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StPO I: Schwangere Schöffin nimmt an der HV teil, oder: Auswirkung eines ärztlichen Beschäftigungsverbots?

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Heute dann der mal wieder ein StPO-Tag.

Den beginne ich mit dem BGH, Urt. v. 30.09.2021 – 5 StR 161/21 -, das zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen ist. Es geht um die „richtige“ Gerichtsbesetzung im Fall der Teilnahme einer schwangeren Schöffin, gegen die ein ärztliches Beschäftigungsverbot nach § 16 Abs. 1 MuSchG ausgesprochen worden war.

Im entschiedenen Fall war in laufender Hauptverhandlung für eine schwangere Schöffin durch den Betriebs­arzt ihres Arbeitsgebers zunächst ein ärztliches Beschäfti­gungsverbot nach § 16 MuSchG bezüglich „jede(r) Beschäftigung“ erteilt, was die Schöffin dem Gericht am nächsten Tag anzeigt hat. Nach einem weiteren Hauptverhandlungstag unter Mitwirkung der Schöffin hat die Strafkammervorsitzende dann Kontakt mit dem Arzt aufgenommen, der das Verbot „in Ergänzung zum Attest über das Beschäftigungsverbot“ dahingehend einschränkt hat, dass der Schöffin jeweils eine zeitlich begrenzte Teilnahme gestattet sei.

Der Angeklagte hat die fehlerhafte Besetzung des Gerichts gerügt, was dieses durch einen nicht begründeten Beschluss zu­rückgewiesen und die Aussetzung des Verfahrens abgelehnt hat. Die Schöffin hat dann an allen weiteren Hauptverhandlungstagen mitgewirkt. Die Verfahrensrüge des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 1 StPO blieb erfolglos.

Der 5. Strafsenat hat seine Entscheidung umfangreich begründet. Ich ordne das Selbstleseverfahren an und stelle hier nur den Leitsatz der Entscheidung vor:

Das einer Schöffin ausgesprochene ärztliche Beschäftigungsverbot nach § 16 Abs. 1 MuSchG führt nicht zu einer gesetzeswidrigen Ge­richtsbesetzung.

In dem Zusammenhang erinnert sich der ein oder andere sicherlich an den s BGH, Urt. v.  07.11.2016 – 2 StR 9/15.  Das war die (Berufs)Richterin im Mutterschutz. Da hat der 2. Strafsenat aus dem nachgeburtlichen Mutterschutz einer Berufsrichterin Dienstleistungsverbot abgeleitet, das ihrer Mitwirkung in der Hauptverhandlung entgegensteht. Man darf gespannt sein, wann sich der Große Senat mit den Fragen befassen muss.

StPO II: Wer war denn nun der richtige Schöffe?, oder: Der BGH sagt es der Strafkammer

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Die zweite Entscheidung zur StPO kommt dann heute auch vom BGH.

Es handelt sich um den BGH, Beschl. v. 06.01.2021 – 5 StR 519/20. Das LG hat die Angeklagte wegen „gewerbsmäßigen Betruges“ in 26 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die Revision hatte mit einer Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 1 StPO Erfolg.

„1. Folgendes Verfahrensgeschehen liegt zugrunde:

Bei Eröffnung des damals noch gegen vier Angeklagte geführten Hauptverfahrens beschloss die Strafkammer am 21. Januar 2020 eine Besetzung mit drei Richtern und zwei Schöffen. Als Beginn der Hauptverhandlung wurde anschließend der 13. Februar 2020 bestimmt, zudem wurden 29 weitere Hauptverhandlungstage bis Anfang August 2020 sowie die Hinzuziehung eines Ergänzungsschöffen und eines Ergänzungsrichters angeordnet. Die für den ersten Hauptverhandlungstag zugelosten beiden Hauptschöffinnen und der von der Schöffengeschäftsstelle gemäß der gesetzlichen Reihenfolge zugewiesene Hilfsschöffe S. wurden von ihrem Einsatz benachrichtigt. Am 23. Januar 2020 wurde die Hinzuziehung eines zweiten Ergänzungsschöffen angeordnet. Zugewiesen wurde gemäß der vorgesehenen Reihenfolge die Hilfsschöffin D. . Ende Januar 2020 bat eine der Hauptschöffinnen wegen bereits gebuchten Urlaubs um Entbindung. Dem kam der Vorsitzende nach und bat um Zuweisung des nächstbereiten Hilfsschöffen. Nunmehr wurde die Hilfsschöffin P. als nächstbereite Schöffin bestimmt.

Unter dem 30. Januar 2020 teilte das Gericht den Verfahrensbeteiligten seine Besetzung mit. Danach sollten neben den Berufsrichtern die verbliebene Hauptschöffin O. und als weiterer Schöffe der zunächst zugezogene Hilfsschöffe S. tätig werden, als Ergänzungsschöffinnen hingegen die Hilfsschöffinnen D. und P. .

Nach Ladung bat die auserkorene Hilfsschöffin P. aufgrund einer kollidierenden wichtigen Prüfungsvorbereitung um Entpflichtung. Der Vor- sitzende entband sie daraufhin von ihrer Dienstpflicht und bat um Zuweisung des nächstbereiten Hilfsschöffen. Drei weitere Hilfsschöffen wurden wegen Urlaubs antragsgemäß entpflichtet, schließlich wurde der Hilfsschöffe F. als Ergänzungsschöffe bestimmt.

Zu Beginn der Hauptverhandlung teilte der Vorsitzende mit, dass anstelle der Schöffin P. nunmehr der Schöffe F. an der Hauptverhandlung teilnehme. Welche konkrete Funktion dieser neu benannte Schöffe einnehme, wurde nach dem durch das Protokoll bestätigten Revisionsvortrag nicht gesondert hervorgehoben. Auf Antrag der Verteidigung wurde die Hauptverhandlung bis zum nächsten vorgesehenen Hauptverhandlungstag (27. Februar 2020) unterbrochen. Am 19. Februar 2020 rügte die Angeklagte die vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts „hinsichtlich des Hilfsschöffen … F. als Ergänzungsschöffe“ und begründete dies mit einer fehlerhaften Entbindung der Schöffin P. . Dieser Besetzungseinwand wurde schließlich vom Kammergericht am 9. März 2020 verworfen. Am Urteil haben neben den Berufsrichtern die ursprünglich für diesen Tag zugeloste Schöffin O. und der zuletzt zugewiesene Hilfsschöffe F. mitgewirkt. Während der gesamten Hauptverhandlung war aber auch der zuerst bestimmte Hilfsschöffe S. anwesend. Dass an dessen Stelle der Hilfsschöffe F. am Urteil mitgewirkt hat, beanstandet die Angeklagte.

2. Die Rüge fehlerhafter Gerichtsbesetzung greift durch.

a) Die Rüge ist nicht nach § 338 Nr. 1 Halbsatz 2 Buchst. b StPO präkludiert.

aa) Eine Entscheidung des Rechtsmittelgerichts nach § 222b Abs. 3 StPO über die Hinzuziehung des Hilfsschöffen F. als Schöffen liegt nicht vor. Das Kammergericht hat lediglich darüber entschieden, dass dieser Schöffe zu Recht als Ergänzungsschöffe ausgewählt wurde und insoweit den gesetzlich bestimmten Richter darstellt. Nur darauf bezog sich auch die erhobene Besetzungsrüge. Die Frage, ob dieser Hilfsschöffe an die Stelle des in der ursprünglichen Besetzungsmitteilung noch zutreffend als „Schöffe“ bezeichneten S. treten soll, wird weder von der Besetzungsrüge noch von der Kammergerichtsentscheidung berührt.

bb) Insoweit sind auch die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden. Findet die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Landgericht statt, ist nach § 222a Abs. 1 Satz 1 StPO spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung die Besetzung des Gerichts unter Hervorhebung des Vorsitzenden und hinzugezogener Ergänzungsrichter und Ergänzungsschöffen mitzuteilen. Erfolgt – wie hier – vor der Hauptverhandlung eine solche Mitteilung und ändert sich anschließend die mitgeteilte Besetzung, so muss dies nach § 222a Abs. 1 Satz 3 StPO spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung mitgeteilt werden. Bei dieser Mitteilung handelt es sich um eine wesentliche Förmlichkeit im Sinne von § 273 Abs. 1 StPO (vgl. KK-StPO/Gmel, 8. Aufl., § 222a Rn. 7; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 222a Rn. 4), deren Beobachtung gemäß § 274 Satz 1 StPO nur durch das Protokoll bewiesen werden kann.

Eine Mitteilung, aus der sich eindeutig (vgl. nur LR-StPO/Jäger, 27. Aufl., § 222a Rn. 12) ergibt, dass entgegen der ursprünglichen Besetzungsmitteilung F. anstelle von S. von Beginn an als Schöffe mitwirken soll, ist nach dem durch das Protokoll bewiesenen Vortrag der Revisionsführerin nicht erfolgt. Eine Präklusion scheidet bei einer derart defizitären Mitteilung aus. Soweit die richterlichen Mitglieder der erkennenden Kammer demgegenüber in einer „Revisionserklärung“ dargelegt haben, man habe durch Aufruf der Schöffen und deren Handzeichen dem Verteidiger zu Beginn der Hauptverhandlung offengelegt, welche Schöffen Ergänzungsschöffen sind und welche als Schöffen mitentscheiden, zudem habe sich die Funktion der Schöffen aus der Reihenfolge ihrer Nennung und den Sitzplätzen sowie dem Gang ins Beratungszimmer zur Zwischenberatung am ersten Hauptverhandlungstag ergeben, kann dies den Revisionsvortrag nicht entkräften. Denn aus dem Protokoll ergibt sich mit negativer Beweiskraft (vgl. § 274 Satz 1 StPO), dass es hinsichtlich der Beteiligung des Hilfsschöffen F. als Schöffe anstelle des bis dahin benannten S. (ohne Hervorhebung der Ergänzungsschöffeneigenschaft) keinen ausreichenden Hinweis nach § 222a Abs. 1 Satz 1 und 3 StPO gab. Eine Protokollberichtigung ist nicht erfolgt.

Mit dem Vortrag der Revisionsführerin korrespondiert zudem ihr in der Hauptverhandlung erfolgter Besetzungseinwand, der sich ausschließlich mit der Heranziehung des Hilfsschöffen F. „als Ergänzungsschöffe“ befasste (vgl. zu dessen Statthaftigkeit BGH, Urteil vom 12. Juli 2001 – 4 StR 550/00, NJW 2001, 3062). Spätestens dies hätte dem Vorsitzenden Anlass geben müssen, die bislang defizitäre Mitteilung nach § 222a Abs. 1 Satz 1 und 3 StPO zu prüfen und durch Bestimmung von Schöffen und Ergänzungsschöffen zu präzisieren. Die von der Strafkammer in ihrer „Revisionserklärung“ angesprochenen Verschuldensfragen sind demgegenüber ohne Belang.

b) Die Verfahrensrüge ist auch zulässig erhoben. Dem Revisionsvortrag kann der Senat sämtliche Tatsachen entnehmen, die für die Frage der Begründetheit der Rüge relevant sind (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Soweit die Revisionsführerin bezüglich nicht entscheidungserheblicher Nebenfragen unzutreffend vorgetragen haben sollte (vgl. Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft), wäre dies unbeachtlich. Nach § 352 Abs. 2 StPO ist eine weitere Begründung der Revisionsanträge als die in § 344 Abs. 2 StPO vorgeschriebene nicht erforderlich und, wenn sie unrichtig ist, unschädlich.

c) Die Verfahrensrüge hat in der Sache Erfolg, denn das Gericht war bei seiner Entscheidung nicht richtig besetzt.

Wie bereits das Landgericht in seiner „Revisionserklärung“ zugestanden hat, ist die Hinzuziehung des zuletzt bestimmten Hilfsschöffen F. zur Beratung und Entscheidung rechtsfehlerhaft erfolgt. Denn nach § 48 Abs. 2 GVG tritt im Fall der Verhinderung eines Hauptschöffen der zunächst zugewiesene Ergänzungsschöffe auch dann an seine Stelle, wenn die Verhinderung vor Beginn der Sitzung bekannt wird. Zur Mitwirkung an der Entscheidung war – wie die Revision zutreffend rügt – der zuerst als Ergänzungsschöffe bestimmte Hilfsschöffe S. berufen. Umstände, die dem Einsatz dieses Schöffen entgegenstanden, sind nicht ersichtlich; der Ergänzungsfall ist nicht eingetreten. Durch das Vorgehen der Strafkammer wurde der Angeklagten mithin ihr gesetzlicher Richter entzogen (vgl. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, § 16 Satz 2 GVG). Das Urteil muss deshalb – dem Antrag des Generalbundesanwalts entsprechend – mit den Feststellungen aufgehoben werden.“

StPO II: Terminsverlegung (hier wegen Corona), oder: Sitzen die richtigen Schöffen auf der Richterbank?

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Die zweite Entscheidung kommt mit dem OLG Oldenburg, Beschl. v. 14.05.2020 – 1 Ws 190/20 – vom OLG Oldenburg. Der Beschluss ist schon etwas älter. Es hat aber leider gedauert, bis ich den im Volltext vorliegen hatte.

Das OLG hat im Rahmen der Bescheidung eines Besetzungseinwandes (§§ 222a, 222b stPO) zur Frage der „richtigen“ Besetzung einer Strafkammer Stellung genommen. Die Angeklagte hatte geltend gemacht, die Strafkammer, bei der die Hauptverhandlung stattfinden sollte, sei nicht richtig besetzt, und zwar seien die Richterbank mit den falschen Schöffen besetzt. Hintergrund der Rüge ist, dass die Hauptverhandlung wegen der Corona-Krise nicht an dem zunächst geplanten Terminstag beginnen konnte, sondern der Beginn knapp vier Wochen verschoben worden war und die Hauptverhandlung erst an dem Tag begonnen worden ist, der regulär schon der 4. Verhandlungstag gewesen wäre. Die Angeklagte war der Auffassung, es seien die für den zunächst geplanten Terminstag ausgelosten Schöffen zuständig (gewesen) und nicht die für den Terminstag, an dem das Verfahren tatsächlich begonnen wordne ist.

Das haben das LG und das OLG Oldenbrug – m.E. zutreffemd – anderes gesehen:

„Auch durch die Heranziehung der für den 28. April 2020 ausgelosten Schöffen ergibt sich keine vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts. Die Frage, ob die für einen ordentlichen Sitzungstag, hier etwa den 1. April 2020, ausgelosten Schöffen zu einer an einem anderen Sitzungstag beginnenden Hauptverhandlung heranzuziehen sind, stellt sich nur, wenn es sich hierbei um einen anderen als einen ordentlichen Sitzungstag handelt (vgl. BGH, Urteil v. 14.07.1995, 5 StR 532/94, BGHSt 41, 175, Rz. 13). Vorliegend hat die Hauptverhandlung in-dessen am 28. April 2020 und damit an einem ordentlichen Sitzungstag begonnen, für den die Schöffinnen BB und CC am 14. November 2019 der 2. großen Strafkammer zugelost worden sind. Damit waren sie und nicht die – was die Rüge allerdings mitzuteilen unterlässt (s.o.) – mit ihnen nicht identischen, für den 1. April 2020 ausgelosten Schöffen für die am 28. April 2020 begonnene Hauptverhandlung heranzuziehen.

Auch der Senat vermag daher die begehrte Feststellung, dass das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt ist (§ 222b Abs. 3 Satz 4 StPO), nicht zu treffen.“

Kann ein Richter am AG dauerhaft Vorsitzender einer Berufungskammer sein?, oder: Nein…

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Eine etwas abgelegene, nicht alltäglich Thematik behandelt der KG, Beschl. v. 14.12.2017 – (4) 121 Ss 127/17 (211/17). Es geht nach einem Berufungsverfahren um die Frage, ob die Berufungskammer ordnungsgemäß besetzt war. Erkennender Richter in der Berufungshauptverhandlung war nämlich ein RiAG W gewesen, der auch im Geschäftsverteilungsplan des LG Berlin als Vorsitzender der Strafkammer ausgewiesen gewesen war. Der sei durch den Geschäftsverteilungsplan zum Vorsitzenden bestimmt, und zwar nicht nur  vorübergehend oder vertretungsweise. Die Kammer sei auch schon die fünf Jahre vorher nicht mehr mit einem Vorsitzenden Richter am LG besetzt gewesen.

Das KG sagt auf die Verfahrensrüge: Kein Vertretungsfall:

Ein Vertretungsfall lag hier offensichtlich nicht vor. Zwar hat die Vorsitzende des Präsidiums ausgeführt, RiAG W und seine in den letzten Jahren tätigen Vorgänger seien als „Vertreter des Vorsitzenden“ eingesetzt worden. Welcher Vorsitzende vertreten werden sollte und weshalb dieser die ihm zugeteilten Aufgaben nicht wahrnehmen konnte, bzw. aus welchen Gründen eine lediglich vorübergehende Vakanz im Vorsitz bestanden haben sollte, bleibt jedoch offen. Es ist nicht ersichtlich, dass RiAG W tatsächlich einen nicht ausdrücklich genannten Vorsitzenden aus dem Kreis der vorhandenen Vorsitzenden Richter oder einen noch zu ernennenden neuen Vorsitzenden Richter vertreten sollte. Auch der Geschäftsverteilungsplan enthielt keinen Hinweis auf eine vertretungsweise Übertragung der Aufgaben des Vorsitzenden. Vielmehr deuten die Mitteilung, die Strafkammer 64 habe seit Jahren „unter anderem auch als Ausbildungs- und Erprobungskammer“ gedient (wobei offen bleibt, was mit „unter anderem auch“ gemeint ist), sowie der Umstand, dass die Kammer seit rund fünf Jahren nicht mehr mit einem statusmäßigen Vorsitzenden besetzt war und ein Hinweis auf eine vertretungsweise Übertragung des Vorsitzes im Geschäftsverteilungsplan fehlte, darauf hin, dass nicht beabsichtigt war, die Kammer in absehbarer Zeit mit einem Vorsitzenden Richter zu besetzen.

Aber:

2. Nach Auffassung des Senats sind die Grundsätze, die für Abordnung von Richtern an obere Gerichte gelten, auch anwendbar, wenn es darum geht, Richter, die die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Satz 2 DRiG erfüllen, innerhalb eines Gerichts mit einem höherwertigen Amt zu betrauen, nämlich dem eines Vorsitzenden einer kleinen Strafkammer.

c) Der Senat hält daher in der Gesamtschau die im Land Berlin in früheren Jahren geübte Praxis für zulässig, Richtern neben der ausschließlich obergerichtlichen neunmonatigen Erprobung auch die Möglichkeit der sog. Kombinationserprobung (sechsmonatiger Einsatz in einer kleinen Strafkammer und anschließende/vorherige sechsmonatige Abordnung an einen Strafsenat des Kammergerichts) zu eröffnen.

Allerdings müssen für die sog. Kombinationserprobung dieselben Maßstäbe gelten wie für die ausschließlich obergerichtliche Erprobung. Danach ist die Zahl der Richter, die zu Erprobungszwecken eingesetzt werden, so klein wie möglich zu halten und ihr Anteil darf, gemessen an der Zahl aller Vorsitzenden der kleinen Strafkammern des Landgerichts, nicht über das dringend gebotene Maß hinaus anwachsen. Der Einsatz eines Richters in einer kleinen Strafkammer darf ebenso wie seine Abordnung an ein höheres Gericht (vgl. § 37 Abs. 1 und 2 DRiG) nur mit seiner Zustimmung für eine bestimmte zuvor festgelegte Zeit und zum im Voraus festgelegten Zweck der Erprobung (vgl. Abschnitt A. Nr. 2 letzter Satz ErprobungsAV [ABl. Bln. 2007, 3206]) erfolgen. Die Auswahl des Richters ist nach den allgemeinen Erprobungsrichtlinien (vgl. Abschnitt B. Nr. 1 bis 3 ErprobungsAV) vorzunehmen. Ebenso wenig, wie das Präsidium des Landgerichts berechtigt ist, darüber zu entscheiden, welche Richter befördert bzw. an das Land- oder Kammergericht abgeordnet werden, liegt es in seiner Kompetenz darüber zu entscheiden, welchen Richtern die Chance auf eine Erprobung eröffnet bzw. versagt wird. Die Aufgabe des Präsidiums ist darauf beschränkt, die anfallenden Geschäfte des Vorsitzes der Strafkammern unter den hierfür zur Verfügung stehenden Richtern – somit den Vorsitzenden Richtern und denen, die nach dem festgelegten Auswahlverfahren (vgl. Abschnitt B. Nr. 3 ErprobungsAV) zur Erprobung ausgewählt wurden – zu verteilen…….

d) Vorliegend gab es keine zwingenden Gründe für den Einsatz von RiAG W als Vorsitzenden der Strafkammer 64.

Seine Verwendung erfolgte insbesondere nicht zum Zweck der Erprobung im Rahmen eines den soeben dargelegten Bedingungen entsprechenden Erprobungsverfahrens, denn zum Zeitpunkt seines Einsatzes in der Strafkammer 64 hatte er (ebenso wie seine Vorgängerin) seine obergerichtliche Erprobung bereits erfolgreich abgeschlossen.

Die von der Vorsitzenden des Präsidiums angeführte „individuelle Personalentwicklung“ ist kein zwingender Grund für die Verwendung eines Richters außerhalb seines Statusamts und somit ohne Gewährleistung seiner persönlichen Unabhängigkeit. Individuelle Personalentwicklung kann und muss durch den Einsatz auf verschiedenen gleichwertigen Arbeitsgebieten betrieben werden (vgl. Abschnitt IV.6 des Rahmenkonzepts zur Personalentwicklung betreffend die Richterinnen und Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit, der Verwaltungsgerichtsbarkeit und des Sozialgerichts sowie die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte i.V.m. § 6 Abs. 2 VGG).“

Besetzungsentscheidung, oder: Das macht man (immer) in der Dreierbesetzung

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Heute – ich bin in Kuala Lumpur – gehen dann drei verfahrensrechtliche Entscheidungen online. Zunächst jetzt der BGH, Beschl. v. 27.07.2017 – 1 StR 596/16 – mit einer m.E. ganz interessanten (Besetzungs)Frage. Der vom Angeklagten mit der Revision erhobenen Besetzungsrüge lage folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

„Die 5. Strafkammer des Landgerichts München I hatte mit der Eröffnung des Verfahrens gegen den Angeklagten und zwei weitere Mitangeklagte am 3. Dezember 2013 beschlossen, dass sie mit drei Richtern, einschließlich Vorsitzendem, besetzt ist. Während der bereits laufenden Hauptverhandlung im Kalenderjahr 2014 wurde das Verfahren gegen den Angeklagten wegen einer Erkrankung am 15. April 2014 abgetrennt und ausgesetzt. Die beiden Mitangeklagten wurden am 15. April 2014 verurteilt. Mit Beschluss vom 28. Oktober 2015 bestätigte der Bundesgerichtshof den Schuldspruch gegen die Mitangeklagten, wies die Sache jedoch im Hinblick auf den Strafausspruch zu neuer Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück.

Daraufhin verfügte die zu diesem Zeitpunkt neue Vorsitzende der 5. Strafkammer des Landgerichts München I am 21. April 2016, dass das Verfahren gegen den Angeklagten nunmehr in Zweierbesetzung, nämlich durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht W. sowie Richter am Landgericht S. als Beisitzer, durchgeführt werde. Dies wurde dem Angeklagten schriftlich mitgeteilt.

Mit Schreiben vom 10. Juni 2016 wurde der Angeklagte zudem auf Verfügung der Vorsitzenden darüber benachrichtigt, dass in der am 17. Juni 2016 beginnenden Hauptverhandlung eine Ergänzungsrichterin mitwirken würde. Als Ergänzungsrichterin wurde Richterin am Landgericht H. bestimmt.

Am ersten Hauptverhandlungstag, dem 17. Juni 2016, teilte die Vorsitzende Richterin mit, Richter am Landgericht S. sei erkrankt und werde durch die Richterin am Landgericht H. als Beisitzerin ersetzt.

Danach verlas der Verteidiger des Angeklagten einen Besetzungseinwand und gab diesen als Anlage zu Protokoll. Mit seinem Besetzungseinwand rügte er, die Strafkammer hätte mit drei Richtern einschließlich Vorsitzendem und zwei Schöffen besetzt sein müssen. Die Kammer habe mit Eröffnung des Verfahrens vom 3. Dezember 2013 eine Dreierbesetzung beschlossen. Mit Verfügung der Vorsitzenden vom 21. April 2016 sei die Besetzung der Kammer auf zwei Berufsrichter einschließlich Vorsitzender reduziert und später eine Ergänzungsrichterin bestimmt worden. Die Besetzung der Kammer erweise sich als vorschriftswidrig, da die Kammer mit dem Eröffnungsbeschluss bestimmt hatte, dass sie mit drei Berufsrichtern einschließlich Vorsitzendem besetzt sei.

Die Hauptverhandlung wurde nach kurzer Unterbrechung fortgesetzt. Die Vorsitzende verkündete den nach geheimer Beratung des Gerichts gefassten Beschluss, mit dem der Besetzungseinwand, mit der Begründung, nach Aussetzung des Verfahrens könne die Besetzungsentscheidung geändert werden, zurückgewiesen wurde. Der Umfang der Sache erfordere nicht (mehr) die Mitwirkung eines dritten Richters. Es seien nur fünf Verhandlungstage angesetzt. Die Hauptverhandlung richte sich nunmehr gegen einen Angeklagten.

Die Hauptverhandlung wurde mit den zwei Berufsrichtern, der Vorsitzenden Richterin am Landgericht W. und der Richterin am Landgericht H., durchgeführt.

Vor diesem Hintergrund hat der Angeklagte gerügt, dass LG in der Hauptverhandlung nur mit zwei Berufsrichtern besetzt war, obwohl eine Besetzung mit drei Berufsrichtern beschlossen worden war. Und der BGH sagt: Zu Recht:

„aa) Die Strafkammer hätte in der Hauptverhandlung mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen verhandeln müssen. Denn es lag keine wirksame Reduzierung der Besetzung gemäß § 76 Abs. 2 Satz 4 bzw. Abs. 5 GVG vor. Die Verhandlung mit zwei Berufsrichtern nebst Schöffen verstieß gegen § 76 Abs. 1 Satz 1 GVG, § 338 Nr. 1 StPO und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

bb) Das Gesetz sieht Beschlüsse über die Reduzierung der Besetzung der Strafkammer im Allgemeinen nur außerhalb der Hauptverhandlung vor. Die Entscheidung über die Besetzung ist grundsätzlich bei der Eröffnung des Hauptverfahrens zu treffen (§ 76 Abs. 2 Satz 1 GVG) und in derselben Besetzung (BGH, Urteil vom 20. Mai 2015 – 2 StR 45/14, BGHSt 60, 248 Rn. 12). Dies ist vorliegend zunächst durch den Beschluss der Strafkammer vom 3. Dezember 2013 geschehen.

Nach den Voraussetzungen des § 76 Abs. 5 GVG kann die jeweils zu-ständige Strafkammer erneut nach Maßgabe von § 76 Abs. 2 und 3 GVG über ihre Besetzung entscheiden. Auch dann erfolgt die Entscheidung außerhalb der Hauptverhandlung.

cc) Ein wirksamer Beschluss über die Besetzungsreduzierung liegt indes nicht vor. Der Beschluss der Strafkammer am ersten Hauptverhandlungstag über den Besetzungseinwand, stellt keinen solchen (wirksamen) Beschluss dar. Denn selbst wenn aufgrund eines Besetzungseinwands in der Hauptverhandlung über die Besetzung der Strafkammer zu entscheiden ist, bleibt hierfür die Strafkammer in ihrer Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung zuständig (§ 222b Abs. 2 Satz 1 StPO; BGH, Urteil vom 20. Mai 2015 – 2 StR 45/14, BGHSt 60, 248 Rn. 13).

Die Besetzungsentscheidung durch zwei Berufsrichter und zwei Schöffen ist daher fehlerhaft getroffen worden und unwirksam. Dies führt dazu, dass der Besetzungsbeschluss der Kammer vom 3. Dezember 2013 weiterhin maßgeb-lich war und die Kammer in Dreierbesetzung hätte verhandeln müssen.“

Manchmal versteht man Strafkammern wirklich nicht: BGHST 60, 248!!!!