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Das nicht gewährte letzte Wort – Revision meist erfolgreich

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Revisionen, bei denen die Verfahrensrüge damit begründet wird, dass dem Angeklagten nicht das letzte Wort gewährt worden ist (§ 258 StPO), haben i.d.R. Erfolg, und zwar zumindest wegen der Strafzumessung. Das zeigt sich mal wieder beim BGH, Beschl. v.17.07.2012 – 5 StR 253/12, der einen der in der Praxis nicht seltenen Fälle behandelt, in denen das letzte Wort gewährt war, dann aber noch einmal zur Sache verhandelt wird. Dann ist dem Angeklagten noch einmal das letzte Wort zu gewähren. Das wird häufig übersehen, was dann erfolgreich mit der Revision gerügt werden kann:

„Nach dem erwiesenen Revisionsvorbringen (vgl. auch die Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft) hatte der Angeklagte zwar das letzte Wort; nach einer Verhandlungsunterbrechung wurde aber, wie das Hauptverhandlungsprotokoll ausweist, die „Sach- und Rechtslage“ mit den Verfahrensbeteiligten erörtert, ohne dass dem Angeklagten danach abermals das letzte Wort gewährt worden wäre. Damit steht fest, dass das Gericht erneut zur Sache verhandelt hat (vgl. auch BGH, Beschluss vom 4. Februar 2010 – 1 StR 3/10, NStZ-RR 2010, 152).

Auf dem dargelegten Verfahrensfehler kann jedoch der Schuldspruch nicht beruhen. Der Senat kann angesichts der Aussage des Angeklagten in seinem „letzten Wort“, dass er sich von den Taten distanziere und diese bereue, in Verbindung mit der ansonsten gegebenen klaren Beweislage aus-schließen, dass der Angeklagte in einem – erneuten – letzten Wort etwas insofern Erhebliches hätte bekunden können.

Dagegen kann der Ausspruch über die Einzelstrafen und die Gesamt-strafe auf dem Verfahrensfehler beruhen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte, wäre ihm das letzte Wort erneut erteilt worden, Ausführungen gemacht hätte, die die Strafzumessung zu seinen Gunsten beeinflusst hätten.“

Kann man sich im Strafverfahren Plädoyer und letztes Wort schenken?

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Ein Kollege hat mich neulich angeschrieben und um Rat in folgender Fallkonstellation gebeten:

„Der Richter hat das Urteil schon während meines Schlussvortrags und während des letzten Wortes des Angeklagten niedergeschrieben und 1 Sekunde nach Schluss des letzten Wortes noch im Aufstehen gesprochen.
Habe den Richter unterbrochen. Fand er nicht gut.
Habe dann eine Unterbrechung für einen „unaufschiebbaren“ Antrag“ beantragt. Der ist per Gerichtsbeschluss abgelehnt worden. Nach der Urteilsbegründung sollte ich den Antrag dann per Post schicken.
Ich habe den Antrag dann noch verlesen und zu Protokoll gegeben.
Nun bekomme ich die Akte und die dienstliche Erklärung des Richters. Dieser bestätigt in der dienstlichen Erklärung, dass er tatsächlich während des letzten Worts das Urteil geschrieben hat.
Wörtlich führt er aus:

„Nach den Plädoyers … hatte der Angeklagte das letzte Wort. Er machte umfangreiche Ausführungen und wiederholte im Wesentlichen seine vorherige Einlassung. Gegen Ende dieser Ausführungen hatte ich in der Tat das von mir verwendete Formular des Urteilstenors ausgefüllt. Ich habe dort eingetragen die Deliktsbezeichnung und Anzahl und Höhe der Tagessätze. Unmittelbar danach war der Angeklagte mit seinem letzten Wort zu Ende gekommen, so dass ich im Anschluss daran die Urteilsformel verlesen habe.“

Haben Sie eine Idee, ob man da noch was machen kann? § 25 Abs. 2 Satz 3 ist ernüchternd. Aber so kann es doch nicht gehen. Dann können wir uns Plädoyers und letztes Wort schenken.“

Nun, dass so verfahren wird, das habe ich schon häufiger gehört. In der Situation ist § 25 Abs. 2 Satz 3 StPO in der Tat „ernüchternd“, allerdings nach dem Wortlaut für die Zeit nach dem letzten Wort des Angeklagten: Dann ist ein Ablehnungsantrag nicht mehr zulässig. Bis dahin und während des letzten Wortes – und auch des Plädoyers des Verteidigers – m.E. aber nicht. Denn das ist nicht „nach“. Also wird dem Verteidiger in der Situation nichts anderes übrig bleiben, als sein Plädoyer zu unterbrechen und um Unterbrechung der Hauptverhandlung zu bitten, um sich mit dem Mandaten über einen unaufschiebbaren Antrag zu beraten. Und das ebenso, wenn er sieht, dass der Vorsitzende schon während des letzten Wortes das „Urteil schreibt“.

Und über den Antrag muss m.E. auch sofort entschieden werden. § 29 Abs. 2 StPO dürfte hier wohl nicht gelten.

Aber Vorsicht: Der BGH hat es in der Vergangenheit – ist schon ganz lange her – anders gesehen. Er hat im BGH, Beschl. v. 22.11.1957 – 5 StR 477/57 ausgeführt, dass ein Amtsrichter, der die Urteilsformel während der Schlußvorträge der Beteiligten niederschreibt, hierdurch nicht das Gesetz verletzt (BGHSt 11, 74):

Zugegeben werden muß allerdings, daß das Niederschreiben der Urteilsformel während der Schlußvorträge bei den Prozeßbeteiligten, die wissen, was der Richter schreibt, den Eindruck erwecken kann, der Richter habe sich bereits endgültig entschieden und sei daher nicht bereit, die weiteren Schlußvorträge in sich aufzunehmen und sie bei der Urteilsfindung zu berücksichtigen. Dies allein kann aber im Gegensatz zur Auffassung des OLG Köln (NJW 55, NJW Jahr 1955 Seite 1291) und des OLG Hamm (DAR 56, DAR Jahr 1956 Seite 254) zur Fussnote 1 die Annahme eines Verfahrensverstoßes nicht rechtfertigen.

Das vorzeitige Niederschreiben der Urteilsformel durch den Amtsrichter braucht keineswegs immer den Eindruck zu erwecken, daß es dem Richter an der inneren Bereitschaft fehle, die weiteren Schlußvorträge in sich aufzunehmen und sie bei der – endgültigen – Urteilsfindung zu beachten. Es sind sehr wohl Fälle denkbar, in denen das nachfolgende Verhalten des Richters die Beteiligten klar erkennen läßt, daß er den weiteren Verhandlungsvorgängen folgt und sie in seine Erwägungen einbezieht (er unterbricht z.B. die Ausführungen des Verteidigers zu einer Zeugenaussage mit dem Bemerken, daß er die Aussage anders begreife, und erörtert dies mit dem Verteidiger in einer Weise, die zeigt, daß er durchaus bereit ist, sich durch etwaige Argumente des Verteidigers von dem Gegenteil seiner bisherigen Meinung überzeugen zu lassen).

M.E. eiert der BGH ein wenig herum und seine Ausführungen sind auch nicht zwingend, wenn er ausführt:

„Der Einzelrichter berät nur mit sich selbst. Bei ihm ist im Gegensatz zum Kollegialgericht die Beratung ein Vorgang, der sich im Innern eines einzelnen Menschen abspielt. Er bedeutet im Gegensatz zur Beratung des Kollegialgerichts, daß der Richter nicht mit anderen berät, sondern bei sich überlegt, wie zu entscheiden ist. Mit vorbereitenden Überlegungen hierzu beginnt ein Richter in aller Regel nicht erst nach dem Schlußwort des Angekl., sondern schon vorher. Die Beratung des Einzelrichters ist im Grunde genommen nur eine unmittelbare Fortsetzung dieser Überlegungen. Sie endet in dem Augenblick, in dem der Richter seine Überlegungen abschließt, d.h. sich endgültig entscheidet. Hierzu kann es nach dem Schlußwort des Angekl. längerer Überlegungen bedürfen. Es gibt aber auch Fälle, die so klar liegen, daß Sekunden genügen. Die so geartete Beratung des Einzelrichters kann zwar äußerlich in die Erscheinung treten, braucht dies aber nicht unbedingt zu tun. Es gibt weder ein Gesetz noch einen Rechtsgrundsatz des Inhalts, daß der Einzelrichter nach dem Schlußwort des Angekl. Vorkehrungen treffen muß, die äußerlich erkennbar machen, daß er noch überlegt.“

Ok, aber: Endgültige Entscheidung dann doch bitte erst nach dem Plädoyer des Verteidigers und dem letzten Wort. Oder?

 

Mal wieder Verfahrensrüge: Begründung/Beruhen beim letzten Wort

Ich hatte bereits mehrfach wegen der vom BGH behandelten Verfahrensrügen auf den BGH, Beschl.v. 12.01.2011 – 1 StR 373/11 hingewiesen (vgl. hier und hier). Ein weiterer Teil des Beschlusses befasst sich mit § 258 Abs. 1 StPO – an sich in der Praxis sonst häufig ein „Selbstläufer“:

„3. Rüge eines Verstoßes gegen § 258 Abs. 1 StPO (RB Ziffer V)

a) Die Rüge, der Wahlverteidigerin sei keine Gelegenheit gegeben worden, einen Schlussvortrag zu halten (§ 258 Abs. 1 StPO), greift nicht durch.

Wie die Revision selbst vorträgt, war die Wahlverteidigerin, Rechtsanwältin R. , an dem Hauptverhandlungstag, für den die Plädoyers der Vertei-digung geplant waren, erkrankt. Damit scheidet ein Verstoß gegen § 258 Abs. 1 StPO aus; denn einem in der Hauptverhandlung nicht anwesenden Verteidiger kann keine Gelegenheit zum Schlussvortrag gegeben werden (vgl. auch BayObLG – Urteil vom 20. März 1981 – RReg. 1 St 13/81, VRS 61, 128; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 258 Rn. 12).

b) Die Verfahrensbeanstandung bleibt auch dann ohne Erfolg, wenn mit ihr zugleich ein Verstoß gegen § 338 Nr. 8 StPO geltend gemacht werden sollte, der darin liegen soll, dass der im Hinblick auf die Erkrankung der Wahlverteidigerin gestellte Antrag der Pflichtverteidigerin auf Unterbrechung der Hauptverhandlung durch Gerichtsbeschluss zurückgewiesen wurde.

aa) Die Rüge wäre mit dieser Angriffsrichtung bereits unzulässig, weil sie dann den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht entspräche.

Es fehlen jegliche Angaben zu Art, Umfang und tatsächlicher Dauer der Erkrankung der Wahlverteidigerin sowie dazu, ob innerhalb der Unterbrechungsfrist des § 229 Abs. 1 StPO eine Fortsetzung der Hauptverhandlung noch möglich gewesen wäre. Auch wird nicht mitgeteilt, aus welchem Grund der weitere Wahlverteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt Dr. E. , nicht an der Stelle der erkrankten Wahlverteidigerin R. an der Hauptverhandlung hätte teilnehmen und einen Schlussvortrag halten können.

bb) Die Rüge wäre jedenfalls unbegründet, denn der Beschluss der Strafkammer, die Hauptverhandlung trotz der Erkrankung der Wahlverteidigerin nicht zu unterbrechen, hält rechtlicher Nachprüfung stand. Ein Zuwarten mit dem Abschluss der Hauptverhandlung, bis eine Sitzung mit der Wahlverteidigerin hätte durchgeführt werden können, war nicht geboten.

Der Angeklagte war durch die anwesende Pflichtverteidigerin, die auch einen Schlussvortrag gehalten hat, ordnungsgemäß verteidigt. Die Pflichtverteidigerin hatte, von wenigen Ausnahmen abgesehen, den Angeklagten an sämtlichen Hauptverhandlungstagen verteidigt, was für die Wahlverteidigerin gerade nicht zutrifft, denn sie war bereits vorher an mehr als der Hälfte der Hauptverhandlungstage nicht anwesend gewesen. Entgegen der Auffassung der Revision lässt sich weder aus der Länge des von der Pflichtverteidigerin gehaltenen Schlussvortrags noch aus dem von ihr gestellten Unterbrechungsantrag schließen, die Pflichtverteidigerin sei zu einem ordnungsgemäßen Schlussvortrag nicht in der Lage gewesen. Auch werden keine Gründe vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich, die einer Wahrnehmung dieses Sitzungstages und einem Schlussvortrag durch den weiteren Wahlverteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt Dr. E. , entgegengestanden hätten. Dieser Verteidiger genoss, wie dem Revisionsvortrag zu entnehmen ist, ebenfalls das umfassende Vertrauen des Angeklagten.

Auch sonst lässt die vom Landgericht vorgenommene Abwägung zwi-schen dem Interesse des Angeklagten an einem Zuwarten und dem Beschleunigungsgrundsatz (vgl. Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) bei der Ablehnung einer  Unterbrechung der Hauptverhandlung bis zur Genesung der Wahlverteidigerin Rechtsfehler nicht erkennen. Das Landgericht weist in dem Ablehnungsbeschluss ausdrücklich darauf hin, dass es bereits die Unterbrechung bis zu dem Tag, an dem die Wahlverteidigerin wegen einer Erkrankung nicht teilnehmen konnte, mit Rücksicht auf deren Verhinderung am vorherigen Verhandlungstag vorgenommen hatte. Ein weiteres Zuwarten war dem Landgericht angesichts der ordnungsgemäßen Verteidigung durch die Pflichtverteidigerin auch schon deshalb nicht zumutbar, weil nicht absehbar war, wann ein neuer Hauptverhandlungstag mit der Wahlverteidigerin durchführbar sein würde (vgl. auch BGH, Beschluss vom 9. November 2006 – 1 StR 474/06, wistra 2007, 228).“

Das letzte Wort – es muss wirklich das letzte sein

Häufig werden in der Hektik einer Hauptverhandlung Fehler beim letzten Wort gemacht (§ 258 StPO). Denn häufig wird, wenn der Angeklagte schon das letzte Wort hatte, übersehen, dass ihm das noch einmal zu gewähren ist, wenn danach noch „etwas in der Hauptverhandlung passiert“. So war es offensichtlich beim LG Karlsruhe. Da waren nach dem letzten Wort wohl noch Anträge auf Aufhebung des Haftbefehls gestellt worden. Das wurde in der Revision gerügt. Die Verfahrensrüge hatte aber keinen Erfolg. Dazu der BGH, Beschl. v.12.01.2012 – 1 StR 621/11:

„Selbst nach dem Vortrag des Beschwerdeführers und einer insoweit möglicherweise fehlerhaften Protokollierung ist die Rüge nach § 258 Abs. 2 StPO (hier: keine erneute Erteilung des „letzten Wortes“) unbegründet. Sollte ein Verstoß gegen „das letzte Wort“ vorgelegen haben, so kann der Senat jedenfalls ein Beruhen des Urteils darauf ausschließen, da der Antrag auf Aufhebung der Haftbefehle ohne weitere Begründung keinen neuen Sachvortrag enthielt, zu dem der Angeklagte sich hätte äußern können.“

Also: Kein Beruhen. Ist allerdings selten, dass der BGH diese Verfahrensfehler über die Beruhensfrage löst. Meist haben die Revisionen Erfolg, weil ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler nicht ausgeschlossen werden kann.

Das „letzte Wort“ muss das Letzte sein…..

Die mit dem „letzten Wort“ (§ 258 StPO) zusammenhängenden Fragen sind revisionsrechtlich immer interessant, vor allem, weil sie häufig zur Urteilsaufhebung führen. So vor allem auch, wenn nach dem letzten Wort des Angeklagten in der Hauptverhandlung nocht etwas geschieht, was für das Urteil Bedeutung haben kann. Denn dann wird häufig übersehen, dass dem Angeklagten dann noch einmal das letzte Wort gewährt werden muss. Ein schönes Beispiel ist die Fallgestaltung im BGH-Beschl. v. 26.102.201 – 5 StR 433/10. Dort istnach dem letzten Wort noch eine Haftentscheidungen ergangen, die einen Mitangeklagten betraf. Der BGh führt aus:

„Anderes gilt für den Inhalt des verkündeten Beschlusses betreffend den Angeklagten M. . Nicht anders als bei belastenden Haftentscheidungen (vgl. BGHR StPO § 258 Abs. 3 Wiedereintritt 8 m.w.N.; BGH StV 2001, 438) oder bekanntgegebenen Erwägungen des Gerichts, die eine Verurtei-lung voraussetzen oder nahelegen (vgl. BGHR StPO § 258 Abs. 3 Wieder-eintritt 3; BGH NStZ 1986, 470; BGH StV 1992, 551, 552), hat das Landgericht durch nicht sofortige Bescheidung des Antrags der Staatsanwaltschaft auf Haftbefehlsaufhebung im Gegensatz zum Mitangeklagten schlüssig das Fortbestehen eines dringenden Tatverdachts gegen diesen einen Freispruch erstrebenden Angeklagten zum Ausdruck gebracht. Der Angeklagte war durch die Haftentscheidung selbst zwar nicht unmittelbar betroffen (vgl. BGHR StPO § 258 Abs. 3 Wiedereintritt 8). Indes ließ sich dem Beschluss des Landgerichts für ihn entnehmen, dass das Gericht – bei offener Beweis-lage – das Geständnis des Mitangeklagten zu seinem Nachteil verwerten und ihn zu einer zu vollstreckenden Freiheitsstrafe verurteilen könnte, weshalb ihm unter diesen Aspekten die Gelegenheit zu geben war, hierzu abschließend nochmals Entlastendes vorzubringen. Eine solche Prozesslage erfor-dert nach § 258 StPO die Möglichkeit, dass sich ein Angeklagter vor der Ur-teilsverkündung zum Verfahrensgegenstand äußern können muss (vgl. BGH NStZ 1986, 470) „.