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Unfall am/im Kreisverkehr – wie wird gehaftet?

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Aus der Serie: Wie wird die Haftung bei Verkehrsunfällen verteilt? heute ein „Kreisverkehrunfall“. Der hatte sich im Einfahrtsbereich eines Kreisverkehrs ereignet. Das AG Hamburg-Barmbek, Urt. v. 11.04.2014 – 815 C 248/12 – kommt zu einer 100-igen Haftung des Einfahrenden.

„Eine Abwägung der Mitverursachungs- und verschuldensbeiträge gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG führte im vorliegenden Fall zu einer 100%-igen Haftung der Beklagten als Gesamtschuldner.

Denn dem Unfall liegt ein pflichtwidriges Verhalten des Beklagten zu 1 zugrunde. Hierfür streitet zugunsten der Klägerin ein Beweis des ersten Anscheins. Nach den Unfallskizzen beider Parteien (Anlage 1 und Anlage 2 zu dem Protokoll vom 01.11.2012) ereignete sich der Unfall noch innerhalb des Einfahrtbereichs des Beklagten zu 1 in den Kreisverkehr. Dieses typische Geschehen rechtfertigt aufgrund der Lebenserfahrung die Annahme, dass der Beklagte zu 1 die Vorfahrt der Klägerin verletzt hat. Kommt es im Bereich einer vorfahrtsgeregelten Einmündung zu einer Kollision zwischen dem wartepflichtigen und dem vorfahrtsberechtigten Verkehr, so spricht der Beweis des ersten Anscheins regelmäßig dafür, dass der Wartepflichtige den Unfall durch eine schuldhafte Vorfahrtsverletzung verursacht hat, jedenfalls wenn sich die Kollision im Kreuzungs- oder Einmündungsbereich ereignet hat (BGH. Urteil vom 15. Juni 1982 – VI ZR 119/81). Dies gilt im Grundsatz auch für die Vorfahrtsverletzung im Kreisverkehr (LG Saarbrücken, Urteil vorn 28.03.2014 – 13 S 196/13). Die Anordnung der Vorfahrt innerhalb des Kreisverkehrs in § 8 Abs. la StVO führt insoweit gegenüber der Regelung in § 8 Abs. 1 StVO nicht zu einer anderen Bewertung.

Aufgrund des geschilderten Anscheinsbeweis ablag es den Beklagten, Umstände darzulegen und ggf. zu beweisen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Kausalverlaufs ergibt. Dies ist nicht gelungen.

Klassischer Rotlichtunfall – Haftungsverteilung?

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Folgenden – in der Praxis sicherlich häufigen – Sachverhalt, einen „klassischer Unfallhergang“ – hatte das LG Dortmund im LG Dortmund, Urt. v. 11.04.2014 – 4 S 70/11 – zu beurteilen: Es war in einem Kreuzungsbereich zu einer Kollision zwischen zwei Fahrzeugen gekommen. Die Klägerin behauptete dann im Schadensersatzverfahren, zunächst vor einer roten Ampel gewartet zu haben und als diese wieder Grünlicht anzeigte, in die Kreuzung eingefahren zu sein, wo das Beklagtenfahrzeug sie überraschend seitlich gerammt habe. Der Beklagte hatte eingewendet, er sei bei Grünlicht gefahren und habe im Zuge eines Rückstaus auf der Kreuzung stehen bleiben müssen, wo ihn schließlich die Klägerin gerammt habe. Das AG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hatte dann beim LG keinen Erfolg. Das ist von einer 100-prozentigen Haftung der Beklagten ausgegangen.

Die nach §§ 18 Abs. 3, 17 StVG vorzunehmende Abwägung der gegenseitigen Verschuldensanteile ergibt eine Haftungsquote von 100 % zulasten der Beklagten.

Die Abwägung der gegenseitigen Verschuldensanteile nach §§ 18 Abs. 3, 17 Abs. 2, 1 StVG ist notwendig, weil auch die Klägerin nach § 7 Abs. 1 StVG grundsätzlich für die unfallbedingten Schäden haftet. Denn der Unfall hat sich auch bei dem Betrieb ihres Fahrzeugs ereignet und ihre Haftung war ebenfalls nicht nach § 7 Abs. 2 StVG ausgeschlossen, da das Schadensereignis auch für sie nicht auf höherer Gewalt beruhte.

Der Unfall war auch weder für die Klägerin noch für den Beklagten zu 1) unvermeidbar im Sinne von §§ 18 Abs. 3, 17 Abs. 3 StVG. Davon muss das Gericht ausgehen, weil keiner der Parteien der Beweis gelungen ist, dass der Unfall für die Klägerin bzw. den Beklagten zu 1) ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG war. Ein unabwendbares Ereignis liegt vor, wenn auch ein Idealfahrer den Unfall nicht hätte vermeiden können bzw. der Unfall auch bei äußerster möglicher Sorgfalt nicht abzuwenden war und auch nicht weniger folgenschwer gewesen wäre.

Dies kann vorliegend nicht festgestellt werden. Denn nach den Ausführungen des Sachverständigen L hätte die Klägerin in einer Entfernung von etwa 18 m bis zu ihrer späteren Kollisionsposition ohne erhebliche Sichtbehinderung nach links in Richtung des Beklagtenfahrzeugs schauen können. Hätte sie das Beklagtenfahrzeug zu diesem Zeitpunkt erkannt, hätte sie bei zeitgerechter aktiver Reaktion nach längstens einer Sekunde durch eine Abwehrbremsung noch hinter dem Beklagtenfahrzeug zurückbleiben können. Auch wenn das Erkennen des Beklagtenfahrzeugs für die Klägerin in ihrer Fahrsituation nicht zwingend eine Reaktionsaufforderung darstellte, weil auch der Beklagte zu 1) noch circa 15 m von seiner Kollisionsposition entfernt war und er aus Sicht der Klägerin sein Fahrzeug noch hätte zum Stillstand bringen können, hätte ein Idealfahrer eine Nichtreaktion des Beklagten zu 1) dennoch erwogen und den Unfall durch eigenes Abbremsen verhindern können.

Für den Beklagten zu 1) wäre die Kollision ohne weiteres zu vermeiden gewesen, wenn er auf ein deutlich verspätetes Einfahren in den Kreuzungsbereich nach dem Umschalten der für ihn maßgeblichen Lichtzeichenalge auf Rot verzichtet hätte. Insoweit wird auf die Folgenden Ausführungen verwiesen.

Bei der nach §§ 18 Abs. 3, 17 Abs. 2 StVG vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge ist das Gericht zu der Wertung gelangt, dass der Verursachungsbeitrag des Beklagten zu 1) den Verursachungsbeitrag der Klägerin so sehr überwiegt, dass die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs dahinter zurücktritt.

Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Beklagte zu 1) in den Kreuzungsbereich eingefahren ist, obwohl die ihn betreffende Lichtzeichenanlage Rotlicht angezeigt hat und damit gegen § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7 StVO verstoßen hat. Dies ergibt sich aus den Aussagen der Zeugin Q und des Zeugen T sowie den Ausführungen des Sachverständigen L….“

Die Kollision mit der Fahrertür – wie wird da gehaftet

In der verkehrsrechtlichen Praxis spielen die Verkehrsunfälle immer wieder eine Rolle, bei denen es zu einer Kollision eines vorbeifahrenden Fahrzeugs mit einer geöffneten Fahrertür eines abgestellten Pkw kommt. Frage dann. Wie wird die Haftung verteilt?

Das OLG Frankfurt am Main geht im OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 28.01.2014 – 16 U 103/13 – von einer hälftige Schadensteilung aus. Gestritten wurde um Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall, bei dem es zu einer Kollision zwischen dem Fahrzeug der Beklagten zu 1 und der hinteren linken, teilweise geöffneten Tür des auf einem Parkstreifen abgestellten Fahrzeugs des Klägers gekommen war. Das OLG stellt auf folgende Umstände ab:

  • Die Beklagte zu 1 hatte keinen ausreichenden Seitenabstand zu dem Fahrzeug des Klägers eingehalten hat. Dabei sei es unerheblich, dass es kein feststehendes Maß für einen Seitenabstand gibt und der Seitenabstand nach den Feststellungen des Sachverständigen nicht lediglich – wie von der Beklagten zu 1 selbst angegeben – 30 cm, sondern ca. 70 cm betragen hat.
  • Der Anhalteweg der Beklagten zu 1) lag innerhalb der ausgeleuchteten Strecke.
  • Allein der Umstand, dass die Beklagte zu 1 die geöffnete Tür übersehen hat, führt nicht zu einem Verstoß gegen das Sichtfahrgebot.

Und weiter:

Soweit der Beklagten zu 1 ein zu geringer Seitenabstand vorzuwerfen ist, vermag der Senat ein besonders grobes Verschulden, das zu einer alleinigen oder zumindest überwiegenden Haftung der Beklagten führen würde, nicht zu erkennen. Zwar hätte die Beklagte zu 1 bei gehöriger Aufmerksamkeit das Hindernis erkennen und ausweichen können. Dies allein rechtfertigt jedoch nicht die Annahme eines groben Verschuldens, zumal sich der Unfall bei Dunkelheit ereignete und der Sachverständige die grundsätzliche Erkennbarkeit des in der Tür stehenden Klägers unter Berücksichtigung der vor Ort herrschenden Lichtverhältnisse als sehr gering eingestuft hat, so dass eine deutliche Signalwirkung nicht angenommen werden kann. Dessen ungeachtet erachtet der Senat in Abweichung von dem landgerichtlichen Urteil eine hälftige Schadensteilung für sachgerecht. Zwar verlangt § 14 Abs. 1 StVO dem Kläger die höchste Sorgfaltsstufe ab, und er hätte den Unfall ohne Weiteres verhindern können, indem er die im rückwärtigen Bereich befindlichen Gegenstände von der anderen Fahrzeugseite aus hätte entnehmen können. Zugleich ist der Unfall aber dadurch gekennzeichnet, dass die Beklagte zu 1 gegen eine bereits geöffnete – und nicht etwa sich erst im Vorbeifahren (weiter) öffnende – Tür gefahren ist. Diesen Umstand hat zwar auch das Landgericht in seiner Abwägung angeführt; er rechtfertigt es nach Auffassung des Senats aber, eine hälftige Schadensteilung anzunehmen. Etwas anderes folgt auch nicht aus der von den Beklagten in Bezug genommenen Entscheidung des Kammergerichts (Beschluss vom 22.11.2007, 12 U 199/06, NZV 2008, 256). Abgesehen davon, dass der dort entschiedene Sachverhalt nicht im Einzelnen dargelegt worden ist, macht es nach Auffassung des Senats einen Unterschied, ob der Unfall durch einen zu geringen Seitenabstand von einer sich (weiter) öffnenden Tür verursacht wird oder ob gegen eine bereits offen stehende Tür gefahren wird. In letzterem Fall liegt ein größeres Verschulden vor, so dass eine hälftige Schadensteilung gerechtfertigt ist.

Schleudern auf die Gegenfahrbahn – Crash – Haftungsanteil wie hoch?

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Aus meiner Zivilkammerzeit – lang, lang ist es her 🙂 – in einem sog. „Blechsenat“ des OLG musste ich zum Glück nie „dienen“ – kann ich mich noch daran erinnern, dass bei der Unfallschadensregulierung die (vorrangige) Haftungsverteilung manchmal besonders schwierig werde. Und zwar vor allem dann, wenn mehr als zwei Unfallbeteiligte an einem Unfallgeschehen beteiligt waren. Deshalb hat der dem OLG München, Urt. v. 20.12.2013 – 10 U 641/12 – zugrunde liegende Fall mein (besonderes) Interesse geweckt. Da waren nämlich drei Kraftfahrzeugführer an einem Verkehrsunfall beteiligt, auf die dann die Haftung gem. §§ 7, 17 StVG (ja, die Vorschriften sind noch hängen geblieben) verteilt werden musste.

Im Fall war zu einem Unfall gekommen, als der in dem Verfahren Beklagte infolge unangepasster Geschwindigkeit oder eines Fahrfehlers bei Dunkelheit, Schneetreiben und winterglatter Fahrbahn ins Schleudern geriet, gegen die in Fahrtrichtung befindliche linke Leitplanke (offenbar eine Kraftsatrße/BAB [?]) stieß und teilweise auf der Fahrbahnhälfte für den Gegenverkehr zum Stillstand kam. Hierdurch wurde eine Kettenreaktion ausgelöst, in deren Folge zwei weitere Fahrzeuge auf der teilweise blockierten Gegenfahrbahn zwar noch bremsen konnten, dann aber vom LKW des Klägers, der mit einer leicht überhöhten Geschwindigkeit fuhr, ineinander und in das bereits verunfallte Fahrzeug geschoben wurden. Der Kläger wollte nun zumindest eine Mithaftung des Beklagten in Höhe von 25% erreichen. Das LG hatte abgelehnt. Das OLG hat eine Haftungsquote von 25 % bejaht:

„2. Bei der Haftungsabwägung war insbesondere zu berücksichtigen, dass der Beklagte zu 1) durch einen vorwerfbaren Verkehrsverstoß auf die Gegenfahrbahn geriet und dort der Pkw wegen der schlechten Sicht- Witterungs- und Fahrbahnverhältnisse ein besonders hohes Gefährdungspotential darstellte. Andererseits gelang es dem Gegenverkehr bei angepasster Fahrweise durchaus, rechtzeitig auf die Gefahr – ein stehendes Fahrzeug – zu reagieren; so konnte etwa die Zeugin Z. ihren Pkw zum Stillstand bringen und die den Verhältnissen nicht angepasste, schon bei günstigsten Verhältnissen zu hohe Geschwindigkeit (§ 3 I 2, III 2 b StVO) des mitversicherten Fahrers der Klägerin war die entscheidende Schadensursache. Ein Mithaftungsanteil der Beklagten in Höhe von 25 %, wie eingeklagt, erscheint hiernach jedenfalls angemessen. Die Beklagten konnten weitere, zu Lasten der Klägerin zu berücksichtigende Umstände nicht beweisen, insbesondere nicht, dass der BMW und die anderen Fahrzeuge bereits seit längerem standen oder der Fahrer des Lkw auf ein erkennbares Warnblinklicht verspätet reagiert hätte.“

Die Kollision mit dem alkoholisierten Fußgänger

© ExQuisine - Fotolia.com

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Wie wird die Haftung verteilt, wenn es zwischen einem alkoholisierten Fußgänger und einem Pkw zu eine Kollision kommt? Darauf hat jetzt der BGH im BGH, Urt. v. 24.09.2013 – VI ZR 255/12 – eine Antwort gegeben, und zwar:

Bei einem Unfall zwischen einem Fußgänger und einem Kraftfahrzeug darf bei der Abwägung der Verursachungsanteile nur schuldhaftes Verhalten des Fußgängers verwertet werden, von dem feststeht, dass es zu dem Schaden oder zu dem Schadensumfang beigetragen hat. Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung aufgrund geschaffener Gefährdungslage haben außer Betracht zu bleiben. Ein überwiegendes Mitverschulden eines Fußgängers am Zustandekommen des Unfalls ergibt sich nach Auffassung des BGH nicht bereits daraus, dass er in erheblich alkoholisiertem Zustand die Straße überquerte, ohne auf den Fahrzeugverkehr zu achten. Die Beweislast für den unfallursächlichen Mitverschuldensanteil des Fußgängers trägt regelmäßig der Halter des Kraftfahrzeugs (§§ 7, 17 StVG, 254 BGB).

Im Urteil dazu:

Nach diesen Grundsätzen durfte das Berufungsgericht auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht annehmen, das Verschulden der Klägerin überwiege gegenüber der nicht ausgeräumten Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Beklagten dermaßen, dass die Betriebsgefahr hinter dem Verschulden der Klägerin zurücktrete. Mangels ausreichender Feststellungen zum Unfallhergang ergibt sich ein derart überwiegendes Mitverschulden der Klägerin am Zustandekommen des Unfalls nicht bereits daraus, dass diese in erheblich alkoholisiertem Zustand unter Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO die Straße überquerte, ohne auf den Fahrzeugverkehr zu achten. Insoweit erweist sich das Berufungsurteil als widersprüchlich zu der Begründung, mit der das Berufungsgericht die Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens abgelehnt hat. Dazu heißt es in dem angefochtenen Urteil, dass sich weder aus der Ermittlungsakte noch aus der Aussage des Zeugen M. oder der Anhörung der Parteien konkrete Anknüpfungstatsachen, insbesondere Entfernungen, Abstände, Endlagen und Geschwindigkeiten entnehmen ließen, die ausreichten, um einen Sachverständigen mit der Erstellung eines unfallanalytischen Gutachtens über den Hergang des Unfalls zu beauftragen. Mithin stand für das Berufungsgericht weder fest, welche Wegstrecke die Klägerin auf der Fahrbahn bis zum Erreichen des Kollisionsorts zurückgelegt hat, noch dass sie für die Beklagte zu 1 nicht erkennbar gewesen ist und der Unfall durch eine sofortige Reaktion der Beklagten zu 1 nicht hätte vermieden werden können.“