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OWi II: Keine allgemeine Erkundigungspflicht, oder: Ausnahmsweise muss man schauen, was gilt

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt aus Berlin. Das KG hat sich im KG, Beschl. v. 28.05.2024 – 3 ORbs 83/24 – 122 SsBs 13/24 – mit der Frage auseinandergesetzt, ob für den Ort des Antritts der Fahrt mit einem Kraftfahrzeug temporär eine Geschwindigkeitsbegrenzung gilt. Das KG sagt: Nein, aber…:

„Das Gericht hat festgestellt, dass der Betroffene am Tattag innerorts in 13053 Berlin die S-straße Richtung Buschallee aus Unachtsamkeit unter Überschreitung der dort nach § 41 Abs. 1 StVO i.V.m. Anlage 2 Abschnitt 7 Nr. 49 geltenden Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h befahren hat und hierbei mit einem Lasermessgerät Riegl FG 21-P angemessen wurde.

Aus der Beweiswürdigung ergibt sich, dass sich der Betroffene dahin eingelassen hat, er habe das Fahrzeug aus der S-straße abgeholt, nachdem seine Ex-Frau es dort am Abend zuvor habe stehenlassen. Er sei mit dem Bus gekommen, durch einen Park gelaufen und dann in den Wagen gestiegen, der zwischen der Kreuzung S-straße/Am F. S. und S-straße/E-straße gestanden habe. Er sei nicht ortskundig und auf der von ihm befahrenen Strecke – bis zu der Messung –  hätten keine regelnden Verkehrsschilder gestanden.

Nachdem das Urteil zunächst – ohne weitere Erläuterung – ausführt, die Einlassung des Betroffenen sei als Schutzbehauptung zu werten, legt es weiter dar, dass dessen Angaben zwar möglich seien, ihn aber – als Ortsunkundigen – die Pflicht getroffen habe, sich bezüglich der geltenden Geschwindigkeitsregelung kundig zu machen. Angesichts vorhandener Straßenschäden – derentwegen überhaupt die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h erfolgt sei –  habe das auch nahegelegen, so dass der Betroffene nicht gutgläubig von einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h habe ausgehen dürfen. Hinter der Kreuzung S-straße/Am F. S. sei tatsächlich keine Beschilderung mehr vorhanden gewesen, dem Betroffenen sei es aber möglich gewesen, von dieser nur wenige Hundert Meter entfernten Anordnung Kenntnis zu nehmen.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat mit der Sachrüge – zumindest vorläufig – Erfolg. Die bisher getroffenen Feststellungen tragen nicht die Verurteilung wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung um 31 km/h.

1. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lässt sich entnehmen, dass das Amtsgericht davon ausgegangen ist, dass dem Betroffenen das regelnde Verkehrsschild nicht bekannt gewesen sein könnte, weil sein Fahrzeug möglicherweise einige Hundert Meter hinter diesem stand und kein weiteres Schild an der befahrenen Strecke vorhanden war. Soweit das Gericht zuvor von einer Schutzbehauptung ausgeht, wird dies nicht weiter ausgeführt und auch nicht zur Grundlage der Entscheidung und der tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen gemacht.

2. Nach den insoweit maßgeblichen Feststellungen hat der Betroffene daher weder bei seiner Anfahrt mit dem Bus, noch in der S-straße selbst oder auf seiner anschließenden Fahrt vom Parkplatz bis zur Geschwindigkeitsmessstelle ein die Geschwindigkeit regelndes Verkehrszeichen passiert.

a) Der Senat folgt in dieser Konstellation nicht der Auffassung des Amtsgerichts, dass der Betroffene sich vor Fahrtantritt – gegebenenfalls durch Aufsuchen der nächstgelegenen Kreuzung – über die zulässige Höchstgeschwindigkeit hätte erkundigen müssen. Eine derartige allgemeine Erkundigungspflicht besteht nicht; dies ist obergerichtlich für diejenigen Fälle entschieden, in denen ein Kraftfahrzeugführer eine Fahrt innerhalb einer geschwindigkeitsbeschränkten Zone (Tempo 30-Zone) antreten will (vgl. OLG Hamm, Beschlüsse vom 18. Juni 2014 – III-1 RBs 89/14 – und vom 27. Dezember 2012 – III-3 RBs 249/12 –, jeweils juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. April 1997 – 5 Ss (OWi) 75/97-(OWi) 43/97 I –, juris; vgl. auch Krenberger in BeckOK StVR 23. Ed., § 39 Rn. 100-103). Ähnlich verhält es sich für den Beifahrer, den nach einem Fahrerwechsel nicht die allgemeine Verpflichtung trifft, sich nach einer etwaigen Beschilderung zu erkundigen (vgl. hierzu OLG Hamm, Beschluss vom 18. Juni 2014, a.a.O.)

Dieser Bewertung schließt sich der Senat für die hiesige Fallkonstellation an. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb bei einer Sachlage wie der vorliegenden eine andere Bewertung hinsichtlich der Erkundigungsverpflichtungen des Fahrzeugführers gelten sollte. Denn eine anders gelagerte (erheblichere) Gefahrensituation, die eine weitergehende Prüfungsobliegenheit als in den vorgenannten Fällen nach sich ziehen könnte, ist jedenfalls im Regelfall nicht gegeben. Auch dass hier – anders als in den Fällen, in denen die Geschwindigkeit in einer verkehrsberuhigten Zone lediglich durch Schilder an deren Grenze gekennzeichnet wird, wodurch der Sichtbarkeitsgrundsatz eine Einschränkung erfährt – an zwei Kreuzungen vor und nach der gefahrenen Strecke eine sichtbare Verkehrsbeschilderung angebracht war, ändert nichts an dem konkreten Umstand, dass der Betroffene diese in der spezifischen Situation nicht wahrnehmen konnte.

b) Ungeachtet dessen kann sich im Einzelfall einem Kraftfahrer selbstverständlich aufgrund bestimmter Umstände die Erkenntnis aufdrängen, dass es sich um eine geschwindigkeitsregulierte Straße oder Zone handelt. Dies kann – insbesondere in Tempo 30-Zonen – angesichts durchgehender Bebauung, enger Straßen, Aufpflasterungen, Verkehrsschikanen oder besonderer Fahrbahnmarkierungen der Fall sein. Auch das Vorhandensein von Straßenschäden – wie hier – ist grundsätzlich geeignet, eine derartige Erkenntnis auszulösen. Dies ergibt sich schon aus § 1 Abs. 1 StVO, der ein grundsätzliches Vorsichts- und Rücksichtnahmegebot enthält, sowie aus § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO, der die Grenze von 50 km/h innerorts als Maximalgeschwindigkeit unter günstigsten Umständen normiert. Soweit das Urteil hier das Lichtbild Bl. 63 d.A. (versehentlich als Bl. 65 bezeichnet) unter Hinweis auf dort sichtbare Fahrbahnschäden in Bezug nimmt, kann sich hieraus aber vorliegend eine Nachforschungspflicht nicht ergeben. Die Aufnahme zeigt die Kreuzung S-straße/Am F. S., die der Betroffene nach den Feststellungen jedoch gerade nicht passiert hatte, so dass er – ungeachtet der tatsächlichen Erheblichkeit dieser Schäden – hiervon keine Kenntnis hatte. Auch die in § 39 Abs. 1a StVO enthaltene Bestimmung, wonach innerhalb geschlossener Ortschaften abseits von Vorfahrtstraßen mit der Anordnung von Tempo 30-Zonen zu rechnen sei, führt zu keinem anderen Ergebnis. Abgesehen davon, dass es sich vorliegend nicht um eine solche Zone handelt und die Norm daher ohnehin nur eingeschränkt herangezogen werden kann, handelt es sich bei der S-straße um eine Vorfahrtstraße. Dies ergibt sich aus dem in Bezug genommenen Lichtbild, welches Bestandteil der Urteilsurkunde geworden ist (vgl. Stuckenberg in Löwe-Rosenberg StPO 27. Aufl., § 267 Rn. 17 m.w.N.) Weitere Umstände, aus denen sich ein „Aufdrängen“ hinsichtlich der Geschwindigkeitsbeschränkung ergeben könnte, finden sich in dem Urteil nicht.“

Vorsatz, Vorsatz – da muss das AG schon was schreiben….

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Eine Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung ist für den Betroffenen besonders nachteilig, weil in den Fällen in der Regel kein Absehen vom Fahrverbot zu erreichen ist. Das wird von den OLG damit begründet, dass § 1 BKatVO von in der Regel fahrlässiger Begehungsweise ausgeht. Wenn dann aber schon bei einem fahrlässigen Verstoß ggf. ein Fahrverbot verhängt werden kann, muss der Betroffene mit dem bei einem vorsätzlichen Verstoß erst recht rechnen. Das bedeutet: Als Verteidiger muss man versuchen, vor allem bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung eine Vorsatzverurteilung zu vermeiden. Und Verteidigungsansätze bzw. eine reelee Chance gibt es. Denn die Latte für die Darstellungs- und Begründungsanforderungen für die Annahme vorsätzlicher Begehungsweise liegen bei den OLG hoch, was die doch recht große Zahl von Aufhebungen wegen nicht ausreichender Urteilsgründe zeigt.

Aus neuerer Zeit dazu der OLG  Bamberg, Beschl. v. 24.03.2015 – 3 Ss OWi 294/15 – mit dem Leitsatz:

Die Annahme vorsätzlichen Handelns bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung bedarf auch dann nachvollziehbarer Darlegungen im Urteil, wenn der Betroffene den Streckenabschnitt häufig befährt und die Geschwindigkeitsbegrenzung kennt.

Zu allem dann auch  Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 4. Aufl.  2015, Rn. 2422 ff., insbesondere Rn. 2428 ff. – durfte mal wieder sein 🙂 . Das Zitat stammt übrigens aus dem OLG- Beschluss 🙂 🙂 .

Allerdings: In der Sache hat es dem Betroffenen nur eine Verurteilung wegen eines „fahrlässigen Verstoßes“ gebracht und eine Reduzierung der Geldbuße. Beim Fahrverbot ist es geblieben. Es war ein „beharrlicher Betroffener“.