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LG Neubrandenburg: Verfahren gegen ehemaligen KZ-Sanitäter endgültig eingestellt/erledigt

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Ich hatte vor einiger Zeit über den OLG Rostock, Beschl. v. 28.02.2017 – 20 Ws 69/17 – und den LG Neubrandenburg, Beschl. v. 23.06.2017 – 60 Ks 1/15 – berichtet (vgl. hier Bindungswirkung von OLG Entscheidungen, oder: Wenn eine ganze Kammer rausfliegt). Beide Beschlüsse sind ergangen in dem am LG Neubrandenburg anhängigen Verfahren gegen den ehemaligen SS-Sanitäter Hubert Zafke.

Zu diesem Verfahren ist nun nachzutragen, dass nach einer Pressemitteilung des LG Neubrandenburg v. 12.09.2017 – (Nr. 8/2017) das Verfahren gem. § 206a StPO eingestellt worden ist. In der PM heißt es dazu:

„Das LG Neubrandenburg hat das Verfahren gegen den ehemaligen SS-Sanitäter Hubert Z. eingestellt, da der mittlerweile 96-jährige Angeklagte nicht mehr verhandlungsfähig ist.

Diese Entscheidung entspricht dem übereinstimmenden Antrag der Staatsanwaltschaft, der Verteidigung und auch der Nebenklage auf Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses nach § 206a StGB.

Durch Gutachter zweier Psychiater – eines Gerontopsychiaters, der sich mit älteren Menschen und deren psychischen Erkrankungen befasse, und eines forensischen Psychiaters, der auf psychiatrische Gutachten u.a. im Umfeld der Strafgerichtsbarkeit spezialisiert sei – sei belegt, dass Hubert Z., der am 26.09.1920 geboren sei, nicht mehr ausreichend imstande sei, Themenwechseln zu folgen und Informationen länger als wenige Minuten zu behalten. Aufgrund seiner Demenzerkrankung könne er der Hauptverhandlung nicht mehr folgen, erkenne die Bedeutung des Verfahrens und einzelner Verfahrensabschnitte nicht und könne sich nicht sachgerecht verteidigen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten – also im Wesentlichen seine Anwaltskosten – trägt die Staatskasse.“

Dieses Ergebnis hat sich m.E. abgezeichnet, nachdem das Verfahren – vorsichtig ausgedrückt – sehr zögerlich behandelt – „verhandelt kann man kaum sagen – worden ist. Zum Verfahrensablauf und den Hintergründen dann hier bei LTO: NS-Prozess gegen Hubert Zafke Ausch­witz-Ver­fahren ein­ge­s­tellt.  Ich bin gespannt, ob man noch mal etwas von Verfahren gegen die Kammermitgleider hört.

Ist ein 94-Jähriger noch verhandlungsfähig?

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Ein heikles oder auch sensibles Thema behandelt der LG Ellwangen, Beschl. v. 27.02.2014 – 1 Ks 9 Js 94162/12. Es geht in einem Verfahren gegen einen (ehenaligen) Angehörigen des SS-Totenkopf-Sturmbanns, der als Wachmann im Konzentrationslager Auschwitz eingesetzt gewesen sein und während des Eintreffens von Gefangenentransportzügen von Dezember 1942 bis Juni 1943 zumindest Bereitschaftsdienst geleistet haben soll, um die Frage der Verhandlungsfähigkeit. Der Beschuldigte ist inzwischen 94 Jahre alt, so dass sich m.E. mit Recht diese Frage stellt. Sie ist in meinen Augen unabhängig von den Vorwürfen, die Gegenstand des Verfahrens sind. Das hat nichts mit „einmal muss Schluss sein zu tun“, sondern hat mit Grundrechtsschutz (Art. 1, 2 GG) zu tun. das mag nicht jedem gefallen, ist aber im GG nun mal so festgelegt. Und so hat es m.E. das LG in seinem Beschluss auch gesehen, wenn es formuliert:

„2. Verhandlungsunfähigkeit:

Der heute 94 Jahre alte Angeschuldigte kann sich wegen seiner vor allem altersbedingten kognitiven Schwächen und unzureichenden psychomentalen Leistungsfähigkeit nicht ausreichend mit den gegen ihn erhobenen Tatvorwürfen der zwölffachen Beihilfe zum Mord auseinandersetzen und ist deshalb verhandlungsunfähig. Das Fehlen der erforderlichen Verhandlungsfähigkeit, insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen einer Hauptverhandlung, ergibt sich aus einer Beurteilung der psychischen Verfassung des Angeschuldigten auf der Grundlage sachverständiger Beratung und eigener Feststellungen der Schwurgerichtskammer. Dabei sind die erhöhten Anforderungen an die Leistungsfähigkeit des Angeschuldigten zu berücksichtigen, die aus den Schwierigkeiten des Verhandlungsgegenstandes folgen.

a) Rechtliche Würdigung der Tatvorwürfe:

Die besondere Problematik liegt insbesondere darin, dass sich der Angeschuldigte gegen Vorwürfe zur Wehr setzen muss, die nunmehr mehr als 70 Jahre zurückliegen und die wegen Verjährung aller anderen in Betracht kommenden Straftatbestände nur dann zu einer Strafbarkeit führen können, wenn ihm konkret nachgewiesen werden kann, dass er nicht nur Kenntnis von den Vernichtungsvorgängen im Konzentrationslager hatte und diese unterstützte, sondern dass ihm auch die – angenommene -heimtückische und grausame Tötung der Opfer durch die Haupttäter bekannt war. Dazu reicht es nicht aus, die objektive Förderung der Haupttaten und die subjektive Kenntnis des Gewichts des eigenen Tatbeitrags hierzu festzustellen. Vielmehr muss dem Angeschuldigten die Kenntnis der Umstände, die die Mordmerkmale der Heimtücke und Grausamkeit begründen, nachgewiesen werden. Dies kann nur durch eine umfangreiche Beweisaufnahme mit derzeit offenem Ausgang erfolgen.

b) Tatbegriff:

Die Schwurgerichtskammer hält trotz der unverrückbaren Überzeugung, dass in Auschwitz (und während der Zeit des Nationalsozialismus im Rahmen des Holocaust auch anderswo) unfassbare Gräueltaten geschehen sind, an dem Erfordernis des Nachweises der individuellen Tatschuld jedes Einzelnen an konkretisierten Taten fest. Sie befindet sich dabei auf dem Boden der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, die ganz allgemein Gültigkeit beansprucht. Ein „Sonderweg“ bei NS-Verbrechen wird damit nicht beschritten. Bei verständiger Würdigung des Urteils des Landgerichts München II in der Sache „Demjanjuk“ wurden auch dort diese Grundsätze nicht verlassen.

c) Beweismittel:

Zum Nachweis der individuellen Tatschuld kann nicht auf unmittelbare Beweismittel zurückgegriffen werden. Vielmehr stehen im Wesentlichen nur indirekte Beweismittel in Form von Urkunden und Protokollen früherer Zeugenaussagen sowie allgemeine historische Erkenntnisse zur Verfügung. Auf Erkenntnisse, die in früheren Urteilen zu den Taten in Auschwitz zugrunde gelegt wurden, kann nicht ohne eigene Sachprüfung zurückgegriffen werden. Diese dienen zwar als Hinweise zum Erfordernis zu treffender Feststellungen. Vor allem aber die Beweise zur subjektiven Tatseite, also der Kenntnis des Angeschuldigten von den genauen Umständen der Vernichtungsvorgänge, müssen im vorliegenden Verfahren neu erhoben werden.

d) Verfassungsrechtliche Anforderungen:

Vor dem Hintergrund des Gewichts der Tatvorwürfe und des erforderlichen Umfangs einer Beweisaufnahme kommt der eingeschränkten psychischen Leistungsfähigkeit des Angeschuldigten eine besondere Bedeutung zu. Das im Grundgesetz verankerte Schuldprinzip und der Grundsatz des fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens, die Unschuldsvermutung und die Neutralitätspflicht des Gerichts verlangen, wenn der Angeschuldigte nicht zum bloßen Objekt eines staatlichen Verfahrens herabgewürdigt werden soll, die Berücksichtigung seiner besonderen persönlichen Situation. Bereits angesichts des bloßen Alters des Angeschuldigten von jetzt 94 Jahren, verstärkt durch die konkret erhobenen allgemein medizinischen und insbesondere psychiatrischen Erkenntnisse, ist in absehbarer Zeit eine weitere beträchtliche Minderung der Leistungsfähigkeit zu erwarten. Dies macht die Möglichkeit einer Aufklärung des Tatgeschehens mit Beteiligung des Angeschuldigten als Subjekt des Strafverfahrens schon für sich hochgradig unwahrscheinlich. Auch bei der Aufdeckung und Ahndung von NS-Verbrechen und der damit einhergehenden Verpflichtung des Staates, diesen Anspruch wirksam durchzusetzen, müssen die Individualrechtsgüter eines Angeschuldigten geachtet werden. Es wäre rechtsstaatlich nicht zu verantworten, sich darüber hinwegzusetzen, nur um die Strafverfolgung ihrer selbst willen durchzuführen. Das Wertesystem des Grundgesetzes erlaubt dies nicht.

e) Hinreichender Tatverdacht:

Dabei braucht im Rahmen der Beschlussfassung über die Eröffnung des Hauptverfahrens nicht entschieden werden, ob nach Aktenlage bei den gegebenen Beweismöglichkeiten im Übrigen ein hinreichender Tatverdacht nach § 203 StPO im Sinne einer Wahrscheinlichkeit einer späteren Verurteilung bestünde.

Soweit nachfolgend dennoch eine Auseinandersetzung mit den tatsächlichen und rechtlichen Fragen der Anklage vorzunehmen ist, erfolgt dies zur Darstellung der besonderen Schwierigkeiten des Verhandlungsgegenstandes, aber auch im Hinblick auf die Frage der Haftentschädigung des Angeschuldigten und die Entscheidung über die Kosten des Verfahren….

M.E. lesenswert.