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Fahrtenbuch I: „KFz-Führer wohnt in Bosnien“, oder: Rechtshilfe ist unangemessener Ermittlungsaufwand

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Und dann noch einmal heute im Kessel-Buntes Entscheidungen zur Fahrtenbuchauflage, also § 31 StVZO.

Zunächst hier der OVG Lüneburg, Beschl. v. 18.07.2023 – 12 ME 77/23 -, der nochmals zur Frage des angemessenen bzw. unangemessenen Ermittlungsaufwands der Verwaltungsbehörde Stellung nimmt.

Der Antragsteller hatte beanstandet, dass das VG im seiner Zuge summarischer Prüfung zu Unrecht bejaht habe, dass hier nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften die Feststellung des Fahrzeugführers nicht möglich gewesen sei. Der Antragsteller hatte im Anhörungsbogen zwar Namen und Vornamen sowie mit „Bosnien“ das Land des Wohnsitzes des auf dem Tatfoto abgebildeten Fahrzeugführers angegeben, allein mit diesen Angaben war die bezeichnete Person in dem fremden Staat auf dem Postweg nicht erreichbar gewesen.

Das OVG hat das nicht anders gesehen:

„Davon abgesehen, dass der Antragsteller die angebliche Notwendigkeit und Zumutbarkeit weiterer Ermittlungen schon nicht mit überzeugenden Darlegungen begründet, unterschätzt er erkennbar die Schwierigkeiten von Ermittlungen deutscher Verfolgungsbehörden im Ausland. Wie sich aus § 1 Abs. 2 IRG ergibt, zählt der Rechtshilfeverkehr in Bußgeldverfahren nämlich zum Rechtshilfeverkehr in strafrechtlichen Angelegenheiten. Hierbei ist unter anderem Nr. 121 der Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (RiVASt) zu beachten, der einer unmittelbaren Kontaktaufnahme deutscher Verfolgungsbehörden mit Personen, die im Ausland wohnen, (enge) Grenzen zieht. Es ist hiernach nicht einmal evident, dass eine als Bußgeldstelle tätige deutsche Verwaltungsbehörde einem in Bosnien wohnenden Betroffenen, dessen genaue Anschrift sie kennt, einen Anhörungsbogen zuschicken dürfte, obwohl das (nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG) eine den Betroffenen belastende, nämlich die Verfolgungsverjährung unterbrechende, Rechtswirkung hätte. Jedenfalls aber ist nicht davon auszugehen, dass eine deutsche Bußgeldstelle (einfach) unmittelbar mit bosnisch-herzegowinischen Behörden Kontakt aufnehmen dürfte und müsste, um bei dortigen Meldestellen nach einem bestimmten verdächtigen Fahrzeugführer zu forschen. Wie sich aus den Angaben unter III.1 des für Bosnien und Herzegowina einschlägigen Länderteils der Nr. 3 des Anhangs II der RiVASt (hier zitiert nach juris) ergibt, wird von Seiten Bosniens und der Herzegowina in Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten nämlich nur dann eine Rechtshilfe geleistet, wenn für das jeweilige Verfahren im Zeitpunkt des Rechtshilfeersuchens eine (deutsche) Justizbehörde zuständig ist. Das wäre hier aber nicht der Fall gewesen. Davon abgesehen werden (vgl. a. a. O. unter III.2 im Länderteil der Nr. 3 des Anhangs II der RiVASt) bis auf Weiteres Rechtshilfeersuchen gegenüber Bosnien und Herzegowina nur auf dem diplomatischen Geschäftsweg (d. h. die Regierung eines der beiden beteiligten Staaten und die diplomatische Vertretung des anderen treten miteinander in Verbindung – vgl. Nr. 5 RiVASt) übermittelt. Auch deshalb müsste die Inanspruchnahme von Rechtshilfe hier als ein dem Tatvorwurf unangemessener Ermittlungsaufwand angesehen werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 1.6.1989 – 2 BvR 239/88 -, BVerfGE 80, 109 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 43).“

 

 

Fahrtenbuch II: Unmöglichkeit der Täterermittlung, oder: Kein Ermittlungsdefizit der Behörde

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Und dann als zweite Entscheidung der OVG Münster, Beschl. v. 30.05.2023 – 8 A 464/23 -, auch zur Fahrtenbuchauflage, und zwar zur Unmöglichkeit der Täterermittlung.

Das VG hatte eine Klage des Betroffenen gegen eine Fahrtenbuchauflage abgewiesen. Dagegen dann der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung, der keinen Erfolg hatte:

„… Die Anordnung der Fahrtenbuchauflage findet ihre rechtliche Grundlage in § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO. Danach kann die nach Landesrecht zuständige Behörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war.

Die Feststellung des Fahrzeugführers ist im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO unmöglich, wenn die Bußgeldbehörde nach den Umständen des Einzelfalls nicht in der Lage war, den Täter einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Dazu gehört grundsätzlich, dass der Fahrzeughalter möglichst umgehend – im Regelfall innerhalb von zwei Wochen, wobei es sich aber nicht um eine starre Grenze handelt – von dem mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoß benachrichtigt wird, damit er die Frage, wer zur Tatzeit sein Fahrzeug geführt hat, noch zuverlässig beantworten und der Täter Entlastungsgründe vorbringen kann. Eine verspätete Anhörung schließt eine Fahrtenbuchauflage allerdings dann nicht aus, wenn feststeht, dass die Verzögerung für die unterbliebene Ermittlung des Täters nicht ursächlich gewesen ist.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 1987 – 7 B 139.87 -, juris Rn. 2; OVG NRW, Urteil vom 30. November 2005 – 8 A 280/05 -, juris Rn. 25.

Hiervon ausgehend darf der ausgebliebene Ermittlungserfolg jedenfalls nicht maßgeblich auf ein Ermittlungsdefizit der zuständigen Behörde zurückzuführen sein. Die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage setzt insbesondere nicht voraus, dass die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrers auf einer fehlenden Mitwirkung des Fahrzeughalters beruht oder der Halter seine Mitwirkungsobliegenheiten schuldhaft nicht erfüllt hat oder die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers sonst zu vertreten hat.

Vgl. Schl.-H. OVG, Urteil vom 8. Dezember 2022 – 5 LB 17/22 -, juris Rn. 28.

Im Einklang mit diesen Maßstäben hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass das Ermittlungsverfahren im vorliegenden Fall „möglicherweise nicht optimal verlaufen“ sei; der vom Kläger bestrittene Zugang des nach Aktenlage zwei Wochen nach dem Verkehrsverstoß vom 6. Januar 2022 zur Post gegebenen Anhörungsschreibens lasse sich jedenfalls nicht feststellen. So sei der Kläger erst am 4. März 2022 durch einen Außendienstmitarbeiter des Beklagten – möglicherweise ohne Nennung des Datums und ohne Vorlage des Beweisfotos – darüber informiert worden, dass mit dem auf ihn zugelassenen Fahrzeug in E.  ein Rotlichtverstoß begangen worden sei. Ein behördliches Ermittlungsdefizit, das für die letztlich erfolglos gebliebenen Ermittlungsbemühungen ursächlich gewesen sei, hat das Verwaltungsgericht jedoch nicht erkannt. Hierzu hat es ausgeführt: Nach Befragung des Klägers stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dieser nicht bereit gewesen sei, an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes mitzuwirken, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre. Selbst wenn der als Zeuge vernommene damalige Außendienstmitarbeiter des Beklagten dem Kläger das Datum des Verkehrsverstoßes nicht genannt haben sollte, hätte es diesem oblegen, danach zu fragen, wenn er diese Information zur Eingrenzung des Täterkreises benötigt hätte. Auf die verspätete Information und den genauen Inhalt des Gesprächs mit dem Außendienstmitarbeiter des Beklagten komme es aber auch nicht an, weil der Kläger nach seinen eigenen Angaben im Klageverfahren ohnehin wusste, dass seine Tochter die verantwortliche Fahrzeugführerin war. Aus welchen Gründen der Kläger keine Angaben gemacht habe, insbesondere, ob ihm ein Aussageverweigerungsrecht zustehe und ob ihm bei seiner Entscheidung, an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes nicht im Rahmen des ihm Möglichen mitzuwirken, die Befugnis der Behörde zum Erlass einer Fahrtenbuchanordnung bewusst gewesen sei, sei unerheblich.

Das Antragsvorbringen begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit dieser Sachverhaltswürdigung.

Der Kläger macht geltend, das Verwaltungsgericht hätte in Anlehnung an den Beschluss des Senats vom 14. November 2013 – 8 A 1668/13 – (juris) maßgeblich auf die von der Behörde ergriffenen Maßnahmen zur Täterermittlung abstellen müssen. Diese seien unzureichend gewesen, weil der Zeuge den Kläger in dem Gespräch am 4. März 2022 nur unvollständig informiert habe und es nicht dem Kläger oblegen hätte, von sich aus nach dem Datum des Verkehrsverstoßes und dem Fahrerfoto zu fragen.

Diese Argumentation greift jedoch nicht durch. In der genannten Entscheidung hat der Senat ausgeführt, § 31a Abs. 1 S. 1 StVZO setze nicht voraus, dass Grund für die Nichtfeststellbarkeit des verantwortlichen Täters einer Verkehrsordnungswidrigkeit ein rechtswidriges (oder gar schuldhaftes) Verhalten des Halters sei; es genüge vielmehr, dass der begangene Verkehrsverstoß nicht aufklärbar gewesen sei, obwohl die Behörde alle nach den Umständen des Einzelfalles angemessenen und zumutbaren Maßnahmen zur Täterermittlung getroffen habe. Davon ist jedoch auch das Verwaltungsgericht ausgegangen. Ein Rechtsgrundsatz des Inhalts, dass ein behördliches Ermittlungsdefizit, das sich nicht ursächlich auf den letztlich ausgebliebenen Ermittlungserfolg ausgewirkt hat, der Annahme, dass die Feststellung des verantwortlichen Fahrzeugführers nicht möglich gewesen sei, entgegenstehe, ist der genannten Entscheidung jedoch nicht zu entnehmen und existiert auch nicht. Ausgehend von der im Zulassungsverfahren nicht mit beachtlichen Rügen angegriffenen und im Übrigen auch nachvollziehbar begründeten Sachverhaltswürdigung des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger zur Mitwirkung an der Aufklärung nicht bereit war, bedurfte er der ergänzenden Informationen über den Tag des Verkehrsverstoßes und der Vorlage des Fotos nicht. Er wusste nach eigenen Angaben ohnehin, dass seine Tochter den Rotlichtverstoß begangen hat. Das stellt die Antragsbegründung auch nicht in Frage.

Ergänzend ist anzumerken, dass – abgesehen von den vom Verwaltungsgericht gewürdigten Umständen – auch sonst keine Anhaltspunkte für ein relevantes Ermittlungsdefizit vorliegen. Da das Fahrzeug am Tattag von einer Frau geführt wurde, kam der Kläger selbst als Täter nicht in Betracht. Der Lichtbildabgleich mit dem Ausweisfoto der Ehefrau des Klägers ergab keine Übereinstimmung. Dass sich bei dieser Sachlage für die Behörde weitere erfolgversprechende Ermittlungsansätze ergeben hätten, macht der Kläger nicht geltend und ist auch nicht ersichtlich…..“

Fahrtenbuch II: Mitwirkungspflichten des Halters, oder: Unbestimmte Dauer der Auflage

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Die zweite Entscheidung zum Fahrtenbuch kommt mit dem BayVGH, Beschl. v. 30.11.2022 – 11 CS 22.1813 – ebenfalls aus Bayern. Auch in dem Verfahren ist es um die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen eine Fahrtbuchauflage gegangen.

Auch hier weitgehend das Übliche, so dass ich mich auch im Wesentlichen auf die Leitsätze zu dem recht umfangreich begründeten Beschluss beschränken will. Die lauten:

    1. Wenn ein Halter, der ein Fahrtenbuch führen soll, den zur Last gelegten Verkehrsverstoß als solchen bestreitet, muss er jedoch im Verwaltungs- oder im verwaltungsgerichtlichen Verfahren substantiierte Angaben machen, die seine Schilderung plausibel erscheinen lassen. Insbesondere dürfen Geschwindigkeitsmessergebnisse, die mit amtlich zugelassenen Geräten in standardisierten Verfahren gewonnen werden, nach Abzug der Messtoleranz von Behörden und Gerichten im Regelfall ohne Weiteres zu Grunde gelegt werden, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlfunktion oder unsachgemäße Bedienung vorliegen.
    2. Unzureichende Mitwirkung des angehörten Fahrzeughalters hat insoweit Bedeutung für die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31a StVZO, als sie den Einwand abschneiden kann, die Feststellung des Fahrzeugführers wäre nach der Verkehrszuwiderhandlung möglich gewesen, wenn die Bußgeldbehörde weiter ermittelt hätte. Dies gilt insbesondere, wenn der betreffende Fahrzeughalter im Ordnungswidrigkeitsverfahren auf einen ihm übersandten Anhörungsbogen überhaupt nicht reagiert.
    3. Auch ein erst- oder einmaliger Verkehrsverstoß kann eine Fahrtenbuchauflage rechtfertigen, wenn er von erheblichem Gewicht ist. Dabei kommt es auf die besonderen Umstände des Einzelfalls, wie etwa die konkrete Gefährlichkeit des Verkehrsverstoßes, nicht an. Das Gewicht der festgestellten Verkehrszuwiderhandlung ergibt sich vielmehr aus ihrer generellen Gefährlichkeit für die Sicherheit des Straßenverkehrs. Hierbei kann die Behörde auf die Bewertungen abstellen, die in den einschlägigen Straf- und Bußgeldvorschriften mit der Ausgestaltung der Sanktionen sowie in § 40 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) i.V.m. Anlage 13 mit der Einordnung eines Delikts in das Fahreignungs-Bewertungssystem (Punktsystem) zum Ausdruck gebracht worden sind.
    4. Die Behörde ist nicht gehalten, die Maßnahme bereits im Zeitpunkt ihres Erlasses zu befristen. Danach ist dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dadurch Rechnung zu tragen, dass die Anordnung – als Dauerverwaltungsakt – bei Wegfall der ihr zu Grunde liegenden Voraussetzungen sowie dann aufzuheben ist, wenn ihre Dauer mit Blick auf den mit der Maßnahme verfolgten Zweck nicht mehr angemessen ist.

Gnaz interessant ist, was der BayVGH zum Leitsatz 4. konkret ausführt:

„bb) Auch mit Blick auf die Dauer der Verpflichtung zur Führung des Fahrtenbuchs zeigt die Beschwerde keinen Ermessensfehler auf.

(1) Das Landratsamt hat sich ersichtlich an obergerichtlicher Rechtsprechung orientiert, der zufolge die Behörde nicht gehalten ist, die Maßnahme bereits im Zeitpunkt ihres Erlasses zu befristen. Danach ist dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dadurch Rechnung zu tragen, dass die Anordnung – als Dauerverwaltungsakt – bei Wegfall der ihr zu Grunde liegenden Voraussetzungen sowie dann aufzuheben ist, wenn ihre Dauer mit Blick auf den mit der Maßnahme verfolgten Zweck nicht mehr angemessen ist. Ihrer Pflicht, den Verwaltungsakt aus diesem Grunde unter Kontrolle zu halten, kann die Behörde demnach insbesondere dadurch genügen, dass sie in dem Bescheid in Aussicht stellt, die Notwenigkeit seiner Fortdauer nach einer bestimmten Zeit zu überprüfen (vgl. VGH BW, U.v. 3.5.1984 – 10 S 447/84VBlBW 1984, 318/319 unter Verweis auf BVerwG, B.v. 27.7.1970 – VII B 19.70 – Buchholz 442.15 § 7 StVO Nr. 6; ebenso OVG Bremen, U.v. 9.12.1975 – I BA 52/74 – DAR 1976, 53/55). So ist das Landratsamt hier vorgegangen und hat der Sache von vornherein den Grundstein für eine Beschränkung der Maßnahme auf neun Monate gelegt.

(2) Wenn die Antragstellerin dagegen einwendet, es verstoße gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), ein Fahrtenbuch auf unbestimmte Zeit führen zu lassen, geht dies daher bereits von unzutreffenden Voraussetzungen aus.

(3) Die Beschwerde zeigt auch nicht auf, weshalb es, wie sie darüber hinaus in den Raum stellt, mit der Datenschutzgrundverordnung unvereinbar sein sollte, dass die Antragstellerin für neun Monate ein Fahrtenbuch zu führen, dieses Polizeibeamten sowie Vertretern des Landratsamts auf Verlangen zur Überprüfung auszuhändigen und mindestens sechs Monate nach Ablauf der Zeit, für die es zu führen ist, aufzubewahren hat. Nach der Rechtsprechung des Senats ist – ungeachtet der Eröffnung des sachlichen Anwendungsbereichs der DSGVO (zweifelnd VG Regensburg, U.v. 17.4.2019 – RN 3 K 19.267 – juris Rn. 24 ff.) – im Falle des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31a StVZO eine Datenverarbeitung nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. f DSGVO zur Wahrung der berechtigten Interessen von Behörden und Gerichten, die insoweit Dritte im Sinn des Art. 4 Nr. 10 DSGVO sind, bei Abwägung mit den Interessen des Fahrzeugführers zulässig. Behörden und Gerichte haben ein berechtigtes Interesse daran, die ihnen im öffentlichen Interesse obliegenden Aufgaben zu erfüllen, zu denen die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten sowie Straftaten gehört (vgl. BayVGH, B.v. 22.7.2022 – 11 ZB 22.895 – ZfSch 2022, 595 = juris Rn. 18).

Anders als die Beschwerde meint, setzt die Verfolgungsverjährungsfrist, die unter Umständen nur drei Monate beträgt (§ 26 Abs. 3 Satz 1 StVG), insoweit keine beachtliche Grenze. Nach Art. 17 Abs. 1 Buchst. a DSGVO, auf den das Vorbringen der Sache nach abzielt, sind personenbezogene Daten zwar zu löschen, wenn sie für die Zwecke, für die sie erhoben wurden, nicht mehr notwendig sind. Insoweit geht die Antragstellerin jedoch von einem zu engen Erhebungszweck aus. Wie der Antragsgegner zutreffend ausführt, zielt die Verpflichtung zur Führung eines Fahrtenbuchs auch darauf ab, ggf. eine Verfolgung von Verkehrsstraftaten zu ermöglichen (vgl. BVerwG, U.v. 28.2.1964 – VII C 91.61BVerwGE 18, 107/108 f.). Insoweit gelten aber weitaus längere Verjährungsfristen (vgl. §§ 78 ff. StGB). Zudem kann die Fahrtenbuchauflage ihren Zweck, künftig die Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften ohne Schwierigkeiten zu ermöglichen und dies zugleich den betroffenen Fahrern zur Verhinderung weiterer Zuwiderhandlungen im Vorfeld vor Augen zu führen (vgl. BVerwG, U.v. 28.5.2015 – 3 C 13.14BVerwGE 152, 180 Rn. 19), nur erfüllen, wenn die ordnungsgemäße Führung kontrolliert werden kann. Dies muss zur Sicherstellung eines rationellen Einsatzes der vorhandenen Mittel auch unabhängig vom Ablauf etwaiger Verjährungsfristen zum Ende der Maßnahme und in einem angemessenen Zeitraum danach möglich sein. Deshalb ist es nicht zu beanstanden, wenn § 31a Abs. 3 StVZO eine Pflicht zur Aufbewahrung des Fahrtenbuchs für sechs Monate nach Ablauf der Zeit, für die es geführt werden muss, vorsieht. Damit bedarf auch keiner Erörterung, ob hier ein Ausnahmetatbestand gemäß Art. 17 Abs. 3 DSGVO vorliegen könnte.“

Fahrtenbuch I: Innerorts 40 Km/h zu schnell gefahren, oder: Das reicht für eine Auflage

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Heute stelle ich dann zwei Entscheidungen zur Fahrtenbuchauflage (§ 31a StVZO) vor.

Zunächst kommt hier der BayVGH, Beschl. v. 13.10.2022 – 11 CS 22.1897. Nichts Besonderes, sondern nur weitgehend das Übliche in diesen Fällen. Gestritten worden ist um eine Anordnung nach einer Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb geschlossener Ortschaft um 40 km/h.

Der Antrag des Betroffenen auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Anordnung hatte keinen Erfolg:

„b) Die Fahrtenbuchauflage ist auch materiellrechtlich nicht zu beanstanden.

aa) Der festgestellte Verkehrsverstoß ist hinreichend gewichtig, um die Anordnung des Führens eines Fahrtenbuchs zu rechtfertigen (vgl. zu diesem Erfordernis BVerwG, U.v. 28.5.2015 a.a.O. Rn. 15 m.w.N.). Auch ein erst- oder einmaliger Verkehrsverstoß von erheblichem Gewicht kann unabhängig von der konkreten Gefährlichkeit eine Fahrtenbuchauflage rechtfertigen. Dies kann in der Regel angenommen werden, wenn der Verstoß im Fahreignungs-Bewertungssystem (§ 4 des Straßenverkehrsgesetzes – StVG, § 40 der Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) mit mindestens einem Punkt eingestuft ist (vgl. OVG LSA, B.v. 2.2.2020 a.a.O. Rn. 17; OVG NW, B.v. 21.3.2016 – 8 B 64/16 – juris Rn. 31). Nr. 2.2.3 der Anlage 13 zur § 40 FeV i.V.m. Nr. 11.3.6 der Tabelle 1 zur Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV) sieht bei einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h innerhalb geschlossener Ortschaften (§ 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVO) um 31 bis 40 km/h eine Bewertung mit zwei Punkten vor. Somit war hier von einem hinreichend gewichtigen Verkehrsverstoß auszugehen.

bb) Ohne Erfolg beruft sich der Antragsteller darauf, dass die Verwaltungsgemeinschaft Oettingen ihn als Fahrzeughalter im Rahmen der Ermittlungen nicht innerhalb von zwei Wochen nach dem Verstoß erstmals angehört und zur Mitteilung des Fahrzeugführers aufgefordert habe.

Die Feststellung des Kraftfahrzeugführers ist im Sinne von § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO unmöglich, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalls alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um ihn zu ermitteln. Art und Ausmaß der Ermittlungen hängen insbesondere von der Art des jeweiligen Verkehrsverstoßes und der Bereitschaft des Kraftfahrzeughalters zur Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrers ab (vgl. etwa BVerwG, U.v. 17.12.1982 – 7 C 3.80BayVBl 1983, 310; BayVGH, B.v. 26.3.2015 – 11 CS 15.247 – juris Rn. 12). Zwar gehört zu einem angemessenen Ermittlungsaufwand grundsätzlich die unverzügliche, d.h. regelmäßig innerhalb von zwei Wochen durchzuführende Benachrichtigung des Fahrzeughalters von der mit seinem Kraftfahrzeug begangenen Zuwiderhandlung (vgl. BVerwG, U. v. 13.10.1978 – VII C 77.74 – Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 5), da die Wahrscheinlichkeit, dass der Fahrzeughalter die Frage nach dem Fahrzeugführer noch zuverlässig beantworten kann, mit zunehmendem Zeitabstand geringer wird. Diese Frist hat die Verwaltungsgemeinschaft mit ihrer erstmaligen Anhörung vom 5. August 2021 sieben Wochen nach der Tat deutlich überschritten. Allerdings ist die Nichteinhaltung der Zweiwochenfrist unschädlich, wenn sie für die Nichtfeststellung des Fahrzeugführers nicht kausal ist, etwa weil die Ergebnislosigkeit der Ermittlungen nicht auf Erinnerungslücken des Fahrzeughalters beruht (vgl. etwa BayVGH, B. v. 20.7.2016 – 11 CS 16.1187 – juris Rn. 11; OVG Saarl, B.v. 18.7.2016 – 1 B 131/16 – juris Rn. 20 f. m.w.N.). So liegt es hier. Der Antragsteller hat als Reaktion auf die verspätete Anhörung keine Erinnerungslücken geltend gemacht, sondern auf dem von ihm zurückgesandten Anhörungsbogen handschriftlich vermerkt, der oder die Fahrzeugführer/in sei „nicht bekannt“. Gegenüber der von der Verwaltungsgemeinschaft um Amtshilfe gebetenen Polizeiinspektion Dinkelsbühl hat er erklärt, er wolle sich nicht zur Sache äußern. Beides bringt, wie das Verwaltungsgericht zutreffend feststellt, etwas Anderes zum Ausdruck als fehlendes Erinnerungsvermögen aufgrund der vergangenen Zeit. Erst im Rahmen der vom Landratsamt durchgeführten Anhörung zur Fahrtenbuchauflage gab der Antragsteller am 28. Oktober 2021 an, er könne aufgrund der verstrichenen Zeit keine Angaben darüber machen, wer Fahrer des Fahrzeugs gewesen sei. Auf diese Erklärung kommt es jedoch für die Frage der Kausalität der verspäteten Anhörung zur Person des Fahrers im Rahmen des Bußgeldverfahrens für die Unmöglichkeit der Fahrerfeststellung vor Eintritt der Verfolgungsverjährung drei Monate nach der Tat nicht an. Etwaige Erinnerungslücken nach Einstellung des Bußgeldverfahrens stehen der Fahrtenbuchauflage nicht entgegen.

c) Schließlich bestehen auch keine Bedenken unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit gegen die Dauer der Verpflichtung zur Führung des Fahrtenbuchs. Maßgeblich hierfür ist vor allem das Gewicht der festgestellten Verkehrszuwiderhandlung. Je schwerer das mit dem Kraftfahrzeug des Halters begangene Verkehrsdelikt wiegt, desto eher ist es gerechtfertigt, dem Fahrzeughalter eine nachhaltige Überwachung der Nutzung seines Fahrzeuges für einen längeren Zeitraum zuzumuten. Denn mit zunehmender Schwere des ungeahndet gebliebenen Delikts wächst das Interesse der Allgemeinheit, der Begehung weiterer Verkehrsverstöße vergleichbarer Schwere entgegenzuwirken. Das Bundesverwaltungsgericht sieht es als naheliegend an, wenn sich die zuständige Behörde für die konkrete Bemessung der Dauer der Fahrtenbuchauflage am Punktesystem der Anlage 13 zu § 40 FeV ausrichtet (BVerwG, U.v. 28.5.2015 BVerwGE 152, 180 Rn. 20 ff., ebenso BayVGH, B.v. 31.1.2022 – 11 CS 21.3019 – juris Rn. 11).

Gemessen daran erweist sich die Verpflichtung zur Führung eines Fahrtenbuchs für die Dauer von zwölf Monaten hier nicht als unverhältnismäßig. Die Geschwindigkeitsüberschreitung am 17. Juni 2021 innerorts um 40 km/h wiegt durchaus schwer und ist, wie bereits ausgeführt, mit zwei Punkten bewertet. Bereits die erstmalige Begehung eines solchen Verkehrsverstoßes rechtfertigt die Anordnung einer zwölfmonatigen Fahrtenbuchauflage unabhängig davon, ob es zu einer konkreten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer gekommen ist oder nicht.“

Fahrtenbuchauflage beim Geschwindigkeitsverstoß, oder: Rechtzeitige Anhörung des Fahrzeughalters

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Heute im „Kessel Buntes“ dann mal wieder zwei Entscheidungen aus dem Verkehrsverwaltungsrecht.

Zunächst der OVG Hamburg, Beschl. v. 23.09.2021 – 4 Bs 140/20, der sich mit § 31a StVZO befasst, also Fahrtenbuchproblematik. Der Antragsteller des Verfahrens ist Halter eines Fahrzeugs, mit dem am 05.07.2020 ein Geschwindigkeitsverstoß begangen wurde. Das Frontfoto von dem Verstoß zeigt eine weibliche Person. Auf das Anhörungsschreiben mit Foto an seine aktuelle Meldeanschrift und eine Erinnerung hat der Antragsteller nicht reagiert. Auf eine Ladung als Zeuge erschien er nicht. Das Bußgeldverfahren wurde dann eingestellt, weil die Feststellung des Täters unmöglich war.

Die Verwaltungsbehörde legte dem Antragsteller die Führung eines Fahrtenbuches für sechs Monate auf und ordnete die die sofortige Vollziehung der Maßnahme an. Der Antragsteller hat vorläufigen Rechtsschutz mit dem Ziel beantragt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs wiederherzustellen. Das hat das VG abgelehnt. Die Beschwerde blieb beim OVG erfolglos.

Das OVG schreibt man wieder – wie die VG häufig viel. Daher hier nur die Leitsätze zu dem Beschluss:

  1. Die Behörde trägt die materielle Beweislast für die rechtzeitige Anhörung des Fahrzeughalters. Es obliegt ihr, den vollen Beweis über den Zugang eines Schriftstücks zu erbringen, da dessen Nichterhalt eine sog. negative Tatsache darstellt, die ihrerseits eines Beweises nicht zugänglich ist. Dies ergibt sich für ein Schreiben aus den allgemeinen Beweislastregelungen über den Zugang von Willenserklärungen.

  2. Der Zugang eines mit einfachem Brief bei der Post aufgegebenen Schriftstücks kann nicht im Wege der Beweiserleichterung des Prima-facie-Beweises nachge-wiesen werden.

  3. Das Gericht kann im Wege der Würdigung der Umstände des Einzelfalles nach § 108 Abs. 1 VwGO zu der Überzeugung gelangen, dass ein abgesandtes Schrift-stück den Adressaten erreicht hat.