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(Kein) Nachteil für den Angeklagten, wenn er in der Hauptverhandlung schweigt

© Corgarashu – Fotolia.com

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In den Blogs laufen immer wieder Postings zu den Satz: „Reden ist Silber, schweigen ist Gold“ und der darauf gestützten Rat an den Beschuldigten/Angeklagten: Im Zweifel sollte man den Mund halten und sich nicht unnötig zum Beweismittel gegen sich selbst machen lassen. Das kann ggf. natürlich auch an der ein oder anderen Stelle Nachteile haben, weil sich bei einem schweigenden Angeklagten entlastende und/positive Umstände nur schwer oder schwerer ins Verfahren einführen lassen.

Etwas Entlastung bringt an der Stelle jetzt noch einmal der BGH, Beschl. v. 03.07.2014 – 4 StR 137/14. Da war dem Angeklagten zur Last gelegt worden, den Geschädigten im Rahmen einer tätlichen Auseinandersetzung mit einem Messerstich in die Brust getötet zu haben. Zu diesem Vorwurf äußerte er sich lediglich im Ermittlungsverfahren, in der Hauptverhandlung hat er von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Das LG hat den Angeklagten freigesprochen, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Angeklagte in Notwehr gehandelt hat, weil er in einem von ihm nicht provozierten Kampf in eine unterlegene Position geriet, aus der er sich nur durch die ihm zuzurechnenden Stiche befreien konnte. Entsprechende Einlassungen des Angeklagten im Ermittlungsverfahren seien nicht widerlegt.

Zur von der Staatsanwaltschaft beanstandeten Beweiswürdigung heißt es:

1. Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er sich von dessen Schuld nicht zu überzeugen vermag, ist dies vom Revisionsgericht in der Regel  hinzunehmen. Die revisionsrechtliche Prüfung der tatrichterlichen Beweiswür-digung ist auf das Vorliegen von Rechtsfehlern (Widersprüche, Unklarheiten, Lücken, Verstöße gegen Denkgesetze, zu hohe Anforderungen an die Über-zeugungsbildung, unrichtige Anwendung des Zweifelssatzes) beschränkt (vgl. BGH, Urteil vom 11. März 2014 – 1 StR 655/13, Rn. 20; Urteil vom 23. Januar 2014 – 3 StR 373/13; Urteil vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13, Rn. 8 mwN). Sind derartige Rechtsfehler nicht feststellbar, kann das Revisionsgericht in die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann nicht eingreifen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich gewesen wäre (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2007 – 3 StR 342/07, NStZ-RR 2008, 146, 147 mwN).

Macht der Angeklagte von seinem Schweigerecht Gebrauch, darf ihm kein Nachteil daraus entstehen, dass er deshalb nicht in der Lage ist, zum Vorliegen einer Notwehrsituation vorzutragen (BGH, Urteil vom 13. Dezember 2012 – 4 StR 177/12, NStZ-RR 2013, 117, 119; Urteil vom 11. April 2002 – 4 StR 585/01, NStZ-RR 2002, 243 mwN). In einem solchen Fall ist von der für ihn günstigsten Möglichkeit auszugehen. Dabei sind jedoch nicht alle nur denk-baren Gesichtspunkte, zu denen keine Feststellungen getroffen werden können, zu Gunsten des Angeklagten zu unterstellen. Für ihn vorteilhafte Gesche-hensabläufe sind vielmehr erst dann bedeutsam, wenn für ihr Vorliegen reale Anhaltspunkte erbracht sind und sie deshalb nach den gesamten Umständen als möglich in Betracht kommen (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13, Rn. 20; Urteil vom 11. Januar 2005 – 1 StR 478/04, NStZ-RR 2005, 147; Urteil vom 11. April 2002 – 4 StR 585/01, NStZ-RR 2002, 243 mwN).“

Fazit: Auf keinen Fall das Schweigerecht voreilig aufgeben.

Reanimation des Zwischenverfahrens, oder: in dubio pro Zwischenverfahren

entnommen wikidmedia.org Fotograf Faßbender, Julia

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Fotograf Faßbender, Julia

Im Strafprozess führt das Zwischenverfahren, in dem die Anklage wegen ihrer Schlüssigkeit auf dem Prüfstand steht/stehen soll und geprüft wird/werden soll, ob das Hauptverfahren zu eröffnen und auf der Grundlage der Anklage eine Verurteilung des Angeklagten wahrscheinlich ist, ein „Schattendasein“. Viele Verteidiger beklagen nämlich und weisen darauf hin, dass die Anklagen häufig nur durchgewunken werden und von den Gerichten die Auffassung vertreten wird, es sei einfacher ggf. in der Hauptverhandlung frei zu sprechen, als sich die Mühe zu machen, die Anklage im Einzelnen darauf zu prüfen, ob sie als Verfahrensgrundlage taugt. Anders das AG Backnang in dem AG Backnang, Beschl. v.  23.07.2014 – 2 Ls 113 Js 112185/12. Das hat in einem Verfahren wegen des Vorwurfs des Raubes die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt, nachdem es selbst noch Ermittlungen durchgeführt hatte, nämlich ein Sachverständigengutachten zur Überprüfung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen eingeholt hatte, was im Ermittlungsverfahren nicht erfolgt war.

Das AG wendet dann den Grundsatz „in dubio pro reo“ wie folgt an. Bei dem im Rahmen der Entscheidung nach § 203 StPO zu fällenden Wahrscheinlichkeitsurteil ist für die Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ noch kein Raum. Jedoch kann der hinreichende Tatverdacht mit der Begründung verneint werden, dass nach Aktenlage bei den gegebenen Beweismöglichkeiten am Ende wahrscheinlich das Gericht nach diesem Grundsatz freisprechen wird.

Also: „In dubio pro Zwischenverfahren“. Der Beschluss ist übrigens rechtskräftig geworden 🙂 .

Ein überraschendes „in dubio pro reo“ – „geladene Waffe“ wäre besser

entnommen wikimedia.org Urheber Bunkerfunker

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Urheber Bunkerfunker

Eine auf den ersten Blick überraschende Richtigstellung/Rüge im Hinblick auf den Grundsatz „in dubio pro reo“ enthält der BGH, Beschl. v. 15.05.2014 – 2 StR 581/13. Der BGH moniert, dass die Strafkammer einen strafbefreienden Rücktritt des Angeklagten vom Versuch einer schweren räuberischen Erpressung verneint hat.

a) Nach den Feststellungen versuchte der Angeklagte vergeblich, die beiden Brüder Z. unter Vorhalt einer Schreckschusspistole zur Herausgabe von Geld oder anderen Wertgegenständen zu nötigen. Zum Ladezustand der Waffe konnte die Strafkammer keine Feststellungen treffen, weshalb sie – vermeintlich zu Gunsten des Angeklagten – von einer ungeladenen Schreckschusspistole ausgegangen ist. Im Weiteren nimmt das Landgericht einen den Rücktritt ausschließenden fehlgeschlagenen Versuch vor allem deshalb an, weil dem Angeklagten – nachdem sich die Brüder Z. von der Bedrohung mit der Pistole weitgehend unbeeindruckt gezeigt hatten – eine Intensivierung der Drohung mit der ungeladenen Waffe nicht möglich gewesen sei.

b) Damit verkennt das Landgericht, dass es bei der Frage des Rücktritts in dubio pro reo nicht von einer ungeladenen, sondern von einer geladenen Schreckschusswaffe hätte ausgehen müssen. Dann nämlich wäre dem Angeklagten unter Umständen die Herbeiführung des Erfolgseintritts – z.B. durch die intensivere Einschüchterung der Überfallenen mittels Schussabgabe – objektiv noch möglich gewesen. Hätte er die Ausführung der Tat unter Verwendung einer geladenen Schreckschusswaffe auch subjektiv noch für möglich gehalten, wäre sein Verzicht auf ein Weiterhandeln als freiwilliger Rücktritt vom unbeendeten Versuch zu bewerten (BGH NStZ 2007, 91; 2008, 393; Fischer, StGB, 61. Aufl. § 24 Rn. 10 ff.). Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.“

Wie gesagt: Überraschend, aber richtig 🙂 .

Step by Step – erst Beweiswürdigung, dann in dubio pro reo

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Step by Step – erst Beweiswürdigung, dann in dubio pro reo, oder immer schön der Reihe nach, habe ich gedacht, als ich den BGH, Beschl. v. 16.08.2012 – 3 StR 180/12 – gelesen habe. es geht mal wieder um Beweiswürdigungsfragen. Der Angeklagte ist vom Vorwurf des Mordes – zwei Mal – frei gessprochen worden, dagegen die Revision der Staatsanwaltschaft, die die Beweiswürdigung des LG angreift. Die hält aber beim BGH, der zwei Kernaussagen trifft.

Einmal der alt bekannte Satz/Textbaustein – hier aber mal zu Gunsten des Angeklagten:

„a) Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an dessen Täterschaft nicht überwinden kann, so ist dies vom Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen; denn die Würdigung der Beweise ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem um-fassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Das Revisionsgericht ist demgegenüber auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, etwa weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht in Einklang steht oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überzogene Anforderungen stellt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 – 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326).“

Und dann ein Hinweis, der hier allerdings nicht zum Tragen gekommen ist, der aber in anderen Fällen Bedeutung haben kann:

„(1) Soweit die Revision rügt, das Landgericht habe bei der Bewertung je-des einzelnen, den Angeklagten potentiell belastenden Beweismittels gemäß dem Grundsatz „in dubio pro reo“ denjenigen Schluss gezogen, der den Angeklagten entlaste, ist ihr zwar im Ansatz zuzugeben, dass der Zweifelsgrundsatz eine Entscheidungsregel ist, die grundsätzlich nicht auf die einzelnen Elemente der Beweiswürdigung anzuwenden ist, sondern erst nach deren Abschluss ein-greift (Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 261 Rn. 26 mwN). Gegen diesen Grundsatz hat das Landgericht jedoch nicht verstoßen. Den ausführlichen Urteilsgründen ist vielmehr zu entnehmen, dass die Strafkammer die einzelnen den Angeklagten be- und entlastenden Umstände dargestellt und deren jeweili-gen Beweiswert vor dem Hintergrund der für ein Alibi des Angeklagten spre-chenden Beweise gewürdigt hat. Hiergegen ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern.“

Also: Schön der Reihe nach.

 

In „dubio pro reo“ vor „Wahlfeststellung“

Folgender Fall lag dem BGH, Beschl. v. 10.08.2011 – 4 StR 369/11 zugrunde, in dem der BGH ein landgerichtliches Urteil im Schuldspruch teilweise geändert hat. Dazu heißt es:

Das Landgericht konnte nicht feststellen, wer bei dem Rammen des Fahrzeugs des Zeugen H. und der sich anschließenden Flucht den Last-kraftwagen steuerte und wer auf dem Beifahrersitz saß, bei einem Halt ausstieg und den Zeugen bedrohte, um ihn von weiterer Verfolgung abzuhalten. Zugunsten beider Angeklagter ist es davon ausgegangen, dass der jeweilige Angeklag-te sich auf dem Beifahrersitz befand und der andere den Lastkraftwagen gesteuert hat. Bei der rechtlichen Würdigung ist die Strafkammer zugunsten beider Angeklagter davon ausgegangen, dass der jeweils andere als Täter eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort anzusehen ist, wozu dann der jeweilige Angeklagte Beihilfe geleistet hat. Sie hat beide auf wahldeutiger Grundlage als Täter oder Gehilfen der Verkehrsunfallflucht verurteilt.“

Das war nach Auffassung des BGH falsch, denn „in dubio pro reo“ geht vor Wahlfeststellung:

„Die Verurteilung wegen Täterschaft oder Beihilfe auf wahldeutiger Grundlage hat keinen Bestand. Kann der Tatrichter einen Tatvorgang nicht eindeutig aufklären und muss er mehrere mögliche Geschehensabläufe in Rechnung stellen, ist das Verhältnis dieser mehreren möglichen, das Tatgeschehen bildenden Verhaltensweisen zueinander dafür maßgebend, ob und aufgrund welcher Strafvorschrift der Angeklagte zu verurteilen ist. Stehen die zu beurteilenden Verhaltensweisen in einem Stufenverhältnis im Sinne eines „Mehr oder Weniger“, so ist nach dem Grundsatz, dass im Zweifel zugunsten des Angeklagten zu entscheiden ist, nach dem milderen Gesetz zu verurteilen. Das ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch in Fällen von Beihilfe und Täterschaft bejaht worden (Urteile vom 16. Dezember 1969 – 1 StR 339/69, BGHSt 23, 203; vom 28. Oktober 1982 – 4 StR 480/82, BGHSt 31, 136, 138; Beschluss vom 18. August 1983 – 4 StR 142/82, BGHSt 32, 48, 57; Urteile vom 14. Dezember 1988 – 3 StR 170/88, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Unterlassen 2; vom 7. Mai 1996 – 1 StR 168/96, BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittä-ter 26). Der Schuldspruch muss deshalb – auch bezüglich des früheren Mitangeklagten B. (§ 357 Satz 1 StPO) – dahin geändert werden, dass der An-geklagte nur wegen tateinheitlicher Beihilfe zur Verkehrsunfallflucht verurteilt ist.
Der Senat schließt aus, dass die Strafaussprüche durch die Wahlfeststellung beeinflusst worden sind. Das Landgericht hat die Strafen dem Strafrahmen des § 244 Abs. 1 StGB entnommen. Soweit es das tateinheitliche Zusammen-treffen mehrerer Tatbestände berücksichtigt hat, ist angesichts der mehrfachen Erwähnung des Zweifelsgrundsatzes im Urteil auszuschließen, dass es den Angeklagten jeweils eine täterschaftliche Verwirklichung der Verkehrsunfall-flucht angelastet haben könnte…..“