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Anhörungsrüge vor Verfassungsbeschwerde? Lieber immer, schadet nicht, kann aber nutzen

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Bislang war ich noch nicht dazu gekommen auf den BVerfG, Beschl. v. 16.07.2013 – 1 BvR 3057/11, hinzuweisen, der sich mit der Erforderlichkeit eines fachgerichtlichen Anhörungsrügeverfahrens vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde befasst, also mit der Frage: Muss man vor einer Verfassungsbeschwerde beim letztinstanzlichen Fachgericht eine Anhörungsrüge erheben, weil das zur Erschöpfung des Rechtswegs gehört? Und zwar auch dann, wenn keine Gehörsverletzung geltend gemacht wird?

Die amtlichen Leitsätze zu dem Beschluss lauten:

„1. Wird die Rüge einer Gehörsverletzung weder ausdrücklich noch der Sache nach zum Gegenstand der Verfassungsbeschwerde gemacht oder wird die zunächst wirksam im Verfassungsbeschwerdeverfahren erhobene Rüge einer Gehörsverletzung wieder zurückgenommen, hängt die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt des Gebots der Rechtswegerschöpfung nicht von der vorherigen Durchführung eines fachgerichtlichen Anhörungsrügeverfahrens ab.

2. Aus Gründen der Subsidiarität müssen Beschwerdeführer allerdings zur Vermeidung der Unzulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde, bei der sie sich nicht auf eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG berufen, eine Anhörungsrüge oder den sonst gegen eine Gehörsverletzung gegebenen Rechtsbehelf ergreifen, wenn den Umständen nach ein Gehörsverstoß durch die Fachgerichte nahe liegt und zu erwarten wäre, dass vernünftige Verfahrensbeteiligte mit Rücksicht auf die geltend gemachte Beschwer bereits im gerichtlichen Verfahren einen entsprechenden Rechtsbehelf ergreifen würden.“

Fazit also: An sich nicht, aber manchmal doch. Da sollte man dann als Rechtsanwalt/Verteidiger vielleicht doch den sicheren Weg gehen und lieber immer eine Anhörungsrüge (§ 356a StPO) erheben. Schaden kann es m.E. nicht, aber ggf. nutzen. 🙂

 

Nichtraucherschutz auch im Knast

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Der Nichtraucherschutz gilt auch im Knast. So kann man den BVerfG, Beschl. v. 20.03.2013, 2 BvR 67/11 – kurz zusammenfassen, mit dem das BVerfG noch einmal zu der Frage Stellung genommen hat. Während es im BVerfG, Beschl. v. 28.10.2012 – 2 BvR 737/11, um die U-Haft ging (vgl. dazu: Nichtraucherschutz auch in der U-Haft) ging, hatte dieses Mal ein Strafgefangner gegen die gemeinsame Unterbringung mit drei Mitgefangenen, von denen einer Raucher waren, u.a. wegen des Rauchens einen Antrag auf Einzelunterbrinugng gestellt. Darüber hat dann in letzter Instanz das BVerfG entschieden und dem Strafgefangenen insoweit Recht gegeben: Das LG, das entschieden hat, habe seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung verletzt.

„Für den in der gemeinschaftlichen Unterbringung mit einem Raucher liegenden Eingriff fehlt bereits eine gesetzliche Grundlage. Auf die Frage, ob und inwieweit es mit den Grundrechten eines Gefangenen, der Tabakrauch in seinem Haftraum nicht ausgesetzt werden will, vereinbar sein könnte, ihm durch Gesetz gewisse diesbezügliche Duldungspflichten aufzuerlegen, kommt es daher nicht an.

Das nordrhein-westfälische Nichtraucherschutzgesetz verbietet darüber hinaus ausdrücklich das Rauchen in einem Haftraum, wenn eine der darin untergebrachten Personen Nichtraucher ist (§ 3 Abs. 5 Satz 2 NiSchG NW). Die Durchsetzung dieses auf den Schutz des Nichtrauchers zielenden Gebots kann schon im Hinblick darauf, dass er sich damit der Gefahr von Repressalien seitens der Mitgefangenen aussetzen würde, nicht dem nichtrauchendem Gefangenen – sei es auch auf dem Weg über auf Verbotsdurchsetzung zielende Beschwerden an die Anstalt – überlassen bleiben. Das gesetzliche Verbot schließt daher die Unzulässigkeit der gemeinsamen Unterbringung nichtrauchender mit rauchenden Gefangenen ein, sofern nicht die Anstalt durch geeignete, von Beschwerden des betroffenen Nichtrauchers unabhängige Vorkehrungen, wie zum Beispiel Rauchmelder, für eine systematische Durchsetzung des gesetzlichen Verbots sorgt. Dass das Verbot des § 3 Abs. 5 Satz 2 NiSchG NW im vorliegenden Fall wirksam durchgesetzt worden sei, ist im fachgerichtlichen Verfahren von der Justizvollzugsanstalt nicht geltend gemacht worden.

Der Beschluss des Landgerichts enthält auch keine tragfähige Begründung dafür, dass eine den grundrechtseingreifenden Charakter der Maßnahme ausschließende Einwilligung des Beschwerdeführers vorlag. Schon mit der Frage, ob eine Einwilligung hier überhaupt eingriffsausschließende Wirkung – insbesondere auch eingriffsausschließende Wirkung über die Dauer des Einverständnisses hinaus – entfalten konnte, setzt sich das Landgericht nicht auseinander. Auch dazu, ob eine Einwilligung überhaupt erteilt worden war, fehlt jede Feststellung. Ein Einverständnis des Beschwerdeführers mit einer vorübergehenden gemeinschaftlichen Unterbringung, von dessen Vorliegen das Landgericht ausging, kann offenkundig nicht mit einer Einwilligung in die gemeinschaftliche Unterbringung mit einem Raucher gleichgesetzt werden. Auch wenn der Vortrag der Justizvollzugsanstalt, dass der Beschwerdeführer Umschluss mit einem rauchenden Mitgefangenen in Anspruch genommen habe, zutreffend gewesen sein sollte, könnte hieraus nicht auf ein Einverständnis auch mit der kontinuierlichen gemeinschaftlichen Unterbringung mit einem Raucher geschlossen werden. Unabhängig davon konnte die Annahme der Rechtmäßigkeit dieser Unterbringung auf das den Umschluss betreffende Vorbringen der Justizvollzugsanstalt schon deshalb nicht gestützt werden, weil der Beschwerdeführer mit einer abweichenden Sachverhaltsschilderung bestritten hatte, dass er es jemals in Kauf genommen habe, während eines Umschlusses Tabakrauch ausgesetzt zu sein. Das Gericht verletzt seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung, wenn es bei umstrittenem Sachvortrag ohne weitere Ermittlungen und ohne jede Begründung für deren Entbehrlichkeit von der Richtigkeit des Vortrags einer Seite ausgeht (vgl. BVerfGK 9, 460 <464 f.>; 13, 137 <146>).“


…oh ha, das kann teuer werden….Missbrauchsgebühr

Der BVerfG, Beschl. v. 02.07.2013 – 1 BvR 1478/13 ruft noch einmal in Erinnerung: Im verfassungsgerichtlichen Verfahren gibt es eine Missbrauchsgebühr (§ 34 Abs. 2 BVerfGG). Und von der Möglichkeit, die festzusetzen, macht das BVerfG auch (gnadenlos) Gebrauch. Eine unsubstantiierte Verfassungsbeschwerde kann also ganz schön teuer werden. Man sollte sich also als Rechtsanwalt mit deren Voraussetzungen schon befasst haben, wenn man nicht lesen will:

Hätte sich der Beschwerdeführer in gebotener Weise mit den Zulässigkeitsvoraussetzungen befasst, wäre ihm nicht verborgen geblieben, dass die Verfassungsbeschwerde mangels hinreichender Substantiierung (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG) für jedermann ersichtlich unzulässig ist. Dennoch hat er erneut eine völlig substanzlose Verfassungsbeschwerde eingelegt. Zu den gerügten Grundrechten – mit Ausnahme des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG – fehlen jegliche Ausführungen. Ungeachtet der zweifelhaften verfassungsrechtlichen Relevanz gehen die Darlegungen des Beschwerdeführers zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG bereits in tatsächlicher Hinsicht fehl. Entgegen seinem Vortrag hat im vorliegenden Verfahren bereits kein ausschließlich mit Anwälten besetztes Anwaltsgericht abschließend entschieden, sondern aufgrund der eingelegten Rechtsmittel die mit Berufsrichtern und Rechtsanwälten besetzten Senate des Anwaltsgerichtshofs und des Bundesgerichtshofs (vgl. §§ 104 Satz 2, 106 Abs. 2 Satz 1 BRAO).“

NSU-Verfahren: hier der Volltext zu „BVerfG lehnt Videoübertragung ab“

Ich hatte heute Morgen über die Entscheidung des BVerfG zur Videoübertragung berichtet (vgl. hier: NSU-Verfahren: BVerfG lehnt Videoübertragung ab). Inzwischen liegt der Volltext zum BVerfG, Beschl. v. 01.05.2013 – 1 BvQ 13/13 – vor.

Das BVerfG hat also sowohl den Antrag, dem Vorsitzenden des OLG Senats des OLG München aufzugeben, dem freien Journalisten einen Sitzplatz zur Verfügung zu stellen, als auch den Hilfsantrag, dem freien Journalisten an allen anberaumten Verhandlungstagen einen Sitzplatz zum Zwecke der Berichterstattung in einem Nebensaal des Gerichtssaals zur Verfügung zu stellen, in dem eine Videoübertragung des genannten Prozesses stattfindet, abgelehnt.

Die Begründung – wie im einstweiligen Anordnungsverfahren nicht anders zu erwarten – kurz:

„Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Der Antrag auf Eilrechtsschutz hat jedoch keinen Erfolg, wenn eine Verfassungsbeschwerde unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 111, 147 <152 f.>; stRspr).

Eine Verletzung des Rechts des Beschwerdeführers auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb gemäß Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ist nach seinem Vorbringen offensichtlich nicht gegeben. Bei der Verteilung knapper Sitzplätze hat der Vorsitzende des jeweiligen Spruchkörpers einen erheblichen Ermessensspielraum. Das Bundesverfassungsgericht überprüft dessen Anordnungen nur dahingehend, ob sie Verfassungsrecht verletzen und insbesondere, ob sie auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <97 f.>). Es ist dagegen nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts, eine Verteilungsentscheidung des Vorsitzenden umfassend und im Einzelnen darauf zu überprüfen, ob die beste Verteilmodalität gewählt worden war (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. März 2008 – 1 BvR 282/01 -, NJW-RR 2008, S. 1069). Ein Anspruch auf Bild- und Tonübertragung der Verhandlung in einen anderen Saal des Gerichts lässt sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht herleiten (BVerfGE 87, 331 <333>).“

NSU-Verfahren: BVerfG lehnt Videoübertragung ab.

Bei LTO lese ich gerade folgende Meldung

„BVerfG zu Videoübertragung im NSU-Prozess: Beim NSU-Prozess muss keine Videoübertragung in einen zweiten Saal stattfinden. Das entschied am Mittwochnachmittag das Bundesverfassungsgericht. Der Vorsitzende Richter am OLG München habe einen „erheblichen Ermessensspielraum“ wie er Öffentlichkeit herstellen will. Abgelehnt wurde damit ein Eilantrag des Rechtsanwalts Ernst Fricke, berichten die SZ (Annette Ramelsberger) und die taz (Christian Rath).

Ex-BVerfG-Präsident Hans-Jürgen Papier plädierte derweil im Interview mit welt.de (Jochen Gaugele/Thorsten Jungholt) für eine Videoübertragung. Sie sei zwar kein rechtliches Gebot, aber eine Frage pragmatischer Klugheit. Dagegen hält der Rechtsprofessor Heiner Alwart auf lto.de die Übertragung in einen separaten Raum für rechtswidrig. Dort entstehe „ein weiterer, anonymer Sitzungssaal und damit eine Art – im wahrsten Sinne des Wortes – Parallel-Schauprozess“.

Eine Pressemitteilung des BVerfG gibt es noch nicht, jedenfalls habe ich keine gefunden. Der Beschluss steht auch noch nicht auf der Homepage des BVerfG.

Damit ist um die Platzvergabe aber immer noch keine Ruhe eingekehrt. Denn es gibt ja wohl noch weitere Verfahren beim BVerfG, und zwar diejnige des freien Journalisten Martin Lejeune, der beim ersten Akkreditierungsverfahren im März einen sicheren Platz im NSU-Prozess ergattert hatte, dieser aber bei der Verlosung wieder verloren hat. Dann stehen wohl auch noch immer andere Verfassungsbeschwerde gegen die Verlosung im Raum.

Und: Schließlich gibt es heute noch die Nachverlosung beim OLG. Dazu: Nachdem ich neulich gepostet hatte: Ein Gericht macht sich lächerlich (?), oder soll man weinen? nehme ich das zurück. M.E. ist es jetzt nicht mehr lächerlich, sondern nur noch peinlich (für das OLG).

Nachtrag um 10.00 Uhr: Weiter Infos dann noch hier bei LTO.

Nachtrag um 13.50 Uhr: Vgl. auch hier NSU-Verfahren: hier der Volltext zu “BVerfG lehnt Videoübertragung ab”