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Klassischer Fehler XXII: „keine professionelle Hilfe gesucht“ –> keine Bewährung?

© J.J.Brown - Fotolia.com

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Und schon wieder ein „Klassischer Fehler“ im Rahmen der Strafzumessung (vgl. zuletzt der BGH, Beschl. v. 08.01.2015 – 2 StR 233/14 und dazu Klassischer Fehler XXI: Das “Unrecht der Tat” führt zur Straferhöhung?). Ich bin dann doch ein wenig erstaunt, wie schwierig es offenbar für die Instanzgerichte ist, dem Angeklagten sein Einlassungsverhalten nicht anzulasten. Dieses Mal geht es im BGH, Beschl. v. 13.01.2015 – 4 StR 445/14 – um die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung und die dafür erforderliche günstige Sozialprognose, die vom LG nach Auffassung des BGH rechtsfehlerhaft verneint worden ist.

„Das Landgericht hat dem Angeklagten eine günstige Kriminalprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB versagt und auch keine „besonderen Umstände“ gemäß § 56 Abs. 2 StGB zu erkennen vermocht.

a) Die Verneinung einer günstigen Sozialprognose begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht ist von einer Neigung des Angeklagten zu sexuellen Übergriffen auf Mädchen im Kindesalter ausgegangen, „die bisher weder von ihm noch im Familienverbund aufgearbeitet“ worden sei. Es hat dem Angeklagten angelastet, „keine professionelle Hilfe bei der Aufarbeitung des Tatgeschehens“ gesucht zu haben. Der – die Tat in Abrede nehmende – Angeklagte hätte sich indes zu seinem Recht, den Tatvorwurf zu bestreiten, in Widerspruch setzen müssen, wenn er diese Neigung zugegeben und z.B. vorgetragen hätte, er habe bereits an einer fachkundigen Behandlung teilgenommen. Im Hinblick auf die Verteidigungsrechte des Angeklagten durfte ihm der Tatrichter diesen Vorwurf nicht machen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. April 1997 – 2 StR 44/97, NStZ 1997, 434).

Die Strafkammer hat sich an dieser Stelle auch nicht – wie erforderlich –mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit insbesondere durch die Erteilung von Therapieweisungen sowie Weisungen nach § 56c Abs. 2 Nr. 3 StGB die Voraussetzungen für eine günstige Kriminalprognose geschaffen werden kön-nen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Oktober 1991 – 4 StR 440/91, BGHR StGB 56 Abs. 1 Sozialprognose 21, und vom 19. März 2013 – 5 StR 41/13, BGHR StGB § 56 Abs. 2 Sozialprognose 5).

b) Auf diesen Rechtsfehlern kann die Ablehnung der Strafaussetzung zur Bewährung beruhen.

Es ist nicht auszuschließen, dass der Tatrichter dem Angeklagten eine günstige Sozialprognose gestellt hätte, da dieser nicht vorbestraft und sozial integriert ist.

Hätte die Strafkammer eine günstige Prognose gestellt, so wäre sie auch bei der Prüfung des Vorliegens „besonderer Umstände“ (§ 56 Abs. 2 StGB) möglicherweise zu einem anderen Ergebnis gelangt. Denn nach ständiger Rechtsprechung kann die Frage einer günstigen Sozialprognose auch für die Beurteilung bedeutsam sein, ob Umstände von besonderem Gewicht im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB vorliegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. Februar 1994 – 2 StR 623/93, StV 1995, 20, vom 28. Juni 1995 – 2 StR 284/95, und vom 9. April 1997, aaO; Urteil vom 20. Januar 2000 – 4 StR 365/99).“

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„Rebellisches Wesen“ – dennoch Bewährung

Strafaussetzung zur Bewährung setzt nach § 56 Abs. 1 StGB eine sog. positiver Sozialprognose voraus. Ob die vorliegt oder nicht, muss eine Gesamtwürdigung aller Umstände ergeben und dabei hat längere strafrechtliche Unauffälligkeit erhebliches Gewicht. Das zeigt deutlich der BGH, Beschl. v. 08.02.2012 -2 StR 136/11:

„Die Begründung, mit der das Landgericht das Fehlen einer hinreichend positiven Sozialprognose angenommen hat, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Umstand, dass die Angeklagte ein stark „ausgeprägtes Geltungsbedürfnis“ habe, „das sie, wie auch in den abgeurteilten Taten zum Ausdruck gekommen sei, durch äußere Umstände, wie teure Markenartikel zu kompensieren suche“, mag wie ihr „rebellisches Wesen“ oder ihre finanzielle Situation, in der der von ihr als angemessen und ihr zustehend empfundene Lebenszuschnitt nicht zu finanzieren sei (vgl. UA S. 80), gegen eine positive Prognose sprechen. Auch könnte ihr Verhalten in der Hauptverhandlung durchaus Aufschluss darüber geben, ob sie eine Einsicht, durch ihre Taten Unrecht verwirklicht zu haben, entwickeln wird. Die nach § 56 StGB erforderliche Gesamtwürdigung der Angeklagten und ihrer Taten ist insoweit aber unvollständig, als die Kammer es außer Betracht lässt, dass die Angeklagte trotz dieser negativen Faktoren offenbar nach ihren letzten aufgedeckten Taten im Februar 2008 bis zur Hauptverhandlung in dieser Sache im No-vember 2010 strafrechtlich nicht mehr auffällig geworden ist. Mit diesem gewichtigen Umstand, der für eine positive Entwicklung der Angeklagten spricht und womöglich die aufgezählten negativen Faktoren entkräften konnte, hätte sich deshalb das Landgericht in seiner Entscheidung ausdrücklich auseinandersetzen müssen.“

Dem BGH, Beschluss mekrt man m.E. deutlich an, wohin der BGH tendiert, nämlich zur Bewährung.