG Berlin DAR 2004, 585). Dieses Ergebnis wäre selbst dann nicht in Frage gestellt, wenn man von einem – allenfalls geringfügigen – Verstoß gegen den einzuhaltenden Seitenabstand ausgehen würde. Denn das rücksichtslose, plötzliche Türöffnen durch die Erstbeklagte, die das herannahende Fahrzeug nach den Feststellungen Sachverständigen bei einem gebotenen Schulterblick vor dem Türöffnen hätte sehen müssen, wiegt derart schwer, dass selbst ein geringes Mitverschulden auf Klägerseite hierhinter zurücktreten würde (ähnlich auch LG Stuttgart NJW 2015, 2593 m.w.N.).“

Wenn der vorfahrtsberechtigte Linksabbieger die Kurve schneidet, oder: Welche Haftungsquote?

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Schon etwas länger hängt in meinem Blogordner das LG Saarbrücken, Urt. v. 12.05.2017 – 13 S 137/16 – mit einer wahrscheinlich gar nicht so seltenen Konstellation. Es geht um die Haftung nach einem Verkehrsunfal in Zusammenhnag mit einem Abbiegevorgang. Die Tochter war mit dem Pkw der klagenden Mutter unterwegs. Sie will von der Straße, die sie befährt, nach links in eine andere Straße einbiegen. Verkehrszeichen gibt es an der Einmündung nicht. Es kommt im Einmündungsbereich zum Zusammenstoß mit dem Pkw der Beklagten.

Das AG hat die Klage – nach Beweisaufnahme – abgewiesen. Das LG hat weiter Beweis erhoben und danach der Klage teilweise stattgegeben. Es geht von Folgendem aus:

  • Der Unfall hat sich, was steritig war, im von § 8 StVO geschützten Bereich ereignet. Daher fällt der Beklagten eine Vorfahrtsverletzung nach § 8 Abs. 1 StVO zur Last. Damit „spricht grundsätzlich ein Anscheinsbeweis für eine unfallursächliche Vorfahrtsverletzung durch den Wartepflichtigen (BGH, st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 15.06.1982 – VI ZR 119/81, VersR 1982, 903 m.w.N.; vgl. auch Kammerurteile vom 28.03.2014 – 13 S 196/13, Zfs 2014, 446, vom 29.04.2016 – 13 S 3/16, Zfs 2016, 679 und vom 07.10.2016, 13 S 35/16, juris, jeweils m.w.N.). Auf einen Stillstand des Wartepflichtigen kommt es dabei grundsätzlich nicht an, wenn – wie hier der Fall – ein längerer Stillstand nicht nachgewiesen ist (Kammer, vgl. Urteil vom 07.10.2016 – 13 S 35/16, juris m.w.N.).“
  • Die Zeugin pp. – die Tochter – hat ihr Vorfahrtsrecht „nicht dadurch verloren, dass sie nach links abgebogen ist. Durch § 8 Abs. 2 Satz 4 StVO ist klargestellt, dass das Vorfahrtsrecht durch ein Abbiegen des Berechtigten nicht verloren geht. Der Vorfahrtsberechtigte darf deshalb auch beim Abbiegen auf die Beachtung dieses Vorfahrtsrechts grundsätzlich vertrauen (BGHSt 34, 127; OLG Hamm, VersR 1998, 1260; OLG Zweibrücken, Urteil vom 02.05.2007 – 1 U 28/07, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.02.2012 – I-1 U 243/10, juris; OLG Koblenz, NZV 2015, 385).“
  • Aber: Auch die Tochter hat den Unfall mitverschuldet. Und zwar: Die Zeugin trifft ein Mitverschulden, weil sie die Kurve geschnitten hat (§ 1 Abs. 2 StVO).“

Und damit kommt es zu folgender Abwägung:

Die Abwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge im Rahmen des § 17 Abs. 1, 2 StVG führt zur überwiegenden Haftung der Beklagten. Der Verstoß gegen § 8 StVO wiegt bei typischen Zusammenstößen im eigentlichen Kreuzungs- und Einmündungsbereich schwer, weswegen die Verantwortung des Wartepflichtigen grundsätzlich im Vordergrund steht (vgl. nur Freymann in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 27 Rn. 259). Diese Beurteilung folgt aus der besonderen Bedeutung der Vorfahrtsregelung, die dem wartepflichtigen Verkehrsteilnehmer die Pflicht zu erhöhter Sorgfalt auferlegt (vgl. BGH, Urteile vom 18.09.1964 – VI ZR 132/63, VersR 1964, 1195 und vom 23.06.1987 – VI ZR 296/86, VersR 1988, 79; Kammer, st. Rspr.; vgl. Urteil vom 29.04.2016 – 13 S 3/16, Zfs 2016, 679). Allerdings führt dies hier nicht zur Alleinhaftung der Beklagten. Denn ein mitursächliches Schneiden der Kurve durch den Vorfahrtsberechtigten unter Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO führt regelmäßig zu dessen Mithaftung (vgl. BGH, Urteil vom 07.01.1966 – VI ZR 164/64, VersR 1966, 294; OLG Hamm, VersR 1998, 1260; OLG Frankfurt, NZV 1990, 472; OLG Koblenz, NZV 2015, 385). Hiervon ausgehend hält die Kammer eine Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zulasten der Beklagten für angemessen. Dabei berücksichtigt die Kammer einerseits, dass der Einmündungsbereich gut einsehbar war und die Zeugin pp. allenfalls mit einer sehr langsamen Geschwindigkeit fuhr, so dass sich der Wartepflichtige hierauf besser einstellen konnte als bei unübersichtlichen Einmündungs- bzw. Kreuzungsbereichen (vgl. zur Haftungserschwerung bei eingeschränkten Sichtverhältnissen OLG Koblenz, NZV 2015, 385; OLG Frankfurt, NZV 1990, 472). Andererseits fällt zulasten der Zeugin pp. ins Gewicht, dass sie relativ weit links gefahren ist, wie sich aus den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen ergibt.“