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Durchsuchung I: Verhältnismäßigkeitsanforderungen, oder: Durchsuchung beim Nichtverdächtigen/Zeugen

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Heute dann drei Entscheidungen zum Ermittlungsverfahren, alle drei stehen in Zusammenhang mit einer Durchsuchung.

Zunächst etwas von „ganz oben“, also etwas vom BGH, und zwar der BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – StB 6 u. 7/21 .

Gegen den Beschuldigten S. ist ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Mordes (§ 211 StGB) anhängig. In dem hat u.a. hat der Ermittlungsrichter des BGH am 24.11.2020 die Durchsuchung der von dem Beschwerdeführer/Zeugen genutzten Wohn- und Nebenräume, eines auf ihn zugelassenen Kraftfahrzeugs, seiner Person und seiner Sachen nach näher umschriebenen potentiellen Beweismitteln (3 BGs 717/20), mit Beschluss vom 28.01.2021 (3 BGs 48/21) die Durchsuchung eines weiteren auf den Betroffenen/Zeugen zugelassenen Kraftfahrzeugs angeordnet. Die Beschlüsse sind am 28.01.2021 vollzogen worden. Die Durchsicht der sichergestellten Beweismittel – vorwiegend Datenträger – dauert noch an.

Entsprechend der Verfügung des Ermittlungsrichters des BGH vom 25.01.2021 sind dem Zeugen bei Vollzug der Durchsuchungen zunächst lediglich Beschlussausfertigungen ohne Gründe ausgehändigt worden, um eine andernfalls drohende Gefährdung des Untersuchungszweckes zu vermeiden. Die Zurückstellung der Benachrichtigung war zunächst auf einen Monat ab Vollzug der Maßnahme befristet, ist dann aber mehrfach, jeweils um einen Monat verlängert worden, letztmals bis zum 28.09.2021. Die Zustellung der vollständigen Beschlussgründe an den Zeugen hat der GBA sodann am 28.09.2021 veranlasst. Im Anschluss daran ist dem Zeugen Gelegenheit eingeräumt worden, im Beschwerdeverfahren ergänzend vorzutragen.

Die Rechtsmittel des Zeugen hatten keinen Erfolg. Der BGH nimmt insbesondere zur Verhältnismäßigkeit einer Durchsuchungsanordnung gegen einen nichtverdächtigen Betroffenen Stellung:

„cc) Die Durchsuchungsanordnungen stehen zum Grad des Tatverdachts und zur Bedeutung und Schwere der aufzuklärenden Straftat in einem angemessenen Verhältnis; sie waren insbesondere erforderlich.

(1) Eine Zwangsmaßnahme muss zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein. Das ist dann nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet, in jedem Verfahrensstadium das jeweils mildeste Mittel anzuwenden (BVerfG, Beschluss vom 29. Februar 2012 – 2 BvR 1954/11, NJW 2012, 2096 Rn. 19). Die Durchsuchung bei einem Nichtbeschuldigten, der durch sein Verhalten auch aus der Sicht der Ermittlungsbehörden keinen Anlass zu den Ermittlungsmaßnahmen gegeben hat, stellt über die allgemeinen Erwägungen hinaus erhöhte Anforderungen an die Prüfung der Verhältnismäßigkeit (BVerfG, Beschluss vom 18. März 2009 – 2 BvR 1036/08, NJW 2009, 2518 Rn. 65 mwN). Deshalb ist nichtverdächtigen Betroffenen zumindest vor der Vollstreckung der Zwangsmaßnahme in der Regel Gelegenheit zur freiwilligen Herausgabe des sicherzustellenden Gegenstandes zu geben (MüKoStPO/Hauschild, § 103 Rn. 16; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 64. Aufl., § 103 Rn. 1a; SSWStPO/Hadamitzky, 4. Aufl., § 103 Rn. 9; KMR/Hadamitzky, StPO, 94. Lfg., § 103 Rn. 9; LG Kaiserslautern, Beschluss vom 19. März 1981 – 5 Qs 346/80, NStZ 1981, 438, 439; LG Mühlhausen, Beschluss vom 15. November 2006 – 6 Qs 9/06, wistra 2007, 195, 197; LG Saarbrücken, Beschluss vom 2. Februar 2010 – 2 Qs 1/10, NStZ 2010, 534, 535; LG Dresden, Beschluss vom 27. November 2013 – 5 Qs 113/13 u.a., NZI 2014, 236, 237; LG Hamburg, Beschluss vom 18. September 2018 – 608 Qs 26/18, juris Rn. 13 f.; enger: LR/Tsambikakis, StPO, 27. Aufl., § 103 Rn. 8; SK-StPO/Wohlers/Jäger, 5. Aufl., § 103 Rn. 16, die eine Durchsuchung ohne vorherige Aufforderung generell für rechtswidrig halten). Diese Abwendungsbefugnis ist regelmäßig in die Anordnungsentscheidung aufzunehmen (anders: SSW-StPO/Hadamitzky, 4. Aufl., § 103 Rn. 9; KMR/ Hadamitzky, StPO, 94. Lfg., § 103 Rn. 9; differenzierend: LG Hamburg, Beschluss vom 18. September 2018 – 608 Qs 26/18, juris Rn. 13 f.). Abhängig von den sich aus den bisherigen Ermittlungsergebnissen ergebenden tatsächlichen Umständen, insbesondere der Kooperationsbereitschaft bzw. -pflicht des Adressaten der Maßnahme (vgl. MüKoStPO/Hauschild, § 103 Rn. 16; LG Potsdam, Beschluss vom 8. Januar 2007 – 25 Qs 60/06, JR 2008, 260, 261; LG Dresden, Beschluss vom 27. November 2013 – 5 Qs 113/13 u.a., NZI 2014, 236, 237 zur Mitwirkungspflicht des unverdächtigen Insolvenzverwalters), kann es im Einzelfall sogar geboten sein, anstelle einer Durchsuchungsanordnung ein Herausgabeverlangen nach § 95 StPO als sanktionsfähige strafprozessuale Maßnahme vordringlich in Betracht zu ziehen. Ein solches kann sich insbesondere dann als gleich geeignet, indes weniger beeinträchtigend erweisen, wenn Gewissheit herrscht, dass sich ein beschlagnahmefähiger Beweisgegenstand im Gewahrsamsbereich eines herausgabepflichtigen Adressaten befindet, es zur Erlangung des Gegenstandes nicht auf einen Überraschungseffekt ankommt, die Maßnahme erfolgversprechend ist, das Gebot der Verfahrensbeschleunigung nicht entgegensteht und weder ein das Ermittlungsverfahren bedrohender Verlust der begehrten Sache zu befürchten ist noch etwaige Verdunkelungsmaßnahmen zu besorgen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. März 1994 – 2 BvR 396/94, NJW 1994, 2079, 2080 f.; LG Bonn, Beschluss vom 11. November 1982 – 37 Qs 116/82, NStZ 1983, 327 f.; LG Saarbrücken, Beschluss vom 2. Februar 2010 – 2 Qs 1/10, NStZ 2010, 534, 535; LG Dresden, Beschluss vom 27. November 2013 – 5 Qs 113/13 u.a., NZI 2014, 236, 237; vgl. SSW-StPO/ Hadamitzky, 4. Aufl., § 103 Rn. 9). Denn in diesem Fall würde schon das Erscheinen von Ermittlungsbeamten beim Herausgabepflichtigen eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung seiner Rechte darstellen (vgl. Bittmann, NStZ 2001, 231, 232). Umgekehrt kann die Gewährung einer Abwendungsbefugnis im Ausnahmefall dann entbehrlich sein, wenn sich aus den bisherigen Ermittlungsergebnissen Tatsachen ergeben, aus denen zu schließen ist, dass der Betroffene zur freiwilligen Mitwirkung nicht bereit ist und Verdunkelungsmaßnahmen zu besorgen sind. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die Beweismittel nur der Gattung nach bestimmt werden können und begründeter Anlass zu der Vermutung besteht, der Pflichtige täusche die Ermittlungsbehörden durch die bewusste Herausgabe nur eines Teils der beweiserheblichen Gegenstände.

(2) Gemessen an diesen Maßstäben waren die Durchsuchungsanordnungen erforderlich; die Ermittlungsbehörde war nicht auf das mildere Mittel eines Herausgabeverlangens nach § 95 StPO zu verweisen. Mit Blick auf das bisherige Verhalten des Zeugen im Ermittlungsverfahren musste diesem durch den Ermittlungsrichter auch keine Abwendungsbefugnis eingeräumt werden. Der Betroffene hat – wie bereits dargelegt – schon frühzeitig signalisiert, nicht bereit zu sein, bei den Ermittlungen mitzuwirken, weil er ?kein Spitzel der Polizei? sein wolle. Seiner Vorladung zur Zeugenvernehmung ist er zunächst nicht nachgekommen. Unmittelbar nach seiner Vernehmung hat er den Beschuldigten aufgesucht und beteuert: „wenn alle dichthalten, kommt eh nichts raus“.

Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob das Fehlen einer an sich erforderlichen Abwendungsbefugnis im Durchsuchungsbeschluss durch eine entsprechende Maßnahme bei Vollzug der Anordnung geheilt werden kann (vgl. LG Hamburg, Beschluss vom 18. September 2018 – 608 Qs 26/18, juris Rn. 13 f.). Denn eine solche ist vorliegend nicht gegeben.“

Durchsuchung III: Verdachtsgründe im Beschluss?, oder: Macht nichts, wenn sie fehlen

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Im dritten Posting zur Durchsuchung stelle ich dann noch den LG Nürnberg-Fürth, Beschl.  v. 24.09.2021 – 12 Qs 66/21. Er nimmt Stellung zu den Folgen fehlender Darlegung der maßgeblichen Verdachtsgründe in einem Durchsuchungsbeschluss wegen des Verdachts einer Steuerhinterziehung für die Entscheidung des Beschwerdegerichts, und zwar wie folgt:

„b) Die angegriffenen Durchsuchungsbeschlüsse sind rechtmäßig ergangen. Ein Anfangsverdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO wegen bestimmter Straftaten liegt vor. Hierfür ist im Ergebnis unschädlich, dass die Durchsuchungsbeschlüsse selbst keine Ausführungen dazu enthalten, worauf – auf welche konkreten Verdachtsgründe – sich der Verdacht stützt.

aa) Zwingend erforderlich ist, dass in dem Durchsuchungsbeschluss die aufzuklärende Straftat tatsächlich und rechtlich so genau umschrieben wird, dass Umfang und Reichweite des dadurch legitimierten Grundrechtseingriffs deutlich werden und klar ist, worauf sich die Durchsuchung bezieht. Diese Umschreibung muss den mit der Vollziehung der Anordnung betrauten Beamten aufzeigen, worauf sie ihr Augenmerk richten sollten, und damit den Zweck der Durchsuchungsanordnung erfüllen, den Zugriff auf Beweisgegenstände bei der Vollziehung der Durchsuchung zu begrenzen (BVerfG, Beschluss vom 11. Februar 2015 – 2 BvR 1694/14, juris Rn. 25; Beschluss vom 1. August 2014 – 2 BvR 200/14, juris Rn. 14; Beschluss vom 24. März 2003 – 2 BvR 180/03, juris Rn. 2; Beschluss vom 6. März 2002 – 2 BvR 1619/00, juris Rn. 16).

Diese Begrenzungsfunktion der Durchsuchungsbeschlüsse ist gewahrt. Es geht aus ihnen hervor, welche Steuern in welchen Jahren der Beschuldigte hinterzogen haben soll. Ferner sind die Tatmodalitäten (Abgaben falscher Steuererklärungen; ihnen vorangehende Manipulationen der Buchhaltung durch Verbuchung von Scheinrechnungen) und die Begünstigten der jeweiligen Hinterziehungen bezeichnet. Weiterhin teilen die Beschlüsse mit, nach welchen Unterlagen und Belegen mit welchem thematischen Bezug gesucht werden soll. Auf dieser Grundlage kann die Zielrichtung der Durchsuchung bestimmt und können die dabei sicherzustellenden Unterlagen eingegrenzt werden.

bb) Materiell teilt die Kammer die Wertung der Ermittlungsrichterin, dass ein Anfangsverdacht hinsichtlich der vorgeworfenen Steuerhinterziehungen besteht.

(1) Die Darlegung der wesentlichen Verdachtsgründe, d.h. der Tatsachen, die den behaupteten Anfangsverdacht belegen sollen, ist in der Begründung der richterlichen Durchsuchungsanordnung nach § 34 StPO geboten. Deren Angabe darf nur dann unterbleiben, wenn die Bekanntgabe den Untersuchungszweck gefährden würde (BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2008 – StB 26/08, juris Rn. 7 f.; vgl. auch § 147 Abs. 5 Satz 4 StPO).

Vorliegend enthalten die Durchsuchungsbeschlüsse selbst keinen Hinweis auf ihre tatsächliche Grundlage, noch nicht einmal den – ohnehin sinnleeren, weil selbstverständlichen – Satz, dass sie sich auf die bisherigen Ermittlungsergebnisse stützen, aber auch nicht den Hinweis, dass die Mitteilung der Verdachtsmomente unterblieben ist, um den Ermittlungszweck nicht zu gefährden.

(2) Die unter diesem Blickwinkel unzureichende Begründung der Durchsuchungsbeschlüsse führt nach Auffassung der Kammer allerdings nicht zu deren Rechtswidrigkeit. Die Beschlüsse lassen nämlich in ausreichendem Maße erkennen, dass die Ermittlungsrichterin die Voraussetzungen für ihren Erlass eigenständig geprüft hat. Die Beschwerdekammer kann insoweit die Begründung auf der Grundlage der bei Beschlusserlass aus der Akte ersichtlichen Umstände in seiner Beschwerdeentscheidung nachholen (BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2008 – StB 26/08, juris Rn. 9; Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 105 Rn. 15a).

Ein Fehlen der gebotenen Einzelfallprüfung durch die Ermittlungsrichterin folgt nicht daraus, dass sie die Durchsuchungsbeschlüsse nicht selbst ausformuliert, sondern – entsprechend der hiesigen ständigen Praxis in Wirtschafts- und Steuerstrafverfahren – die ihr von der BuStra vorformuliert vorgelegten Beschlussentwürfe unterzeichnet hat. Von fehlender eigener Prüfung könnte in diesem Kontext allenfalls ausgegangen werden, wenn sich ein Beschluss in einer formelhaften Begründung ohne Einzelfallbezug erschöpfen würde (BVerfG, Beschluss vom 6. März 2002 – 2 BvR 1619/00, juris Rn. 16; Tsambikakis in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 105 Rn. 46 m.w.N.). So liegen die Dinge hier nicht. In dem mitgeteilten Sachverhalt werden hinreichend detailliert die Beschuldigten, ihre steuerlichen Verhältnisse, die Besteuerungszeiträume samt Steuerarten, die Art der vorgenommenen Manipulationen in der Buchhaltung sowie die darauf aufbauenden Steuerhinterziehungen genannt.

(3) Die in der Akte dokumentierten tatsächlichen Umstände, die schon der Ermittlungsrichterin bei ihrer Entscheidung vorgelegen haben, tragen die Bejahung des Anfangsverdachts bezüglich der vorgeworfenen Straftaten. Danach hat die Gesellschaft des Beschuldigten, die pp. GbR, eine Reihe von Eingangsrechnungen der pp. UG verbucht, von denen aufgrund einer geständigen Aussage des Geschäftsführers der pp. UG anzunehmen ist, es seien Scheinrechnungen. Weiterhin hat die pp. GbR Eingangsrechnungen der pp. GmbH verbucht. Die diese Gesellschaft betreffenden Ermittlungen haben aber ergeben, dass das Unternehmen keine entsprechenden Umsätze getätigt hat. Auch bei drei weiteren Firmen, von denen die pp. GbR Lieferungen bezogen hat, liegen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass sie ihr Scheinrechnungen gestellt haben. Hat der Beschuldigte in den genannten Zeiträumen verbuchte Scheinrechnungen den Steuererklärungen zugrunde gelegt, wofür schon die kriminalistische Erfahrung spricht, liegen die steuerlichen Auswirkungen auf die Einkommen-, Gewerbe- und Umsatzsteuer, und damit die Steuerhinterziehungen, wie in den Durchsuchungsbeschlüssen näher bezeichnet, auf der Hand.

cc) Die Kammer merkt abschließend an: Die zumindest kursorische Mitteilung der tatsächlichen Verdachtsgründe im Durchsuchungsbeschluss dient einerseits dazu, dem von der Durchsuchung Betroffenen die Prüfung zu ermöglichen, ob er sich mit Aussicht auf Erfolg gegen die Maßnahme wehren kann. So können Beschwerden gegebenenfalls im Ansatz unterbunden werden. Andererseits kann die Ermittlungsbehörde in Fällen, in denen sie aus ermittlungstaktischen Gründen zunächst keine Akteneinsicht gewähren will, durch selektive Mitteilung von Verdachtsgründen im Beschlussentwurf versuchen, selbst zu steuern, was im gegebenen Verfahrensstadium nach außen dringen soll. Tut sie das nicht und vermerkt sie ebenso wenig im Beschlussentwurf, dass die Nennung der Verdachtsgründe unterbleibt, weil sonst der Ermittlungszweck gefährdet würde, hat das Beschwerdegericht regelmäßig keinen Anlass, bei der Darlegung von Tatsachen, die nach seiner Wertung die Durchsuchung rechtfertigen, Rücksichten zu nehmen.“

Durchsuchung II: Hier bejahter Anfangsverdacht, oder: Unerlaubter Handel mit BtM/LSD

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Im zweiten Posting zur Durchsuchung dann hier der LG Köln, Beschl. v. 18.08.2021 – 108 Qs 9/21 und 108 Qs 13/21 – zum hinreichend konkreter Anfangsverdacht des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln jedenfalls bezogen auf LSD. Das LG hat die Durchsuchungsanordnung des AG bestätigt:

„Es lag weiterhin zum Zeitpunkt des Erlasses der Durchsuchungsanordnung ein hinreichend konkreter Anfangsverdacht für die der Beschuldigten vorgeworfene Tat vor. Denn zum Zeitpunkt des Erlasses der Durchsuchungsanordnung bestand ein konkreter Anfangsverdacht des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln jedenfalls bezogen auf LSD. Denn ausweislich des auf dem Mobiltelefon des gesondert verfolgten N. gesicherten Chat-Verlaufs hatte die Beschwerdeführerin dem gesondert verfolgten entsprechend dessen Bestellung 50 Blotter und 5 Micros zum Kauf angeboten, wobei der Chatverlauf auch nahelegt, dass diese tatsächlich übergeben wurden. Dass es sich bei der Gesprächspartnerin des N. um die Beschwerdeführerin handelte ergab sich im Sinne eines für die Anordnung der Durchsuchung ausreichenden Anfangsverdachts daraus, dass diese die Anschlussinhaberin der Partnernummer war und die Gesprächspartnerin des N. sich entsprechend dem Vornamen der Beschwerdeführerin — als „N…“ bezeichnete. Weiterhin war im Sinne eines Anfangsverdachts davon auszugehen, dass es sich bei den „Blottern“ und „Micros“ um die dem Betäubungsmittelgesetz unterfallende Droge LSD handelte. Bei „Blottern“ und „Micros“ handelt es sich um an die unterschiedlichen Darreichungsformen angelehnte szenetypische Bezeichnungen für diese Droge und überdies hatte auch der gesondert verfolgte N. die Nutzerin der Rufnummer als diejenige Person bezeichnet, von welcher er das im Rahmen der Durchsuchung seiner Wohnung aufgefundene „LSD“ bezogen habe. Dieser Anfangsverdacht wurde auch nicht dadurch entscheidend entkräftet, dass aufgrund dessen, dass in dem Chatverlauf auch von 2F-Ketamin die Rede war und das WhatsApp Profil der Beschuldigten Bezüge zu [Firma B.] und damit zu dem Online-Shop „…“ aufweist, deutliche Anhaltspunkte dafür bestanden, dass die Beschwerdeführerin als Vertriebspartnerin für diesen Shop tätig war, der neben dem damals legalen 2F-Ketamin auch das damals ebenfalls legale 1 cP-LSD vertrieb. Zwar bestand danach die Möglichkeit, dass mit Blottem und Micros nicht das dem BtMG unterfallende LSD, sondern IcP-LSD gemeint war. Hierbei handelte es sich jedoch nur um eine Möglichkeit, die den Anfangsverdacht nicht ausschloss. Dieser bestand vielmehr angesichts der dokumentierten Äußerung des N. der gerade davon sprach, dass er von der Beschuldigten LSD bezogen habe und gerade nicht auf einen legalen Hintergrund hingewiesen hat, fort. Auch der in relativer Deutlichkeit geführte Chat-Verlauf sprach nicht gegen einen Anfangsverdacht. Entsprechendes ist der Kammer auch aus anderen Verfahren mit eindeutigem BtM-Bezug bekannt. Es bestand auch Grund zu der Annahme, dass bei der Beschuldigten weiterhin Betäubungsmittel aufgefunden werden konnten. Denn vor dem Hintergrund der zitierten Äußerung des N. bestand auch Grund zu der Annahme, dass die Beschuldigte weiterhin mit Betäubungsmitteln handelte und bei ihr entsprechende Betäubungsmittel und die weiteren in der Durchsuchungsanordnung genannten Beweismittel aufzufinden sein würden.“

Durchsuchung I: Verneinter Anfangsverdacht, oder: KiPo-Fall und legales Verhalten

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Bei mir haben sich einige Entscheidungen zum Ermittlungsverfahren angesammelt, die ich heute dann vorstellen möchte.

Ich beginne mit zwei Postings zu Entscheidungen zu Durchsuchungsfragen, und zwar hier zunächst Entscheidungen, in den die Anordnung der Durchsuchung abgelehnt bzw. nachträglich in der Beschwerdeinstanz die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung festgestellt worden ist. Von den Beschwerdegerichten ist jeweils ein Anfangsverdacht verneint worden, und zwar einmal in einem der sog. KiPo-Fällen und einmal in einem BtM-Fall.

 

Es handelt sich um folgende Entscheidungen und Leitsätze:

Zum (verneinten) Anfangsverdacht für die Anordnung einer Durchsuchung in den sog. KiPo-Fällen.

Das LG meint:

„Aufgrund der polizeilichen Ermittlungen konnte lediglich festgestellt werden, dass die zwei gegenständlichen Bilddateien über den Intemetanschluss des Beschuldigten hochgeladen wurden. Unter dessen Wohnanschrift sind jedoch weitere sechs Personen amtlich gemeldet, die potentiell alle als Tatverdächtige in Betracht kommen. Hinzu kommt, dass die Zugangsnummer der Tatzeit generierten IP-Adresse lautete. Das Kürzel pp. könnte jedoch auf den Nachname und damit auf eine mit diesem Nachnamen unter der Wohnanschrift des Beschuldigten gemeldete Person hindeuten. Schließlich kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Beschuldigte — immerhin bereits 75 Jahre alt und daher mit Hentai-Pornografie vermutlich eher weniger vertraut — bislang weder strafrechtlich noch kriminalpolizeilich in Erscheinung getreten ist.“

Der für die Anordnungen einer Durchsuchung erforderliche Anfangsverdacht kann grundsätzlich auch aus legalem Verhalten erwachsen, falls weitere Umstände hinzutreten. Ein solcher Umstand kann u.a.  einem kriminalistischen Erfahrungssatz liegen. Erforderlich ist jedoch, dass der kriminalistische Erfahrungssatz im Rahmen des Ermittlungsverfahrens bezogen auf das jeweilige Delikt hinreichend konkretisiert ist. Es ist nicht ausreichend, dass bei bestimmten Handlungen nach kriminalistischer Erfahrung lediglich die Möglichkeit besteht, dass das Verhalten des Beschuldigten einen strafbaren Hintergrund hat.

Das LG meint:

„Auch gemessen an diesen Grundsätzen begründet das Verhalten des Beschuldigten zum Zeitpunkt der Durchsuchungsanordnung keine zureichenden Anhaltspunkte, die eine Durchsuchung seiner Wohnräume rechtfertigen könnten. Auf der Online-Plattform „www…“, auf der die synthetischen Substanzen „1cP-LSD“ und „2F-Ketamin“ zum Verkauf angeboten werden und die Rufnummer des Beschuldigten unter der Rubrik „Barverkauf“ angegeben ist, wurden zum Zeitpunkt der Durchsuchungsanordnung ausschließlich zu diesem Zeitpunkt legale Substanzen angeboten. Dass die Internetseite unter der Domain „www…“ zu finden ist, begründet ebenso wenig wie das Veräußerungsgeschäft von „1cP-LSD“ – auch wenn „1P-LSD“ unter das Neue-Psychoaktive-Stoffe-Gesetz fällt und ein Handeltreiben nach § 4 NpSG unter Strafe gestellt ist – einen Anfangsverdacht, da auf der Online-Plattform bzw. Internetseite unter den gegenständlichen „1cP-LSD“ Blotter 100 µg in der Beschreibung der Substanz ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass sich der Domaininhaber darüber bewusst ist, dass ein Handeltreiben mit „1P-LSD“ nunmehr verboten ist und deshalb ausschließlich zu diesem Zeitpunkt legales „1cP-LSD“ zum Verkauf angeboten wird.“

Corona I: Befreiung von der Corona-Maskenpflicht?, oder: Attest ohne Diagnose reicht nicht für Verdacht

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In die 43. KW./2021 starte ich dann mal wieder mit zwei „Corona.-Entscheidungen“. Passt m.E. Denn die Pandemie haben wir noch lange nicht hinter uns. Und wenn man die Zahlen sieht ….. mir gefallen sie nicht.

Bei der ersten Entscheidung, die ich vorstelle handelt es sich um den LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 15.10.2021 – 12 Qs 69/21. Es geht in der Entscheidung um eine Durchsuchung bei einer Ärztin wegen des (Anfangs)Verdachts der Verwendung eines falschen Attests zur Befreiung von der Corona-Maskenpflicht.  Folgender Sachverhalt:

Am 27.10.2020 erschien der Beschuldigte bei der Polizeidienststelle in H., um eine Strafanzeige zu erstatten. Hierbei trug er keine Mund-Nasen-Bedeckung. Er legte aber ein Attest vor, datiert vom 04.09.2020, das augenscheinlich von der Fachärztin ausgestellt worden war. Dieses enthielt neben den Personalien des Beschuldigten, dem Arztstempel und einer Unterschrift folgenden Text „Der Patient kann aus medizinischen Gründen keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen“. Am 15.12.2020 verfügte die die Anzeige des Beschuldigten bearbeitende Staatsanwältin die Rückversendung der Akte an die Polizeiinspektion H. und bat um Ermittlungen und ggf. die Einleitung eines neuen Ermittlungsverfahrens gegen den Beschuldigten wegen des Gebrauchs unrichtiger Gesundheitszeugnisse gemäß § 279 StGB durch die Vorlage des Attestes bei der Polizeiinspektion. Nachdem die als Zeugin angeschriebene Ärztin unter Berufung auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht Angaben zur Behandlung des Beschuldigten verweigert hatte, erließ der Ermittlungsrichter des AG Nürnberg am 22. 06.2021 einen auf § 103 StPO gestützten Durchsuchungsbeschluss für die Geschäftsräume mit Nebenräumen der unverdächtigen Ärztin. Darin wurde dem Beschuldigten ein Verstoß gegen § 279 StGB zur Last gelegt. Gesucht werden sollte nach Patientenunterlagen und Patientenakte des Beschuldigten. Den Anfangsverdacht sah das Amtsgericht durch zwei Umstände begründet: Durch den Text des Attestes und durch die räumliche Distanz zwischen dem Wohnort des Beschuldigten und den Praxisräumen der Ärztin.

Die Durchsuchung wurde vollzogen. Danach legte die Rechtsanwältin der Ärztin gegen den Durchsuchungsbeschluss ein. Das LG hat die  Durchsuchung als rechtswidrig angesehen:

„Die Durchsuchung war rechtswidrig, weil ein Anfangsverdacht, der sie hätte rechtfertigen können, bei Beschlusserlass nicht vorlag. Ein Anfangsverdacht setzt voraus, dass konkrete Tatsachen vorliegen, die es als möglich erscheinen lassen, dass eine verfolgbare Straftat begangen worden ist (BGH, Beschluss vom 13. Oktober 1999 – StB 7/99, juris Rn. 6). Daran fehlt es.

a) Ein Anfangsverdacht wird nicht dadurch begründet, dass das vorgelegte Attest ohne Angabe einer Diagnose lediglich den Satz enthält „Der Patient kann aus medizinischen Gründen keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen“. Weitergehende Informationen musste das Attest nicht enthalten. Denn nach dem zur Zeit der angabegemäßen Ausstellung des Attestes in Nordrhein-Westfalen geltenden § 2 Abs. 3 Satz 2 CoronaSchVO i.d.F. vom 31. August 2020, der für die Beschwerdeführerin als in Nordrhein-Westfalen praktizierende Ärztin maßgeblich war, waren von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung Personen befreit, die aus medizinischen Gründen keine solche Bedeckung tragen können. Das stellt das Attest gerade fest. Anders als der zu diesem Zeitpunkt geltende § 1 Abs. 2 Nr. 2 6. BayIfSMV i.d.F. vom 19. Juni 2020 verlangte die nordrhein-westfälische Regelung keine Glaubhaftmachung der gesundheitlichen Gründe, die das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung unmöglich oder unzumutbar machen würden. Die Nichtangabe der nach bayerischer Rechtslage erforderlichen Diagnose (vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 16. September 2020 – W 8 E 20.1301, juris 21), ist daher für das einem anderen landesrechtlichen Regime unterfallende Attest insofern ohne Belang, als daraus nicht gefolgert werden kann, das Gesundheitszeugnis sei unrichtig i.S.d. § 279 StGB.

b) Das weitere Argument, das Attest sei in einer vom Wohnort des Beschuldigten weit entfernten Stadt ausgestellt worden, trägt für sich genommen nicht. Zum angabegemäßen Ausstellungszeitpunkt am 4. September 2020 lag die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz bei 9,8 pro 100.000 Einwohner. Es war nach der ersten und vor der zweiten Corona-Welle ein Sommer, in dem zahlreiche Reisen im Inland stattfanden. Dass sich vor diesem Hintergrund jemand weit entfernt von seinem Heimatort ein ärztliches Attest ausstellen lässt, begründet daher ohne das Hinzutreten weiterer Umstände keinen Anfangsverdacht. Es erscheint in einer mobilen Gesellschaft vielmehr als nicht unüblich.

c) Weitergehende Verdachtsmomente lagen zum Zeitpunkt der Anordnung der Durchsuchung aber nicht vor. Insbesondere gibt es keinen Hinweis darauf, dass die Beschwerdeführerin als eine Ärztin aufgefallen wäre, die – wie aus anderen Fällen allgemein bekannt ist – aus Überzeugung oder Gewinnstreben Gefälligkeitsatteste dutzend- oder hundertfach unter Corona-Leugner oder Maskenverweigerer gebracht hätte.“