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StGB II: Der „Faustschlag eines Amateurboxers“, oder: Gefährliche Körperverletzung?

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Und als zweite Entscheidung dann etwas vom KG, und zwar das KG, Urt. v. 01.06.2023 – 3 ORs 24-25/23 – 161 Ss 56/23 – zur gefährliche Körperverletzung durch den Faustschlag eines Amateurboxers.

Das AG hate den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung  verurteilt. Nach den Urteilsfeststellungen hatte der Angeklagte in einem Fitnessraum der JVA M. einen in eine Textilie eingeschlagenen harten Gegenstand, möglicherweise eine 2,5 kg schwere Hantelscheibe, gegen den linken Wangenbereich des Mitgefangenen pp. geschleudert, wodurch dieser einen Kieferwinkel- und eine Zahnfraktur erlitt, welche die operative Einsetzung einer Platte erforderlich machte. Auf die Berufung des Angeklagten hat das LG diesen nur wegen („einfacher“ vorsätzlicher) Körperverletzung verurteilt. Vom Einsatz eines gefährlichen Werkzeugs hat sich die Strafkammer nicht überzeugen können. In den Urteilsgründen heißt es:

„Als der Angeklagte kurz darauf auf Höhe des – sodann links von ihm befindlichen – Zeugen pp. angekommen war, versetzte er diesem in einer schnellen Drehung seines Oberkörpers mit der rechten Faust einen kräftigen Schlag gegen den linken Unterkiefer, wobei er seine als Amateurboxer erworbenen Erfahrungen und Fertigkeiten nutzte. Infolge der Schlagwirkung ging der Zeuge pp. zu Boden. Es ist nicht auszuschließen, dass er dabei mit seinem Kopf im Bereich des linken Unterkiefers auf eine am Boden liegende Metallhantelscheibe seines Trainingsgeräts aufschlug. Er versuchte, umgehend aufzustehen und seinerseits den Angeklagten anzugreifen, wozu er jedoch nicht mehr in der Lage war, weil er aufgrund eines erlittenen Bruchs des linken Unterkiefers im Bereich des Kieferwinkels mit sofort eingetretenen starken Blutungen im Mundinnenraum, in deren Folge er 500 bis 600 mg Blut verlor, sich an seinem Blut verschluckte und nicht mehr aufstehen konnte.

Es war nicht festzustellen, dass der Angeklagte den Geschädigten bei dem Schlag etwa anstatt mit der Faust mit einer Hantelscheibe – diese etwa in ein Handtuch gewickelt – getroffen hätte. Zudem war nicht auszuschließen, dass die Fraktur des Kiefers nicht bereits durch die Krafteinwirkung des Schlags des Angeklagten, sondern erst durch ein Auftreffen des Kopfs des Geschädigten auf dem Boden, etwa auf einer dort liegenden Hantelscheibe, entstanden ist.“

Hiergegen richten sich die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltshaft Letztere beanstandet neben der erhobenen allgemeinen Sachrüge konkret den Umstand, dass der Angeklagte nicht wegen einer nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB begangenen gefährlichen Körperverletzung verurteilt worden ist. Sie meint, die Urteilsfeststellungen trügen eine entsprechende Verurteilung. Beide Revisionen hatten beim KG keinen Erfolg. Das KG führt zur Revision der StA aus:

„Gleichfalls unbegründet ist die Revision der Staatsanwaltschaft. Denn das Urteil zeigt auch keinen zugunsten des Angeklagten begangenen sachlich-rechtlichen Fehler. Namentlich tragen die Urteilsfeststellungen eine Verurteilung nach § 223 Abs. 1 StGB, nicht aber eine solche nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB.

1. Die Urteilsfeststellungen tragen die Bewertung der Tat als vorsätzliche „einfache“ Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB. Zutreffend hat das Landgericht auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen davon abgesehen, den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB zu verurteilen.

a) § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB setzt voraus, dass die Körperverletzung „mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“ begangen wird. Erforderlich, aber auch genügend ist hierfür, dass die Art der Behandlung durch den Täter nach den Umständen des Einzelfalls (generell) geeignet ist, das Leben zu gefährden (sog. Eignungsdelikt, vgl. BGH NStZ 2013, 345; BGHR StGB § 224 Abs. 1 Nr. 5 Lebensgefährdung 1; Fischer, StGB 70. Aufl., § 224 Rn. 12 m. w. N.). Dabei ist vor allem die individuelle Schädlichkeit der Einwirkung gegen den Körper des Verletzten zu berücksichtigen (vgl. BGH NStZ 2013, 345; BGHR StGB, § 223a Abs. 1 Lebensgefährdung 1). Einer konkreten Gefährdung bedarf es nicht. Erst recht muss sich die Gefahr nicht realisiert haben, so dass zwischen einer ex-post-Betrachtung des Handlungserfolgs und einer ex-ante-Betrachtung der Handlung zu unterscheiden ist (vgl. zu allem Fischer, a.a.O., § 224 Rn. 27 m. w. N.). Es kommt immer auf die Gefährlichkeit der Handlung an, nicht auf diejenige einer tatsächlich eingetretenen Verletzung (vgl. BGH StV 1988, 65; NStZ 2012, 345).

Zwar können grundsätzlich auch mit Hand oder Faust in das Gesicht oder gegen den Kopf des Opfers geführte Schläge eine das Leben gefährdende Behandlung in diesem Sinne sein. Dies setzt jedoch Umstände in der Tatausführung oder individuelle Besonderheiten beim Tatopfer voraus, welche das Gefahrenpotential der Handlung im Vergleich zu einer „einfachen“ Körperverletzung (§ 223 StGB) deutlich erhöhen. Die Rechtsprechung hat dies etwa angenommen bei mehreren wuchtigen Faustschlägen gegen den Kopf eines neun Wochen alten Säuglings (BGH, Beschluss vom 6. Juni 2007 – 2 StR 105/07 – [juris]), bei massiven Schlägen gegen den Kopf des (alkoholisierten) Tatopfers (BGH NStZ 2005, 156) sowie bei zahlreichen Schlägen in das Gesicht und gegen den Kopf einer an einer Hauswand fixierten Geschädigten, die zu längerer Bewusstlosigkeit und schweren Verletzungen führten (OLG Köln NJW 1983, 2274). Für nicht verwirklicht hat die Rechtsprechung hingegen einen „mit großer Wucht“ versetzten Faustschlag in das Gesicht bewertet, als dessen Folge der Geschädigte einen Bruch von Jochbein und Kiefer erlitt und zwei Zähne verlor, weshalb er dreimal operiert werden musste, mehrere Tage nicht sprechen konnte und zwei Monate nur flüssige Nahrung aufnehmen konnte (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2022 – 3 StR 471/21 – [juris]).

b) Die Urteilsfeststellungen belegen solche, eine Gefahr für das Leben des Opfers potentiell begründenden Umstände nicht.

aa) Dass es „individuelle Besonderheiten beim Tatopfer“ gegeben hätte, die „das Gefahrenpotential der Handlung im Vergleich zu einer ‚einfachen‘ Körperverletzung (§ 223 StGB) deutlich erhöht“ hätten (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juni 2007 – 2 StR 105/07 – [juris]), hat die Strafkammer nicht festgestellt. Das Urteil legt eher nahe, dass der Geschädigte, der Krafttraining betrieb und sich nach dem Schlag wieder aufrichten wollte, um „seinerseits den Angeklagten anzugreifen“ (UA S. 6), über eine stabile Konstitution verfügte. Der medizinische Sachverständige Dr. Dr. S. hat ausdrücklich bekundet, bei dem „betroffenen Kiefer“ sei „alles normal, auch die Knochendichte“ (UA S. 20).

bb) Auch die in der Urteilsurkunde festgestellten „Umstände in der Tatausführung“ lassen das Gefahrenpotential der Tathandlung im Vergleich zu einer „einfachen“ Körperverletzung nicht als deutlich erhöht erscheinen. Danach hat der Angeklagte, der vor seiner Inhaftierung im Amateurbereich Boxsport betrieb (UA S. 3), einen „kräftigen Schlag“ gegen den „linken Unterkiefer“ des Geschädigten geführt und zwar „in einer schnellen Drehung seines Oberkörpers mit der rechten Faust“, wobei er „seine als Amateurboxer erworbenen Erfahrungen und Fertigkeiten“ nutzte (UA S. 6).

Diese Feststellungen belegen keine gegenüber § 223 StGB signifikant erhöhte und das Merkmal der lebensgefährdenden Behandlung erfüllende Gefährlichkeit der Tathandlung. Zwar lässt sich den Feststellungen entnehmen, dass der Schlag angesichts der „schnellen Drehung“ des Oberkörpers für den Geschädigten überraschend gekommen sein muss und dass er auch „kräftig“ war (UA S. 6). Das Landgericht hat es aber bei dem Adjektiv „kräftig“ belassen und dieses z. B. nicht mit den Steigerungsadverbien „sehr“, „äußerst“, „außerordentlich“, „enorm“ oder „überaus“ ergänzt. Von „voller Wucht“ o. Ä. ist keine Rede. Ausdrücklich ist auch festgestellt worden, dass es sich um einen und nicht um mehrere Schläge gehandelt hat. Bei der Bewertung der Schlagintensität ist zwar in Rechnung zu stellen, dass der Schlag dazu führte, dass der Kontrahent zu Boden ging (UA S. 6). Dieser Umstand lässt einen gewissen, aber keinen präzisen Rückschluss auf die Härte des Schlags zu. Gewiss würde ein nur mit einer Ohrfeige vergleichbarer Schlag nicht zu einem Niedergehen führen; andererseits kann der Sturz auch einer Ausweichbewegung o. Ä. geschuldet gewesen sein, ohne dass dies zwingend Eingang in die Urteilsfeststellungen hätte finden können oder müssen.

cc) Schließlich lassen auch die festgestellten Verletzungen mit einem Blutverlust von immerhin „500 – 600 mg“ aus dem „Mundinnenraum“ und einer Fraktur des linken Unterkiefers im Bereich des Kieferwinkels (UA S. 6) keinen Rückschluss auf eine im Vergleich zu einer „einfachen“ Körperverletzung deutlich erhöhte Gefährlichkeit zu. Dabei ist in den Blick zu nehmen, dass es für § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB immer auf die Gefährlichkeit der Handlung ankommt, nicht auf diejenige einer tatsächlich eingetretenen Verletzung (vgl. BGH StV 1988, 65; NStZ 2012, 345). Dieser Umstand erlangt hier ausschlaggebende Bedeutung, weil die Strafkammer nicht ausschließen konnte, dass „die Fraktur des Kiefers nicht bereits durch die Krafteinwirkung des Schlags des Angeklagten, sondern erst durch ein Auftreffen des Kopfs des Geschädigten auf dem Boden, etwa auf einer dort liegenden Hantelscheibe“, entstanden ist (UA S. 6). Ebendies ist hier zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass nämlich nicht der Schlag (unmittelbar) die Verletzungen hervorgerufen hat, sondern erst der Aufprall auf dem Boden, wo ein harter Gegenstand, z. B. eine Hantelscheibe, gelegen haben könnte.

dd) Indem die Revision geltend macht, es sei „sicher zu erwarten gewesen“, dass der Geschädigte „mit seinem Kopf auf einen harten Gegenstand (…) prallt“ (RB S. 5), entfernt sie sich von den bindend getroffenen Feststellungen. Als fraglich muss schon die Annahme gelten, dass der Sturz sicher zu erwarten war, erst recht aber, dass der Aufprall auf einen harten Gegenstand mit Sicherheit erfolgen würde (RB S. 5). Die Strafkammer hat hierzu und namentlich zu den Zuständen im Sportraum zwar zunächst keine näheren Feststellungen getroffen, allerdings bei der Beweiswürdigung mitgeteilt, wie die Zeugin Ziegert die Einrichtung beschrieben hat; in diesem Zusammenhang wird auch wirksam auf Lichtbilder verwiesen (UA S. 10 unten). Diese zeigen jedenfalls keine Situation, die, wie die Revisionsführerin meint, einen Sturz auf eine Hantelscheibe oder einen anderen „harten Gegenstand“ sicher erwarten ließe. Der Sportraum wirkt im Gegenteil ausgesprochen aufgeräumt; auf dem Boden liegt eine Langhantelstange, sonst nichts. Die Annahmen der revidierenden Staatsanwaltschaft erweisen sich damit bereits in tatsächlicher Hinsicht als urteilsfremd. Allerdings können sie auch rechtlich nicht tragen. Denn nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB muss die Körperverletzung „mittels“ einer das Leben gefährdenden Behandlung geschehen. Dies bedeutet, dass der Körperverletzungs-Erfolg nicht erst als mittelbare Folge der gefährlichen Behandlung eingetreten sein darf (vgl. BGH NZV 2006, 483; NStZ 2007, 34; Fischer, a.a.O., § 224 Rn. 28 m. w. N.). § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB liegt daher nicht vor, wenn nicht die Körperverletzungshandlung selbst lebensbedrohlich ist, sondern erst eine durch diese ausgelöste Gefahr (vgl. BGH NStZ 2007, 34 [Stoßen auf Autobahn]).“Abs. 1 und 2 StPO.

OWI III: „Abschirmungsmaßnahme“ beim Fahrverbot?, oder: Nur „„geringfügig negatives Betriebsergebnis“

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Und zum Tagesschluss dann mit dem KG, Beschl. v. 20.04.2023 – 3 ORbs 68/23 – 162 Ss 31/23 – dann noch etwas zum Fahrverbot.  Auch hier nur:

„Erläuternd bemerkt der Senat:

Es ist nicht zu beanstanden, dass das Tatgericht den Umstand eines geringfügig negativen Betriebsergebnisses (hier – 3.697 Euro „laut betriebswirtschaftlicher Auswertung per Oktober 2022“ [UA S. 3]) nicht zum Anlass genommen hat, so genannte Abschirmungsmaßnahmen (z. B. Beschäftigung eines Fahrers für die Zeit des Fahrverbots) für unzumutbar zu halten. Die Aussagekraft einer betriebswirtschaftlichen Auswertung hängt maßgeblich vom Buchungsverhalten des Handeltreibenden ab, so dass die genannte Kennzahl, von der noch nicht einmal klar ist, ob sie den Oktober 2022 oder die Monate Januar bis Oktober 2022 betrifft, keinen validen Aufschluss über die Belastbarkeit des vom Betroffenen geführten Unternehmens gibt. Betriebsvermögen und eventuelle Darlehensbelastungen bezeichnet das Urteil jedenfalls nicht, und die Rechtsbeschwerde erhebt auch keine Verfahrensrüge, welche die – diesbezüglich offenbar unterbliebene – Aufklärung als geboten hätte erscheinen lassen.

Das Amtsgericht ist somit einerseits zugunsten des Betroffenen davon ausgegangen, dass dieser zum Betreiben seines Gewerbes Kraftfahrzeuge führen muss und daher „auf seinen Führerschein angewiesen ist“ (UA S. 4). Vor dem Hintergrund der beschränkten Aussagekraft der betriebswirtschaftlichen Auswertung „per Oktober 2022“ hat es aber auch vertretbar und damit rechtsfehlerfrei in Rechnung gestellt, dass dem Betroffenen, planerisch erleichtert durch das Erstverbüßerprivileg (§ 25 Abs. 2a StVG), Abschirmungsmaßnahmen möglich sind und er namentlich eine „Teilzeitkraft mit Fahrerlaubnis“ (UA S. 4) einstellen und gegebenenfalls einen Kredit aufnehmen kann. Ersichtlich beachtet hat das Amtsgericht dabei, dass an das Vorliegen einer den Wegfall des Regelfahrverbots rechtfertigenden Härte ganz außergewöhnlicher Art nach der Einführung des § 25 Abs. 2a StVG ein noch strengerer Maßstab als zuvor anzulegen ist (vgl. Senat, Beschlüsse vom 6. März 2018 – 3 Ws (B) 73/18 – [jurisPR-VerkR 2/2019 Anm. 3] und vom 23. Dezember 2008 – 3 Ws (B) 478/08 –).“

OWi II: Entbindungsantrag in der Hauptverhandlung, oder: Hat der Verteidiger eine Vertretervollmacht?

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Und dann der zweite KG-Beschluss, nämlich der KG, Beschl. v. 13.04.2023 – 3 ORbs 61/23 – 122 Ss 27/23 – zur Würdigung einer Verteidigererklärung bei erlaubter Abwesenheit des Betroffenen.

Auch hier merkt das KG nur ergänzend zur Stellung der GStA an:

„Der Senat merkt ergänzend zu der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft Berlin vom 16. März 2023 an:

1. Der Verteidiger hat eine Inbegriffsrüge nach § 261 StPO erhoben. Er beanstandet, dass das Gericht seine Angaben zur Sache in der Hauptverhandlung am 14. Dezember 2022, an der der Betroffene erlaubt nicht teilgenommen habe, lediglich als Prozesserklärung, aber mangels einer für diesen Sitzungstag nachgewiesenen Vertretungsvollmacht nicht als Einlassung des Betroffenen habe werten und nicht den Urteilsgründen zu dessen Nachteil habe zugrunde legen dürfen. Die am 15. August 2022 zu Protokoll gereichte Vertretungsvollmacht habe sich nur „auf diese Hauptverhandlung und auf Folgetermine, aber nicht auf eine neue Hauptverhandlung nach Aussetzung erstreckt“.

Der Beanstandung liegt folgender Verfahrensablauf zugrunde:

Der Betroffene erschien zur Hauptverhandlung am 15. August 2022 trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt nicht. Der Verteidiger überreichte die als Anlage zu Protokoll genommene Vertretungsvollmacht und stellte einen Antrag auf dessen Entbindung vom persönlichen Erscheinen, dem das Gericht nachkam. Danach erteilt der Betroffene „seinem Verteidiger (….) neben der bereits erteilten Verteidigervollmacht, besondere Vertretungsvollmacht zur Vertretung meiner Abwesenheit.

Die besondere Vertretungsvollmacht erstreckt sich insbesondere darauf,

– mich in der Hauptverhandlung am 15.08.2022 und allen Folgeterminen in meiner Abwesenheit vertreten zu dürfen,

– den Antrag nach § 73 Abs. 2 OWiG zu stellen,

– und alle notwendigen Erklärungen in meinem Namen in der Hauptverhandlung abgeben zu dürfen.“

Während der Verhandlung machte der Verteidiger für den Betroffenen Angaben zur Person und zur Sache.

Das Gericht hat die Hauptverhandlung, die am 15. August 2022 begann und fortgesetzt werden musste, letztlich aussetzen müssen.

Zu der neu terminierten Hauptverhandlung am 14. Dezember 2022 erschien der mit Zustellungsurkunde geladene Betroffene unentschuldigt ebenfalls nicht. Der Verteidiger stellte – wie in dem Termin am 15. August 2022 – nach Aufruf und vor Beginn der Verhandlung zur Sache einen Antrag auf Entbindung des Betroffenen vom persönlichen Erscheinen, dem das Gericht erneut nachkam. Ausweislich des Protokolls machte der Verteidiger für den Betroffenen Angaben zu dessen persönlichen Verhältnissen, zur Sache, in dem er dessen Fahrereigenschaft einräumte und erhielt für den Betroffenen das letzte Wort auch nach erneutem Wiedereintritt in die Beweisaufnahme. Der Verteidiger hat diesen protokollierten Sitzungsverlauf in seiner Rechtsbeschwerdebegründungsschrift auch nicht in Frage gestellt (RB S.2f).

2. Der Senat teilt die Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft, dass die Rüge jedenfalls unbegründet ist. Das Tatgericht hat rechtsfehlerfrei das Urteil u.a. auf die vom Verteidiger aufgrund der seit dem 15. August 2022 nachgewiesenen Vertretungsvollmacht für den Betroffenen gemachten Angaben zur Person und zur Sache gestützt.

a) Die Beanstandung des Verteidigers, dass sich die Vertretungsvollmacht nur auf Folgetermine einer nicht ausgesetzten Hauptverhandlung bezogen habe, überzeugt nicht. Diese Ansicht träfe nur dann zu, wenn die Vollmacht auf Fortsetzungstermine – so der juristische Fachbegriff für Sitzungstage einer ggf. mehrfach unterbrochenen, aber nicht ausgesetzten Hauptverhandlung – beschränkt gewesen wäre. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vertretungsvollmacht erstreckte sie sich auf in Abwesenheit des Betroffenen stattfindende Folgetermine, also Hauptverhandlungstermine, die nach dem Hauptverhandlungstermin am 15. August 2022 folgen werden. Demnach standen dem Verteidiger die Befugnisse aus der Vertretungsvollmacht an allen bis zum Abschluss des Verfahrens benötigten Terminen zu, an denen der Betroffene von seinem Anwesenheitsrecht keinen Gebrauch machte. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck einer solchen Vertretungsvollmacht. Denn eine solche Vollmacht dient nach verständiger Betrachtung der Verhinderung der Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG des ordnungsgemäß geladenen, aber unentschuldigt ausgebliebenen Betroffenen und zwar unabhängig davon, wie viele Hauptverhandlungen tatsächlich bis zur Erledigung des Verfahrens benötigt werden. Daher enthält die „besondere Vertretungsvollmacht“ auch die Befugnis des Verteidigers, einen Antrag nach § 73 Abs. 2 OWiG zu stellen und – noch einmal ausdrücklich formuliert – alle notwendigen Erklärungen in der Hauptverhandlung im Namen des Betroffenen abzugeben.

b) Entsprechend einem solchen Verständnis von der auf den Verteidiger ausgestellten Vertretungsvollmacht hat er sich in der Hauptverhandlung am 14. Dezember 2022 verhalten.

Bereits der Antrag des Verteidigers nach Aufruf der Sache, den ordnungsgemäß geladenen, aber unentschuldigt ausgebliebenen Betroffenen von seiner Präsenzpflicht auch in der Hauptverhandlung am 14. Dezember 2022 zu entbinden, stützt sich zwingend auf die ihm zuvor erteilte „besondere Vertretungsvollmacht“. Denn nur der zur Vertretung nach § 73 Abs. 3 OWiG mit nachgewiesener Vollmacht versehene Verteidiger kann den Antrag nach Abs. 2 stellen (vgl. BGHSt 12, 367; 25, 281; Senat, Beschluss vom 13. Juli 2022 – 3 Ws (B) 170/22, juris; Senge in KK-OWiG 5. Aufl., § 74 Rn. 19 m.w.N.), weil der erfolgreiche Entbindungsantrag auf eine Minderung der Rechtstellung des Betroffenen hinausläuft (OLG Hamm Zfs 2015, 52). Dass auch das Tatgericht von einer nachgewiesenen Vertretungsvollmacht des Verteidigers ausgegangen ist, ergibt sich aus seiner (für den Betroffenen positiven) Entscheidung. Andernfalls hätte es den Antrag wegen der fehlenden Vertretungsvollmacht nicht bescheiden dürfen (vgl. OLG Rostock DAR 2008, 400) und den Einspruch des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG verwerfen müssen.

Auch im weiteren Verlauf macht der Verteidiger für das Gericht erkennbar von seiner nachgewiesenen Vertretungsvollmacht durch Abgabe aller notwendigen Erklärungen vor und nach Beginn der Verhandlung zur Person und zur Sache Gebrauch. Letzteres wäre nicht erforderlich gewesen. Denn das Gericht hätte die ordnungsgemäß protokollierten Angaben zu den persönlichen Verhältnissen des Betroffenen und zur Sache, die der Verteidiger für ihn am 15. August 2022 gemacht hat, nach § 74 Abs. 1 Satz 2 OWiG verlesen dürfen.

Das Verteidigerverhalten belegt, dass auch er von einer zeitlich unbegrenzten Vertretungsvollmacht ausgegangen ist.

Bei dieser Sachlage oblag dem Tatgericht – entgegen der Auffassung der Verteidigung – auch keine Verpflichtung, den Verteidiger nach Belehrung nach §§ 71 Abs. 1 OWiG, 243 Abs. 5 StPO darauf hinzuweisen, dass das Gericht seine Angaben zur Person des Betroffenen und zur Sache nicht als Prozesserklärungen aufgrund der Verteidigervollmacht, sondern als Erklärungen für den Betroffenen aufgrund der ihm erteilten Vertretungsvollmacht gewertet hat.

Das Verteidigerverhalten in der Hauptverhandlung vom 14. Dezember 2022 steht in einem von der Verteidigung nicht aufgelösten Widerspruch zur Rechtsbeschwerdebegründung.

c) Auch soweit sich der Verteidiger zur Begründung seines Rechtsmittels auf die Entscheidung des Senats vom 5. Dezember 2022 (3 Ws (B) 310/22, juris) bezieht, verhilft dies der Rechtsbeschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg.

Im dortigen Verfahren war der Betroffene in der Hauptverhandlung anwesend, hat zur Sache geschwiegen und sein Verteidiger hat allein aufgrund seiner Verteidigervollmacht (für eine Vertretungsvollmacht war wegen der Anwesenheit des Betroffenen kein Raum) Angaben zur Sache gemacht, die das Gericht seinem Urteil zum Nachteil des Betroffenen zugrunde gelegt hat.

Davon ist der hier zugrundeliegende Sachverhalt zu unterscheiden:

Der Betroffenen war erlaubt abwesend, es liegt ein gesetzlich vorgesehener Fall der Vertretung nach § 73 Abs. 3 OWiG vor, und der Verteidiger macht von der Vertretungsvollmacht Gebrauch.

Der Senat hat im Übrigen die deutlich voneinander abweichenden Fallkonstellationen ausdrücklich unter Hinweis auf ihre unterschiedlichen rechtlichen Schicksale bereits in der vom Verteidiger zitierten Senatsentscheidung dargestellt.“

In meinen Augen geht das über eine „ergänzende Anmerkung“ deutlich hinaus. Ich verstehe nicht, warum man dann nicht einen „vernünftigen“ Beschluss macht. Denn, wenn man so viel „anmerken“ bzw. „ergänzen“ muss, dann kann es so doll mit der Stellungnahme der GStA ja nicht gewesen sein.

OWI I: Akteneinsicht, Tilgungsreife, Fahrverbot, oder: Wenn das KG nur „erläuternd bemerkt“

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Und dann heute gleich noch einmal ein OWI-Tag, und zwar mit drei Entscheidungen vom KG.

Zunächst hier der KG, Beschl. v. 31.03.2023 – 3 ORbs 55/23 – 122 Ss 22/23. Ergangen in einem Rechtsbeschwerdeverfahren nach einer Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung.

Das KG nimmt zu den „Einwänden“ der Rechtsbeschwerde nur“erläuternd“ Stellung:

„Erläuternd bemerkt der Senat:

1. Es versteht sich von selbst, dass das Urteil nicht darauf beruhen kann, dass ein nach Urteilserlass gestelltes Akteneinsichtsgesuch der Verteidigerin (zunächst) unbeantwortet geblieben ist. Darüber hinaus trägt die Rechtsbeschwerde aber auch nicht vor, welcher Rügevortrag angebracht worden wäre, wenn die Verteidigerin rechtzeitig Akteneinsicht gehabt hätte.

2. Die als Sachrüge bezeichnete Beanstandung, ein Messbeamter sei nicht ausreichend (aktuell) geschult gewesen, bleibt schon deshalb unbeachtlich, weil dieser Umstand urteilsfremd ist.

3. Gleichfalls versteht es sich von selbst, dass ein Urteil nicht, wie die Verteidigerin meint, „zwischenzeitlich … rechtsfehlerhaft“ geworden sein kann. Das Amtsgericht hat die Voreintragung im Fahreignungsregister im allein maßgeblichen Zeitpunkt der Urteilsfällung zutreffend berücksichtigt und rechtsfehlerfrei als unrechtserhöhend bewertet. Dass zwischenzeitlich Tilgungsreife eingetreten wäre, bleibt selbstverständlich für die hier veranlasste Rechtsprüfung ohne Belang.

4. Einen Anlass, sich mit einem möglichen „Augenblicksversagen“ zu befassen, zeigen die allein maßgeblichen Urteilsgründe nicht auf. Ohnedies muss als zumindest zweifelhaft gelten, dass sich ein Kraftfahrer auf Augenblicksversagen (Übersehen des Zeichens 274) berufen kann, der nicht einmal die innerörtlich üblicherweise geltende Geschwindigkeitsbegrenzung (§ 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO) einhält, sondern, wie hier, um 11 km/h überschreitet (vgl. Senat, Beschlüsse vom 6. September 2017 – 3 Ws (B) 204/17 – [unveröffentlicht] und vom 27. Februar 2023 – 3 ORbs 22/23 – [zur Veröffentlichung vorgesehen]).“

Die Formulierungen – vor alemm das „versteht sich von selbst“ – zeigen deutlich, was das KG von dem Rechtsbeschwerdevortrag gehalten hat…..

OWI III: Örtliche Verlegung eines Bienenstandes, oder: Mal etwas aus dem „Bienenrecht“

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Und zum Tagesschluss dann mal etwas ganz anderes. Kein Verkehrs-OWi, sondern Verstoß gegen BienSeuchVO, also etwas für mitlesende Imker.

Das KG nimmt Stellung zur Anzeigepflicht bei örtlicher Verlegung bereits angemeldeter Bienenstände nach § 1a BienSeuchVO; was es nicht alles gibt. 🙂

Das AG hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Verletzung der Anzeigepflicht aus § 1a Bienenseuchenverordnung (BienSeuchV) zu einer Geldbuße verurteilt. Dazu hat das Amtsgericht folgende Feststellungen getroffen:

„Der Betroffene ist Bienenhalter und hat im Jahr 2016 dem Bezirksamt X. angezeigt, dass er an folgenden Standorten Bienenvölker hält:

  1. a) Im M.- Weg in einer Kleingartenanlage sieben Völker und
  2. b) im M.-Weg 8 vier Bienenvölker.

Spätestens im April 2021 verlegte der Betroffene einen unterjährigen Ablegerstandort für ein Bienenvolk in die W.-Straße in Berlin Y., ohne dies dem Bezirksamt X. mitzuteilen. Auf Grund eines Ausbruchs der Amerikanischen Faulbrut in einem Bienenstand des Bezirks wurde innerhalb des Bezirks X. um den Standort des betroffenen Bienenstands Mitte Juni 2021 ein Sperrbezirk erklärt und die dem Bezirksamt bekannten Bienenhalter hiervon unterrichtet sowie zur Aktualisierung ihrer Daten aufgefordert. Hierauf gab der Betroffene an, dass sich an den Angaben aus 2016 nichts verändert habe. Erst mit Schreiben vom 26. Juni 2021 teilte der Betroffene der Behörde den unterjährigen Standort in der W.-Straße mit. Dieser Standort lag im Bereich des amtlich eingerichteten Sperrbezirks, die übrigen Standorte befanden sich außerhalb davon.“

Das AG hat im Rahmen der rechtlichen Einordnung des Geschehens die Auffassung vertreten, die Anzeigepflicht nach § 1a BienSeuchV umfasse auch die Verlegung bereits angemeldeter Bienenstände.

Das sieht das KG im KG, Beschl. v. 23.02.2023 – 3 ORbs 34/23 – 162 Ss 16/23 – anders. Es hat die Rechtsbeschwerde gegen das AG-Urteil zugelassen und den Betroffenen frei gesprochen:

„2. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Die unterjährige Verlegung des bereits angemeldeten Bienenstandes unterlag keiner gesonderten Anzeigepflicht aus § 1a Satz 1 BienSeuchVO.

Nach § 1a BienSeuchVO hat derjenige, der Bienen halten will, dies spätestens bei Beginn der Tätigkeit der zuständigen Behörde unter Angabe der Bienenvölker und ihres Standortes anzuzeigen.

Unter die Anzeigepflicht fällt unzweifelhaft die erstmalige Anmeldung eines Standortes. Weiter unterliegt auch – wie sich aus der Pflicht zur Meldung der Anzahl von Bienenvölkern ergibt – der Anzeigepflicht, wenn ein Bienenhalter die Anzahl der Völker verändert. Dies folgt aus den in der BienSeuchV umfangreich geregelten Schutzmaßregeln zur Seuchenbekämpfung. Denn nur bei Kenntnis des Umfangs der Bestände ist die zuständige Behörde in der Lage, entsprechende Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung, namentlich Sperrmaßnahmen nach § 8 BienSeuchV, zu ergreifen oder Sperrbezirke nach § 10 BienSeuchV einzurichten.

Dem gegenüber statuiert § 1a BienSeuchV aus systematischen Erwägungen keine Verpflichtung, die bloße Verlegung eines angemeldeten Bienenstandes – bei gleichbleibender Anzahl der Bienenvölker – der zuständigen Behörde anzuzeigen. Hierbei ist § 5a Satz 1 BienSeuchVO in den Blick zu nehmen, wonach der Besitzer von Bienenvölkern, die nur vorübergehend an einen anderen Ort verbracht werden, an dem Bienenstand ein Schild mit seinem Namen und seiner Anschrift sowie der Zahl der Bienenvölker anzubringen hat. Eine Verpflichtung, die Verlegung anzuzeigen, findet sich darin nicht.

Hinzu tritt, dass die zuständige Behörde nach § 5b BienSeuchV anordnen kann, dass in einem Sperrgebiet nach § 3 oder einem nach § 14 Abs. 2 bestimmten Gebiet die Besitzer von Bienenvölkern diese unter Angabe des Standortes der Bienenstände anzuzeigen haben. Dies dient offenkundig dem Zweck, (angemeldete) Bienenstände eines Sperrbezirks oder Beobachtungsgebiets vollständig zu erfassen, um angemessene Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung zeitnah vornehmen zu können. Für diese Regelung bestünde aber kein Bedürfnis, wenn auch lediglich unterjährig verlegte Bienenstände nach § 1a BienSeuchVO anzumelden wären. Denn dann wären bereits dadurch alle Bienenstände eines Bezirks behördlich erfasst und eine nochmalige Aufforderung zur Anzeige von Bienenständen überflüssig.

Die Erwägungsgründe der Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates 2016/429 vom 9. März 2016 rechtfertigen kein abweichendes Ergebnis, denn sie enthalten nur pauschale Aussagen über die generelle Bedeutung von Maßnahmen zur Bekämpfung von Tierseuchen. Mit der Möglichkeit, nach § 5b BienSeuchV Auskunft über Bienenbestände zu verlangen, hat der Verordnungsgeber den Verwaltungsbehörden zudem ein effektives Instrument zur Verfügung gestellt, um etwaige Informationslücken, die durch unterjährige Verlegung von Bienenständen entstehen, zu schließen.“