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Die Mehrwertsteuerpflicht des (Pflicht)Verteidigers, oder: Verwundertes Kopfschütteln

Manchmal fragt man – jedenfalls ich mich – warum bestimmte Fragen noch entschieden werden müssen und wer sich da – aus welchen Gründen auch immer – unnötige Arbeit macht bzw. anderen gemacht hat. So wird es wahrscheinlich/hoffentlich allen Lesern dieses Postings gehen. Den vorgestellten LG Ellwangen, Beschl. v. 23.03.2018 – 1 KLs Js 11054/17 – habe ich vom Kollegen Hertweck aus Braunschweig erhalten. Er hat ihn mir wohl mehr als „humoristische Einlage“ geschickt, denn die entschiedene Frage ist „ausgekaut“. Es geht um die Mehrwertsteuerpflicht des (Pflicht)Verteidigers. Der Kollege hat auswärts verteidigt und hat am Gerichtsort übernachtet und seinen Pkw abgestellt.

Um die Übernachtungskosten usw. streitet man bei der Vergütungsfestsetzung nicht. Es geht nur noch um die Mehrwertsteuer und die korrekte Art der Abrechnung. Der Kollege hatte die netto – also ohne 7 % – geltend gemacht und auf den Nettobetrag die von ihm abzuführende Mehrwertsteuer abgerechnet. Das hat die Staatskasse nicht erstattetn wollen. Anders das LG Ellwangen. Das setzt auch die Mehrwertststeuer mit fest:

„Der Erinnerung des Pflichtverteidigers gegen den Festsetzungsbeschluss vom 5.03.2018 war insgesamt abzuhelfen und hinsichtlich der Übernachtungskosten ein weiterer Betrag von € 22,97 gegen die Staatskasse festzusetzen.

Die Umsatzsteuerpflicht des Pflichtverteidigers erstreckt sich auch auf von ihm in Anspruch genommene Fremdleistungen. Auch die Hotelrechnungen unterliegen mit den dort jeweils ausgewiesenen Nettobeträgen der Umsatzsteuerpflicht in Höhe von 19%. Da der Verteidiger hinsichtlich der in den Hotelrechnungen ausgewiesenen Mehrwertsteuerbeträge (Übernachtung: 7%: Parkgebühren: 19%) vorsteuerabzugsberechtigt ist, wurden vom Verteidiger korrekterweise die jeweiligen Nettobeträge der angefallenen Auslagen in den Festsetzungsantrag aufgenommen und darauf die 19%-ige Mehrwertsteuer erhoben (vgl. Beschluss des KG Berlin vom 24.05.2013, 1 Ws 28/13).“

Da bleibt nur ein verwundertes Kopfschütteln.

Ist ein 94-Jähriger noch verhandlungsfähig?

© froxx - Fotolia.com

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Ein heikles oder auch sensibles Thema behandelt der LG Ellwangen, Beschl. v. 27.02.2014 – 1 Ks 9 Js 94162/12. Es geht in einem Verfahren gegen einen (ehenaligen) Angehörigen des SS-Totenkopf-Sturmbanns, der als Wachmann im Konzentrationslager Auschwitz eingesetzt gewesen sein und während des Eintreffens von Gefangenentransportzügen von Dezember 1942 bis Juni 1943 zumindest Bereitschaftsdienst geleistet haben soll, um die Frage der Verhandlungsfähigkeit. Der Beschuldigte ist inzwischen 94 Jahre alt, so dass sich m.E. mit Recht diese Frage stellt. Sie ist in meinen Augen unabhängig von den Vorwürfen, die Gegenstand des Verfahrens sind. Das hat nichts mit „einmal muss Schluss sein zu tun“, sondern hat mit Grundrechtsschutz (Art. 1, 2 GG) zu tun. das mag nicht jedem gefallen, ist aber im GG nun mal so festgelegt. Und so hat es m.E. das LG in seinem Beschluss auch gesehen, wenn es formuliert:

„2. Verhandlungsunfähigkeit:

Der heute 94 Jahre alte Angeschuldigte kann sich wegen seiner vor allem altersbedingten kognitiven Schwächen und unzureichenden psychomentalen Leistungsfähigkeit nicht ausreichend mit den gegen ihn erhobenen Tatvorwürfen der zwölffachen Beihilfe zum Mord auseinandersetzen und ist deshalb verhandlungsunfähig. Das Fehlen der erforderlichen Verhandlungsfähigkeit, insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen einer Hauptverhandlung, ergibt sich aus einer Beurteilung der psychischen Verfassung des Angeschuldigten auf der Grundlage sachverständiger Beratung und eigener Feststellungen der Schwurgerichtskammer. Dabei sind die erhöhten Anforderungen an die Leistungsfähigkeit des Angeschuldigten zu berücksichtigen, die aus den Schwierigkeiten des Verhandlungsgegenstandes folgen.

a) Rechtliche Würdigung der Tatvorwürfe:

Die besondere Problematik liegt insbesondere darin, dass sich der Angeschuldigte gegen Vorwürfe zur Wehr setzen muss, die nunmehr mehr als 70 Jahre zurückliegen und die wegen Verjährung aller anderen in Betracht kommenden Straftatbestände nur dann zu einer Strafbarkeit führen können, wenn ihm konkret nachgewiesen werden kann, dass er nicht nur Kenntnis von den Vernichtungsvorgängen im Konzentrationslager hatte und diese unterstützte, sondern dass ihm auch die – angenommene -heimtückische und grausame Tötung der Opfer durch die Haupttäter bekannt war. Dazu reicht es nicht aus, die objektive Förderung der Haupttaten und die subjektive Kenntnis des Gewichts des eigenen Tatbeitrags hierzu festzustellen. Vielmehr muss dem Angeschuldigten die Kenntnis der Umstände, die die Mordmerkmale der Heimtücke und Grausamkeit begründen, nachgewiesen werden. Dies kann nur durch eine umfangreiche Beweisaufnahme mit derzeit offenem Ausgang erfolgen.

b) Tatbegriff:

Die Schwurgerichtskammer hält trotz der unverrückbaren Überzeugung, dass in Auschwitz (und während der Zeit des Nationalsozialismus im Rahmen des Holocaust auch anderswo) unfassbare Gräueltaten geschehen sind, an dem Erfordernis des Nachweises der individuellen Tatschuld jedes Einzelnen an konkretisierten Taten fest. Sie befindet sich dabei auf dem Boden der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, die ganz allgemein Gültigkeit beansprucht. Ein „Sonderweg“ bei NS-Verbrechen wird damit nicht beschritten. Bei verständiger Würdigung des Urteils des Landgerichts München II in der Sache „Demjanjuk“ wurden auch dort diese Grundsätze nicht verlassen.

c) Beweismittel:

Zum Nachweis der individuellen Tatschuld kann nicht auf unmittelbare Beweismittel zurückgegriffen werden. Vielmehr stehen im Wesentlichen nur indirekte Beweismittel in Form von Urkunden und Protokollen früherer Zeugenaussagen sowie allgemeine historische Erkenntnisse zur Verfügung. Auf Erkenntnisse, die in früheren Urteilen zu den Taten in Auschwitz zugrunde gelegt wurden, kann nicht ohne eigene Sachprüfung zurückgegriffen werden. Diese dienen zwar als Hinweise zum Erfordernis zu treffender Feststellungen. Vor allem aber die Beweise zur subjektiven Tatseite, also der Kenntnis des Angeschuldigten von den genauen Umständen der Vernichtungsvorgänge, müssen im vorliegenden Verfahren neu erhoben werden.

d) Verfassungsrechtliche Anforderungen:

Vor dem Hintergrund des Gewichts der Tatvorwürfe und des erforderlichen Umfangs einer Beweisaufnahme kommt der eingeschränkten psychischen Leistungsfähigkeit des Angeschuldigten eine besondere Bedeutung zu. Das im Grundgesetz verankerte Schuldprinzip und der Grundsatz des fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens, die Unschuldsvermutung und die Neutralitätspflicht des Gerichts verlangen, wenn der Angeschuldigte nicht zum bloßen Objekt eines staatlichen Verfahrens herabgewürdigt werden soll, die Berücksichtigung seiner besonderen persönlichen Situation. Bereits angesichts des bloßen Alters des Angeschuldigten von jetzt 94 Jahren, verstärkt durch die konkret erhobenen allgemein medizinischen und insbesondere psychiatrischen Erkenntnisse, ist in absehbarer Zeit eine weitere beträchtliche Minderung der Leistungsfähigkeit zu erwarten. Dies macht die Möglichkeit einer Aufklärung des Tatgeschehens mit Beteiligung des Angeschuldigten als Subjekt des Strafverfahrens schon für sich hochgradig unwahrscheinlich. Auch bei der Aufdeckung und Ahndung von NS-Verbrechen und der damit einhergehenden Verpflichtung des Staates, diesen Anspruch wirksam durchzusetzen, müssen die Individualrechtsgüter eines Angeschuldigten geachtet werden. Es wäre rechtsstaatlich nicht zu verantworten, sich darüber hinwegzusetzen, nur um die Strafverfolgung ihrer selbst willen durchzuführen. Das Wertesystem des Grundgesetzes erlaubt dies nicht.

e) Hinreichender Tatverdacht:

Dabei braucht im Rahmen der Beschlussfassung über die Eröffnung des Hauptverfahrens nicht entschieden werden, ob nach Aktenlage bei den gegebenen Beweismöglichkeiten im Übrigen ein hinreichender Tatverdacht nach § 203 StPO im Sinne einer Wahrscheinlichkeit einer späteren Verurteilung bestünde.

Soweit nachfolgend dennoch eine Auseinandersetzung mit den tatsächlichen und rechtlichen Fragen der Anklage vorzunehmen ist, erfolgt dies zur Darstellung der besonderen Schwierigkeiten des Verhandlungsgegenstandes, aber auch im Hinblick auf die Frage der Haftentschädigung des Angeschuldigten und die Entscheidung über die Kosten des Verfahren….

M.E. lesenswert.

Bemerkenswert

Ich habe ja schon öfters – ebenso wie andere Blogs – über die Frage der Akteneinsicht im Bußgeldverfahren berichtet. Dabei geht es meist um die Bedienungsanleitung.

Bisher war mir zu der Frage nur amtsgerichtliche Rechtsprchung bekannt, was damit zu tun hat, dass die entsprechenden Verfahren gar nicht bis zum LG kommen. Wenn keine Akteneinsicht gewährt wird, muss ein Antrag nach § 62 OWiG gestellt werden und gegen die auf ihn ergehende Entscheidung gibt es kein Rechtsmittel.

Nun habe ich aber eine Entscheidung eines LG gefunden. Ein Kollege hatte mir eine von ihm erstrittene Entscheidung des AG Ellwangen zugesandt. In der wird vollständige Akteneinsicht gewährt unter Bezug auf eine Entscheidung des LG Ellwangen. Diesen Beschl. v. 14.09.2009 – 1 Qs 166/09 habe ich mir besorgt. Das LG räumt darin dem Verteidiger bermerkenswert klar vollständige Akteneinsicht ein. Ohne Schnörkel und ohne urheberrechtliche Probleme. Schöne Entscheidung. Und: Endlich mal eine von einem LG. Hat hoffentlich in dem Kampf um die Bedienungsanleitung mehr Gewicht.

Die Leitsätze:

  1. Das Einsichtsrecht des Verteidigers in die Bedienungsanleitung eines Geschwindigkeitsmessgerätes ergibt sich bereits aus seinem Recht, den Polizeibeamten, der die Messung vorgenommen hat, als Zeugen zu der ordnungsgemäßen Durchführung der Messung zu befragen, was ohne Kenntnis der Bedienungsanleitung des Gerätes nicht möglich ist.
  2. Kann dem Verteidiger wegen der weiten Entfernung zwischen seinem Kanzleisitz und dem Ort der Aufbewahrung der Akten eine Reise an den Aufbewahrungsort nicht zugemutet werden, ist Akteneinsicht im Wege der Übersendung einer Kopie der Bedienungsanleitung zu gewähren. Urheberrechtliche Bestimmungen stehen dem nicht entgegen.“