Schlagwort-Archive: Beweiswürdigung

Beweisantrag III: Ablehnung eines Hilfsbeweisantrages wegen Prozessverschleppung, oder: Nicht erst im Urteil

© robotcity – Fotolia.com

Die dritte und letzte Entscheidung des Tages enthält dann etwas Neues. Der OLG Oldenburg, Beschl. v. 06.07.2020 – 1 Ss 90/20, den mir der Kollege Koop aus Lingen geschickt hat, ist nämlich, soweit ich das sehen, die erste Entscheidung die sich mit der Einfügung des § 244 Abs. 6 Satz 2 StPO durch das „Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens v. 10.12.2019“, BGBl I, S. 2121, befasst. Stichwort: Ablehnung eines Beweisantrages wegen Prozessverschleppung. Von daher also etwas Neues.

In der Sache ein im Grunde ganz einfacher Sachverhalt: Der Angeklagte wird wegen gefährlicher Körperverletzung im Rahmen einer Auseinandersetzung zweier verfeindeter Familien verurteilt. Er hat bestritten, den Geschädigten geschlagen zu haben. Der Schlag wird aber von einem Polizeibeamten, der mit einer Kollegin zu der Schlägerei hinzu gerufenen worden ist, bekundet. Der Verteidiger stellt dann im Plädoyer einen Hilfsbeweisantrag auf Vernehmung der Kollegin. Den lehnt  das Gericht (erst) im Urteil wegen Prozessverschleppung ab. Dagegen die Revision, die beim OLG Erfolg hatte:

„Der Senat kann nicht ausschließen, dass diese Feststellungen auf den mit der Revision geltend gemachten Verfahrensfehlern beruhen.

1. Zu Recht rügt die Revision, das Landgericht habe einen Hilfsbeweisantrag auf Vernehmung der Polizeianwärterin pp. zu Unrecht wegen Prozessverschleppung abgelehnt.

a) Dieser Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:

In seinem Schlussvortrag vor dem Landgericht beantragte der Verteidiger des Angeklagten, für den Fall, dass die Kammer die Schuld des Angeklagten so festzustellen beabsichtige, wie es das Amtsgericht getan habe, die PKA’in pp. PK Nordhorn, als Zeugin zu laden. Diese werde bekunden, dass sie den Angeklagten nicht als Person erkannt habe, die auf den Zeugen pp. einwirkte, sondern dass er in deutlicher Entfernung vom Pkw des pp. an der dort befindlichen Tankstelle gewesen sei, und zwar während des Zeitraums, in dem der Zeuge pp., an seinem Fahrzeug sich befunden habe.

Diesen Antrag hat die Strafkammer im Urteil wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt.

Unabhängig davon, dass der Antrag keine Angaben darüber enthalte, weshalb die Polizeianwärterin pp. dieses Geschehen wahrgenommen haben solle (§ 244 Abs. 3 a.E StPO), würde diese Beweisaufnahme nicht Sachdienliches zu Gunsten des Angeklagten erbringen. Denn der Zeuge pp. habe bekundet, seine Kollegin pp sei nach dem Einsatz nichtmals in der Lage gewesen, einen Einsatzbericht zu verfassen. Es sei ihr erster Einsatz im Polizeidienst gewesen und sie sei von der Situation völlig überwältigt und überfordert gewesen. Tatsächlich befinde sich kein Bericht von Frau pp- in der Akte. Da der Zeuge pp. diese Erklärung auf Nachfrage des Verteidigers abgegeben habe, sei dem Verteidiger auch bewusst gewesen, dass sein Antrag nichts Sachdienliches würde erbringen können. Dies gelte umso mehr vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte in seiner Einlassung gerade in Abrede genommen habe, bei der Tankstelle gewesen zu sein, sondern sich vielmehr so eingelassen habe, sich von seiner Wohnanschrift direkt ins Getümmel zu seinem Bruder begeben zu haben und dort festgenommen worden zu sein. Der Zeuge pp. habe erklärt, sich völlig sicher zu sein, dass der Angeklagte auf pp. eingeschlagen habe. In einer Gesamtschau habe der Antrag damit allein den Zweck der Verschleppung des Verfahrens gedient, § 244 Abs. 6 Satz 2 StPO.

b) Die Vorgehensweise des Landgerichts erweist sich bereits deshalb als unzulässig, weil eine Ablehnung des Beweisantrags erst im Urteil unzulässig war.

Zwar bedarf regelmäßig ein vom Angeklagten oder seinem Verteidiger im Rahmen der Schlussausführungen gestellter Hilfsbeweisantrag, den das Gericht für unbegründet hält, keiner gesonderten Bescheidung durch besonderen Beschluss; er kann vielmehr in den Urteilsgründen behandelt und abgelehnt werden.

Für das bis zur Änderung des § 244 Abs. 6 Satz 2 StPO durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019 (BGBl. 1, S. 2121) geltende Recht sollte dieses nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung aber nicht gelten, wenn ein Hilfsbeweisantrag wegen Verschleppungsabsicht des Antragstellers abgelehnt werden sollte. Denn dem Antragsteller müsse Gelegenheit gegeben werden, den Vorwurf, er habe den Beweisantrag nur in Verschleppungsabsicht gestellt, zu entkräften oder die ihm sonst infolge der Ablehnung des Beweisantrags notwendig erscheinenden Maßnahmen zu treffen. Das könne er z.B. dadurch tun, dass er den abgelehnten Beweisantrag mit neuer, umfassenderer oder genauerer Begründung wiederhole oder dass er mit entsprechender Begründung einen anderen Beweisantrag stelle, so dass dann das Gericht genötigt sei, sachlich auf den neuen Beweisantrag einzugehen, nämlich entweder durch Erhebung des Beweises oder durch Wahrunterstellung bestimmter für den Angeklagten günstiger Tatsachen oder aber auch durch Ablehnung aus anderen, im Gesetz vorgesehenen Gründen (vgl. schon BGH, Beschluss v. 08,05.1968, 4 StR 326167, BGHSt 22, 124; so auch BGH, Urteil v. 26.08.1982, 4 StR 357/82, NJW 1983, 54, sowie Beschluss v. 21.08.1997, 5 StR 312/97, NStZ-RR 1998, 14; vgl. auch Senatsentscheidung v. 23.01.1979, Ss 621/78, Nds.Rpfl 1979, 110).

Die mit der durch die seit dem 13. Dezember 2019 gültigen Gesetzesänderung in § 244 Abs. 6 Satz 2 StPO nunmehr gegebene Möglichkeit, einen Beweisantrag wegen Verschleppungsabsicht nicht durch Beschluss des Gerichts, sondern durch den Vorsitzenden zurückzuweisen, hat hieran nichts geändert. Denn die Ablehnung wegen Verschleppungsabsicht beinhaltet auch nach neuer Rechtslage einen Missbrauchsvorwurf, zu dem dem Antragsteller aus Gründen der Verfahrensfairness und zur Verhinderung von Überraschungsentscheidungen rechtliches Gehör zu gewähren ist (vgl. Meyer-Goßner /Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 244 Rz. 90b). Hinzu kommt, dass nur so dem Antragsteller die – angesichts der nur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfbarkeit (dazu sogleich c.) umso bedeutsamere – Möglichkeit eröffnet wird, eine Entscheidung des Gerichts gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeizuführen.

c) Im Übrigen ist die Behandlung des Beweisantrags als in Prozessverschleppungsabsicht gestellt auch in der Sache zu Unrecht erfolgt.

Einem Beweisantrag braucht das Gericht wegen Prozessverschleppungsabsicht nur dann nicht nachzugehen, wenn die begehrte Beweiserhebung den Abschluss des Verfahrens erheblich hinauszögern kann, sie nach Überzeugung des Gerichts – dem insoweit eine Vorauswürdigung gestattet ist – nichts Sachdienliches zu erbringen vermag und wenn der Antragsteller sich dieser Umstände bewusst ist und er deshalb mit seinem Verlangen ausschließlich eine Verzögerung des Verfahrens bezweckt (vgl. BGH, Beschluss v. 03.07.1990, 1 StR 340/90, NJW 1990, 2328). Dabei steht dem Tatrichter bei der anhand von Indizien vorzunehmenden Würdigung, ob Verschleppungsabsicht vorliegt, ein vom Revisionsgericht hinzunehmendes Ermessen zu. Trotz des dem Gericht zustehenden Ermessens ist durch das Revisionsgericht aber zu prüfen, ob der Tatrichter seiner Entscheidung für die Annahme von Verschleppungsabsicht diese stützenden Beweisanzeichen zu Grunde gelegt und er sich bei seiner Gesamtwürdigung der Indizien im Rahmen des ihm eingeräumten Beurteilungsspielraums gehalten hat (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 244 Rz. 103a).

Diese Prüfung lässt vorliegend ausreichende Indizien für die Annahme einer Verschleppungsabsicht nicht erkennen. Das Gericht kann die Annahme von Verschleppungsabsicht nicht darauf stützen, dass das Gegenteil der unter Beweis gestellten Tatsache schon bewiesen sei (vgl. BGH, Beschluss v. 03.07. 1990, 1 StR 340/90, NJW 1990, 2328) oder dass sich bislang keine Anhaltspunkte für den Wahrheitsgehalt der jetzt erhobenen Beweisbehauptung ergeben hätten (vgl. BGH, Urteil v. 03.02. 1982, 2 StR 374/81, NStZ 1982, 291).

Ohne hinreichende Aussagekraft ist es auch, dass die Beweisbehauptung des Verteidigers nicht in jedem Punkt mit den Angaben des Angeklagten sachlich übereinstimmt (vgl. schon BGH, Urteil v. 03.08.1966, 2 StR 242/66, BGHSt 21, 118).

Die seitens des Landgerichts für die Annahme einer Verschleppungsabsicht herangezogenen Gesichtspunkte, nämlich die Angabe des Zeugen pp. die Polizeianwärterin pp. sei nicht in der Lage gewesen, einen Einsatzbericht zu verfassen, und die Einlassung des Angeklagten, er habe sich von seiner Wohnanschrift aus direkt in Getümmel begeben, sind daher nicht geeignet, die Annahme von Verschleppungsabsicht zu stützen. Hinzu kommt noch, dass es, was die Strafkammer in ihre Erwägungen nicht eingestellt hat, um den ersten im einzigen Hauptverhandlungstermin gestellten Beweisantrag gehandelt hat.“

Ein schöner Erfolg für den Kollegen, den ich auch gar nicht schmälern will, Aber ich frage mich: Kam es auf die Frage der Prozessverschleppung, die das OLG m.E. richtig entschieden hat, überhaupt an? Oder anders gefragt: Hätte das OLG nicht etwas dazu sagen müssen, dass es sich bei dem Antrag des Kollegen um einen „Beweisantrag“ i.S. des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPo gehandelt hat, woran das LG ja wohl Zweifel hatte. Denn nur, wenn es sich um einen „Beweisantrag“ i.e.S. gehandelt hat, war das LG an die Gründe des § 244 StPO gebunden. Was damit ist, erfährt man nicht bzw. kann es auch nicht beurteilen, da der genaue Wortlaut des Antrags nicht mitgeteilt wird. Man muss also davon ausgehen, dass das OLG inzidenter die Beweisantragseigenschaft bejaht hat. Dann passt es 🙂 .

Verkehrsrecht I: Noch ein „Raser-Fall“ in Berlin, oder: BGH moniert Beweiswürdigung

© Picture-Factory – Fotolia.com

Heute mal wieder ein wenig Verkehrsrecht mit drei Entscheidungen, von denen eine vom BGH, eine vom LG Freiburg und eine vom AG Dortmund kommt.

Lassen wir dem BGH den Vortritt mit dem BGH, Beschl. v. 10.10.2019 – 4 StR 96/19 -, also schon etwas älter. Der Beschluss ist aber, aus welchen Gründen auch immer, erst in den letzten Tagen auf der Homepage des BGH veröffentlicht worden.

Es ist noch mal ein „Raser-Fall“, über den der BGH zu entscheiden hatte. Das LG Berlin hatte den Angeklagten u.a. wegen wegen versuchten Mordes in zwei (tateinheitlichen) Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Dagegen die Revision. Das Rechtsmittel hatte Erfolg.

Das LG hatte folgende Feststellungen getroffen:

„1. Nach den Feststellungen des Landgerichts führte der Angeklagte, der nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis war und sich illegal in Deutschland aufhielt, am Morgen des Tattages kurz vor 8 Uhr in erheblich alkoholisiertem Zustand einen Pkw; eine ihm um 10.25 Uhr entnommene Blutprobe ergab neben Rückständen von Cannabis und Kokain eine Blutalkoholkonzentration von 1,93 Promille. Im Kofferraum des Fahrzeugs transportierte er gestohlene Baumaschinen. Nach kurzer Fahrt parkte er am Straßenrand (II.2. der Urteilsgründe).

Dort fiel das Fahrzeug gegen 8 Uhr mit noch laufendem Motor zwei Polizeibeamten auf. Die Beamten hielten ihr Dienstfahrzeug in entgegengesetzter Fahrtrichtung schräg vor dem Pkw des Angeklagten an und stiegen aus. Als einer der Beamten am Fahrzeug des Angeklagten stand und ihn aufforderte, den Motor abzustellen und auszusteigen, fuhr der Angeklagte, der wegen seiner vorausgegangenen Straftaten seiner Entdeckung und seiner Festnahme entgehen wollte, los. Er fuhr mit dem linken Hinterrad einem der Beamten über den Fuß, was zu einem kurzen Druckschmerz, jedoch keiner Verletzung führte, und stieß mit seinem Pkw gegen die offene Fahrertür des Polizeifahrzeugs, wodurch dieses leicht beschädigt wurde.

Auf der Flucht vor dem ihm folgenden Polizeifahrzeug befuhr der Angeklagte mit stark überhöhter Geschwindigkeit eine innerörtliche Straße, auf der die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h beschränkt war, und überholte dort trotz starken Gegenverkehrs ein vor ihm fahrendes Fahrzeug, weshalb das entgegenkommende Fahrzeug zur Vermeidung einer Kollision eine Vollbremsung unternahm. Der Angeklagte hatte sich „spätestens jetzt entschlossen, seine Flucht um jeden Preis, auch unter Inkaufnahme der Verletzung oder Tötung Dritter, fortzusetzen“. Er fuhr nun „mit zunehmender Geschwindigkeit“ auf eine durch eine Lichtzeichenanlage geregelte Kreuzung zu. An der Haltelinie der Lichtzeichenanlage, die für Fahrzeuge aus Richtung des Angeklagten bereits seit mindestens 37 Sekunden rotes Licht zeigte, standen in einer Linksabbiegerspur ein Pkw und auf der äußerst rechten Spur ein Lastenfahrrad. Auf der Fahrspur zwischen dem Linksabbieger und dem Lastenfahrrad befand sich kein Fahrzeug.

Die Fußgängerampel an der Kreuzungseinmündung zeigte bereits seit zehn Sekunden grünes Licht, und Fußgänger querten die Fahrbahn. Der Angeklagte, der spätestens nach dem Überholen des vor ihm fahrenden Fahrzeugs und damit aus einer Entfernung von mehr als 400 Metern das rote Ampellicht an der Kreuzung und die bereits passierenden Fußgänger sah, fuhr . bei erlaubten 30 km/h . mit einer Geschwindigkeit von mindestens 75 km/h durch die höchstens vier Meter breite Lücke zwischen dem Linksabbieger und dem Lastenfahrrad und überquerte die Haltelinie der für Fahrzeuge aus seiner Richtung weiterhin rotes Licht abstrahlenden Lichtzeichenanlage. Da er im Wissen um seine vorangegangenen Straftaten um jeden Preis seiner Festnahme durch die ihm folgenden Polizeibeamten entgehen wollte, nahm er dabei billigend in Kauf, dass er die Fahrbahn querende Fußgänger erfassen und verletzen oder töten könnte. Unmittelbar hinter der Haltelinie erfasste er mit der rechten Front seines Fahrzeugs zwei Fußgängerinnen, die bei grünem Licht der Fußgängerampel die Fahrbahn querten. Durch die Kollision erlitten die beiden Geschädigten schwerste und lebensgefährliche Verletzungen.

Der Angeklagte, der die Kollision bemerkt hatte, fuhr nun, um seiner Festnahme zu entgehen, unter weiterer Beschleunigung mit 100 bis 120 km/h über die Kreuzung und bog anschließend in eine Querstraße ab. Als ihm wenig später zwei Polizeibeamte mit ihrem Einsatzfahrzeug unter Verwendung von Sonderzeichen entgegenkamen, fuhr er mit überhöhter Geschwindigkeit und ohne auszuweichen frontal auf das Einsatzfahrzeug zu, so dass dieses „abrupt“ über die Bordsteinkante auf den Bürgersteig ausweichen musste (II.3. der Urteilsgründe).

Der Angeklagte parkte sodann, stieg aus und setzte seine Flucht zu Fuß fort. Er konnte kurz darauf festgenommen werden. Am Einsatzfahrzeug der Polizei trat er um sich und gegen die Tür des Dienstfahrzeugs, um sich losreißen und flüchten zu können, was ihm jedoch nicht gelang (II.4. der Urteilsgründe).“

Der BGH hat aufgehoben und u.a. das wie folgt begründet:

„a) Die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes in zwei tateinheitlichen Fällen hat aus mehreren Gründen keinen Bestand. Zum einen sind die Feststellungen zum konkreten Unfallgeschehen, auf das die Strafkammer ihre Annahme, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, gestützt hat, in wesentlichen Punkten lückenhaft bzw. stehen mit dem weiteren Urteilsinhalt nicht in Einklang. Zum anderen halten die Beweiserwägungen, mit denen die Schwurgerichtskammer einen auf ein Tötungsdelikt bezogenen bedingten Vorsatz des Angeklagten bejaht hat, auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 1. März 2018 . 4 StR 399/17, BGHSt 63, 88 Rn. 16; vom 5. Dezember 2017 . 1 StR 416/17, NStZ 2018, 206; vom 27. Juli 2017 . 3 StR 172/17, NStZ 2018, 37; Beschluss vom 7. Juni 1979 . 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20; Franke in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 337 Rn. 117 ff. mwN) einer rechtlichen Prüfung nicht stand.

aa) Nicht nachvollziehbar festgestellt und belegt sind bereits die für die Annahme vorsätzlichen Handelns wesentlichen Sichtverhältnisse für den Angeklagten an der Unfallstelle, insbesondere seine Sicht auf die Fußgänger bei seiner Annäherung an die Fußgängerfurt. Zwar hat das Landgericht festgestellt, dass bei Annäherung des Angeklagten an die Unfallkreuzung bereits mehrere Fußgänger die Fahrbahn „querten“ . unter ihnen die Geschädigten und drei Zeugen . und der Angeklagte die „bereits passierenden Fußgänger sah“ (UA S. 12). Aus dem Urteil geht aber auch unter Berücksichtigung seines Gesamtzusammenhangs schon nicht hervor, aus welcher Richtung die Passanten . die Geschädigten eingeschlossen . kamen. Die Feststellung eines „Querens“ oder „Passierens“ der Furt durch die drei Zeugen widerspricht darüber hinaus den Ausführungen des Landgerichts in der Beweiswürdigung. Danach gingen der Zeuge F. und der Zeuge B. hinter den Geschädigten, der Zeuge L. kam den Tatopfern entgegen (UA S. 20). Keiner dieser Zeugen hatte danach die Fußgängerfurt vollständig überquert. Es bleibt vielmehr aufgrund der lückenhaften Feststellungen und der Widersprüche unklar, wo sich diese Fußgänger und die Tatopfer bei Annäherung des Angeklagten befanden und ob er freie Sicht auf sie hatte oder ob sie – etwa durch den an der Haltelinie der Linksabbiegerspur wartenden Pkw – vorübergehend verdeckt waren. Weiteres Fußgängeraufkommen an der Furt bei Annäherung des Angeklagten, das für ihn ein Warnsignal gewesen sein könnte, ist nicht belegt.

Überdies verhalten sich die Urteilsgründe insoweit auch widersprüchlich dazu, ob der Angeklagte Passanten auf der Fußgängerfurt tatsächlich wahrnahm. Denn während das Urteil einerseits darauf abstellt, dass der Angeklagte die passierenden Fußgänger „sah“ bzw. „erkannte“ (UA S. 12 und 28), ist an anderen Stellen des Urteils lediglich davon die Rede, es sei für den Angeklagten „erkennbar“ gewesen, dass sich in der Fußgängerfurt Menschen befanden (UA S. 29 und 30).

bb) Einer tragfähigen Grundlage entbehren auch die im angefochtenen Urteil festgestellten und vom Landgericht als vorsatzbegründender Umstand herangezogenen (UA S. 29) zeitlichen Zusammenhänge des Unfallgeschehens in Bezug auf die Dauer des roten Ampellichts für den Angeklagten sowie des grünen Ampellichts für die Fußgänger.

Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte zu einem Zeitpunkt über die Haltelinie der Lichtzeichenanlage fuhr, als diese für ihn bereits „seit mindestens 37 Sekunden rotes Licht“ und die Fußgängerampel „schon zehn Sekunden grün“ zeigte (UA S. 12). Eine nachvollziehbare Begründung für diese Annahme findet sich im Urteil nicht.

Das Landgericht hat sich in der Beweiswürdigung insoweit auf die Ausführungen des Sachverständigen gestützt. Dieser hat seinerseits auf die Angaben von Zeugen Bezug genommen und ausgeführt, „entsprechend den Wahrnehmungen der Zeugen an der Kreuzung“ sei das vom Angeklagten geführte Fahrzeug in der 41. bis 51. Sekunde des Phasenlaufplanes über die Haltelinie gefahren (UA S. 22). Jedoch ergibt sich aus der Beweiswürdigung weder, auf welche Zeugenaussage mit welchem Inhalt sich der Sachverständige hierbei bezogen hat, noch was die Zeugen insoweit bekundet haben. Ausweislich der im Urteil mitgeteilten Angaben der Zeugen hat lediglich die Fahrerin des Lastenfahrrads ausgesagt, sie habe schon „eine Weile“ gestanden (UA S. 19). Im Übrigen haben die Zeugen nur bekundet, dass es „rot“ gewesen sei, als der Angeklagte über die Ampel fuhr. Die zeitlichen Zusammenhänge zwischen dem Phasenplan der Ampel einerseits und den Annahmen der Strafkammer andererseits, dass die Ampel für den Angeklagten „seit mindestens 37 Sekunden rotes Licht“ und die Fußgängerampel „schon zehn Sekunden grün“ gezeigt habe, als er die Haltelinie passierte, erschließen sich auf der Grundlage dieser Begründung nicht.

cc) Auch die Feststellungen zu der vom Angeklagten zum Zeitpunkt des Unfalls gefahrenen Geschwindigkeit sind nicht tragfähig belegt. Diesem Umstand hat die Strafkammer bei der Begründung des Tötungsvorsatzes maßgebliche Bedeutung beigemessen; so hat sie unter anderem ausgeführt, es könne „kein Zweifel daran bestehen, dass es dem Angeklagten angesichts der sehr hohen Geschwindigkeit bewusst gewesen ist, dass ein getroffener Fußgänger sehr wahrscheinlich tödlich verletzt werden würde“ (UA S. 29).

Insoweit hat das Landgericht festgestellt, dass die vom Angeklagten an der Unfallstelle erreichte Geschwindigkeit „mindestens 75 km/h“ betrug (UA S. 12). Zum Beleg hierfür hat es sich in der Beweiswürdigung den Ausführungen des Verkehrsunfallsachverständigen angeschlossen, der bekundet hat, es sei „von einem Vollanstoß mit 53 bis 75 km/h auszugehen, wobei aufgrund der Angaben der unmittelbaren Tatzeugen der obere Wert hoch wahrscheinlich erscheine“ (UA S. 22).

Mit dieser bloßen Bezugnahme auf die Angaben des Sachverständigen ist die festgestellte Geschwindigkeit von „mindestens 75 km/h“ jedoch nicht tragfähig begründet. Zum einen hat die Strafkammer nicht dargelegt, auf welche konkreten Zeugenangaben sich der Sachverständige bei seiner Einschätzung der gefahrenen Geschwindigkeit gestützt hat. Zum anderen fehlt es an einer Begründung, warum die Strafkammer sich die sichere Überzeugung verschafft hat, dass der von dem Sachverständigen lediglich als „hoch wahrscheinlich“ erachtete obere Wert der Geschwindigkeitsspanne von 53 bis 75 km/h erreicht worden sei, und warum – insofern abweichend von der Einschätzung des Sachverständigen – sogar eine Geschwindigkeit von mindestens 75 km/h feststehe.

Soweit das Landgericht an anderer Stelle in der Beweiswürdigung referiert hat, was einzelne Zeugen zu der vom Angeklagten gefahrenen Geschwindigkeit bekundet haben (UA S. 19 f.), wird der im Urteil festgestellte (Mindest-)Wert auch durch diese vagen Zeugenangaben nicht ausreichend belegt, zumal deren Angaben erheblich von der vom Sachverständigen ermittelten Höchstgeschwindigkeit abwichen. Insofern fehlt es bereits an einer eigenen Würdigung dieser bloßen Geschwindigkeitsschätzungen der Zeugen durch die Strafkammer und der erforderlichen kritischen Prüfung der Zuverlässigkeit solcher Schätzungen durch nicht verkehrsgeschulte Zeugen (vgl. etwa KG VRS 131, 328, 329; NZV 2008, 626, 627; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2008, 321, 322; OLG Hamm VRS 58, 380, 381; König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., § 3 StVO Rn. 63/64 mwN). Nicht auszuschließen ist deshalb, dass auf der Grundlage einer rechtsfehlerfreien Würdigung zu Gunsten des Angeklagten von einer geringeren Annäherungsgeschwindigkeit auszugehen gewesen wäre.

dd) Als unzureichend erweist sich schließlich die Beweiswürdigung im Hinblick auf das von der Strafkammer bei der Begründung des Tötungsvorsatzes im Rahmen der rechtlichen Würdigung angeführte weitere Beschleunigen (UA S. 29) durch den Angeklagten kurz vor der Unfallstelle. Denn für ein weiteres Beschleunigen durch den Angeklagten zu diesem Zeitpunkt fehlt in der Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils jeglicher Beleg.“

Na ja, ob das im nächsten „Rechtsgang“ besser wird…./werden kann …..

OWi I: Täteridentifizierung, oder: Urteilsgründe, wenn der Haaransatz nicht erkennbar ist

Heute dann der „OWi-Tag“ der Woche, also drei Entscheidungen zum/aus dem Bußgeldverfahren.

Und den Starter macht der KG, Beschl. v.  26.11.2019 – 3 Ws (B) 350/19 , der noch einmal zu den Anforderungen an die Urteilgründe im Fall der Identifizierung des Betroffenen als Fahrer anhand eines „schlechten“, zumindest nicht so guten Lichtbildes nimmt. Der Betroffene hatte die Verfahrensrüge und die Sachrüge erhoben. Beide hatten keinen Erfolg.

Lassen wir mal die Aufklärungsrüge außen vor. Zur Sachrüge und zu mit der hinischtlich der Beweiswürigung geltend gemachten Rechtsfehler führt das KG aus:

„b) Die dem Schuldspruch zugrunde liegende Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung stand.

Die Würdigung der Beweise ist Sache des Tatrichters. Das Rechtsbeschwerdegericht hat aber auf die Sachrüge zu prüfen, ob ihm hierbei Rechtsfehler unterlaufen sind. Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung dann, wenn sie in sich widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist. Dabei brauchen die Schlussfolgerungen des Tatrichters zwar nicht zwingend zu sein. Es genügt grundsätzlich, dass sie möglich sind und er von ihrer Richtigkeit überzeugt ist. Das Gericht muss jedoch die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Erfahrungssätze des täglichen Lebens und die Gesetze der Logik beachten. Um dem Rechtsbeschwerdegericht diese Nachprüfung zu ermöglichen, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruht und dass die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa lediglich eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen – wenn auch möglicherweise schwerwiegenden – Verdacht zu begründen vermag (vgl. Senat, Beschluss vom 19. Februar 2014 – 3 Ws (B) 67/14 – m.w.N.). Diesen Maßstäben wird die Beweiswürdigung des Amtsgerichts gerecht.

Ob ein Lichtbild die Feststellung zulässt, dass der Betroffene der abgebildete Fahrzeugführer ist, hat dem folgend allein der Tatrichter zu entscheiden (BGH NJW 1979, 2318). Der freien Beweiswürdigung durch den Tatrichter sind indessen auch bezüglich der Identifizierung eines Betroffenen Grenzen gesetzt. So kann sich die Überzeugungsbildung hinsichtlich der Identifizierung durch Vergleich mit dem Erscheinungsbild des in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen anhand eines unscharfen oder das Gesicht des Fahrers nur zu einem geringen Teil abbildenden Fotos als willkürlich erweisen (vgl. BGH NJW 1996, 1420). Die Urteilsgründe müssen vor diesem Hintergrund so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Belegfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen (vgl. BGH NJW 1996, 1420). Insoweit reicht die deutlich und zweifelsfrei (BGH NStZ-RR 2016, 178) zum Ausdruck gebrachte Bezugnahme auf das in der Akte befindliche Foto gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG in den Urteilsgründen aus, um dem Rechtsbeschwerdegericht zu ermöglichen, die Abbildung aus eigener Anschauung zu würdigen.

Das Amtsgericht hat diesen Maßstäben entsprechend durch genaue Bezeichnung der Seitenzahl in der Akte das in Bezug genommene Lichtbild zum Inhalt des Urteils gemacht. Ferner hat es sich hinreichend mit der Ergiebigkeit des Fotos auseinandergesetzt und kommt in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zu der Überzeugung, dass das Lichtbild den Betroffenen zeigt, was es unter Darlegung und Beschreibung verschiedener Identifikationsmerkmale (wie Gesichtsform, Erscheinungsbild von Nase, Ohren sowie Stirnpartie) begründet. Der Umstand, dass der Haaransatz der auf dem Messfoto abgebildeten Person verdeckt ist, führt nicht zur generellen Ungeeignetheit des Bildes zur Fahreridentifizierung (vgl. Senat, Beschluss vom 6. August 2018 – 3 Ws (B) 168/18 -, juris m.w.N.). Das zum Inhalt der Urteilsurkunde gemachte Lichtbild erweist sich auf dieser Grundlage als zur Identifizierung geeignet, sodass Zweifel dahingehend, dass das Tatgericht anhand dessen einen Vergleich auf Übereinstimmung der darauf abgebildeten Person mit dem äußeren Erscheinungsbild des in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen vorzunehmen vermochte, nicht bestehen.“

Also nichts Neues, sondern nur Bestätigung der „Haaransatzentscheidung“ aus 2018, dem KG, Beschl. v. 06.08.2018 – 3 Ws (B) 168/18.

OWi I: Qualifizierter Rotlichtverstoß, oder: Tatsächliche Feststellungen und Beweiswürdigung

© sablin – Fotolia.com

So, bevor mir wieder andere Entscheidungen dazwischen kommen: Heute starte ich in die nachösterliche Zeit mit drei OWi-Entscheidungen. Wird auch mal wieder Zeit.

Und den Reigen eröffnet der OLG Frankfurt, Beschl. v. 25.02.2020 – 1 Ss-OWi 1508/19, der zu den Anforderungen an tatsächlichen Feststellungen bei einem qualifizierten Rotlichtverstoß äußert. Das AG hatte verurteilt, das OLG hebt wegen nicht ausreichender Feststellungen bzw. einer fehlerhaften Beweiswürdigung auf:

„1. Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen die Verurteilung wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes nicht. Sie sind lückenhaft und ermöglichen keine Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht.

a) In Massenverfahren wie den Bußgeldsachen sind an die Feststellungen des Urteils nicht allzu hohe Anforderungen zu stellen (OLG Bamberg, Beschl. v. 1.12.2015 – 3 Ss OWi 834/15; KK-OWiG/Senge, 5. Aufl. 2018, § 71 Rn. 106b). Die Anforderungen an den Inhalt der Urteilsgründe sind dennoch mit denen des Strafverfahrens zu vergleichen, da auch im Bußgeldverfahren dem Rechtsbeschwerdegericht nur das Urteil und nicht der gesamte Akteninhalt als Prüfungsgrundlage zur Verfügung steht. Aus diesem heraus muss sich die Überprüfbarkeit auf sachlich-rechtliche Mängel für das Rechtsbeschwerdegericht ergeben. Maßstab der Überprüfung ist damit§ 46 1 OWiG, § 267 Abs. 1 S. 1 StPO. Die den Tatbestand erfüllenden Tatsachen müssen danach jedenfalls in dem Umfang angegeben werden, dass eine Prüfung des Rechtsmittelgerichts auf die Klarheit, Widerspruchsfreiheit, Vollständigkeit und Freiheit von Verstößen gegen Denk- und Erfahrungssätze ermöglicht wird (KK-OWiG/Hadamitzky aaO., § 79 Rn. 120).

b) Eine solche lückenlose Darstellung der Feststellungen in den Urteilsgründen bei einem qualifizierten Rotlichtverstoß erfordert die Wiedergabe der näheren Umstände des Verstoßes. Die Feststellungen müssen die Unterscheidung treffen, ob der Verstoß außerorts oder innerorts stattfand, da sich daran orientiert, ob weitere Ausführungen zu den örtlichen Gegebenheiten zu machen sind. Bei einem innerörtlichen Verstoß darf das Gericht von Ausführungen zu der Dauer der Gelbphase und der zulässigen Höchstgeschwindigkeit absehen. Bei einem Verstoß außerorts hingegen, muss neben diesen Angaben auch die Entfernung des Betroffenen vom durch die Lichtzeichenanlage geschützten Bereich angegeben werden, da der Betroffene nur verurteilt werden kann, wenn er die Möglichkeit des Anhaltens vor der Lichtzeichenanlage hatte (OLG Hamm, Beschl. v. 2.11.2010 – III-4 RBs 374/10; OLG Bamberg, Beschl. v. 6.3.2014 – 3 Ss OWi 228/14; Freymann/Wellner/Wern, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2016, § 37 StVO Rn. 93).

c) Gemessen hieran sind die Feststellungen des Amtsgerichts lückenhaft. Insbesondere sind keine Angaben zur Dauer der Gelbphase, der Geschwindigkeit des Betroffenen und dem Abstand seines Fahrzeuges zur Lichtzeichenanlage vorhanden. Die bloße Feststellung, dass es dem Betroffenen möglich gewesen wäre, die Verkehrsordnungswidrigkeit zu vermeiden, lässt sich aufgrund dieser fehlenden Informationen zu den weiteren Umständen der Verkehrssituation nicht durch das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfen. Zudem kann den Feststellungen des Amtsgerichts nicht eindeutig entnommen werden, ob der Verstoß außerorts oder innerorts stattgefunden hat, mithin also letztlich offenbleiben muss, welche Anforderungen die Urteilsfeststellungen unterliegen.

2. Neben den Feststellungen ermöglicht auch die Beweiswürdigung nicht die Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht, da sie ebenfalls lückenhaft ist.

a) Die Beweiswürdigung ist nach § 46 1 OWiG, § 261 StPO die Aufgabe des Tatrichters und durch das Rechtsbeschwerdegericht nur eingeschränkt zu überprüfen. Die Beweiswürdigung muss sich allerdings innerhalb der Gesetze der Logik und der allgemeinen Erfahrungssätze halten und in sich widerspruchslos und lückenlos sein (KK-StPO/Ott, 8. Aufl. 2019, § 261 Rn. 204; KK-OWiG/Hadamitzky aaO., § 79 Rn. 125). Die Darstellung der Beweiswürdigung in den Urteilsgründen muss dem Rechtsbeschwerdegericht diese Überprüfung ermöglichen (statt Vieler BGH, Beschl. v. 25. 9. 2012 – 5 StR 372/12, NStZ-RR 2012, 381).

b) Nach diesen Maßstäben weist das Urteil des Amtsgerichts in Bezug auf die Beweisgrundlage für die Annahme der Nettorotlichtzeit, die für einen qualifizierten Rotlichtverstoß erforderlich ist, einen weiteren Darstellungsmangel auf. Das Amtsgericht stützt in nicht hinreichender Weise die Annahme eines qualifizierten Verstoßes von 1,5 Sekunden auf Lichtbilder der Akte und die Aussage des Zeugen pp.

c) Der bloße Hinweis auf die Inaugenscheinnahme der Lichtbilder Bl. 13 und Bl. 14 der Akte in der Hauptverhandlung ist nicht ausreichend, um die Voraussetzungen der § 46 1 OWiG, § 267 Abs. 1 S. 3 StPO zu erfüllen. Danach ist die Bezugnahme für Abbildungen auf Bestandteile der Akte gestattet, um auf Einzelheiten und Details der Bezugsobjekte nicht weiter eingehen zu müssen. Mit der Ausführung, dass eine Inaugenscheinnahme der Lichtbilder stattgefunden hat, wird hingegen nur der Beweiserhebungsvorgang wiedergegeben, der für sich genommen ohne Aussagekraft ist (OLG Hamm, Besch. v. 19.5.1998 – 2 Ss OWi 553/98). Der wesentliche Inhalt der in Bezug genommenen Abbildungen darf nicht wie hier unerwähnt bleiben, da eine Überprüfung des Aussagegehalts der in Augenschein genommenen Lichtbilder durch das Rechtsbeschwerdegericht dann nicht möglich ist (Jahn/Brodowski, FS Rengier, 2018, S. 409, 416 f.; KK-StPO/Kuckein/Bartel aaO., § 267 Rn. 19).

d) Auch die Darstellung der Zeugenaussage des Zeugen … erfüllt nicht die an die Beweiswürdigung in den Urteilsgründen nach § 46 1 OWiG § 261, § 267 StPO gestellten Anforderungen. Die nach § 261 StPO vorzunehmende Gesamtwürdigung der Beweismittel fordert vom Tatrichter zwar nicht, alle Einzelheiten darzulegen, wie er zu den Feststellungen gelangt ist (BGH, Beschl. v. 17.2.2009 – 3 StR 490/08, NStZ 2009, 403). Einer Prüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht ist die Beweiswürdigung aber nur dann zugänglich, wenn nicht nur der bloße Inhalt von Zeugenaussagen angegeben wird, sondern auch eine eigene Auseinandersetzung des Tatrichters mit dieser Beweisgrundlage (BGH, Beschl. v. 15.1.1.1984 – 4 StR 675/84, NStZ 1985, 184; KK-OWiG/Hadamitzky aaO., § 79 Rn. 126). Andernfalls liegt nur eine Beweisdokumentation vor und keine Beweiswürdigung (Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl. 2019, § 267 Rn. 12).

Das amtsgerichtliche Urteil gibt lediglich die Aussage des Zeugen pp. als Ergebnismitteilung wieder, ohne dass eine für das Rechtsbeschwerdegericht nachvollziehbare Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Inhalt vollzogen wird. Die Fragen der Glaubhaftigkeit der Aussage und der Glaubwürdigkeit des Zeugen bleiben offen.“

Beweiswürdigung und Verständigung mit Mitangeklagten, oder: Man muss Inhalt und Zustandekommen der Absprache kennen

© FotolEdhar Fotolia.com

Und als zweites Posting des Tages dann etwas vom BGH, und zwar der BGH, Beschl. v. 29.01.2020 – 1 StR 471/19. Thematik: Beweiswürdigung in den Fällen, in denen eine Verständigung eine Rolle spielen kann:

„1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatten der Angeklagte und die Mitangeklagten vereinbart, dem Geschädigten P. im Jugendtreff “ “ in N. bei einem Betäubungsmittelgeschäft über 150 g Marihuana die Betäu- bungsmittel ohne Bezahlung und zudem das von P. üblicherweise in einer Bauchtasche mitgeführte Bargeld wegzunehmen. Im Rahmen der Tatausführung zogen sowohl der Angeklagte als auch der Mitangeklagte C. jeweils ein Messer mit einer Klingenlänge von mindestens 9 cm, um den Tatplan umzusetzen. Nachdem sie P. gewaltsam festgehalten hatten und dabei auch in den Besitz der Bauchtasche mit 700 Euro Bargeld gelangt waren, ergriffen sie – der Angeklagte W. mit der Bauchtasche, der Mitangeklagte C. mit den 150 g Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 5 % THC – die Flucht. Der Mitangeklagte T. half durch seine Anwesenheit, die Drohwirkung des Auftretens des Mitangeklagten C. und des Angeklagten gegenüber der Gruppe um P. zu ver- stärken.

Nachdem gegen P. und die von ihm benannten Zeugen Ermittlungsverfahren eingeleitet worden waren, machten sowohl P. als auch die zum Tathergang vernommenen Zeugen überwiegend von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO Gebrauch. Vom Tatgeschehen hat sich das Landgericht im Wesentlichen auf der Grundlage der insoweit deckungsgleichen Geständnisse der Mitangeklagten C. , T. und B. überzeugt. Im Hinblick auf deren Angaben hält das Landgericht die Einlassung des Angeklagten, er sei zwar am Tatort anwesend gewesen, habe aber weder selbst ein Messer mit sich geführt noch vom Messer des C. gewusst, für widerlegt. Dem Urteil lag eine Verständigung im Sinne von § 257c StPO mit den Mitangeklagten C. , T. und B. zugrunde, deren Inhalt in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt wird (UA S. 4).

2. Die Revision des Angeklagten hat Erfolg; die seinen Tatbeitrag betreffende Beweiswürdigung ist lückenhaft und hält deshalb sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Sofern Inhalt und Begleitumstände einer Verständigung – wie etwa bei einer Verständigung mit einem Mitangeklagten – für die Beweiswürdigung relevant sein können, ergibt sich die Notwendigkeit einer Berücksichtigung in der Hauptverhandlung stattgefundener Verständigungsgespräche bereits aus § 261 StPO (BGH, Beschluss vom 6. März 2013 – 5 StR 423/12, BGHSt 58, 184 Rn. 14). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss deshalb bei der Verurteilung eines Angeklagten aufgrund von Geständnissen der Mitangeklagten, die Gegenstand einer verfahrensbeendenden Absprache waren, die Glaubhaftigkeit der Geständnisse in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise gewürdigt werden. Dazu gehört insbesondere die Erörterung des Zustandekommens und des Inhalts der Absprache. Nur bei einer Darlegung der Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des Geständnisses und des Inhalts der Absprache in den Urteilsgründen ist es dem Revisionsgericht möglich, die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben durch den Tatrichter auf Rechtsfehler zu überprüfen, insbesondere ob dem Tatrichter bewusst war, dass sich der geständige Angeklagte durch ein Nichtgeständige zu Unrecht belastendes Geständnis möglicherweise lediglich eigene Vorteile verschaffen wollte (BGH, Beschlüsse vom 15. Januar 2003 – 1 StR 464/02 Rn. 19, BGHSt 48, 161, 168; vom 8. Dezember 2005 – 4 StR 198/05 Rn. 50; vom 6. November 2007 – 1 StR 370/07, BGHSt 52, 78 Rn. 19; vom 6. März 2013 – 5 StR 423/12, BGHSt 58, 184 Rn. 14 f.).

b) Da das angefochtene Urteil lediglich den Umstand einer mit den Mitangeklagten getroffenen Verständigung im Sinne von § 257c StPO nennt, aber weder etwas vom Inhalt der Absprache mit den Mitangeklagten noch zu ihrem Zustandekommen mitteilt (UA S. 4), genügt die Beweiswürdigung den genannten Darlegungsanforderungen nicht und ist daher lückenhaft. Einer näheren Darlegung der Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Geständnisse hätte es schon deshalb bedurft, weil die Geständnisse der Mitangeklagten nur im Kerngeschehen übereinstimmend waren, insbesondere hinsichtlich der Verteilung der Beute jedoch voneinander abwichen (UA S. 15 f.).

Soweit die Revision beanstandet, der sich nicht aus den Urteilsgründen ergebende Umstand, dass die Verständigung mit den Mitangeklagten für den Fall eines Geständnisses jeweils Jugendstrafen mit Strafaussetzung zur Bewährung beinhaltete, sei im Rahmen der Beweiswürdigung nicht erörtert worden, liegt darin eine verfahrensrechtlich zulässig gerügte Verletzung des § 261 StPO in Form einer Inbegriffsrüge (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 6. März 2013 – 5 StR 423/12, BGHSt 58, 184 Rn. 14 f.), die aus den genannten Gründen ebenfalls durchgreifen würde.

c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil zum Nachteil des Angeklagten auf der fehlerhaften Beweiswürdigung beruht. Zwar hat der Angeklagte hinsichtlich seiner Tatbeteiligung ein Teilgeständnis abgelegt. Jedoch hat das Landgericht die Überzeugung von der Verwendung eines Messers durch den Angeklagten, die dieser in Abrede gestellt hat, im Wesentlichen auf die Angaben der Mitangeklagten gestützt. Sowohl den Schuldspruch des besonders schweren Raubes (§ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) als auch denjenigen des Sichverschaffens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit Waffen (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) hat das Landgericht mit dem Messereinsatz des Angeklagten begründet. Soweit das Landgericht seine Überzeugung von der Verwendung eines Messers ergänzend auch auf die Angaben des Geschädigten P. bei seiner Anzeigeerstat- tung gestützt hat, kann dies ein Beruhen des Urteils auf der lückenhaften Beweiswürdigung nicht ausschließen. Denn nach den Feststellungen des Landgerichts hatte P. , der in der Hauptverhandlung von seinem Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO Gebrauch machte, bei der Anzeigeerstattung den Sachverhalt teilweise falsch dargestellt und – um sein eigenes Betäubungsmitteldelikt zu verschleiern – zudem verheimlicht, dass die Täter von ihm auch Drogen erbeutet hatten (UA S. 3 f.).