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Beweis III: Vorsorglich gestellter Beweisantrag, oder: Anforderungen an die Verfahrensrüge

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Und dann zum Tagesschluss die angekündigte Entscheidung des KG. Es geht in dem KG, Beschl. v. 02.02.2024 – 3 ORbs 9/24 – 122 Ss 6/24 – um die Anforderungen an eine Verfahrensrüge in Bezug auf einen nicht beschiedenen „vorsorglich“ gestellten Beweisantrag.

Dazu das KG:

„Die durch die Rechtsbeschwerde erhobene Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe entgegen §§ 77 Abs. 3 OWiG, 244 Abs. 6 Satz 1 StPO einen Beweisantrag nicht beschieden, ist unzulässig (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Der Antrag, die Urheberin der vorgenannten Bescheinigung als Zeugin zu vernehmen, ist nur „vorsorglich“ gestellt worden. Die Rechtsbeschwerde hätte daher – innerhalb der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist – vortragen müssen, unter welcher Bedingung die Antragstellung erfolgte und warum diese Bedingung eingetreten ist, sodass die Ablehnung nur durch einen Beschluss unter den Voraussetzungen der §§ 77 OWiG, 244 Abs. 3 StPO erfolgen durfte (vgl. BGH NStZ 2021, 382 und zuvor BGH NStZ-RR 1999, 1 bei Miebach/Sander; BGH NStZ-RR 2013, 349). Dies gilt umso mehr, als das Beweisbegehren bei verständiger, jedenfalls naheliegender Würdigung daran geknüpft war, dass der bescheinigte Inhalt vom Tatgericht nicht geglaubt wird. Tatsächlich hat das Tatgericht den bescheinigten Inhalt aber zumindest als wahr unterstellt, hieran aber nicht die vom Betroffenen gewünschte Schlussfolgerung geknüpft, er werde auch im Falle eines nur einmonatigen Fahrverbots entlassen.

Im nachgereichten Schriftsatz bekundet die Verteidigung, der Beweisantrag sei an die Bedingung geknüpft gewesen, dass das Amtsgericht auf das verwirkte Regelfahrverbot erkennen werde. Diese Tatsachenerklärung zu einer erhobenen Verfahrensrüge ist verspätet (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 345 Abs. 1 Satz 1 StPO). Auf die inhaltlich bestehenden Zweifel, dass dem Beweisantrag ein solcher Erklärungsgehalt tatsächlich beikommt und dieser auch erkennbar geworden ist, kommt es daher nicht an.“

Haft I: Ladung eines im Ausland lebenden Angeklagten, oder: Androhung von Zwangsmaßnahmen erlaubt?

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Heute – am Valentinstag 🙂 – gibt es hier drei Haftentscheidungen bzw. Entscheidungen, die mit Haftfragen zu tun haben. Passt doch :-).

Ich beginne mit einem Beschluss des KG, und zwar mit dem KG, Beschl. v. 04.09.2023 – 2 Ws 93/23. Die Entscheidung hat insofern mit Haft zu tun als es um die Frage der Zulässigkeit von Androhung von Zwangsmaßnahmen in einer Ladung eines im Ausland lebenden Angeklagten geht.

Ergangen ist die Entscheidung des KG nach dem sog. zweiten Rechtsgang. Der Angeklagte ist 2020 vom AG wegen schweren Bandendienbstahls verurteilt worden. Dagegen die Berufung des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft, die das LG teilweise verworfen hat. Das KG hebt dann auf Revision der Staatsanwaltschaft auf und verweist zurück.

Nach vorangegangenen Versuchen, das Berufungsverfahren weiterzuführen, hat das LG dann am 23.01.2023 einen Hauptverhandlungstermin für den 25.04.2023 angesetzt. Zu diesem Termin wurde der Angeklagte entsprechend der Verfügung der Vorsitzenden durch internationales Einschreiben mit Rückbrief sowie öffentlich geladen, wobei die Ladung in spanischer Sprache erfolgt ist und folgenden, ebenfalls übersetzten, Zusatz enthielt: „Soweit einer Verwerfung ihrer Berufung entgegensteht, dass die Sache vom Revisionsgericht zurückverwiesen wurde, gilt folgendes: wenn Sie ohne genügende Entschuldigung ausbleiben, kann unabhängig von der Anwesenheit einer Verteidigerin/eines Verteidigers mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht Ihre Vorführung oder Ihre Verhaftung angeordnet werden. Die Vollstreckung sämtlicher mit dieser Ladung angedrohten Zwangsmaßnahmen erfolgt ausschließlich auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland.“

Ausweislich des Rückscheins ist dem Angeklagten diese Ladung am 20.01.2023 in Spanien zugestellt worden. Die in deutscher und spanischer Sprache verfasste Benachrichtigung über die öffentliche Zustellung war darüber hinaus in der Zeit vom 10. bis zum 28.02.2023 an der Gerichtstafel des LG ausgehängt. Zu der Berufungshauptverhandlung am 25.04.2023 ist der Angeklagte ohne Entschuldigung nicht erschienen. Auf eine Vertretungsvollmacht hat sich der anwesende Verteidiger nicht berufen. Daraufhin hat die Kammer nach Feststellung der ordnungsgemäßen Ladung einen Haftbefehl gemäß § 329 Abs. 3 StPO erlassen und die Verhaftung des Angeklagten angeordnet. Die Hauptverhandlung wurde anschließend ausgesetzt.

Am 07.06.2023 hat die Staatsanwaltschaft auf der Grundlage des Haftbefehls vom 25.04.2023 die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls beantragt, welcher erlassen und der Staatsanwaltschaft vom LG am 09.06.2023 übersandt worden ist. Mit Verfügung vom 22.06.2023 hat die Generalstaatsanwaltschaft Berlin auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls die Einleitung der internationalen Fahndung veranlasst. Am 14.07.2023 wurde der Angeklagte durch die spanischen Behörden festgenommen und nach zwei Tagen mit der Maßgabe wieder freigelassen, sich am 29.08.2023 seiner Auslieferung zu stellen. Tatsächlich erfolgte die Auslieferung, der sich der Angeklagte entsprechend der vorherigen Ankündigung freiwillig gestellt hat, jedoch erst am 31.08.2023. Er wurde per Flugzeug nach München überführt und dort um 14.40 Uhr festgenommen. Anschließend wurde er noch am selben Tag nach Berlin überführt, wo ihm am 01.09.2023 der Haftbefehl verkündet worden ist.

Gegen den Haftbefehl vom 25. 04.2023 wendet sich der Angeklagte mit der Beschwerde seines Verteidigers. Das KG hat die Beschwerde als unbegründet worden:

„1. Der Angeklagte ist zur Hauptverhandlung ordnungsgemäß geladen worden, zu dieser ist er ohne Entschuldigung nicht erschienen und auch nicht in zulässiger Weise vertreten worden. Da im Hinblick auf die im Raum stehende Bewährungsentscheidung die Anwesenheit des Angeklagten und der persönliche Eindruck vom Angeklagten unerlässlich war, war die Anordnung der Verhaftung des Angeklagten auch geboten und mithin verhältnismäßig (§ 329 Abs. 3 StPO).

2. Auf diese Folge war der Angeklagte mit der Ladung auch ausdrücklich hingewiesen worden – so wie es § 216 Abs. 1 Satz 1 StPO vorschreibt. Lebt der Angeklagte dauerhaft im Ausland, wird diese Warnung in Teilen der obergerichtlichen Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, für zulässig (und erforderlich) angesehen, wenn sie den für den Zustellungsempfänger eindeutigen Hinweis enthält, dass die Vollstreckung der angedrohten Zwangsmaßnahmen ausschließlich im Geltungsbereich der Strafprozessordnung erfolgt (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 29. Februar 2008 – I Ws 60/08 –, juris; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2010, 49; KG, Beschluss vom 10. November 2010 – 3 Ws 459/10 –, juris mwN – auch hinsichtlich der gegenteiligen Auffassungen). Denn bereits die Androhung von Zwangsmaßnahmen auf dem Territorium eines fremden Staates ist geeignet, dessen Souveränität zu berühren (vgl. KG aaO).

Ebenfalls zutreffend ist die Ansicht des Landgerichts, dass der Erlass eines Europäischen Haftbefehls die Souveränität des ausländischen Staates nicht berührt, da der ersuchte Staat im Rahmen seiner nationalen Rechtsordnung und der dort geltenden Befugnisse eigenständig über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls und die Auslieferung der gesuchten Person entscheidet. Erst mit der Überstellung nach Deutschland wird der deutsche Haftbefehl – entsprechend der Warnung – vollstreckt.

Anders als das Landgericht Kleve in seiner von der Verteidigung herangezogenen Entscheidung (vgl. LG Kleve, Beschluss vom 24. August 2018 – 120 Qs 45/18 –, juris)  meint, ist es auch nicht widersprüchlich und stellt schon gar keine Täuschung des Angeklagten dar, wenn die Justizbehörden eine Warnung aussprechen, wonach Zwangsmaßnahmen gegen den säumigen Angeklagten nur auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ergriffen werden, dann aber diese Zwangsmaßnahmen mit Hilfe eines Europäischen Haftbefehls ermöglichen. Die Warnung vor Zwangsmaßnahmen soll dem Angeklagten die Chance eröffnen, sich dem Verfahren freiwillig zu stellen, um Zwangsmaßnahmen gegen sich zu vermeiden. Sie soll ihm keinen Weg aufzeigen, sich dem Verfahren zu entziehen. Die Einschränkung, dass eventuelle Zwangsmaßnahmen nur auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vollstreckt werden, dient in diesem Zusammenhang – was das Landgericht Kleve verkennt – keineswegs dazu, den Angeklagten wider besseren Wissens in Sicherheit zu wiegen, sondern alleine dazu, die Souveränität des Aufenthaltsstaates zu respektieren.“

Urkunde III: Kopien von Registerauszügen im Urteil, oder: „Einkopieren“ ist verfehlt

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Urheber chris ?

Und als drittes dann noch etwas Kleines vom KG. Der KG, Beschl. v. 18.01.2024, 3 ORbs 269/23 – 162 Ss 132/23 – stammt aus derm OWi-Verfahren. Die angesprochene Frage gilt aber auch für strafverfahrensrechtliche Urteilsgründe. Es geht um die Zulässigkeit des  „Einkopierens“ der Registerauszüge ins Urteil.

Dazu das KG:

„1. Es ist verfehlt, den Registerauszug in faksimilierter Form im Urteil wiederzugeben und dadurch Lesbarkeit und Verständnis der Urteilsgründe zu erschweren (vgl. BGH StRR 2013, 297 und Beschluss vom 28. Mai 2013 – 3 StR 121/13 – [Volltext jeweils bei juris]; Senat DAR 2016, 214). Durch derartiges „Einkopieren“ wird das Urteil mit einer Vielzahl unnötiger (z. B. „Datum der Mitteilung“), unverständlicher (z. B. „Mitteilungsart G“, „Mitteilungsmerkmal E“) und redundanter (sechsfache Nennung von Namen, Anschrift, Geschlecht u.v.m.) Informationen aufgetrieben. Unklar bleibt auch, welche dieser Einzelheiten der Tatrichter überhaupt verstanden hat und welchen er gegebenenfalls Bedeutung beimisst. Ein durchgreifender und den Urteilsbestand gefährdender Rechtsfehler liegt hier aber schon deshalb nicht vor, weil der wesentliche Registerinhalt bei der Rechtsfolgenbemessung rekapituliert wird (UA S. 8).“

Urkunde I: Übermalen des Fotos im Personalausweis, oder: Täuschungsabsicht?

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Heute stelle ich drei StGB-Entscheidungen vor. In allen dreien spielen Fragen in Zusammenhang mit Urkunden eine Rolle.

Den Opener mache ich mit dem KG, Beschl. v. 11.07.2023 – 2 ORs 23/23 – zur Strafbarkeit des Übermalens des Fotos eines Personalausweises.

Das KG ist auf der Grundlage des landgerichtlichen Berufungsurteils von folgenden Feststellungen ausgegangen:

„In der Nacht vom 22. zum 23.3.2021 hielten sich der Angeklagte, der Zeuge N und andere Freunde des Angeklagten in wechselnder Besetzung lange in einer der Wohnungen der Teilnehmer (nicht des Angeklagten) auf und tranken erhebliche, nicht näher zu ermittelnde Mengen Alkohol. Der Angeklagte betrachtet Ausweisdokumente als Bestandteil eines Systems, das täglich Menschen kontrolliert, diskriminiert und tötet. Er ließ es als Teil des gemeinsamen Herumalberns in der Gruppe zu, dass er oder einer der anderen Anwesenden auf seinem Personalausweis mit der unter I. angegebenen Nummer mit einem schwarzen alkohollöslichen Stift das Lichtbild bis auf die Augenpartie unkenntlich machte; sofern dies durch eine andere Person geschah, billigte er dies. Er wusste, dass der Ausweis in diesem Zustand seine Funktion, seine optische Identifizierung zu ermöglichen, verloren hatte. Er steckte den Ausweis in seinem betrunkenen Zustand lediglich wieder in seine Hosentasche. Zu diesem Zeitpunkt war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nicht ausschließbar erheblich vermindert, aber nicht aufgehoben. Als der Angeklagte am nächsten Tag an einer Demonstration teilnahm und die Polizei die vom Angeklagten mündlich angegebenen Personalien überprüfen wollte, fand der Zeuge PM O bei einer Durchsuchung den unverändert beschmierten Personalausweis in der Hosentasche des Angeklagten.“

AG und LG haben den Angeklagten deswegen wegen Veränderns von amtlichen Ausweisen (§ 273 StGB) verurteilt. Dagegen die Revision, die Erfolg hatte. Das KG hat den Angeklagten frei gesprochen:

„2. Die auf diese Feststellungen gestützte Verurteilung des Angeklagten wegen Veränderns von amtlichen Ausweisen gemäß § 273 Abs. 1 Nr. 1 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat in ihrer Stellungnahme vom 23. Juni 2023 dazu folgendes ausgeführt:

„1. Die Feststellungen tragen entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht die Annahme, dass der Angeklagte zur Täuschung im Rechtsverkehr im Sinne von § 273 Abs. 1 StGB handelte.

a) Neben dem Vorsatz im Hinblick auf die objektiven Tatbestandsmerkmale verlangt § 273 Abs. 1 StGB das besondere subjektive Merkmal der Täuschungsabsicht. Täuschung im Rechtsverkehr ist dabei im Ausgangspunkt zu verstehen wie bei § 267 StGB. Vor dem Hintergrund der Rechtsgutskonzeption ist aber zu verlangen, dass durch den Gebrauch des Ausweises bei einem Amtsträger ein Irrtum herbeigeführt und dieser dadurch zu einem rechtserheblichen Verhalten veranlasst werden soll (vgl. Zieschang in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage 2023, § 273 Rn. 26). Es ist erforderlich, dass der Adressat einer unmittelbaren Vorlage des Ausweises über den Umstand getäuscht werden soll, dass sich im Ausweis die nunmehr unterdrückte Eintragung befunden hatte, um ihn hierdurch zu einer rechtlich erheblichen Disposition zu veranlassen (vgl. MüKoStGB/Erb, 4. Aufl. 2022, StGB § 273 Rn. 6).

b) So liegt der Fall hier gerade nicht. Das Landgericht erblickt in der Beeinträchtigung oder Aufhebung der ‚Identifizierungsfunktion als Beweiszweck‘ durch die festgestellte Übermalung des Ausweisfotos eine Eignung zur Täuschung, ohne jedoch darlegen zu können, worüber hierdurch konkret getäuscht werden sollte. Das ist auch nicht möglich, denn die Veränderung am Ausweis ist derart offensichtlich, dass angesichts dieser niemand eine entsprechende Fehlvorstellung hätte entwickeln können. Dass – worauf das Landgericht abstellt – eine Täuschung im Rechtsverkehr (in der zitierten Kommentierung heißt es: ‚Täuschungsabsicht‘) stets gegeben ist, wenn der Täter sich der Beweiswirkung der Urkunde auf seine Person entziehen will (vgl. UA, S. 4), steht dem nicht entgegen, denn gleichwohl ist immer erforderlich, dass der Täter eine andere Person zu einem irrtumsbedingten rechtserheblichen Verhalten veranlassen will (vgl. Fischer, StGB, 70. Auflage, § 267 Rn. 42 m. w. N.). Bei der Übermalung des Ausweisfotos ist es indes schlicht unmöglich, einen Irrtum in diesem Sinne zu erzeugen.

2. Die Feststellungen tragen vorliegend auch keine Verurteilung wegen Sachbeschädigung gemäß § 303 Abs. 2 StGB.

a) Zwar handelt es sich bei dem Personalausweis um eine fremde Sache (§ 4 Abs. 2 PAuswG).

b) Auch handelt es sich bei der festgestellten teilweisen Übermalung des Ausweisfotos ‚mit einem schwarzen alkohollöslichen Stift‘ (UA, S. 2) um eine unbefugte, nicht unerhebliche und nicht nur vorübergehende Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes des Ausweises.

c) Das Landgericht musste jedoch offenlassen, ob der Angeklagte selbst oder eine dritte Person die Veränderungen an dem Ausweis vorgenommen haben, wobei der Angeklagte im letzteren Fall die [Veränderungen] ‚gebilligt‘ habe. Eine mittäterschaftliche Begehungsweise ist damit indes nicht festgestellt, zumal das Gericht in seiner Beweiswürdigung darauf abstellt, der Angeklagte habe die Veränderung an dem Ausweis ‚zugelassen‘ (UA, S. 3). Auch eine Sachbeschädigung durch Unterlassen kommt nicht in Betracht, weil es insoweit an einer Rechtspflicht des Angeklagten zur Tatbestandsverhinderung fehlt. Insbesondere folgt diese nicht aus dem Gesetz. § 27 PAuswG regelt die Pflichten des Ausweisinhabers. Gegen keine der dort bezeichneten Pflichten hat der Angeklagte im Zuge des verfahrensgegenständlichen Tatgeschehens verstoßen. Auch andere gesetzliche oder sonstige Garantenpflichten sind vorliegend nicht gegeben.“

Diese Ausführungen treffen zu, weshalb sie sich der Senat zu eigen macht.

Klima II: Straßenblockade durch Klimaktivisten II, oder: Für die Verwerflichkeit Abwägung im Einzelfall

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Und die zweite Entscheidung, der KG, Beschl. v. 31.01.2024 – 3 ORs 69/23 – 161 Ss 157/23, befasst sich ebenfalls mit der Verwerflichkeitsprüfung nach § 240 Abs. 2 StPO bei sog. „Klima-Blockadeaktionen“.

Das AG hat den Angeklagten Nötigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30 EUR verurteilt. Dagegen die Berufung des Angeklagaten, die nur hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs Erfolg hatte. Das LG hat den dahingehend abgeändert, dass es die Anzahl der Tagessätze auf 20 reduziert hat.

Zur Sache hat das LG folgende Feststellungen getroffen:

„Am Freitag, den 11. Februar 2022, gegen 7.00 Uhr beteiligte sich der Angeklagte auf der Kreuzung Y-damm/Z-weg in 13627 Berlin an einer Straßenblockade der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“, bei der er und weitere Personen sich aufgrund eines zuvor gefassten gemeinsamen Tatplans auf die Fahrbahn setzten. Einzelne Aktivisten klebten sich auf die Fahrbahn des Y-damms, einer stark befahrenen Hauptverkehrsachse, während der Angeklagte selbst nicht angeklebt war. Die Täter handelten, um mindestens die auf dem Y-damm in Richtung Spandau vor ihnen befindlichen Fahrzeuge, die keine Ausweichmöglichkeit mehr hatten, bis zur Beendigung der Räumung der Blockade durch Polizeivollzugsbeamte an der Fortsetzung ihrer Fahrt zu hindern und dadurch erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit für die aus ihrer Sicht unzureichenden politischen Maßnahmen gegen ein Fortschreiten des Klimawandels zu erzielen. Wie von ihm und seinen Mittätern beabsichtigt, kam es aufgrund der Blockade, welche die gesamte Breite der stadtauswärts führenden Fahrbahnen des Y-damms einnahm und dazu führte, dass zwischen 7.00 Uhr und 7.20 Uhr kein Fahrzeug die Kreuzung Y-damm/Z-weg passieren konnte, bis zur Räumung zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen in Form eines Rückstaus zahlreicher Fahrzeuge. Insbesondere war es sämtlichen Fahrzeugen, die auf dem Y-damm vor der blockierten Kreuzung standen und keine Möglichkeit mehr zum Abbiegen hatten, nicht möglich, die Blockade zu umfahren. Dabei handelte es sich um mindestens 50 Fahrzeuge. Die Blockade war von den Tätern nicht konkret angekündigt worden. Lediglich allgemein waren in Berlin Blockadeaktionen angedroht worden. Die Fahrbahn konnte von der Polizei gegen 7.20 Uhr nach Entfernung sämtlicher Aktivisten von der Fahrbahn durch die Polizei wieder freigegeben werden.“

Der Angeklagte hat noch Revision eingelegt. Mit der beanstandet er im Rahmen der Sachrüge, die tatsächlichen Feststellungen seien mit Blick auf die obergerichtliche Rechtsprechung lückenhaft und trügen den erfolgten Schuldspruch nicht. Ferner habe das LG seine Pflicht zur Amtsaufklärung nach § 244 Abs. 2 StPO verletzt, indem es einer dahingehenden Anregung seines Verteidigers, weitere Polizeizeugen zu vernehmen, nicht gefolgt sei.

Das KG hat die Revision insgesamt verworfen. Auch hier stelle ich nur die Leitsätze des KG zu dem umfangreich begründeten Beschluss des KG ein. Den Rest dann bitte ggf. im verlinkten Volltext selbst nachlesen:

    1. Bei Blockadeaktionen mit Versammlungscharakter hat die Abwägung im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung nach § 240 Abs. 2 StGB im Einzelfall zu erfolgen, so dass die in der Vergangenheit durch die Rechtsprechung verschiedentlich erfolgte Zusammenstellung einzelner Abwägungskriterien (BVerfG: „wichtige Abwägungselemente“; Senat: „erörterungsbedürftige Aspekte“ und „zu beachtende Gesichtspunkte“) als Orientierung und Leitlinie zu verstehen ist und keine in jeder Konstellation zwingende oder abschließende Aufzählung darstellen kann.
    2. Die Tatgerichte sind im Rahmen ihrer Amtsaufklärungspflicht gehalten, die zur Durchführung der Abwägung in dem konkreten Einzelfall wesentlichen Umstände und Beziehungen zu erfassen und festzustellen, wobei hinsichtlich des Umfangs dieser Amtsaufklärungspflicht die allgemeinen Grundsätze gelten.
    3. Wird ein Aufklärungsmangel aus dem Inhalt einer in der Akte befindlichen Strafanzeige, einer zeugenschaftlichen Äußerung oder einem erstinstanzlichen Hauptverhandlungsprotokoll über die Vernehmung eines Zeugen hergeleitet, bedarf es regelmäßig deren bzw. dessen (vollständiger) inhaltlicher Wiedergabe.