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Entstehen und Erstattungsfähigkeit der Hebegebühr, oder: Die Nr. 1009 VV RVG führt ein Schattendasein

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den LG Frankfurt/Main, Beschl. v. 07.04.2022 – 2-15 0 74/20. Er behandelt die Hebegebühr Nr. 1009 VV RVG, die – jedenfalls im Strafverfahren – ein verstecktes Dasein führt, obwohl man ggf. auch mit der  Gebühr ein paar zusätzliche Euro verdienen kann.

In dem vom LG Frankfurt/Main entschiedenen Fall hatte die Klägerin nach einem Zivilrechtsstreit der Beklagten Kosten erstattet. Die Beklagte hatte u.a. auch die die Festsetzung einer Hebegebühr in Höhe von 84,06 EUR netto (70,05 EUR gem. Nr. 1009 VV RVG, 14,01 EUR Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG) für die Weiterleitung eines Betrages beantragt. Das LG hat diese Gebühren festgesetzt. Dagegen hat sich die Klägerin mit der Erinnerung gewendet, der der Rechtspfleger nicht abgeholfen hat. Das LG – Einzelrichter – hat die Erinnerung dann verworfen:

„2. Die Erinnerung hat aber in der Sache keinen Erfolg. Der Rechtspfleger hat die Hebegebühr und die Auslagenpauschale zu Recht festgesetzt.

a) Die Hebegebühr in Höhe von € 70,05 ist entstanden. Eine Hebegebühr entsteht nach Nr. 1009 Anm. Abs. 1 VV RVG, wenn der Anwalt vereinnahmte Gelder weiterleitet und hierzu beauftragt war. Der Beklagtenvertreter war hier aufgrund der vorliegenden Prozessvollmacht gemäß § 81 ZPO zur Empfangnahme der von der Klägerin zu erstattenden Kosten bevollmächtigt und beauftragt. Er hat die an ihn gezahlten Kosten in Höhe von € 13.021,06 an die Beklagte weitergeleitet.

Die Klägerin hat die Hebegebühr zu erstatten. Die Hebegebühr ist erstattungsfähig, wenn der Schuldner, ohne vom Gläubiger oder dessen Anwalt dazu aufgefordert zu sein, an den Rechtsanwalt des Gläubigers zahlt (vgl. Gerold/Schmidt/Mayer, 25. Aufl. 2021, RVG VV 1009 Rn. 20 m.w.N.). Dies war hier der Fall.

Der Erstattungsfähigkeit der Hebegebühr steht auch nicht entgegen, dass es sich bei der Zahlung nicht um die Hauptsache, sondern um die zu erstattenden Kosten handelte. Zwar entsteht die Hebegebühr gemäß Nr. 1009 Anm. Abs. 5 VV RVG nicht, so weit eingezogene Kosten an den Auftraggeber abgeführt werden. Dies gilt aber nur, wenn der Rechtsanwalt die Kosten eingezogen, also aufgrund einer Kostenentscheidung eingefordert hat (vgl. AnwK-RVG/N. Schneider, 7. Aufl. 2014, Nr. 1009 VV RVG Rn. 39). Demgemäß fällt die Hebegebühr mangels Einziehung an, wenn der Rechtsanwalt nicht verbrauchte Gerichtskosten in Empfang nimmt und an den Mandanten weiterleitet (vgl. AnwK-RVG/N. Schneider, 7. Aufl. 2014, Nr. 1009 VV RVG Rn. 39; Gerold/Schmidt/Mayer, 25. Aufl. 2021, RVG VV 1009 Rn. 12; a.A. HK-RVG/Hans Klees, 8. Aufl. 2021, RVG VV 1009 Rn. 16). Gleiches gilt, wenn der Gegner die zu erstattenden Kosten an den Rechtsanwalt zahlt, ohne dass dieser die Kosten zuvor zur Zahlung an sich eingefordert hätte.

Die Hebegebühr ist auch im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103 ff. ZPO festsetzbar (vgl. Gerold/Schmidt/Mayer, 25. Aufl. 2021, RVG VV 1009 Rn. 20).

b) Die Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG in Höhe von € 14,01 ist ebenfalls entstanden und erstattungsfähig. Die Zahlung an den Rechtsanwalt stellt immer eine selbständige Angelegenheit dar und zwar auch dann, wenn der Rechtsanwalt der Mandanten auch darüber hinaus vertritt und bereits Gebühren nach Nr. 2300 VV RVG oder Nr. 3100 VV RVG verdient hat (vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 25. Aufl. 2021, RVG VV 7001 Rn. 26).“

Corona II: Du muss vor der Hauptverhandlung einen Corona-Schnelltest machen, oder: Nicht zulässig

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Im zweiten Beschluss, dem LG Frankfurt/Main, Beschl. v. 16.06.2021 – 5/9 Qs OWi 61/21 -, den mir der Kollege Anger aus Bergisch-Gladbach geschickt hat, geht es um eine vom Gericht für die Hauptverhandlung angeordnete Maßnahme. Das AG hatte die Durchführung eines Corona-Schnelltests vor der Teilnahme des Betroffenen an einer Hauptverhandlung angeordnet. Dagegen die Beschwerde, die beim LG Erfolg hatte:

„Die Beschwerde ist in der Sache auch begründet. Die an die Verfahrensbeteiligten gerichtete Anordnung des Vorsitzenden, einen tagesaktuellen Schnelltest durchführen zu lassen, findet keine ausreichende gesetzliche Grundlage, obwohl sie einer solchen wegen ihres Eingriffs in das Recht der Verfahrensbeteiligten auf Schutz ihrer körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) bedarf. Eine solche findet sich weder in § 176 Abs. 1 GVG noch in den landesrechtlichen Bestimmungen zur Eindämmung des Coronavirus, noch im Infektionsschutzgesetz (IfSG).

Nach § 176 Abs. 1 GVG obliegt die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung dem Vorsitzenden des Gerichts. Die Norm dient nach ständiger Rechtsprechung in Zeiten der Corona-Pandemie als taugliche Rechtsgrundlage für die Anordnung des Vorsitzenden zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes in der Sitzung (vgl. nur OLG Celle, Beschl. v. 15.04.2021 – 3 Ws 91/21; LG Frankfurt a. M., Beschl. v. 05.11.2020 — 2-03 T 4/20). Diese Vorschrift soll die Wahrung der Ordnung in der Sitzung sicherstellen und ermächtigt zu den Maßnahmen, die erforderlich sind, um den störungsfreien und gesetzmäßigen Ablauf der Sitzung zu sichern. Sie dient damit neben dem Schutz einer geordneten Rechtspflege, der Sicherstellung des Prozesses der Rechts- und Wahrheitsfindung und daneben auch der Wahrung der subjektiven Rechte der Verfahrensbeteiligten oder betroffener Dritter (BVerfG, Beschluss vom 11.05.1994 – 1 BvR 733/94, NStZ 1995, 40). § 176 GVG ermächtigt den Vorsitzenden zu den nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlichen Maßnahmen. Das Ermessen des Vorsitzenden bezieht sich dabei sowohl auf die Frage, ob überhaupt eingeschritten wird, als auch darauf, in welcher Weise auf eine drohende Störung unter Abwägung der von der Anordnung betroffenen Rechtsgüter unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu reagieren ist (vgl. BeckOK-GVG/Allgayer, 11. Ed., 15.02.2021, § 176 Rn. 4 m.w.N.). Der Vorsitzende ist dabei in der Wahl seiner sitzungspolizeilichen Anordnungen grundsätzlich – im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens frei. Die Anordnungsbefugnis nach § 176 Abs. 1 GVG umfasst dabei nicht zuletzt als Ausfluss der aus Art. 2 Abs. 2 GG folgenden Pflicht zum Schutz der Sicherheit von Leben und körperlicher Unversehrtheit aller im Sitzungssaal anwesenden Personen auch Maßnahmen des Infektionsschutzes (OLG Celle a.a.O.).

Zum Schutz der Beteiligten ist der Vorsitzende angesichts des grundrechtlich verankerten Schutzgutes von Leben und körperlicher Unversehrtheit dazu verpflichtet, durch sitzungspolizeiliche Maßnahmen sicherzustellen, dass die Gefahr der Ansteckung mit einer möglicherweise gefährlichen oder im Einzelfall gar tödlichen Erkrankung in der Sitzung so gering wie möglich gehalten wird (OLG Celle a.a.O.). Wenn sich der Vorsitzende dabei im Rahmen gesundheitsbehördlicher Empfehlungen bewegt, wird dies in aller Regel nicht zu beanstanden sein, soweit die Anordnung einer Pflicht zum Tragen von Masken betroffen ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.09.2020 – 1 BvR 1948/20 juris Rn. 4).

Ob § 176 Abs. 1 GVG auch als Rechtsgrundlage für die Anordnung eines Corona-Schnelltests für die Verfahrensbeteiligten dient, ist indes bislang in der Rechtsprechung nicht ausführlich diskutiert worden. Soweit das LG Chemnitz in seinem Beschluss vom 12.04.2021 (Az. 730 Js 39632/20) ausgeführt hat, hinsichtlich der Anordnung des Vorsitzenden zur Durchführung eines Schnelltests und Vorlage eines negativen Testergebnisses gelten dieselben Grundsätze wie zur Anordnung eines Mund-Nasen-Schutzes, folgt die Kammer dem nicht. Nach Ansicht der Kammer lässt sich zwischen der Anordnung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes und der Anordnung der Durchführung eines Corona-Schnelltests für alle an der Verhandlung teilnehmenden Beteiligten keine Parallelität ziehen. Zum einen ist mit der Anordnung eines Mund-Nasen-Schutzes ein nur geringfügiger Grundrechtseingriff verbunden, wohingegen die Durchführung eines Schnelltests — will man ein aussagekräftiges Ergebnis erzielen — einen viel erheblicheren Eingriff in die körperliche Integrität der zu testenden Person mit sich bringt (s.o.). Zum anderen kann die Anordnung einer allgemeinen und insbesondere einzelfallunabhängigen Testpflicht die Verfahrensbeteiligten davon abschrecken, ihr Recht auf Teilnahme an der Hauptverhandlung wahrzunehmen, da sich im Falle eines positiven Ergebnisses des Schnelltests die getestete Person unverzüglich in Quarantäne bis zum Vorliegen des Ergebnisses eines sog. PCR-Tests zu begeben hat (§ 3a Abs. 1 Corona-Quarantäneverordnung Hessen), zumal dem Gericht auch mildere Mittel zur Verfügung stehen, um für einen ausreichenden Infektionsschutz im Sitzungssaal zu sorgen. Dies kann insbesondere in der Anordnung eines Mund-Nasen-Schutzes bestehen sowie der regelmäßigen Belüftung des Sitzungssaals und dem Aufstellen von Trennwänden zwischen den Verfahrensbeteiligten.

Der Annahme, dass sich die vorliegende Anordnung nicht auf § 176 Abs. 1 GVG stützen lässt, stehen auch nicht die vorherigen Ausführungen entgegen, wonach dem Vorsitzenden ein grundsätzlich weiter Ermessens- und Beurteilungsspielraum zusteht, durch welche konkreten Maßnahmen er den Gefahren durch das Coronavirus im Sitzungssaal begegnen möchte. Denn der Ermessens- und Beurteilungsspielraum des Vorsitzenden kann nur soweit reichen, wie Güter von Verfassungsrang durch die in Grundrechte eingreifende Maßnahme in unverhältnismäßiger Weise tangiert werden. Dass der vom Coronavirus ausgehenden Gesundheitsgefahr nur durch die — hier sogar verpflichtende — Durchführung eines Schnelltests begegnet werden kann, ist aus Sicht der Kammer nicht zwingend, weil dem Gericht auch die oben angeführten milderen Maßnahmen zur Verfügung gestanden hätten, um Infektionen vorzubeugen. Darüber hinaus ist auch bislang die verpflichtende Durchführung eines Schnelltests im Vorfeld einer Gerichtsverhandlung — soweit für die Kammer ersichtlich — weder vonseiten der Gesundheitsbehörden noch des Robert Koch-Instituts empfohlen worden. Anders sieht dies lediglich für das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes in Innenräumen aus (vgl. https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/FAQ_Mund_Na-sen_Schutz.html). Die angegriffene Anordnung begegnet ferner rechtlichen Bedenken aus dem Grund, dass das Gericht die Durchführung eines Schnelltests für die Verfahrensbeteiligten verpflichtend angeordnet hat und ihnen die Durchführung eines Tests durch geschultes Testpersonal nicht angeboten hat (so geschehen im Beschluss des Landgerichts Duisburg vom 28.10.2020, Az. 34 KLs-121 Js 10/16-3/20). Denn im hiesigen Landgerichtsbezirk steht es auch Verfahrensbeteiligten frei, sich in einer im Gerichtsgebäude eingerichteten Teststraße kostenfrei auf das Coronavirus testen zu lassen.

Auch die Corona-Schutzverordnungen des Landes Hessen ermächtigen bzw. verpflichten die Gerichte nicht dazu, die Durchführung eines Schnelltests zulasten der Verfahrensbeteiligten anzuordnen.

Mit der Zweiten Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus (Corona-Einrichtungsschutzverordnung) vom 26.11.2020 verfolgte die Hessische Landesregierung das Ziel, der Ausbreitung des Coronavirus in der Bevölkerung durch eine umfangreiche Teststrategie entgegenzuwirken. Das Betreten bestimmter Einrichtungen ist hiernach an die Durchführung eines Corona-Schnelltests und das Vorliegen eines negativen Testergebnisses geknüpft. So ordnet § 1b Abs. 4 Satz 1 der Corona-Einrichtungsschutz-verordnung an, dass Besucherinnen und Besucher von Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung älterer, behinderter und pflegebedürftiger Menschen grundsätzlich eine solche Einrichtung nur betreten dürfen, wenn sie negativ getestet worden sind. Nach § 3 Abs. 4a der Corona-Einrichtungsschutzverordnung dürfen in Schulen und sonstigen Ausbildungseinrichtungen am Präsenzunterricht und an der Notbetreuung nur Studierende, Schülerinnen und Schüler sowie Kinder in den Vorklassen und Vorlaufkursen teilnehmen, die zu Beginn des Schultages über einen Nachweis verfügen, dass keine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus vorliegt. Eine entsprechende Regelung dahin, dass die Teilnahme an einer Gerichtsverhandlung an die Durchführung eines Corona-Schnelltests geknüpft ist, fehlt indes in der Verordnung. § 2 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung zum Schutz der Bevölkerung vor Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV 2 (Coronavirus-Schutzverordnung) schreibt lediglich das Tragen einer OP-Maske oder Schutzmaske der Standards FFP2, KN95, N95 oder einer sonstigen medizinischen Maske in innenliegenden Publikumsbereichen aller öffentlich zugänglichen Gebäude — wozu auch Gerichtsäle zählen — vor, jedoch nicht die vorherige Durchführung eines Schnelltests vor Betreten des Sitzungssaales. Überhaupt schreibt die Coronavirus-Schutzverordnung die Durchführung eines Corona-Schnelltests nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen vor, wie z.B. in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Spielbanken- und Spielhallen, Gaststätten im Innenbereich sowie in Übernachtungsbetrieben. Für die Teilnahme an Gerichtsverhandlungen gilt sogar nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 der Coronavirus-Schutzverordnung, dass Abs. 1, wonach die Teilnahme an dort aufgeführten Veranstaltungen in geschlossenen Räumen an die Durchführung eines negativen Coronatests gebunden ist (§ 16 Abs. 1 Nr. 2), gerade nicht auf Sitzungen und Gerichtsverhandlungen Anwendung findet. Dies spricht aus Sicht der Kammer entscheidend gegen die Befugnis des Vorsitzenden zur Anordnung eines Corona-Schnelltests, weil nicht einmal die Landesregierung selbst die Durchführung eines Tests vor Teilnahme an einer Gerichtsverhandlung für notwendig hält, womit es an einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für den angeordneten körperlichen Eingriff fehlt.

Eine Rechtsgrundlage für den Erlass der angefochtenen Anordnung findet sich auch nicht im IfSG.

§ 28 Abs. 1 IfSG ermächtigt die zuständige Behörde, Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung einer übertragbaren Krankheit nach ihrem Auftreten zu treffen. Die für das Treffen von Schutzmaßnahmen zuständige Behörde ergibt sich aus den landesrechtlichen Vorschriften über die Zuständigkeit zur Durchführung des IfSG. Nach § 5 Abs. 1 des Hessischen Gesetzes über den öffentlichen Gesundheitsdienst (HGöGD) sind zuständige Behörden für die Durchführung des Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587), in der hierzu erlassenen Rechtsverordnungen die Gesundheitsämter, d.h. der Kreis-Ausschuss in den Landkreisen und in den kreisfreien Städten der Magistrat, § 2 Abs. 2 r. 1 HGöGD. Aus diesem Grund kann sich von vornherein keine Rechtsgrundlage für Gerichte zum Erlass von sitzungspolizeilichen Maßnahmen zum Schutz vor dem Coronavirus ergeben.

Die gerichtliche Anordnung zur Durchführung eines Corona-Schnelltests lässt sich ferner nicht auf die Vorschrift des § 28b IfSG stützen.

§ 28b Abs. 1 IfSG enthält keine dahingehende Vorschrift, wonach ein Gericht ermächtigt wäre, Maßnahmen zum Infektionsschutz gegenüber Verfahrensbeteiligten anzuordnen, zumal es sich bei der Vorschrift um eine Norm handelt, die keines Umsetzungsaktes bedarf, sondern die unmittelbar kraft gesetzlicher Anordnung gilt (BT-Drs. )/28732, 19). Dementsprechend kann sie von vornherein nicht die Verwaltungsbehörden zu Infektionsschutzmaßnahmen ermächtigen.

Eine Rechtsgrundlage ergibt sich auch nicht aus § 28b Abs. 5 IfSG. Hiernach bleiben eitergehende Schutzmaßnahmen auf Grundlage dieses Gesetzes unberührt. Dies deutet aber, dass sich die angeordnete Maßnahme zum Schutz vor Gesundheitsrisiken auf eine Rechtsgrundlage im IfSG stützen lassen muss. Aus den vorigen Ausführungen folgt indes gerade, dass das IfSG einem Gericht nicht die Möglichkeit eröffnet, die Durchführung eines Corona-Schnelltests für die Verfahrensbeteiligten anzuordnen.

Das Gericht war auch nicht gehalten, aus seiner aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden -Schutzpflicht die Durchführung eines Schnelltests auf Grundlage des § 176 Abs. 1 VG anzuordnen. Zum einen ist die Anordnung sehr pauschal gehalten, da sie jeglichen Verfahrensbeteiligten unabhängig von der Frage trifft, ob dieser aufgrund seines Alters oder seiner körperlichen Konstitution im Falle einer Ansteckung mit einem schweren Verlauf zu rechnen hat. Ob ein Verfahrensbeteiligter für den Fall einer Infektion einer erhöhten Gesundheitsgefahr ausgesetzt wäre, ist vorliegend durch das Gericht nicht geprüft worden. Zum anderen kann der Infektionsgefahr durch oben erwähnten milderen Maßnahmen begegnet werden.“

StPO III: Einspruch gegen den Strafbefehl zulässig?, oder: Verzicht durch Zahlung/Ratenzahlungsgesuch

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Die dritte und letzte Entscheidung, der LG Frankfurt/Main, Beschl. v. 12.10.2020 – 5/30 Qs 42/20 – behandelt eine Problematik in Zusammenhang mit einem Strafbefehl. Es geht um die Frage, ob der Angeklagte auf den Einspruch gegen einen Strafbefehl verzichtet, indem er die in dem Strafbefehl festgesetzte Strafe bezahlt oder ein Ratenzahlungsgesuch stellt.

Das LG sagt: Nein:

„Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat den Einspruch gegen den Strafbefehl vom 21.4.2020 zu Unrecht als unzulässig verworfen, weshalb der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 25.8.2020 aufzuheben war.

Der Einspruch der Beschwerdeführerin vom 19.5.2020 gegen den Strafbefehl vom 21.4.2020 ist zulässig. Er wurde formgerecht innerhalb der Zweiwochenfrist gemäß § 410 Abs. 1 StPO eingelegt.

Der Einspruch ist auch nicht wegen eines zuvor erklärten Verzichts auf die Einlegung eines Einspruchs wirkungslos und damit unzulässig.

Denn mit dem undatierten, am 7.5.2020 bei der Amtsanwaltschaft Frankfurt am Main eingegangen, Ratenzahlungsantrag der Beschwerdeführerin hat diese nicht wirksam auf die Einlegung eines Einspruchs verzichtet.

Nach §§ 410 Abs. 1 S. 2, 302 Abs. 1 StPO kann ein Angeklagter auf die Einlegung des Einspruchs gegen einen Strafbefehl verzichten.

Die Form des Verzichts richtet sich nach der Form der Rechtsmitteleinlegung (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 61. Auflage 2018, § 302 Rn, 18). Da der Einspruch nach § 410 Abs. 1 S. 1 StPO schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen ist, gilt dies auch für den Verzicht auf dessen Einlegung. Zur Schriftform gehört, dass aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, schon im Zeitpunkt des Eingangs der Erklärung bei Gericht hinreichend zuverlässig entnommen werden kann; die handschriftliche Unterzeichnung ist nicht unbedingt notwendig (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, Einl, Rn. 128).

Da aus dem Text des undatierten Schreibens eindeutig hervorgeht, dass dieses von der Beschwerdeführerin stammt, ist die Schriftform trotz fehlender Unterschrift gewahrt.

Allerdings ist in dem Ratenzahlungsantrag kein konkludenter Verzicht auf die Einlegung des Einspruchs zu sehen.

Der Verzicht auf einen Einspruch setzt eine eindeutige, vorbehaltslose und ausdrückliche Erklärung gegenüber dem Gericht voraus, wobei aber nicht von „Verzicht“ gesprochen werden muss, wenn die Auslegung eindeutig ist (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, § 302 Rn. 20). Im Hinblick auf die Unwiderruflichkeit eines Rechtsmittelverzichts sind jedoch hohe Anforderungen an die Eindeutigkeit dieser Prozesserklärung zu stellen (BVerfG, NStZ-RR 2008, 209). Der Verzicht liegt nicht schon darin, dass der Angeklagte die in dem Strafbefehl festgesetzte Strafe bezahlt oder ein Ratenzahlungsgesuch stellt (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, § 410 Rn. 3, OLG Rostock, NZV 2002, 137).

Dem in dem vorgenannten undatierten Schreiben gestellten Ratenzahlungsantrag kann durch Auslegung jedenfalls nicht eindeutig entnommen werden, dass die Beschwerdeführerin auf die Einlegung von Rechtsmitteln verzichtet und die im Strafbefehl verhängte Geldstrafe und getroffene Einziehungsentscheidung vorbehaltslos akzeptiert. Denn der Antrag könnte auch so zu verstehen sein, dass die Beschwerdeführerin vorab — für den Fall der Rechtskraft des Strafbefehls — Ratenzahlung beantragen möchte. Auch der Umstand, dass der Ratenzahlungsantrag nicht beim Amtsgericht Frankfurt am Main, sondern bei der Amtsanwaltschaft Frankfurt am Main gestellt wurde, spricht eher für diese Auslegungsalternative. Denn ein Rechtsmittelverzicht hätte – genau wie die Einlegung des Einspruchs — gegenüber dem Amtsgericht Frankfurt am Main erklärt werden müssen.“

Verteidiger III: Wenn der Verteidiger keine Info über eine Zustellung erhält, oder: Wiedereinsetzung

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In der dritten und letzten Entscheidung des Tages, dem LG Frankfurt/Main, Beschl. v. 31.10.2019 – 5/9 Qs OWi 70/19 -, über den auch schon der Kollege Gratz berichtet hat, geht es um die Wiedereinsetzung nach einem Verstoß gegen § 145a Abs. 3 StPO.

Ergangen ist der Beschluss in einem Bußgeldverfahren. In dem wurde dem Betroffenen der Bußgeldbescheid förmlich zugestellt, nicht aber zugleich der Verteidiger des Betroffenen nach § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO von der erfolgten Zustellung in Kenntnis gesetzt. Der erhält erst später Kenntnis und legt dann umgehend – verspätet – Einspruch ein. Das LG gewährt – anders als das AG – Wiedereinsetzung:

„Der Betroffene war indes ohne eigenes Verschulden daran gehindert die Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen- den Bußgeldbescheid einzuhalten (§§ 46 Abs. 1, OWiG 44 StPO). Zwar wurde dem Betroffenen auch ohne die gleichzeitige Benachrichtigung des Verteidigers der Bußgeldbescheid wirksam zugestellt. Denn bei der in § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO normierten Unterrichtungspflicht handelt es sich nach allgemeiner Meinung nur um eine Ordnungsvorschrift (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO § 145a Rn. 14; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 11.12.1981 – 3 Ws 820/81 – beck-online; KG, Beschluss vom 09.01.2014- 2 Ws 2/14141 AR 692/13 – beck-online BeckRS 2014, 1 0367), so dass der Lauf der Einspruchsfrist in Gang gesetzt wurde.

Der hier vorliegende Verstoß nach § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO begründet jedoch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid vom 26.06.2019. Diese Vorschrift dient dem gesetzlichen Zweck, dem bevollmächtigten Verteidiger die Fristenkontrolle zu übertragen, so dass sich der Betroffene darauf verlassen können soll, dass der Verteidiger Kenntnis von der Zustellung der Entscheidung erhält, nach der er sich ohne zusätzliche Rückfragen bei dem Betroffenen richten kann (vgl. KG, Beschluss vom 09.01.2014- 2 Ws 2/14141 AR 692/13 – beck-online BeckRS 2014, 10367 – m.w.N.; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 11 .12.1981 – 3 Ws 820/81 – beck-online). Demgemäß begründet das Unterbleiben der Benachrichtigung des Verteidigers die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn die Fristversäumnis darauf beruht und nicht besondere Umstände vorliegen, die dem Betroffenen Anlass geben mussten, für die Einhaltung der Frist auch selbst Sorge zu tragen (KG, Beschluss vom 09.01.2014 – 2 Ws 2/14141 AR 692/13 – beck-online BeckRS 2014, 10367; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 11.12.1981 – 3 Ws 820/81 – beck-online; OLG Stuttgart, Beschluss vom 13.07.2009 – 4 Ws 127/09 – beck-online BeckRS 2009, 20732; Karlsruher Kommentar – Willnow, StPO § 145a Rn. 6).

Vorliegend sind keine Umstände ersichtlich, wonach der Betroffene die Fristversäumnis selbst mitverschuldet haben könnte und für die Einhaltung der Frist selbst hätte Sorge tragen müssen. Denn aus dem Akteninhalt ergibt sich, dass die Versäumung der Einspruchsfrist ausschließlich auf der fehlerhaften Unterrichtung des Verteidigers beruht und diesem die nachgeholte Benachrichtigung vom 12.07.2019 – gedruckt am 16.07.2019 – ausweislich des Kanzleieingangsstempels erst am 22.07.2019 zugegangen ist. Die Unterrichtung des Verteidigers erfolgte damit – entgegen der Auffassung des Amtsgerichts – erst nach Ablauf der Einspruchsfrist, die am 18.07.2019 endete, so dass nach § 45 Abs. 2 Satz 3 StPO auch ohne vorherigen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen zu gewähren war.“

(Keine) Beschlagnahme von Verteidigungsunterlagen, oder: Wenn der Verteidiger der StA Mandatsinterna schickt…

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Ich eröffne die 23. KW mit dem LG Frankfurt/Main, Beschl. v. 09.11.2017 – 5/12 KLs 14/17, auf den mich der Kollege Garcia vom Blog delegibus gestern hingewiesen hat. Ihm und auch allen anderen Einsendern von Entscheidungen/Hinweisgebern an dieser Stelle mal ein ausdrücklicher Dank für die Hinweise/Entscheidungen. Das Blog lebt gerade auch von den Entscheidungen, die ein wenig außerhalb der großen Veröffentlichungswelle laufen und die man, wenn die Beteiligten sie nicht öffentlich gemacht hätten, sonst oft übersehen hätte/würde.

Der LG Frankfurt/Main, Beschl. v. 09.11.2017 – 5/12 KLs 14/17 – behandelt eine Problematik, die für jeden Verteidiger Horror ist, nämlich die Beschlagnahme von (Verteidiger)Unterlagen. Horror u.a. deshalb, weil in solchen Unterlagen ja häufig Mandatsinterna enthalten sind, die nur den Verteidiger und den verteidigten Mandanten etwas angehen.Und genau deshalb sind die Unterlagen dann ja auch nach § 97 Abs. 1 Nr. 2 StPO beschlagnahmefrei. Das allerdings nur – so § 97 Abs. 2 Satz 1 StPO – wenn sich die Unterlagen im Gewahrsam des Verteidigers befinden. Und genau da lag hier das Problem. Denn der Verteidiger – oder sein Büro – hatte bei der Rücksendung der Akten nach gewährter Akteneinsicht wohl nicht so genau hingeschaut. Jedenfalls lag den Akten und dem Rücksendeschriftsatz ein Schriftstück bei, bei dem es sich laut Auskunft des Verteidigers um handschriftliche Notizen handelte, die sich der Verteidiger während eines Gesprächs mit dem Mandanten gemacht habe.

Die Staatsanwaltschaft hatte flugs die Beschlagnahme des Schriftstücks beantragt und sich dabei auf den Wortlaut des § 97 StPO berufen. Der Ermittlungsrichter hatte die Beschlagnahme des Schriftstücks angeordnet. Da gegen die Beschwerde, die beim LG beim inzwischen erkennenden Gericht als Antrag auf neue Entscheidung durch das erkennende Gericht Erfolg hatte. Denn:

„Eine von einem Verteidiger gefertigte Verteidigungsunterlage ist auch dann beschlagnahmefrei, wenn der Verteidiger den Gewahrsam an dem betreffenden Schriftstück versehentlich verloren hat. Das folgt aus § 148 StPO i. V. m. den verfassungsrechtlichen Anforderungen an ein faires Strafverfahren, die auf Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG bzw. Art. 6 Abs. 3 EMRK fußen.

Zwar ist der Staatsanwaltschaft und dem Amtsgericht zuzugestehen, dass sich ein Beschlagnahmeverbot nicht auf den Wortlaut des § 97 StPO stützen lässt. Der Wortlaut dieser Vorschrift scheint vielmehr für die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts zu streiten. Denn in § 97 Abs. 2 Satz 1 StPO ist ausdrücklich geregelt, dass das dort normierte Beschlagnahmeverbot nur dann gilt, wenn sich der Gegenstand im Gewahrsam der zur Verweigerung des Zeugnis Berechtigten befindet. Dementsprechend wird in der Kommentarliteratur jedenfalls außerhalb des Bereichs der Verteidigerunterlagen vorherrschend die Auffassung vertreten, dass die Beschlagnahmefreiheit grundsätzlich auch dann endet, wenn der Berufsgeheimnisträger den Gewahrsam an den Unterlagen unfreiwillig verliert (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl. 2017, § 97 Rdnr. 13 m. w. N.; KK-StPO/Greven a. a. O. § 97 Rdnr. 8; LR-Menges, 26. Aufl. 2017, § 97 Rdnr. 9; MüKo-StPO/Hauschild, 1. Aufl. 2014, § 97 Rdnr. 19). Auf diese Auffassung stützt sich die angefochtene Entscheidung. In einem (ebenfalls Verteidigerunterlagen betreffenden) Urteil vom 15.12.1976 hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs unter Bezug auf Meyer-Goßner a. a. O. (ohne nähere Darlegungen in der Sache) bemerkt, dass viel dafür sprechen „mag“, dass die Beschlagnahmefreiheit des § 97 StPO auch bei unfreiwilligem Gewahrsamsverlust ende. Er hat diese Frage aber letztlich ausdrücklich offen gelassen (BGH 3 StR 432/76 Rdnr. 17).

Ob § 97 StPO insoweit insgesamt für alle Berufsgeheimnisträger verfassungskonform zu reduzieren ist, wie dies in der Literatur vereinzelt verlangt wird (Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, a. a. O.), bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Jedenfalls für Verteidigungsunterlagen sind zusätzlich der später in Kraft getretene § 148 StPO und verfassungsrechtliche Grundsätze heranzuziehen (so auch Meyer-Goßner/Schmitt a. a. O. Rdnr. 37; LR-Menges a. a. O. Rdnr. 105). Der verfassungsrechtlich durch Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG und Art. 6 Abs. 3 EMRK abgesicherte Grundsatz des fairen Verfahrens gebietet einen ungehinderten Verkehr zwischen Verteidiger und Beschuldigtem zum Zwecke der Verteidigung. Der Verkehr zwischen dem Verteidiger und dem Beschuldigten gehört zu den unabdingbaren Voraussetzungen der Verteidigung und ist grundsätzlich von jeder Behinderung und Erschwerung freizustellen. Mit Blick auf die Bedeutung dieses aus der Verfassung abgeleiteten Grundsatzes ist die Beschlagnahmefreiheit jedenfalls von Verteidigungsunterlagen in weit größerem Umfang anerkannt als es dem Wortlaut des § 97 StPO entspricht. So ist anerkannt, dass Verteidigungsunterlagen – im Widerspruch zum Wortlaut des § 97 StPO – auch dann beschlagnahmefrei sind, wenn sie sich auf dem Postweg befinden (BGH NJW 1990, 722 [BGH 13.11.1989 – I BGs 351/89]; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O. Rdnr. 37; LR-Menges a. a. O. Rdnr. 105; MüKo-StPO/Hauschild, a. a. O. Rdnr. 31; SK-StPO/Wohlers/Greco, 5. Aufl. 2016, Rdnr. 87; jeweils m. w. N.). Ebenso ist anerkannt, dass Verteidigungsunterlagen auch dann beschlagnahmefrei sind, wenn sie sich nicht im Gewahrsam des Verteidigers, sondern im Gewahrsam des Beschuldigten befinden (BGH NJW 1973, 2035; 1982, 2508 [BGH 24.03.1982 – 3 StR 28/82 (S)]; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O. Rdnr. 37; MüKo-StPO/Hauschild, Rdnr. 31; jeweils m. w. N.). (Das wird – ebenfalls aus verfassungsrechtlichen Gründen – weitgehend einhellig sogar auf Unterlagen ausgeweitet, die nicht vom Verteidiger angefertigt wurden, sondern die der Beschuldigte selbst zum Zwecke seiner Verteidigung angefertigt hat; BVerfG 2 BvR 2248/00 vom 30.1.2002 NJW 2002, 1410; BGHSt 44,46; OLG München NStZ 2006, 300; BT-Drucks. 16/5846, S. 35; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O. Rdnr. 37; KK-StPO/Greven a. a. O. Rdnr.24; LR-Menges a. a. O. Rdnr. 107f; MüKo-Hauschild a. a. O. Rdnr. 31; SK-StPO/Wohlers/Greco a. a. O. Rdnr. 88; jeweils m. w. N.).

Von einer verbreiteten Literaturmeinung wird deshalb ausdrücklich die Auffassung vertreten, dass das Gewahrsamserfordernis für Verteidigungsunterlagen keine Bedeutung hat (so ausdrücklich SK-StPO/Wohlers/Greco a. a. O. Rdnr. 15, 87 und SSW-StPO/Eschelbach § 97 Rdnr. 21, vgl. auch KK-StPO/Greven, a. a. O. § 97 Rdnr. 24). Dieser Literaturauffassung dürfte aus den genannten verfassungsrechtlichen Gründen zu folgen sein. Jedenfalls sind die von Verfassungs wegen gebotenen Erweiterungen der Beschlagnahmefreiheit für Verteidigungsunterlagen auf die vorliegende Konstellation zu erstrecken.

Denn es würde der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Rechts auf ungehinderten Verkehr mit dem Verteidiger nicht gerecht, wenn ein Beschuldigter die Sorge haben müsste, dass schriftliche Aufzeichnungen, die von seinen Angaben gegenüber dem Verteidiger gemacht werden, dann nicht mehr beschlagnahmefrei wären, wenn sie versehentlich aus dem Gewahrsam seines Verteidigers oder aus seinem eigenen Gewahrsam gelangen. …………………………..

Dieses Abwägungsergebnis gilt jedenfalls für vom Verteidiger selbst im Rahmen eines Mandantengesprächs gefertigte Aufzeichnungen. Ob etwas anderes etwa bei Urkunden zu gelten hätte, die dem Verteidiger zum Zwecke der Verteidigung übersandt (vgl. dazu MüKo- StPO/Hauschild a. a. O. Rdnr. 32) und von ihm später versehentlich herausgegeben wurden, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung.

Vorliegend hat die Kammer aufgrund des übereinstimmenden Vortrags von Staatsanwaltschaft und Verteidigung keinen Zweifel daran, dass es sich bei dem hier sichergestellten Schriftstück tatsächlich um Aufzeichnungen handelt, die der Verteidiger während eines Mandantengesprächs gefertigt hat.“

Trotz dieser – m.E. zutreffenden – Entscheidung: Aufgepasst, was man zurückschickt und die Akten/unterlagen schön beisammen halten und sorgfältig voneinander trennen.