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Ein Kollege hat mich neulich angeschrieben und um Rat in folgender Fallkonstellation gebeten:
„Der Richter hat das Urteil schon während meines Schlussvortrags und während des letzten Wortes des Angeklagten niedergeschrieben und 1 Sekunde nach Schluss des letzten Wortes noch im Aufstehen gesprochen.
Habe den Richter unterbrochen. Fand er nicht gut.
Habe dann eine Unterbrechung für einen „unaufschiebbaren“ Antrag“ beantragt. Der ist per Gerichtsbeschluss abgelehnt worden. Nach der Urteilsbegründung sollte ich den Antrag dann per Post schicken.
Ich habe den Antrag dann noch verlesen und zu Protokoll gegeben.
Nun bekomme ich die Akte und die dienstliche Erklärung des Richters. Dieser bestätigt in der dienstlichen Erklärung, dass er tatsächlich während des letzten Worts das Urteil geschrieben hat.
Wörtlich führt er aus:
„Nach den Plädoyers … hatte der Angeklagte das letzte Wort. Er machte umfangreiche Ausführungen und wiederholte im Wesentlichen seine vorherige Einlassung. Gegen Ende dieser Ausführungen hatte ich in der Tat das von mir verwendete Formular des Urteilstenors ausgefüllt. Ich habe dort eingetragen die Deliktsbezeichnung und Anzahl und Höhe der Tagessätze. Unmittelbar danach war der Angeklagte mit seinem letzten Wort zu Ende gekommen, so dass ich im Anschluss daran die Urteilsformel verlesen habe.“
Haben Sie eine Idee, ob man da noch was machen kann? § 25 Abs. 2 Satz 3 ist ernüchternd. Aber so kann es doch nicht gehen. Dann können wir uns Plädoyers und letztes Wort schenken.“
Nun, dass so verfahren wird, das habe ich schon häufiger gehört. In der Situation ist § 25 Abs. 2 Satz 3 StPO in der Tat „ernüchternd“, allerdings nach dem Wortlaut für die Zeit nach dem letzten Wort des Angeklagten: Dann ist ein Ablehnungsantrag nicht mehr zulässig. Bis dahin und während des letzten Wortes – und auch des Plädoyers des Verteidigers – m.E. aber nicht. Denn das ist nicht „nach“. Also wird dem Verteidiger in der Situation nichts anderes übrig bleiben, als sein Plädoyer zu unterbrechen und um Unterbrechung der Hauptverhandlung zu bitten, um sich mit dem Mandaten über einen unaufschiebbaren Antrag zu beraten. Und das ebenso, wenn er sieht, dass der Vorsitzende schon während des letzten Wortes das „Urteil schreibt“.
Und über den Antrag muss m.E. auch sofort entschieden werden. § 29 Abs. 2 StPO dürfte hier wohl nicht gelten.
Aber Vorsicht: Der BGH hat es in der Vergangenheit – ist schon ganz lange her – anders gesehen. Er hat im BGH, Beschl. v. 22.11.1957 – 5 StR 477/57 ausgeführt, dass ein Amtsrichter, der die Urteilsformel während der Schlußvorträge der Beteiligten niederschreibt, hierdurch nicht das Gesetz verletzt (BGHSt 11, 74):
Zugegeben werden muß allerdings, daß das Niederschreiben der Urteilsformel während der Schlußvorträge bei den Prozeßbeteiligten, die wissen, was der Richter schreibt, den Eindruck erwecken kann, der Richter habe sich bereits endgültig entschieden und sei daher nicht bereit, die weiteren Schlußvorträge in sich aufzunehmen und sie bei der Urteilsfindung zu berücksichtigen. Dies allein kann aber im Gegensatz zur Auffassung des OLG Köln (NJW 55, NJW Jahr 1955 Seite 1291) und des OLG Hamm (DAR 56, DAR Jahr 1956 Seite 254) zur Fussnote 1 die Annahme eines Verfahrensverstoßes nicht rechtfertigen.
Das vorzeitige Niederschreiben der Urteilsformel durch den Amtsrichter braucht keineswegs immer den Eindruck zu erwecken, daß es dem Richter an der inneren Bereitschaft fehle, die weiteren Schlußvorträge in sich aufzunehmen und sie bei der – endgültigen – Urteilsfindung zu beachten. Es sind sehr wohl Fälle denkbar, in denen das nachfolgende Verhalten des Richters die Beteiligten klar erkennen läßt, daß er den weiteren Verhandlungsvorgängen folgt und sie in seine Erwägungen einbezieht (er unterbricht z.B. die Ausführungen des Verteidigers zu einer Zeugenaussage mit dem Bemerken, daß er die Aussage anders begreife, und erörtert dies mit dem Verteidiger in einer Weise, die zeigt, daß er durchaus bereit ist, sich durch etwaige Argumente des Verteidigers von dem Gegenteil seiner bisherigen Meinung überzeugen zu lassen).
M.E. eiert der BGH ein wenig herum und seine Ausführungen sind auch nicht zwingend, wenn er ausführt:
„Der Einzelrichter berät nur mit sich selbst. Bei ihm ist im Gegensatz zum Kollegialgericht die Beratung ein Vorgang, der sich im Innern eines einzelnen Menschen abspielt. Er bedeutet im Gegensatz zur Beratung des Kollegialgerichts, daß der Richter nicht mit anderen berät, sondern bei sich überlegt, wie zu entscheiden ist. Mit vorbereitenden Überlegungen hierzu beginnt ein Richter in aller Regel nicht erst nach dem Schlußwort des Angekl., sondern schon vorher. Die Beratung des Einzelrichters ist im Grunde genommen nur eine unmittelbare Fortsetzung dieser Überlegungen. Sie endet in dem Augenblick, in dem der Richter seine Überlegungen abschließt, d.h. sich endgültig entscheidet. Hierzu kann es nach dem Schlußwort des Angekl. längerer Überlegungen bedürfen. Es gibt aber auch Fälle, die so klar liegen, daß Sekunden genügen. Die so geartete Beratung des Einzelrichters kann zwar äußerlich in die Erscheinung treten, braucht dies aber nicht unbedingt zu tun. Es gibt weder ein Gesetz noch einen Rechtsgrundsatz des Inhalts, daß der Einzelrichter nach dem Schlußwort des Angekl. Vorkehrungen treffen muß, die äußerlich erkennbar machen, daß er noch überlegt.“
Ok, aber: Endgültige Entscheidung dann doch bitte erst nach dem Plädoyer des Verteidigers und dem letzten Wort. Oder?