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Kollision falscher Linksabbieger/Überholer: 100 % beim Linksabbieger

© fabstyle - Fotolia.com

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Hat ein Linksabbieger sich nicht ordnungsgemäß zum Linksabbiegen eingeordnet, sondern befand er sich zu dem Zeitpunkt, als er zum Linksabbiegen ansetzte, noch am rechten Fahrbahnrand, so haftet er im Falle einer Kollision mit einem überholenden Fahrzeug allein. So hat das OLG Frankfurt im OLG Frankfurt, Urt v. 26.01.2016 – 7 U 189/13 – entschieden. Begründung:

„Der Klägerin steht gegenüber den Beklagten kein Schadensersatzanspruch zu. Die vom Landgericht vorgenommene Haftungsverteilung von 100 : 0 ist angesichts der feststehenden groben Fahrverstöße seitens der Klägerin sachgerecht. Allein die höhere Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs rechtfertigt keine andere Beurteilung; sie tritt vielmehr zurück.

Nach den Feststellungen des Landgerichts, an deren Richtigkeit und Vollständigkeit keine Zweifel bestehen, so dass der Senat hieran gebunden ist, hat die Klägerin gegen die ihr obliegenden erhöhten Sorgfaltsanforderungen gemäß § 9 StVO verstoßen. Die Klägerin hat sich entgegen § 9 Abs. 1 StVO nicht ordnungsgemäß zum Linksabbiegen eingeordnet. Das klägerische Fahrzeug befand sich vielmehr am rechten Fahrbahnrand, als es plötzlich zum Linksabbiegen ansetzte. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Beklagten zu 3) bereits zum Überholen angesetzt. Letzteres wäre ihm auch gefahrlos aufgrund der sich verbreiternden Fahrbahn möglich gewesen. Bei Beachtung der erforderlichen Rückschaupflicht hätte die Klägerin den Unfall durch Abbrechen des Abbiegevorgangs vermeiden können. Dass die Klägerin – zudem rechtzeitig – den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt hat, hat sie nicht beweisen können. Angesichts dessen hat das Landgericht auch zu recht einen eigenen haftungsbegründenden Sorgfaltsverstoß des Beklagten zu 3) verneint. Die Ausführungen in der Berufung rechtfertigen keine andere Beurteilung. Es lag keine unklare Verkehrslage im Sinne des § 5 StVO vor. Zwar hat die Klägerin nach den Feststellungen des Sachverständigen ihre Geschwindigkeit von ca. 35 km/h auf ca. 10 km/h kurz vor der Kollision herabgesetzt. Dies allein begründet jedoch für den Beklagten zu 3) nicht die Annahme einer unklaren Verkehrslage.

Eine unklare Verkehrslage liegt vor, wenn der Überholende nach den gegebenen Umständen mit einem ungefährlichen Überholvorgang nicht rechnen darf, d.h. wenn die Verkehrslage unübersichtlich ist. Bei einer Verlangsamung des Vorausfahrenden kommt es insoweit auf die konkrete Verkehrssituation und die Örtlichkeit an. Nur wenn diese geeignet sind, Zweifel über die beabsichtigte Fahrweise des Vorausfahrenden aufkommen zu lassen, kommt eine unklare Verkehrslage in Betracht (vgl. OLG München, Urteil vom 9.11.2012, Az.: 10 U 1860/12; KGR Berlin 2003, 169). Vorliegend fuhr die Klägerin jedoch am äußersten rechten Fahrbahnrand, an dem sich ausweislich der seitens des Sachverständigen gefertigten Lichtbilder Parkbuchten befanden. Des Weiteren verbreitert sich die Straße in jenem Bereich bereits dergestalt, dass – auch wenn noch nicht durch Markierung getrennt – bereits zwei Fahrspuren für den gleichgerichteten Verkehr zur Verfügung stehen. Wie der Sachverständige bei seiner Anhörung vor dem Landgericht ausgeführt hat, kann man ab ca. 20 Meter bezogen auf den roten PKW – so wie in der Skizze Blatt 16 seines Gutachtens eingezeichnet – gefahrlos den Einordnungsvorgang für den späteren Spurverlauf, der in eine Links- und eine Rechtsabbiegerspur mündet, vornehmen und auch gefahrlos in dieser Konstellation aneinander vorbeifahren. Dem entsprechend hatte sich der Beklagte zu 3) auch nach links eingeordnet. Damit, dass die Klägerin entgegen ihrer eindeutigen Einordnung zum rechten Fahrbahnrand plötzlich nach links abbiegen würde, musste er nicht rechnen. Die Klägerin kann sich insoweit nicht darauf berufen, der Beklagte zu 3) – der vermutet habe, die Klägerin suche rechts neben der Fahrbahn einen Parkplatz – habe zu keinem Zeitpunkt bekundet, dass diese nach rechts geblinkt habe. Abzustellen ist allein auf die objektiven Umstände, nicht auf das Gefühl des Überholwilligen.

Der Beklagte zu 3) ist auch nicht mit unangepasster, überhöhter Geschwindigkeit gefahren. Nach den Feststellungen des Sachverständigen betrug die Geschwindigkeit ca. 40 bis 45 km/h.“

Teurer Einkaufswagen, oder: Wer haftet wie bei einem Zusammenstoß?

entnommen openclipart.org

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Die „Einkaufswagen-Entscheidung“ des OLG Hamm – es handelt sich um das OLG Hamm, Urt. v. 18.08.2015 – 9 U 169/14 – hat ja auch schon andere Blogs beschäftigt. Ich will darüber auch berichten. Ist nämlich ganz interessant die Entscheidung. Wir haben es ja sonst häufig mit einem Einkaufswagen in Zusammenhang mit § 142 StGB zu tun (vgl. z.B. Der (weg)rollende Einkaufswagen II – Unfall i.S. des § 142 StGB oder Der (weg)rollende Einkaufswagen). Hier ging es aber mal um die zivilrechtliche Haftung.

Im Verfahren hatte ein Autofahrer aus Bielefeld Schadensersatz in Höhe von rund 5.400 € geltend gemacht. Er war mit seinem Pkw nachts mit einem herrenlosen Einkaufswagen kollidiert, der unvermittelt vor ihm auf die Straße gerollt war. Der 9. Zivilsenat des OLG Hamm hat dem Ladenbesitzer, dem der Einkaufswagen gehörte, 80 % der Unfallkosten auferlegt, weil der Einkaufswagen nicht richtig verschlossen war. 20 % seines Schadens muss der Autofahrer wegen der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs selbst tragen.

Das OLG meint zur Verkehrssicherungspflicht:

…Der Beklagte musste daher dafür Vorsorge treffen, dass die Einkaufswagen nach Geschäftsschluss sicher abgestellt waren. Dies gilt zum einen im Hinblick auf Schutzmaßnahmen gegen die unbefugte Benutzung durch Dritte, zum anderen aber auch mit Blick auf die Verhinderung eines Wegrollens dieser Einkaufswagen im Sinne einer Verselbstständigung. Dies gilt vorliegend um so mehr, als der Gehsteig vor dem Ladengeschäft, an den der Abstellplatz für die Einkaufswagen angrenzt, zur Fahrbahn hin ein Gefälle aufweist.

1.3  Die von dem Beklagten ergriffenen Sicherungsmaßnahmen genügen diesen Anforderungen nicht. Die auf dem Abstellplatz in drei nebeneinander gelegenen Reihen befindlichen Einkaufswagen wurden nach Ladenschluss von einer Mitarbeiterin mittels einer durch die Einkaufswagen geführten Kette gesichert, die um einen am Kopfende des Abstellplatzes vorhandenen Metallpfosten geschlungen wurde. Eine Sicherung der Kette mittels eines Vorhängeschlosses unterblieb, weil ein solches bereits seit längerer Zeit nicht mehr zur Verfügung stand. Diese Art der Sicherung war unzureichend, wie der Zustand, den die den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten vor Ort angetroffen haben, dokumentiert. Der Zeuge T hat ausgesagt, die Kette habe auf dem Boden vor dem jeweils letzten Einkaufswagen in jeder Reihe gelegen. Hierdurch war zwar weiterhin sichergestellt, dass ein Einkaufswagen aus dem Abstellplatz nicht auf den Gehsteig und die Fahrbahn rollen konnte, weil, wie das Landgericht bei dem Ortstermin festgestellt hat, die Kette einen solchen Durchmesser hatte, dass ein Einkaufswagen ohne Zutun nicht darüber hinweg rollen konnte. Die unbefugte Entnahme eines nicht mit einem Pfandmarkensystem ausgerüsteten Einkaufswagens durch einen Dritten war aber leicht möglich, da es nur eines leichten Anhebens zur Überwindung der am Boden liegenden, im Querschnitt 1 – 2 cm starken Kette bedurfte. Dieser Umstand begründet das Vorliegen einer eine Verkehrssicherungspflicht auslösenden abhilfebedürftigen Gefahrenstelle. Denn nach den Erfahrungen des Senats ist es eine nicht nur vereinzelte Beobachtung, dass leicht zugängliche Einkaufswagen nach Geschäftsschluss, durch Trunkenheit oder Übermut begünstigt, zweckwidrig verwendet werden, um sie anschließend an Ort und Stelle oder auch anderenorts stehen zu lassen. Um eine solche zweckwidrige Nutzung möglichst auszuschließen, genügt es nicht, durch Vorlegen einer Kette den Anschein zu erwecken, die Entnahme eines Einkaufswagens sei nicht möglich. Dies insbesondere dann, wenn durch die Lage der Kette vor den Einkaufswagen im Bodenbereich der bezweckte Anschein einer Sicherung schnell widerlegt ist. Die Sicherung der Einkaufswagen durch eine abschließbare Kette ist geeignet, diese zweckwidrige Benutzung zu verhindern und erfordert keinen spürbaren wirtschaftlichen Aufwand. Daraus folgt, dass dem Beklagten die Beachtung der gebotenen Sicherungsmaßnahmen auch subjektiv möglich und zumutbar war, so dass die Verkehrssicherungspflicht seitens des Beklagten schuldhaft verletzt worden ist…“

Der Überholer war besoffen – wie wird gehaftet?, oder: Erschüttert das den Anscheinsbeweis?

© ExQuisine - Fotolia.com

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Das OLG München, Urt. v. 23.01.2015 – 10 U 299/14 – geht von folgendem Sachverhalt aus: Zugrunde liegt ein Zusammenstoß am 29.04.2011 gegen 17.15 Uhr zwischen dem klägerischen Pkw Mercedes Sprinter und dem Pkw Renault Laguna des Beklagten zu 1). Das klägerische Fahrzeug, gesteuert von seinem Angestellten F., wollte – auf Höhe des Anwesens Nr. 3 in der H.-Straße in M. in südwestlicher Richtung fahrend – nach links in eine Grundstückseinfahrt abbiegen oder wenden, als der Beklagte zu 1) sich zum Überholen entschlossen hatte. Es kam zur Kollision und die Parteien habden dann darum gestritten, wer wie haftet.

Das OLG München sagt:

1. Kommt es zu einer Kollision eines nach links in eine Grundstückseinfahrt abbiegenden Fahrzeugs mit einem überholenden Fahrzeug, so haftet der Linksabbieger allein, wenn sich der Überholvorgang als verkehrsgerecht darstellt und er insbesondere den Nachweis, dass der Fahrtrichtungsanzeiger betätigt wurde, nicht führen kann.
2. Dabei ist eine nachgewiesene Alkoholisierung des überholenden Fahrers ohne Bedeutung, wenn nicht feststeht, dass sie für den Unfall ursächlich geworden ist. Hiervon ist nicht auszugehen, wenn sich der Überholvorgang bei geringer Geschwindigkeit als verkehrsgerecht dargestellt hat.

Im Urteil dann ganz interessante Ausführungen des OLG zum Anscheinsbeweis, vor allem auch im Hinblick auf die Auswirkungen der Alkoholisierung des Beklagten, mit denen der Kläger gegen den gegenihn als Linksabbbier sprechenden Anscheinsbeweis argumentiert hatt:

„(3) Zuletzt wird eine Anscheinsbeweislage nicht aufgehoben durch die Alkoholisierung des Beklagten, unabhängig davon, ob die im unstreitigen Tatbestand des Ersturteils festgestellte Blutalkoholkonzentration von 1,04 Promille, oder – wie vom Kläger gewünscht – bis zu 1,4 Promille zugrunde gelegt wird. Selbst eine Alkoholisierung im Bereich der absoluten Fahruntüchtigkeit erlaubt keinen Rückschluss auf die Unfallursache, darf vielmehr bei der Abwägung nach § 17 StVG nur berücksichtigt werden, wenn sie sich nachweislich in dem Unfall niedergeschlagen hat (BGH NJW 1995, 1029 [BGH 10.01.1995 – VI ZR 247/94]). Aus diesem Grund ist ein unfallursächlicher Verstoß das alkoholisierten Kraftfahrers vorauszusetzen, bevor – aufgrund der Alkoholisierung, gegebenenfalls in Form eines Anscheinsbeweises – darauf geschlossen werden kann, der Unfall habe sich in einer Verkehrslage ereignet, die ein nüchterner Kraftfahrer problemlos hätte meistern können (BGH NJW 1976, 897 [BGH 24.02.1976 – VI ZR 61/75]: Fußgänger, zusätzlich zur Alkoholisierung unmotiviertes Liegen auf der Fahrbahn; OLG Stuttgart r + s 1988, 329 [Volltext BeckRS 2008, 19041: zusätzlich stark überhöhte Geschwindigkeit; OLG Hamm NZV 1995, 483 [OLG Hamm 10.10.1994 – 6 U 334/91]; OLG Köln VersR 2002, 1040; KG Urt. v. 21.06.1990 – 12 U 3456/89 [BeckRS 1990, 07643: Alkoholisierung nicht ursächlich, weil ohnehin schuldhaftes Überholen einer unübersichtlichen Kolonne]; OLG Celle, Urt. v. 29.09.2010 – 14 U 27/10 [BeckRS 2011, 14566: zusätzlicher Verstoß gegen § 1 II StVO gefordert, aber nicht erweislich]; Senat, Beschl. v. 12.11.2014 – 10 U 3222/14: zusätzlich zur Alkoholisierung nicht rechtzeitige Ausweichreaktion erforderlich).

Deswegen ist ein Zusammenstoß des Linksabbiegers mit dem Überholenden nicht schon dann „nicht mehr typisch“, wenn und weil der Überholende alkoholisiert war. Anderenfalls stünde jede der bisherigen Anscheinsbeweislagen unter dem Vorbehalt, dass keiner der beteiligten Fahrzeugführer alkoholisiert wäre, während andererseits neue Anscheinsbeweislagen mit alkoholisierten Beteiligten zu entwickeln wären. Zudem verlöre die ständige Rechtsprechung des BGH, dass die Unfallursächlichkeit der Alkoholisierung festzustellen sei, jeden Anwendungsbereich. Die Anscheinsbeweislagen des Abbiegens in ein Grundstück oder Wendens einerseits, der alkoholbedingten absoluten Fahruntüchtigkeit andererseits stehen in einem Stufenverhältnis: Zunächst ist bei anzuwendendem Anscheinsbeweis gegen den Linksabbieger zu klären und im Strengbeweisverfahren festzustellen, ob ein Fehlverhalten des anderen Verkehrsteilnehmers vorliegt, dass den Anscheinsbeweis erschüttert. Sollte das nicht der Fall sein, kommt es auf dessen Alkoholisierung nicht mehr an. Werden dagegen eine Pflichtwidrigkeit oder ein Sorgfaltsverstoß des zunächst vom Anscheinsbeweis Begünstigten festgestellt, spricht jedenfalls im Fall der absoluten Fahruntüchtigkeit ein Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die Alkoholisierung unfallursächlich geworden ist, wenn sich der Unfall in einer Verkehrslage und unter Umständen ereignet hat, die ein nüchterner Fahrer hätte meistern können.