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Neuerteilung der Fahrerlaubnis, oder: Wann wird ein (ungünstiges) Gutachten „gelöscht“?

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Und als zweite Entscheidung heute dann etwas Verkehrsverwaltungsrechtliches, nämlich das VG Berlin, Urt. v. 04.03.2021 – 4 K 125/20.

Gestritten wird/wurde um die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis, und zwar auf der Grundlage folgenden Sachverhalts:

„Er [der Kläger] war Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen B, M und L, welche ihm im Mai 2005 entzogen wurde. Einen Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis im Juli 2009 lehnte die Fahrerlaubnisbehörde der Stadt Wiesbaden im November 2009 aufgrund eines ungünstigen medizinisch-psychologischen Gutachtens ab, welches künftige Verkehrszuwiderhandlungen und das künftige Führen eines Kraftfahrzeuges unter Alkoholeinfluss durch den Kläger für wahrscheinlich hielt. Einen weiteren Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis im September 2014 lehnte Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) mit Bescheid im Mai 2015 ab, weil der Kläger das angeforderte Gutachten nicht innerhalb der Frist vorgelegt hatte. Nach durchlaufenem Widerspruchsverfahren verfolgte dieser sein Begehren erfolglos mit Klage vor dem Verwaltungsgericht – VG 4 K 282.15 – und Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg – OVG 1 N 103.15 – weiter.

Am 1. August 2019 stellte der Kläger erneut einen Antrag auf Neuerteilung der Klassen B, A, A1 und L. Mit Schreiben vom 30. September 2019 wies das LABO ihn auf die bestehenden Bedenken an seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen hin. Es führte das noch aktenkundige vorsätzliche Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie das negative medizinisch-psychologischen Gutachten aus 2009 auf. Es forderte ihn zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens binnen sechs Monaten zu den Fragen auf, ob zu erwarten sei, dass er auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde, ob psycho-funktionale Beeinträchtigungen vorliegen würden und ob aufgrund der aktenkundigen Tatsachen zukünftig mit Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften zu rechnen sei. Der Kläger verweigerte die Begutachtung und bat um einen rechtsmittelfähigen Bescheid, sodass das LABO mit Bescheid vom 14. November 2019 den Antrag des Klägers auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis ablehnte. Dieser habe das angeforderte Gutachten nicht innerhalb der Frist vorgelegt. Daneben sei ihm schriftlich erklärt worden, dass das Gutachten aus dem Jahr 2009 noch verwertbar und deshalb die Gutachtenanforderung rechtmäßig sei.

Hiergegen legte der Kläger am 22. November 2019 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, dass er seit zehn Jahren keine Verstöße gegen rechtliche Bestimmungen begangen habe, sodass die Behauptung, er würde seine individuellen Bedürfnisse über die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs stellen, widerlegt sei. Ein über zehn Jahre altes Gutachten könne insofern jedenfalls nicht als belastbare Tatsache herangezogen werden. Das Gutachten enthalte Hinweise zu bereits getätigten Eintragungen. Seine weitere Verwendung verstoße gegen die Tilgungsvorschriften. Zudem sei das Gutachten weder inhaltlich noch formal nachvollziehbar. Der Verfasser des Gutachtens aus dem Jahr 2009 sei nicht als qualifiziert in dem offiziellen Register der Fachpsychologen für Verkehrspsychologie geführt worden. Dieser habe die Inhalte des Gutachtens willkürlich manipuliert und gravierend abweichend von den Aussagen des Klägers wiedergegeben. Die jetzige Anordnung zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens leide überdies daran, dass die Behörde sich nicht mit dem Vorrang des Punktesystems, der Wahl eines milderen Mittels sowie des im Einzelfall bestehenden Gefahrenpotenzial auseinandergesetzt habe. Die Gutachtenanforderung müsse insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig sein. Verwertbare Anlasstatsachen für alkoholbedingte Eignungszweifel lägen aber nicht vor. Nach psycho-funktionalen Anforderungen dürfe nicht gefragt werden. Die Frage nach zukünftigen Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung sei nicht ausreichend konkret.

Das LABO wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 2. März 2020, zugestellt am 5. März 2020, zurück. Die Tilgungsvorschriften seien ordnungsgemäß angewandt worden. Das Gutachten aus dem Jahr 2009 sei deshalb verwertbar. Die darin enthaltene Aussage, dass der Kläger die körperlichen und geistigen Anforderungen an das sichere Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr nicht erfülle, sei nicht zu beanstanden und führe zu den Fragestellungen in der hier streitgegenständlichen Gutachtenanforderung. Da dieser nicht Folge geleistet worden sei, sei zutreffend auf die fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr geschlossen worden.“

Dagegen die Klage, die keinen Erfolg hatte.

Hier die Leitsätze zu der Entscheidung des VG:

  1. Die Löschungsfrist für ein medizinisch-psychologisches Gutachten nach § 2 Abs. 9 StVG richtet sich grundsätzlich nach der Tilgungsfrist für die Entscheidung über die Fahrerlaubnis, für die es angefertigt wurde.
  2. Das Gutachten stellt insofern eine neue Tatsache dar und darf auch noch verwertet werden, wenn die Taten und Entscheidungen, die zur Fahrerlaubnisentziehung geführt haben, bereits getilgt wurden (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.04.2010 – 3 C 2.10 ).

Dann schon mal frohes Osterfest

Darf man bekifft Auto fahren?, oder: Konsum von Medizinal-Cannabis

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Schon etwas länger hängt in meinem Blogordner die PM des VG DÜsseldorf zum VG Düsseldorf, Urt. v. 24.10.2019 – 6 K 4574/18. Inzwischen liegt der Volltext zu der Entscheidung vor, so dass ich hier über die Entscheidung berichten kann.

In der Sache ging es um die von einem Medizinal-Cannabis-Patienten begehrte Neuerteilung einer Fahrerlaubnis. Die Verwaltungsbehörde hatte das abgelehnt. Dagegen die Klage beim VG, die Erfolg hatte. Dazu aus der PM – ich mache es mir einfach 🙂 :

„……Das hat die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf durch heute verkündetes Urteil entschieden und der gegen den Ablehnungsbescheid der Fahrerlaubnisbehörde gerichteten Klage des Medizinal-Cannabis-Patient stattgegeben.

Das dem Rhein-Kreis Neuss im Rahmen des Neuerteilungsverfahrens vorgelegte medizinisch-psychologische Gutachten gelangte zwar zu dem Ergebnis, dass der Kläger im Falle einer erteilten Fahrerlaubnis die Einnahme von Medizinal-Cannabis und das Führen von Kraftfahrzeugen nicht werde trennen können. Zugleich attestierte es ihm jedoch seine psycho-physische Leistungsfähigkeit unter Cannabiswirkung.

Die 6. Kammer stellte fest, dass der Medizinal-Cannabis-Patient auf Grund der Einschätzungen des Gutachtens einen Anspruch auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis hat. Anders als bei illegalem Cannabiskonsum könne derjenige, der ärztlich verschriebenes Medizinal-Cannabis einnehme, zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sein. Er könne eine Fahrerlaubnis erhalten, wenn er auch unter der Wirkung von Medizinal-Cannabis ausreichend leistungsfähig sei, um ein Kraftfahrzeug sicher zu führen.

Bei einer Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis komme es für die Frage der Fahreignung darauf an, ob der Betroffene

  • Cannabis zuverlässig nur nach der ärztlichen Verordnung einnimmt,
  • keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen sind,
  • die Grunderkrankung für sich genommen der sicheren Verkehrsteilnahme nicht im Wege steht und
  • der Betroffene verantwortlich mit dem Medikament umgeht, insbesondere nicht fährt, wenn die Medikation verändert wird.

Aus dem vorgelegten medizinisch-psychologischen Gutachten ergebe sich in nachvollziehbarer Weise, dass der Kläger diese Voraussetzungen erfülle.

Dem Medizinal-Cannabis-Patient dürfe nicht von vornherein auferlegt werden, sich regelmäßig erneut untersuchen zu lassen. Die Fahrerlaubnisbehörde könne ihn aber wegen der möglicherweise schädlichen Langzeitwirkung von dauerhafter Cannabiseinnahme in einiger Zeit auffordern, seine fortbestehende Eignung wieder nachzuweisen.“

Strafzumessung II: Entziehung der Fahrerlaubnis, oder: Nichtverkehrsdelikt

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Urheber Bundesrepublik Deutschland, Bundesministerium des Innern

Die zweite Entscheidung des Tages, der BGH, Beschl. v. 08.10.2019 – 5 StR 441/19, ist keine Strafzumessungsentscheidung i.e.S., denn es geht nicht um Strafe bzw. Strafhöhe, sondern um eine Maßregel nach den §§ 69 ff. StGB, also Entziehung der Fahrerlaubnis.

Dazu noch einmal der 5. Strafsenat betreffend die Entziehung wegen eines Nichtverkehrsdelikts:

„Das Urteil hält auch insoweit rechtlicher Überprüfung stand, als die Schwurgerichtskammer dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen hat. § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB setzt entsprechend zutreffender obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. OLG Oldenburg VRS 55 [1978], 120) und überwiegender Auffassung im Schrifttum (eingehend LK StGB/Geppert, 12. Aufl., § 69 Rn. 24; ebenso Lackner/Kühl/Heger, 29. Aufl., § 44 Rn. 3; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., § 69 StGB Rn. 3a; a.M. z. B. Schönke/Schröder/Kinzig, StGB 30. Aufl., § 69 Rn. 14) nicht voraus, dass die im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs verübte Tat im öffentlichen Verkehrsraum erfolgt. Der Gesetzeswortlaut enthält keine diesbezügliche Einschränkung. Der mit der Maßregel verfolgte Zweck, fahrungeeignete Täter von einer Teilnahme als Kraftfahrer am Straßenverkehr auszuschließen, streitet gegen sie. Wie das Landgericht sorgfältig dargelegt hat, lässt eine Tat, mit der der Täter sein fahrendes Kraftfahrzeug gezielt als Mittel zur Begehung einer gefährlichen Körperverletzung oder gar Tötung eingesetzt hat (hier Totschlagsversuch durch Zufahren mit einem Transporter auf die Nebenklägerin im Hof eines Wohnhauses), auf tiefgreifende charakterliche Eignungsmängel schließen, die die Entziehung der Fahrerlaubnis gerade zur Sicherung des Straßenverkehrs gebietet (implizit wohl auch etwa BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 2011 – 4 StR 401/11, DAR 2012, 389 m. Anm. Geppert; vom 14. Mai 1998 – 4 StR 211/98, NZV 1998, 418). Es könnte nicht überzeugen, die Anordnung der Maßregel von der oftmals durch Zufälligkeiten bedingten Frage abhängig zu machen, ob sich der Täter noch oder schon im öffentlichen Verkehrsraum zur Pervertierung seines Kraftfahrzeugs als Waffe entschließt.“

Fahrerlaubnis I: Wegen sexuellen Missbrauchs keine neue Fahrerlaubnis?

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Im „Kessel Buntes“ heute dann seit längerem mal wieder zwei fahrerlaubnisrechtliche Entscheidungen. Den Reigen eröffent das VG München, Urt. v. 17.09.2018 – M 26 K 17.3289, das mit der Kollege Schmidl aus Schierling geschickt hat.

Es geht in dem Verfahren um die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis, die dem Kläger wegen einer Trunkenheitsfahrt entzogen war. Nach Ablauf der Sperrfrist hatte er bei der Fahrerlaubnisbehörde der Beklagten die Neuerteilung der Fahrerlaubnis der Klassen A, A 1, B, BE, AM und L beantragt.

Im Wiedererteilungsverfahren wird der Beklagten aufgrund eines Führungszeugnisses bekannt, dass der Kläger durch das AG München am 31.03.2014 rechtskräftig wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten auf Bewährung verurteilt worden war. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Kläger am 27. April 2013 einen zum Tatzeitpunkt 13-jährigen Jungen, den die mit dem Kläger bekannten Eltern bei ihm übernachten ließen, aufforderte, in seinem Bett zu schlafen und ihn dort dadurch missbrauchte, dass er an ihn heranrutschte, seine Hand in seine Unterhose schob und etwa 20 Minuten an seinem Glied manipulierte.

Die Beklagte forderte deswegen den Kläger zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bezüglich seiner Fahreignung für die Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 2 auf. Nachdem der Kläger daraufhin mitgeteilt hatte, dass er auf die Erteilung einer Fahrerlaubnis für die der Gruppe 2 unterfallenden Fahrzeuge verzichte, forderte die Beklagte ihn zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bezüglich seiner Fahreignung für die Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 1 auf. Es erging dann schließlich eine Aufforderung an den Kläger zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle mit differenzierter Begründung und ausführlichen Ermessenserwägungen. Es bestünden Zweifel an der Fahreignung des Klägers aufgrund der von ihm begangenen Straftat des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Dies sei eine erhebliche Straftat im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 der Fahrerlaubnisverordnung, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stehe. Aus ihr ergäben sich Anhaltspunkte für ein erhebliches Aggressionspotential des Klägers.

Dagegen hat der Kläger vor dem VG München geklagt. Seine Klage hatte Erfolg:

„2.2. Vorliegend ist der Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis zu dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zu Unrecht gemäß § 20 Abs. 1 FeV, § 11 Abs. 8 FeV, § 2 Abs. 2 Nr. 3 StVG von der Vorlage eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung abhängig gemacht worden.

2.2.1. Die Gutachtensanordnung konnte nicht auf § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV gestützt werden. Danach kann zur Klärung von Eignungszweifeln ein medizinisch-psychologisches Gutachten angeordnet werden bei einer erheblichen Straftat, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung steht, insbesondere wenn Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial bestehen oder die erhebliche Straftat unter Nutzung eines Fahrzeugs begangen wurde. Der Begriff „erheblich“ ist nach der Begründung der Änderungsverordnung zur Fahrerlaubnis-Verordnung vom 18. Juli 2008 (BGBI I S. 1338, BR-Drs. 302/08 S. 61) nicht ohne weiteres mit „schwerwiegend“ gleichzusetzen, sondern bezieht sich auf die Kraftfahreignung (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Auflage 2017, § 11 FeV Rn. 5 d). Der Bezug zur Kraftfahreignung setzt nicht voraus, dass für die Bejahung des Begriffs „erheblich“ ein Pkw als Mittel zur Straftat benutzt worden ist (BayVGH, B. v. 14.8.2012 — 11 C 12.1746 — juris). Vielmehr muss anhand konkreter Umstände, die sich aus der Tat unter Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit ergeben, festgestellt werden, ob die Anlasstat tatsächlich Rückschlüsse auf die Kraftfahreignung zulässt (BayVGH, B. v. 5.7.2012 — 11 C 12.874 — juris Rn. 27; B. v. 6.11.2017 — 11 CS 17.1726 — juris).

Der vom Kläger begangene sexuelle Missbrauch, der sich nach Überzeugung des Gerichts so zugetragen hat, wie er Gegenstand der Anklageschrift und des Strafurteils, darüber hinaus auch der polizeilichen Aussage des Geschädigten zu entnehmen ist, ist danach nach seiner konkreten Begehungsweise und unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Klägers nicht als erheblich im Sinne der fahrerlaubnisrechtlichen Regelung anzusehen.

Ohne dass dem alleine entscheidende Bedeutung zukäme, spricht schon die niedrige zuerkannte Strafe von 8 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung gegen die Erheblichkeit der Tat.

Die Straftat wurde nicht unter Nutzung eines PKW begangen. Der Kläger ist mit dem Geschädigten lediglich mit seinem PKW zu sich nach Hause gefahren, wobei die Tat noch nicht das Versuchsstadium erreicht hatte. Nach der Tat hat er den Geschädigten, der aus der Wohnung gelaufen war, zunächst zu Fuß, dann mit dem PKW gesucht, ohne dass dies noch unmittelbar mit der Tat zusammenhängt.

Ein hohes Aggressionspotential kommt in der Tat nicht zum Ausdruck. Der Kläger hat mangels körperlichen oder verbalen Widerstands des Geschädigten keine Kraft zur Überwindung eines Widerstandes aufwenden müssen. Ob sich der Kläger bei hypothetischem Widerstand des Geschädigten (latent) aggressiv verhalten oder von seinem Plan Abstand genommen hätte, ist Spekulation. Weder sein Verhalten vor der Tat, als er den Geschädigten aufforderte, Sachen von ihm, dem Kläger, anzuziehen und sich in sein Bett zu legen, noch während der Tat, als er sich ihm näherte und an seinem Penis herumspielte, noch nach der Tat, als der Geschädigte aufstand und ins Bad ging, spiegeln eine besondere Aggressionsbereitschaft wieder. Im Lichte des Vorfalls, bei dem der Kläger sich dem Geschädigten zwei bis drei Wochen vor der Tat schon einmal auf ähnliche Weise, allerdings weniger intensiv, genähert hatte, stellt sich das Verhalten des Klägers nicht so sehr als aggressiv, sondern eher als „die Grenzen des Machbaren austestend“ dar. Als aggressiv und impulsiv hat ihn das Gericht auch bei der mündlichen Verhandlung und angesichts seiner umfangreichen schriftlichen Einlassungen nicht empfunden, eher als zurückhaltend-beharrlich.

Aus der singulär gebliebenen Tat lassen sich deshalb begründete Zweifel daran, dass der Kläger im motorisierten Straßenverkehr die Rechte anderer Verkehrsteilnehmer nicht respektieren werde, nicht herleiten. Eine Neigung zu planvoller bedenkenloser Durchsetzung eigener Anliegen ohne Rücksicht auf berechtigte Interessen anderer und eine Bereitschaft zu ausgeprägt impulsiven Verhalten (Begutachtungs-leitlinien zur Kraftfahreignung, Stand: 24. Mai 2018, Ziffer 3.16) ist nicht in einem fahrerlaubnisrechtlich relevantem Maße erkennbar.

Aus der von der Beklagten angeführten verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung folgt nichts anderes. Einen allgemeinen Grundsatz, dass bei sexuellem Missbrauch stets die Erheblichkeitsschwelle erreicht wäre, lässt sich daraus nicht entnehmen. Maßgeblich sind vielmehr immer die Umstände des Einzelfalls. Den von der Beklagten angeführten Entscheidungen lagen jeweils andere Einzelfälle zugrunde. Der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 8. Juli 2011 (M 6a K 10.5105) etwa lag ein Fall von sexuellem Missbrauch in mindestens 20 Fällen mit einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren auf Bewährung zugrunde, in denen die Geschädigte das Unterlassen der Handlung gefordert hatte. Dass die sexuelle Handlung selbst schon eine Form von Gewaltanwendung ist, mag zwar richtig sein, sagt aber nicht über die in ihr zum Ausdruck kommende Aggressionsbereitschaft in Bezug auf den Straßenverkehr aus.“

Sperrfrist für die Wiedererteilung der FE, oder: Abkürzung und Nachschulung, so nicht….

entnommen openclipart.org

Und als letzte im Reigen der verkehrsstrafrechtlichen Entscheidungen des heutigen Tages dann der LG Fulda, Beschl. v. 08.11.2017 – 2 Qs 125/17. In ihm geht es um die Frage, ob die gem. § 69 StGB festgesetzte Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahreralubnis nachträglich abgekürzt werden kann – das LG sagt: Nein – und ob allein die Bescheinigung über die Teilnahme an dem Nachschulungskurs „Mainz 77“ ausreichtl, um die Ungeeignetheit i.S. von § 69 StGB entfallen zu lassen – das LG sagt ebenfalls: Nein:

„… Die Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis war nicht aufzuheben oder auf eine noch kürzere Frist zu reduzieren.

1. Das Amtsgericht hat bereits ohne ausreichende rechtliche Grundlage eine Verkürzung der Sperrfrist auf vier Monate und zwei Wochen vorgenommen. Gemäß § 69 a Abs.7 StGB ist die Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis aufzuheben, wenn der Verurteilte Umstände dargetan und glaubhaft gemacht hat, die Grund zu der Annahme geben, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr ungeeignet ist, und die Mindestdauer der Sperre von drei Monaten (§ 69a Abs. 7 S. 2 StGB) eingehalten ist. Die Aufhebung der Sperre für die Erteilung der Fahrerlaubnis hat dementsprechend zu erfolgen, wenn eine auf neue Tatsachen gestützte hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass sich der Verurteilte im Straßenverkehr nicht mehr als gefährlich erweisen wird. Die Beurteilung dieser Wahrscheinlichkeit darf dabei nicht schematisch erfolgen, sondern muss sämtliche, allein täterbezogene Umstände des Einzelfalls berücksichtigen. Sind solche Umstände festzustellen, steht dem Gericht kein Ermessen zu (vgl. AG Kehl, Beschluss vom 21.03.2014 – 2 Cs 206 Js 15342/13).

Vorliegend hat das Amtsgericht eine Reduktion der Sperrfrist um einen Monat vorgenommen, die weder vom Wortlaut nach vom Sinn und Zweck der Vorschrift gedeckt ist. § 69 a Abs. 7 StGB ist eine eng auszulegende Ausnahmeregelung, die ausnahmsweise aus Gründen der Verhältnismäßigkeit eine Rechtskraftdurchbrechung zulässt, wenn der Sicherungszweck erreicht ist. Aus diesem Regelungszweck ergibt sich, dass einerseits für eine Sperrfristverkürzung bei Fortbestehen des Maßregelgrundes kein Raum ist, andererseits bei Erreichen des Maßregelzwecks die Sperre sofort aufgehoben werden muss, weil andernfalls der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt ist. Wegen des Aufhebungszwanges bei Erreichung des Maßregelzwecks besteht deshalb kein Bedürfnis für zwischenzeitliche Sperrfristabkürzungen. Die Vorschrift des § 69 a Abs. 7 StGB ist damit nicht geeignet, die Verkürzung einer Sperrfrist für einen in der Zukunft liegenden Zeitpunkt anzuordnen (LG Berlin Beschl. v. 25.1.2011 – 506 Qs 8/11, BeckRS 2011, 02781, Schönke/Schröder/Stree/Kinzig StGB § 69a Rn. 29). Da das Amtsgericht bei seiner Gesamtabwägung zu dem Ergebnis gekommen ist, dass auch unter Berücksichtigung der Nachschulung der Betroffene noch nicht wieder zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist, hätte es konsequenter Weise seinen Antrag ablehnen und es bei der Sperre von fünf Monaten und zwei Wochen belassen müssen.

2. Auch nach Auffassung der Kammer liegen die Voraussetzungen der Norm nicht vor, sodass eine Aufhebung der Sperrfrist nicht in Betracht kommt. Dabei ist zunächst irrelevant, dass die Mindestfrist von drei Monaten noch nicht abgelaufen ist, da der Antrag auf vorzeitige Aufhebung der Sperre bereits vor Ablauf der Mindestfrist nach Abs. 7 S. 2 gestellt werden kann. Allerdings hat der Verurteilte keine ausreichenden Umstände dargetan und glaubhaft gemacht, die Grund zu der Annahme geben, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr ungeeignet ist. Die von dem Betroffenen vorgelegte Bescheinigung über die Teilnahme am Kurs „Mainz 77“, reicht nach Auffassung der Kammer nicht aus, um von einer Geeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen auszugehen.

Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die erfolgreiche Nachschulung aufgrund wissenschaftlich anerkannter Modelle, d.h. die Teilnahme an einer Verkehrstherapie oder einem Aufbauseminar, als neue Tatsache im Sinne der Norm herangezogen werden kann (BHHJJ/Burmann StGB § 69a Rn. 9-9b, beck-online), doch kann die Feststellung der Geeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen nur nach eingehender individueller Prüfung getroffen werden; allein die Teilnahme an einer Nachschulung reicht nicht aus. Vorliegend konnte eine derartige Feststellung zum jetzigen Zeitpunkt insbesondere deshalb nicht getroffen werden, da das dem Betroffenen ausgestellte Teilnahmezertifikat (Bl. 54 ff. d.A.) keine ausreichenden individuellen Anhaltspunkte dafür bietet, dass der Betroffene die von ihm begangene Alkoholfahrt aufgearbeitet und sich mit den Ursachen und Folgen auseinandergesetzt hat und nunmehr aufgrund des Kurses in der Lage ist, Alkoholkonsum und die Teilnahme am Straßenverkehr strikt zu trennen.

In dem Teilnahmezertifikat wird lediglich bestätigt, dass der Betroffene regelmäßig und pünktlich an insgesamt vier Sitzungen teilgenommen, im Rahmen der Sitzungen aktiv mitgearbeitet und die Kursaufgaben erfüllt habe. Zudem wird bescheinigt, dass während der Kurssitzungen keinerlei Einfluss von Alkohol und/oder Drogen feststellbar gewesen sei. Diese allgemeinen Feststellungen reichen jedoch nicht aus, um beurteilen zu können, welche Wirkungen der durchgeführte Kurs auf den Betroffenen hatte. Auch wenn im Rahmen des Zertifikats die allgemeinen Arbeitsschritte, wie z.B. die Anhaltung zur Selbstbeobachtung und Besprechung des eigenen Alkoholverhaltens, erläutert werden, so fehlen aber Ausführungen dazu, wie der Betroffene diese Arbeitsschritte durchlaufen hat und zu welcher Einsicht er dadurch gekommen ist.

Die Veränderung in der Einstellung bzw. der Gewohnheiten des Betroffenen wird lediglich pauschal beschrieben. …..

Ein pauschales Vorgehen dergestalt, die Geeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen zu bejahen, sobald eine Nachschulung mit einem Teilnahmezertifikat abgeschlossen wurde, ist von dem der Vorschrift des § 69 a Abs. 7 StGB zugrunde liegenden Rechtsgedanken nicht intendiert und wird daher seitens der Kammer trotz der grundsätzlich unterstützenswerten Nachschulungspraxis kritisch betrachtet. An dieser Beurteilung vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, dass der Betroffene mit der durch den Strafbefehl abgeurteilten Tat erstmals und bisher einmalig strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, da dies bereits bei der Bemessung der Sperrfrist berücksichtigt wurde und auch insoweit eine individuelle Auseinandersetzung mit der Alkoholfahrt und dem dabei verursachten Unfall stattfinden muss, um eine Einschätzung zur Geeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen treffen zu können. Zu Recht hat das Amtsgericht auch darauf verwiesen, dass bereits eine insgesamt recht kurze Sperrfrist angeordnet wurde. Bei dieser kurz bemessenen Sperrfrist wurde seitens des Gerichts auch die Bereitschaft zur Teilnahme an dem nun durchgeführten Kurs berücksichtigt, da die Anmeldebestätigung bereits vor Erlass des Strafbefehls vorgelegt wurde und das Amtsgericht daraufhin eine Sperrfrist von fünf Monaten und zwei Wochen angeordnet hat. Auch dies spricht dafür, dass ein Teilnahmezertifikat ohne individuell dokumentierte Fortschritte im vorliegenden Fall nicht dafür ausreichen kann, die Geeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen zum jetzigen Zeitpunkt festzustellen.“

Auf den Inhalt entsprechenden Bescheinigungen muss man als Verteidiger also achten.

Aber:

„Auch wenn nach den oben stehenden Ausführungen die Verkürzung der Sperrfrist auf vier Monate und zwei Wochen zu Unrecht erfolgte, steht der Aufhebung der amtsgerichtlichen Entscheidung das Verschlechterungsverbot entgegen. Zwar ist für die Beschwerde, sofortige Beschwerde und weitere Beschwerde, anders als für Berufung, Revision und Wiederaufnahme in den §§ 331, 358 II und 373 II StPO, ein Verbot der Schlechterstellung des Betroffenen durch die Beschwerdeentscheidung in der StPO nicht geregelt und auch keine zwingende Folge aus dem Rechtsstaatsprinzip (BGHSt 9, 324 [332] = NJW 1956, 1725), doch ist in der Rechtsprechung eine Ausnahme für Beschlüsse anerkannt, die der Rechtskraft fähig sind und, vergleichbar zu Urteilen, Rechtsfolgen endgültig festsetzen (vgl. OLG Frankfurt a.M. in NStZ-RR 1996, 318 [319]). Dazu gehört auch der Beschluss des Amtsgerichts Fulda vom 09.10.2017, der mit dem befristeten Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde angefochten wurde. Insoweit verbleibt es bei der Verkürzung der Sperrfrist um einen Monat.“