Strafzumessung ist nicht immer einfach und es werden häufig (vermeidbare) Fehler gemacht.. Das zeigt sich sehr deutlich in der Rechtsprechung des BGH, m.E. seit einiger Zeit vor allem in der des 2. Strafsenats. Denn m.E. werden von dem – zumindest gefühlt – mehr landgerichtliche Entscheidungen als früher wegen Strafzumessungsfehlern aufgehoben. Ein Beispiel ist das BGH, Urt. v. 09.10.2013 – 2 StR 119/13, in dem der 2. Strafsenat eine Verurteilung wegen Landfriedensbruchs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu überprüfen hatte. Den Schuldspruch hat der BGH nicht beanstandet, aber den Rechtsfolgenausspruch:
b) Bei der Bemessung der Freiheitsstrafe hat das Landgericht jedoch auch zu Lasten des Angeklagten gewertet, dass sich seine Angriffshandlungen gegen „Repräsentanten des Staats“ richteten, die hierzu „keinerlei Anlass“ gegeben hatten. Diese Erwägung stößt auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. Senat, Urteil vom 17. September 1980 – 2 StR 355/80, BGHSt 29, 319, 320; BGH, Beschluss vom 24. Mai 2006 – 5 StR 158/06 Rn. 4 juris) auf durchgreifende rechtliche Bedenken.
Schon die strafschärfende Erwägung, dass sich die Angriffe gegen „Repräsentanten des Staates“ richteten, ist mit im Blick auf das Doppelverwertungsverbot (§ 46 Abs. 3 StGB) nicht unbedenklich. Sie lässt besorgen, dass das Landgericht den Umstand, dass es sich bei den Geschädigten um Polizeibeamte handelte, noch einmal zu Lasten des Angeklagten eingestellt hat, ob-gleich schon der Tatbestand des § 113 StGB eine gegen einen Amtsträger der Bundesrepublik gerichtete Handlung voraussetzt. Im Übrigen wird man auch kaum annehmen können, Gewalttätigkeiten, die im Rahmen eines (schweren) Landfriedensbruchs gegen Unbeteiligte oder sonstige Dritte begangen werden, verwirklichten eine „geringere“ Schuld als Gewalt gegen Polizeibeamte.
Jedenfalls erweist sich die Erwägung, dass die Geschädigten dem Angeklagten „keinerlei Anlass“ für einen Angriff gegeben hätten, als rechtsfehlerhaft. Da die Polizeibeamten dem Angeklagten jedenfalls insoweit einen „Anlass“ gegeben hatten, als sie ihn unter Einsatz unmittelbaren Zwangs aus den Kreuzungsbereich wegdrängten bzw. dies absicherten, kann das Landgericht bei dieser Erwägung nur darauf abgestellt haben, dass es keinen berechtigten oder sonst verständlichen Anlass für den Messereinsatz gab. Dabei handelt es sich aber letztlich um eine strafschärfende Berücksichtigung des bloßen Fehlens eines strafmildernden Umstands.
Zwar schlagen nach allgemeinen Strafzumessungsgrundsätzen nachvollziehbare, verständliche Motive für eine Tatbegehung strafmildernd zu Buche, wie z.B. eine Tatverstrickung durch Dritte oder der Umstand, dass das Opfer selbst zu der Situation beigetragen hat, aus der heraus die Tat begangen wird. Das Fehlen solcher mildernden Umstände berechtigt indes nicht, dies zu Lasten des Angeklagten zu berücksichtigen (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Ap-ril 2012 – 2 StR 73/12, NStZ 2013, 46). Daher kann der Umstand, dass ein Täter „grundlos“ gegen das Tatopfer vorgeht (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Mai 1993 – 4 StR 207/93 Rn. 6 juris; Senat, Beschluss vom 11. Februar 1998 – 2 StR 668/97 Rn. 3 juris) oder, dass das Opfer dem Täter „keinerlei Anlass“ für die Tat geboten hat (vgl. BGH, Beschluss vom 27. April 2010 – 3 StR 106/10; Senat, Urteil vom 20. November 1992 – 2 StR 392/92), grundsätzlich nicht strafschärfend berücksichtigt werden, weil damit lediglich das Fehlen von Umständen be-schrieben wird, die sich – wenn sie vorlägen – strafmildernd auswirken könnten.
Zwar darf der Grundsatz, wonach das Fehlen eines Strafmilderung-grunds keinen Strafschärfungsgrund darstellt, nicht dahin missverstanden wer-den, dass die Einbeziehung gegebener Tatsachen in die Abwägung der Um-stände, die für die Strafzumessung von Bedeutung sind, stets dann rechtsfehlerhaft sei, wenn sie im Urteil in negativer Formulierung umschrieben sind. Die revisionsrichterliche Überprüfung der Strafzumessung hat sich vielmehr am sachlichen Gehalt der Ausführungen des Tatgerichts und nicht an dessen – möglicherweise missverständlichen oder sonst unzureichenden – Formulierun-gen zu orientieren (BGH, Beschluss vom 10. April 1987 – GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349 f.; vgl. auch im Ergebnis: BGH, Urteil vom 21. November 1993 – 1 StR 384/93 Rn. 15 juris). Nur wenn die Strafe tatsächlich an bloß fiktiven Erwägun-gen oder an einem nur hypothetischen Sachverhalt gemessen wird, der zu dem zu beurteilenden keinen Bezug hat, wird ein rechtlich fehlerhafter Maßstab an die Wertung des Verhaltens des Angeklagten angelegt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Mai 1980 – 3 StR 176/80, NStZ 1981, 60 mwN; Beschluss vom 13. August 2013 – 4 StR 288/13 Rn. 7 juris; Beschluss vom 24. Oktober 2012 – 4 StR 392/12, NStZ-RR 2013, 81, 82).
Unter Zugrundelegung dieses rechtlichen Ausgangspunktes hat das Landgericht mit seiner Formulierung, dass es für den Angeklagten „keinerlei Anlass“ gab, die Polizeibeamten anzugreifen, im Ergebnis allein darauf abgestellt, dass der Angeklagte von der Tat hätte absehen können und müssen, weil er für sie keinen von den Polizeibeamten geschaffenen berechtigten oder „verständlichen“ Anlass hatte. Dies stellt eine strafschärfende Verwertung des Umstands dar, dass die Tat überhaupt rechtswidrig begangen wurde.
c) Bedenken begegnet im Übrigen die Erwägung des Landgerichts, der Angeklagte befinde sich zwar erstmals in Haft, diese Erfahrung habe ihn aber „in keiner Weise zu beeindrucken“ vermocht. Es fehlt hier an einem sachlichen Zusammenhang zwischen dem grundsätzlich strafmildernden Umstand der Erstverbüßung und seiner weitgehenden Relativierung.“