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Zweimal Strafzumessungsfehler: Feststellungen fehlen und Doppelverwertungsverbot übersehen

© Dan Race Fotolia .com

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Da der vorhin veröffentliche Beitrag „Verdachtsstrafzumessung“? Nein, oder: Strafzumessungsgesichtspunkt „Bezüge zu den Übergriffen an Silvester“ in Köln? ja etwas mit Strafzumessung zu tun hatte, will ich dann jetzt auf zwei neuere Entscheidungen des BGH hinweisen. Leider habe ich nichts zur (unzulässigen) „Verdachtsstrafzumessung“ gefunden, aber immerhin zeigt der BGH, Beschl. v. 18.11.2015 – 2 StR 359/15, dass Strafzumessung nur auf der Grundlagevon festgestellten Tatsachen/Umständen erfolgen darf. Also:

„Soweit das Landgericht im Rahmen der Gesamtstrafenbildung u.a. die „psychischen Folgen für die Geschädigten“ berücksichtigt hat, fehlt es an entsprechenden Feststellungen im Urteil, wenngleich nicht unerhebliche Tatfolgen angesichts der Vielzahl und des Gewichts der Taten auf der Hand liegen. Die (noch) im Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 29. Mai 2013 getroffenen Feststellungen zu den psychischen Tatfolgen für die Geschädigten sind durch Urteil des Senats vom 9. Juli 2014 aufgehoben und wären deshalb erneut festzustellen gewesen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 27. Juni 2006 – 4 StR 190/06, StV 2007, 23; Urteil vom 12. Juni 2014 – 3 StR 139/14, NStZ 2015, 182, 183 mwN). Die Gesamtstrafenbildung erweist sich insoweit als fehlerhaft.

Der Senat kann aber ausschließen, dass sich dieser Rechtsfehler bei der Gesamtstrafenbildung angesichts von 31 verhängten Einzelfreiheitsstrafen …… zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat.“

  • Und im BGH, Beschl. v. 05.11.2015 – 2 StR 296/15 – geht es bei einer landgerichtlichen Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen das BtMG mal wieder um einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot. Der BGH führt dazu aus:

„Sowohl die im Rahmen der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten dargestellte Erwägung, der Angeklagte habe sich aufgrund eigener Überlegung entschieden, als Drogenkurier tätig zu werden, als auch die Feststellung, er habe die Alternative, mit einem zu erwartenden Verdienst von 4.000 bis 5.000 Schweizer Franken seine finanziellen Probleme über einen längeren Zeitraum zu lösen, letztlich nicht ernstlich in Erwägung gezogen, habe sich vielmehr über den schnellen und ihm lukrativer erscheinenden Einkommenserwerb als Drogenkurier entschieden, erweisen sich als rechtlich nicht unbedenklich. Denn damit wird dem Angeklagten unter Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB die bloße Tatbegehung vorgeworfen. Der Senat kann jedoch angesichts der milden Strafe ausschließen, dass der Strafausspruch auf diesem Rechtsfehler beruht.“

Also in beiden Fällen Strafzumessungsfehler, aber dann auch mal wieder in beiden Fällen: Außer Spesen nichts gewesen.

Strafzumessung: Doppelte Gewalt – unzulässige doppelte Verwertung

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Zwischendurch mal was Kleines/Einfaches und Kurzes vom BGH, nämlich der BGH, Beschl. v. 13.10.2015 – 2 StR 238/15 – betreffend eine Strafzumessungs(dauer)problematik, nämlich die Frage der Doppelverwertung. Es geht um eine Verurteilung wegen Totschlags, bei der der BGH auf die Revision den Strafausspruch – Freiheitsstrafe von fünf Jahren – aufgehoben hat:

„Dagegen kann der Strafausspruch nicht bestehen bleiben. Bei der konkreten Strafzumessung hat das Schwurgericht zu Lasten der Angeklagten die in der Tat zum Ausdruck kommende Gewaltbereitschaft berücksichtigt, die bei ihr ansonsten persönlichkeitsbedingt reduziert sei. Weitere straferschwerende Umstände führt das Urteil nicht an.

Diese Strafzumessungserwägung verstößt gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB. Ebenso wie der Tötungsvorsatz als solcher darf die Anwendung der zur Tötung erforderlichen Gewalt nicht straferschwerend gewertet werden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 12. Januar 1988 – 5 StR 657/87, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 2; vom 28. September 1995 – 4 StR 561/95, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvor-satz 6; vom 24. März 1998 – 4 StR 34/98, StV 1998, 657). Diese Grundsätze hat das Landgericht nicht beachtet. Indem sie mit einem Messer einmal auf das Tatopfer einstach, hat die Angeklagte lediglich die Gewalt angewendet, die erforderlich war, um den tatbestandsmäßigen Erfolg herbeizuführen.

Dies bedingt die Aufhebung des Strafausspruchs. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht ohne den Rechtsfehler auf eine mildere Strafe erkannt hätte.

Darüber hinaus begründen die Urteilsgründe auch die Besorgnis, dass das Schwurgericht die zu Gunsten der Angeklagten objektiv gegebene Notwehrlage aus dem Blick verloren hat, da es strafmildernd lediglich berücksichtigt hat, dass der Tat verbale Beschimpfungen und Beleidigungen des Getöteten vorausgegangen waren (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2013 – 4 StR 213/13).“

Solche Formulierungen sind immer gefährlich.

Anfängerfehler: Die Krux mit dem Doppelverwertungsverbot

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Wenn man die Rechtsprechung des BGH auf dessen Homepage verfolgt, kann man aus den dort veröffentlichten Entscheidungen m.E. ableiten: Die Landgerichte scheinen sich mit dem Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB schwer zu tun. Viele Revisionen haben nämlich Erfolg, weil dagegen verstoßen worden ist bzw. der BGH das nicht ausschließen kann und damit Bedenken hinsichtlich der verhängten Strafe bestehen. So dann auch mal wieder der BGH, Beschl. v. 29.04.2015 – 2 StR 540/14 – betreffend eine Verurteilung wegen einer Körperverletzung:

„2. Der Strafausspruch unterliegt der Aufhebung, weil das Landgericht ausdrücklich strafschärfend gewertet hat, dass die Geschädigte „in allen Fällen Verletzungen davon trug bzw. Schmerzen erlitt“. Dies verstößt gegen § 46 Abs. 3 StGB. Denn das Landgericht legt – insbesondere in den Fällen 2 und 3 – nicht dar, worin es das an sich denkbare gesteigerte Unrecht sieht, das das Maß an Schmerzen und Verletzungen übersteigt, das allgemein mit einer Körperverletzungshandlung verbunden ist (vgl. auch BGH, Beschluss vom 8. November 2001 – 3 StR 378/01 ). Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Bemessung sämtlicher Einzelstrafen auf diesem Rechtsfehler beruht; die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe können deshalb nicht bestehen bleiben. Da lediglich ein Wertungsfehler vorliegt, können die Feststellungen bestehen bleiben; sie dürfen um ihnen nicht widersprechende ergänzt werden. „

Anfängerfehler, oder?

Mehr als ein Jahr für 3 gr. Marihuana sind zu viel….

© eyetronic Fotolia.com

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Ich habe länger kein Posting mehr zur Strafzumessung gemacht. Da kam mir der BGH, Beschl. v. 04.11.2014 – 2 StR 300/14 – gerade recht. Nichts Weltbewegendes, aber ein nettes, kleines Schmankerl, das mal wieder an das Doppelverwertungsverbot und daran erinnert, dass Strafe immer einer gerechter Schuldausgleich sein muss. Letzteres gibt der 2. Strafsenat dem LG mit für den 2. Durchgang:

Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Die Strafrahmenwahl in den 32 abgeurteilten Fällen des Handeltrei-bens mit Betäubungsmitteln begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte bei seinen Betäubungsmittelgeschäften angesichts der Vielzahl von Fällen und mit Blick auf zahlreiche Abnehmer gewerbsmäßig gehandelt hat, und hat sodann geprüft, ob die danach eintretende Regelwirkung für das Vorliegen eines besonders schweren Falles gemäß § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG entfallen kann. Dabei hat es unter anderem „strafschärfend“ berücksichtigt, dass der Angeklagte das Regelbeispiel der Gewerbsmäßigkeit erfüllt hat, und hat seiner Strafbemessung sodann den Strafrahmen des besonders schweren Falles zugrunde gelegt. Dies ist nicht frei von Rechtsfehlern. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung, ob bei Vorliegen eines Regelbeispiels die Indizwirkung für die Annahme eines besonders schweren Falles entfallen kann, hat der Tatrichter zwar grundsätzlich alle für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände zu berücksichtigen, doch kann entsprechend dem Rechtsgedanken des § 46 Abs. 3 StGB die Gewerbsmäßigkeit des Handelns, die als Regelbeispiel zur Prüfung des § 29 Abs. 3 BtMG führt, nicht als Umstand herangezogen werden, um ein Ab-sehen von der durch die Gewerbsmäßigkeit begründeten Regelwirkung zu verneinen….

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die zu verhängenden Strafen einen gerechten Schuldausgleich für die begangene Tat darstellen müssen und insoweit eine Freiheitsstrafe von einem Jahr in keinem Verhältnis mehr für das durch geringe Handelsmengen (von zum Teil lediglich 3 Gramm Marihuana) bei einer Wirkstoffkonzentration von nur 2 % THC geprägte Tatunrecht steht (vgl. BGH, StV 2014, 611).“

 

Strafzumessung I: Das Fehlen mildernder Umstände geht zu deinen Lasten

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Strafzumessung ist nicht immer einfach und es werden häufig (vermeidbare) Fehler gemacht.. Das zeigt sich sehr deutlich in der Rechtsprechung des BGH, m.E. seit einiger Zeit vor allem in der des 2. Strafsenats. Denn m.E. werden von dem – zumindest gefühlt – mehr landgerichtliche Entscheidungen als früher wegen Strafzumessungsfehlern aufgehoben. Ein Beispiel ist das BGH, Urt. v. 09.10.2013 – 2 StR 119/13,  in dem der 2. Strafsenat eine Verurteilung wegen Landfriedensbruchs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu überprüfen hatte. Den Schuldspruch hat der BGH nicht beanstandet, aber den Rechtsfolgenausspruch:

b) Bei der Bemessung der Freiheitsstrafe hat das Landgericht jedoch auch zu Lasten des Angeklagten gewertet, dass sich seine Angriffshandlungen gegen „Repräsentanten des Staats“ richteten, die hierzu „keinerlei Anlass“ gegeben hatten. Diese Erwägung stößt auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. Senat, Urteil vom 17. September 1980 – 2 StR 355/80, BGHSt 29, 319, 320; BGH, Beschluss vom 24. Mai 2006 – 5 StR 158/06 Rn. 4 juris) auf durchgreifende rechtliche Bedenken.

Schon die strafschärfende Erwägung, dass sich die Angriffe gegen „Repräsentanten des Staates“ richteten, ist mit im Blick auf das Doppelverwertungsverbot (§ 46 Abs. 3 StGB) nicht unbedenklich. Sie lässt besorgen, dass das Landgericht den Umstand, dass es sich bei den Geschädigten um Polizeibeamte handelte, noch einmal zu Lasten des Angeklagten eingestellt hat, ob-gleich schon der Tatbestand des § 113 StGB eine gegen einen Amtsträger der Bundesrepublik gerichtete Handlung voraussetzt. Im Übrigen wird man auch kaum annehmen können, Gewalttätigkeiten, die im Rahmen eines (schweren) Landfriedensbruchs gegen Unbeteiligte oder sonstige Dritte begangen werden, verwirklichten eine „geringere“ Schuld als Gewalt gegen Polizeibeamte.

Jedenfalls erweist sich die Erwägung, dass die Geschädigten dem Angeklagten „keinerlei Anlass“ für einen Angriff gegeben hätten, als rechtsfehlerhaft. Da die Polizeibeamten dem Angeklagten jedenfalls insoweit einen „Anlass“ gegeben hatten, als sie ihn unter Einsatz unmittelbaren Zwangs aus den Kreuzungsbereich wegdrängten bzw. dies absicherten, kann das Landgericht bei dieser Erwägung nur darauf abgestellt haben, dass es keinen berechtigten oder sonst verständlichen Anlass für den Messereinsatz gab. Dabei handelt es sich aber letztlich um eine strafschärfende Berücksichtigung des bloßen Fehlens eines strafmildernden Umstands.

Zwar schlagen nach allgemeinen Strafzumessungsgrundsätzen nachvollziehbare, verständliche Motive für eine Tatbegehung strafmildernd zu Buche, wie z.B. eine Tatverstrickung durch Dritte oder der Umstand, dass das Opfer selbst zu der Situation beigetragen hat, aus der heraus die Tat begangen wird. Das Fehlen solcher mildernden Umstände berechtigt indes nicht, dies zu Lasten des Angeklagten zu berücksichtigen (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Ap-ril 2012 – 2 StR 73/12, NStZ 2013, 46). Daher kann der Umstand, dass ein Täter „grundlos“ gegen das Tatopfer vorgeht (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Mai 1993 – 4 StR 207/93 Rn. 6 juris; Senat, Beschluss vom 11. Februar 1998 – 2 StR 668/97 Rn. 3 juris) oder, dass das Opfer dem Täter „keinerlei Anlass“ für die Tat geboten hat (vgl. BGH, Beschluss vom 27. April 2010 – 3 StR 106/10; Senat, Urteil vom 20. November 1992 – 2 StR 392/92), grundsätzlich nicht strafschärfend berücksichtigt werden, weil damit lediglich das Fehlen von Umständen be-schrieben wird, die sich – wenn sie vorlägen – strafmildernd auswirken könnten.

Zwar darf der Grundsatz, wonach das Fehlen eines Strafmilderung-grunds keinen Strafschärfungsgrund darstellt, nicht dahin missverstanden wer-den, dass die Einbeziehung gegebener Tatsachen in die Abwägung der Um-stände, die für die Strafzumessung von Bedeutung sind, stets dann rechtsfehlerhaft sei, wenn sie im Urteil in negativer Formulierung umschrieben sind. Die revisionsrichterliche Überprüfung der Strafzumessung hat sich vielmehr am sachlichen Gehalt der Ausführungen des Tatgerichts und nicht an dessen – möglicherweise missverständlichen oder sonst unzureichenden – Formulierun-gen zu orientieren (BGH, Beschluss vom 10. April 1987 – GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349 f.; vgl. auch im Ergebnis: BGH, Urteil vom 21. November 1993 – 1 StR 384/93 Rn. 15 juris). Nur wenn die Strafe tatsächlich an bloß fiktiven Erwägun-gen oder an einem nur hypothetischen Sachverhalt gemessen wird, der zu dem zu beurteilenden keinen Bezug hat, wird ein rechtlich fehlerhafter Maßstab an die Wertung des Verhaltens des Angeklagten angelegt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Mai 1980 – 3 StR 176/80, NStZ 1981, 60 mwN; Beschluss vom 13. August 2013 – 4 StR 288/13 Rn. 7 juris; Beschluss vom 24. Oktober 2012 – 4 StR 392/12, NStZ-RR 2013, 81, 82).

Unter Zugrundelegung dieses rechtlichen Ausgangspunktes hat das Landgericht mit seiner Formulierung, dass es für den Angeklagten „keinerlei Anlass“ gab, die Polizeibeamten anzugreifen, im Ergebnis allein darauf abgestellt, dass der Angeklagte von der Tat hätte absehen können und müssen, weil er für sie keinen von den Polizeibeamten geschaffenen berechtigten oder „verständlichen“ Anlass hatte. Dies stellt eine strafschärfende Verwertung des Umstands dar, dass die Tat überhaupt rechtswidrig begangen wurde.

c) Bedenken begegnet im Übrigen die Erwägung des Landgerichts, der Angeklagte befinde sich zwar erstmals in Haft, diese Erfahrung habe ihn aber „in keiner Weise zu beeindrucken“ vermocht. Es fehlt hier an einem sachlichen Zusammenhang zwischen dem grundsätzlich strafmildernden Umstand der Erstverbüßung und seiner weitgehenden Relativierung.“

Und: Ceterum censeo: Hier geht es zur Abstimmung Beste Jurablogs Strafrecht 2014 – wir sind dabei, die Abstimmung läuft…