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Wenn der vorfahrtsberechtigte Linksabbieger die Kurve schneidet, oder: Welche Haftungsquote?

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Schon etwas länger hängt in meinem Blogordner das LG Saarbrücken, Urt. v. 12.05.2017 – 13 S 137/16 – mit einer wahrscheinlich gar nicht so seltenen Konstellation. Es geht um die Haftung nach einem Verkehrsunfal in Zusammenhnag mit einem Abbiegevorgang. Die Tochter war mit dem Pkw der klagenden Mutter unterwegs. Sie will von der Straße, die sie befährt, nach links in eine andere Straße einbiegen. Verkehrszeichen gibt es an der Einmündung nicht. Es kommt im Einmündungsbereich zum Zusammenstoß mit dem Pkw der Beklagten.

Das AG hat die Klage – nach Beweisaufnahme – abgewiesen. Das LG hat weiter Beweis erhoben und danach der Klage teilweise stattgegeben. Es geht von Folgendem aus:

  • Der Unfall hat sich, was steritig war, im von § 8 StVO geschützten Bereich ereignet. Daher fällt der Beklagten eine Vorfahrtsverletzung nach § 8 Abs. 1 StVO zur Last. Damit „spricht grundsätzlich ein Anscheinsbeweis für eine unfallursächliche Vorfahrtsverletzung durch den Wartepflichtigen (BGH, st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 15.06.1982 – VI ZR 119/81, VersR 1982, 903 m.w.N.; vgl. auch Kammerurteile vom 28.03.2014 – 13 S 196/13, Zfs 2014, 446, vom 29.04.2016 – 13 S 3/16, Zfs 2016, 679 und vom 07.10.2016, 13 S 35/16, juris, jeweils m.w.N.). Auf einen Stillstand des Wartepflichtigen kommt es dabei grundsätzlich nicht an, wenn – wie hier der Fall – ein längerer Stillstand nicht nachgewiesen ist (Kammer, vgl. Urteil vom 07.10.2016 – 13 S 35/16, juris m.w.N.).“
  • Die Zeugin pp. – die Tochter – hat ihr Vorfahrtsrecht „nicht dadurch verloren, dass sie nach links abgebogen ist. Durch § 8 Abs. 2 Satz 4 StVO ist klargestellt, dass das Vorfahrtsrecht durch ein Abbiegen des Berechtigten nicht verloren geht. Der Vorfahrtsberechtigte darf deshalb auch beim Abbiegen auf die Beachtung dieses Vorfahrtsrechts grundsätzlich vertrauen (BGHSt 34, 127; OLG Hamm, VersR 1998, 1260; OLG Zweibrücken, Urteil vom 02.05.2007 – 1 U 28/07, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.02.2012 – I-1 U 243/10, juris; OLG Koblenz, NZV 2015, 385).“
  • Aber: Auch die Tochter hat den Unfall mitverschuldet. Und zwar: Die Zeugin trifft ein Mitverschulden, weil sie die Kurve geschnitten hat (§ 1 Abs. 2 StVO).“

Und damit kommt es zu folgender Abwägung:

Die Abwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge im Rahmen des § 17 Abs. 1, 2 StVG führt zur überwiegenden Haftung der Beklagten. Der Verstoß gegen § 8 StVO wiegt bei typischen Zusammenstößen im eigentlichen Kreuzungs- und Einmündungsbereich schwer, weswegen die Verantwortung des Wartepflichtigen grundsätzlich im Vordergrund steht (vgl. nur Freymann in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 27 Rn. 259). Diese Beurteilung folgt aus der besonderen Bedeutung der Vorfahrtsregelung, die dem wartepflichtigen Verkehrsteilnehmer die Pflicht zu erhöhter Sorgfalt auferlegt (vgl. BGH, Urteile vom 18.09.1964 – VI ZR 132/63, VersR 1964, 1195 und vom 23.06.1987 – VI ZR 296/86, VersR 1988, 79; Kammer, st. Rspr.; vgl. Urteil vom 29.04.2016 – 13 S 3/16, Zfs 2016, 679). Allerdings führt dies hier nicht zur Alleinhaftung der Beklagten. Denn ein mitursächliches Schneiden der Kurve durch den Vorfahrtsberechtigten unter Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO führt regelmäßig zu dessen Mithaftung (vgl. BGH, Urteil vom 07.01.1966 – VI ZR 164/64, VersR 1966, 294; OLG Hamm, VersR 1998, 1260; OLG Frankfurt, NZV 1990, 472; OLG Koblenz, NZV 2015, 385). Hiervon ausgehend hält die Kammer eine Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zulasten der Beklagten für angemessen. Dabei berücksichtigt die Kammer einerseits, dass der Einmündungsbereich gut einsehbar war und die Zeugin pp. allenfalls mit einer sehr langsamen Geschwindigkeit fuhr, so dass sich der Wartepflichtige hierauf besser einstellen konnte als bei unübersichtlichen Einmündungs- bzw. Kreuzungsbereichen (vgl. zur Haftungserschwerung bei eingeschränkten Sichtverhältnissen OLG Koblenz, NZV 2015, 385; OLG Frankfurt, NZV 1990, 472). Andererseits fällt zulasten der Zeugin pp. ins Gewicht, dass sie relativ weit links gefahren ist, wie sich aus den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen ergibt.“

Darf man als Wartepflichtiger auf das Blinken des Vorfahrtberechtigten vertrauen?

entnommen wikimedia.org Urheber Moros

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Die Frage, ob man als Wartepflichtiger ohne weiteres auf das Blinken des Vorfahrtberechtigten vertrauen darf, spielt im OLG Dresden, Beschl. v. 24.04.2014 – 7 U 1501/13 – ein Rolle. Das OLG hat in seiner Entscheidung – betreffend einen Verkehrsunfall – zur Haftungsverteilung bei einer Kollision zwischen einem auf der Vorfahrtstraße fahrenden PKW, der nach rechts blinkt, dann aber weiter geradeaus fährt, und dem nach links auf die Vorfahrtstraße auffahrenden Wartepflichtigen Stellung genommen und ausgeführt/entschieden: Das Setzen des rechten Blinkers begründet allein noch kein Vertrauen, dass der Blinkende auch tatsächlich abbiegt. Erforderlich ist darüber hinaus eine erkennbare, deutliche Geschwindigkeitsverringerung des Vorfahrtberechtigten, eine sichtbare Orientierung des Blinkenden nach rechts oder sonstige ausreichende Anzeichen für ein tatsächlich bevorstehendes Abbiegen des Vorfahrtberechtigten.

Zur Haftungsquote in solchen Fällen: Regelmäßig überwiegt in solchen Fällen – so das OLG – der Haftungsanteil des Wartepflichtigen (Anschluss an OLG Hamm, Urt. v. 11.03.2003 – 9 U 169/02, NJW-RR 2003, 975 und OLG Saarbrücken, Urt. v. 11.03.2008 – 4 U 228/07, NJW-RR 2008, 1611), der allein auf das Blinken vertraut (im Fall dann 70:30 zu Lasten des Wartepflichtigen).

Worauf der Radfahrer beim Einfahren achten muss…

FahrradfahrerFür Radfahrer von Interesse sein dürfte das OLG Saarbrücken, Urt. v. 13?.?02?.?2014? – 4 U ?59?/?13?, das sich zur Sorgfaltspflicht eines Radfahrers beim Einfahren vom Radweg auf die Fahrbahn verhält und eine erhöhte Sorgfaltspflicht des Radfahrers postuliert. Dazu die Leitsätze der Entscheidung:

„1. Fährt ein Radfahrer von einem rechts neben der Fahrbahn verlaufenden Radweg in die Fahrbahn ein, um sogleich nach links abzubiegen, unterliegt dieser Vorgang sowohl den Regeln des Einfahrens gemäß § 10 Satz 1 StVO als auch denjenigen des Abbiegens gemäß § 9 Abs. 1 und 2 StVO.

2. Kommt es in einem solchen Fall zum Zusammenstoß mit einem auf dieser Fahrbahn geradeausfahrenden Pkw, kann das grobe Mitverschulden des Radfahrers gemäß §§ 9 StVG, 254 BGB so weit überwiegen, dass die einfache Betriebsgefahr des Pkw dahinter vollständig zurücktritt.“

 

Abbiegen in eine Parkbucht ist kein Abbiegen in ein Grundstück

photo taken by Barbara Mürdter

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Der Beklagte im Verfahren, das zu dem OLG Hamm, ?08?.?11?.?2013?, 9 U ?88?/?13? geführt hat, befuhr mit seinem Fahrzeug eine Straße, auf der sich seitlich Parkbuchten befanden. Als er rückwärts in eine am rechten Fahrbahnrand belegene Parkbucht einbiegen wollte, erfasste er beim Rückwärtseinparken, in dessen Vorbereitung er einen Schlenker auf die Gegenfahrbahn fuhr, einen Rollerfahrer, der das Fahrzeug rechts überholen wollte und verletzte diesen. Der Radfahrer erlitt einen Oberschenkelhalsbruch und diverse Schürfungen und Prellungen. Das LGH gelangte anhand seiner Feststellungen zu dem Ergebnis, dass der Beklagte überwiegend haften müsse. Der Beklagte habe gegen § 9 Abs.1 und Abs. 5 StVO verstoßen, da er beim Rückwärtsfahren in ein Grundstück das doppelte Rückschaugebot nicht beachtet habe und auch den Blinker nicht gesetzt habe. Dem Kläger sei aber ein Verstoß gegen § 5 Abs. 1 StVO anzulasten, sodass ein Mitverschulden in Abzug zu bringen sei.

Das OLG hob dieses Urteil auf und änderte die Haftungsquote zu Gunsten des Beklagten auf 50 Prozent ab. Dazu der Leitsatz:

„Zwar stellt das Abbiegen in eine neben der Fahrbahn liegende Parkbox bzw. Parkbucht kein Abbiegen in ein Grundsstück i.S.v. § 9 Abs. 5 StVO dar. Allerdings kann das im Vergleich zum Abbiegen in eine Einmündung im Einzelfall erhöhte Gefährungspotential in Anwendung des Rechtsgedankens dieser Vorschrift bei der Gewichtung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge im Rahmen der Abwägung gemäß § 17 Abs. 1 und 2 StVG berücksichtigt werden.“