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Revision II: Freispruch, oder: Zulässigkeit der Revision?

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Die zweite Entscheidung kommt mit dem KG, Beschl. v. 22.09.2020 – 4 Ws 74/20 – 161 AR 167/20 – vom KG. Er behandelt noch einmal die Frage der fehlenden Beschwer bei einem Freispruch und damit die Frage der Zulässigkeit des Rechtsmittels der Revision.

Das AG hat die Angeklagte am 21.10.2019 vom Vorwurf des Missbrauchs von Notrufen „wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen“. Gegen dieses Urteil hat sich die Freigesprochene mit einer am 12.12.2019 eingegangenen Eingabe gewandt und die „Aufhebung des Urteils“ gefordert. Mit Schreiben vom 21.07.2020 hat sie dann mitgeteilt, die Entscheidung „mit Berufung bzw. Revision“ anzufechten, woraufhin die Akte dem LG vorgelegt wurde. Das LG hat die Schreiben als Berufung ausgelegt – obgleich die Frist zur Wahl einer Sprungrevision noch nicht abgelaufen war, da noch kein ordnungsgemäßes, nicht nur vom Richter, sondern auch der Protokollführerin unterzeichnetes Protokoll vorliegt – und diese durch den angefochtenen Beschluss als unzulässig, da nicht innerhalb der Wochenfrist des § 314 Abs. 1 StPO eingelegt, verworfen. Die Frage, ob der Angeklagten von Amts wegen Widereinsetzung in die Fristversäumung hätte gewährt werden müssen, weil dieser – zutreffend – keine Rechtsmittelbelehrung erteilt worden war (vgl. §§ 35a Satz 1, 44 Satz 2 StPO), hat das LG nicht geprüft.

Dagegen das die Angeklagte form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde eingelegt, die vom KG verworfen worden ist. Das LG habe das Rechtsmittel der Angekalgten im Ergebnis zutreffend als unzulässig verworfen:

„Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels ist eine Beschwer. Durch den Freispruch ist die Angeklagte jedoch nicht beschwert. Sie kann kein günstigeres Ergebnis als den Freispruch erzielen. Ein Anspruch, aus einem bestimmten Grund freigesprochen zu werden, besteht nicht, weil die Aufgabe des Strafverfahrens in der justizförmigen Prüfung liegt, ob gegen den jeweiligen Angeklagten ein staatlicher Strafanspruch besteht. Daher ist für das Begehren, lediglich eine andere Begründung des Freispruchs zu erreichen, kein Rechtsmittel gegeben. Dies gilt auch dann, wenn der Freispruch wegen Schuldunfähigkeit erfolgt (vgl. ausführlich hierzu BGH NStZ 2016, 560; BGHSt, 16, 374; Senat, Beschluss vom 28. August 2000 – 4 Ws 150/00 – [juris]; OLG Frankfurt NStZ-RR 2010, 345; jeweils m.w.N.). Mittelbare Folgen des Verfahrens, etwa der gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 1 BZRG zwingende Registereintrag oder Verwaltungsangelegenheiten, begründen keine Beschwer, die zur Zulässigkeit des Rechtsmittels führt (vgl. BGH aaO; Senat aaO).

a) Eine besondere Ausnahmefallkonstellation, in der das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfGE 28, 151) einen selbständigen Grundrechtsverstoß und damit eine selbständige Beschwer aufgrund der Ausführungen in den Urteilsgründen für möglich (wenn auch in dem damaligen Verfahren nicht gegeben) erachtet hat, liegt hier nicht vor. Eine solche Ausnahmekonstellation wurde für Fälle erwogen, in denen die Entscheidungsgründe den Angeklagten so sehr belasteten, dass eine erhebliche, ihm nicht zumutbare Beeinträchtigung eines grundrechtlich geschützten Bereichs festzustellen sei, die durch den Freispruch nicht aufgewogen werde. Dies sei nicht schon dann anzunehmen, wenn die Entscheidungsgründe einzelne, den Beschwerdeführer belastende oder für ihn „unbequeme“ Ausführungen enthielten oder Mängel aufwiesen, die vielleicht in einem Revisionsverfahren mit Erfolg gerügt werden könnten (vgl. BVerfG aaO).

Vorliegend sind die – äußerst knappen – Entscheidungsgründe sachlich formuliert, eine selbständige Grundrechtsverletzung enthalten sie nicht.

b) Soweit das Bundesverfassungsgericht – allerdings in einem arbeitsrechtlichen Verfahren – unter Hinweis auf die Rechtsprechung zum Eingreifen bei strafprozessualen Einstellungsentscheidungen (vgl. BVerfGE 140, 42 mit Verweis auf die Beschlüsse vom 15. Oktober 2004 – 2 BvR 1802/04 –, 6. September 2004 – 2 BvR 1280/04 – und 6. April 1999 – 2 BvR 456/99 –) die Möglichkeit angedeutet hat, dass eine Ausnahme von dem in allen Verfahrensarten geltenden Grundsatz, dass sich eine Beschwer nur aus dem Tenor, nicht jedoch aus den Entscheidungsgründen ergeben kann, in eng begrenzten Fällen grob prozessualen Unrechts gemacht werden könne sowie in einem Verfahren, in dem ein strafprozessualer Freispruch angegriffen wurde, zumindest kurz geprüft hat, ob die Urteilsgründe „Züge des Willkürlichen“ trügen, führt dies nach Auffassung des Senats nicht zur Angreifbarkeit freisprechender Urteile durch den Freigesprochenen. Eine Abänderung eines Freispruchs ist aus Rechtsgründen nicht möglich. Aufgrund des – nicht in allen Verfahrensarten und im Strafverfahren nur für die Strafe geltenden – Verbots der Verschlechterung nach §§ 331, 358 StPO müsste das neue tatrichterliche Urteil – gleichgültig ob die Beschwerdeführerin ihr Rechtsmittel als Berufung durchführt oder dieses auf eine Sprungrevision umstellt, die zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung des Verfahrens an das Amtsgericht führen würde – zwingend erneut auf einen Freispruch erkennen. Auf den Schutz der §§ 331, 358 StPO kann ein Angeklagter auch nicht verzichten. Der staatliche Strafanspruch – auf dessen Prüfung das Strafverfahren ausschließlich abzielt – kann somit ohnehin nicht mehr festgestellt und durchgesetzt werden.

Daher kann vorliegend dahin stehen, ob in Anbetracht dessen, dass das Amtsgericht Tiergarten die Feststellung, die Angeklagte sei „in einer wahnhaften Gedankenwelt gefangen“, ohne Hinzuziehung eines medizinischen Sachverständigen bzw. ohne Darlegung der eigenen Sachkunde und ohne die Anhörung von Zeugen (als der einzige geladene Zeuge 15 Minuten verspätet erschien, war das Urteil bereits verkündet) auf der Grundlage einer – unter Verstoß gegen § 251 StPO verlesenen – schriftlichen Erklärung des geladenen Zeugen getroffen hat, von der die Angeklagte behauptete, der Zeuge habe diese Erklärung nicht freiwillig verfasst, grobes prozessuales Unrecht vorgelegen hat.

c) Die Urteilsformel des angegriffenen Urteils ist insoweit fehlerhaft, als der Grund des Freispruchs „wegen Schuldunfähigkeit“ in den Tenor aufgenommen wurde. Dies ist nicht statthaft (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 63. Auflage, § 260 Rnr. 17; Ott in Karlsruher Kommentar, StPO 8. Auflage, § 260 Rnr. 25; jeweils m.w.N.). Es gibt nur eine Art von Freispruch; nur in den Urteilsgründen kommt zum Ausdruck, aus welchem Grund der Freispruch erfolgt ist (vgl. Ott aaO m.w.N.). Jedoch führt die fehlerhafte Urteilsformel nicht zur Zulässigkeit des Rechtsmittels (vgl. BGHSt 16, 374). Das erkennende Gericht hätte es sonst in der Hand, einem Angeklagten durch fehlerhafte Tenorierung ein Rechtsmittel zu verschaffen, das ihm sonst nicht zustünde. Diese Entscheidung steht dem Gericht nicht zu, zumal das Rechtsmittel allenfalls dazu führen könnte, den Grund des Freispruchs aus dem Tenor, nicht jedoch aus den Urteilsgründen zu entfernen (vgl. BGH aaO).“

Der Gebührenanspruch des Nebenklägers, oder: Im Grunde ganz einfach

Am heutigen Gebührenfreitag erinnere ich an die Gebührenfrage der vergangenen Woche: Ich habe da mal eine Frage: Wie ist das mit den Kosten der Nebenklage?; vgl. dazu Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Wie ist das mit den Kosten der Nebenklage?),

Dazu habe ich dann heute noch eine Entscheidung in der es auch um Kosten und Auslagen des Nebenklägers geht, nämlich den OLG Celle, Beschl. v. 20.09.2019 – 2 Ws 281/19.

Da hatte in einem Verfahren mit dem Vorwurf der Vergewaltigung die Nebenklägerin gegen die Kostenentscheidung des Berufungsurteils, die eine Entscheidung über die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin nicht enthielt, sofortige Beschwerde eingelegt. Das OLG hat über diese (zunächst) noch nicht entschieden, sondern zunächst einige Hinweise erteilt:

„Die sofortige Beschwerde vom 22.02.2019 gegen die Kostenentscheidung des Urteils der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Lüneburg vom 21.02.2019 dürfte sich als unzulässig erweisen.

Die Beschwerde wäre gemäß §§ 464 Abs. 3 S.1, 311 Abs. 2 StPO zulässig, wenn durch die – versehentlich, vgl. UA S. 4 – unterlassene Entscheidung über die Auferlegung der notwendigen Auslagen der Nebenklägerin auf den Angeklagten dieser eine Beschwer entstanden ist, die die Beschwerdesumme des § 304 Abs. 3 StPO (200,- EUR) erreicht. Betrifft die Beschwerde – wie hier – nur die Kostengrundentscheidung, ergibt sich der Beschwerdebetrag aus dem voraussichtlich sich ergebenden Kosten- und Auslagenbetrag (MüKoStPO/Neuheuser, 1. Aufl. 2016, StPO § 304 Rn. 44).

1. Eigene, in der Berufungsinstanz entstandene Auslagen der Nebenklägerin in dieser Höhe sind nicht ersichtlich. Im Antrag werden keine durch das Berufungsverfahren begründeten Auslagen der Nebenklägerin mitgeteilt. Die Nebenklägerin ist zur Berufungshauptverhandlung ausweislich des Protokolls auch nicht erschienen.

2. Soweit die Generalstaatsanwaltschaft der Ansicht ist, dass die Zulässigkeitsbeschwer bereits durch die entstandene Verfahrensgebühr der nach § 397a Abs. 1 StPO gerichtlich bestellten Nebenklägervertreterin – für das Berufungsverfahren gemäß Nr. 4124 VV-RVG 256,- EUR – erreicht sei, handelt es sich dabei unter keinen Umständen um Auslagen der Nebenklägerin.

Der anwaltliche Gebührenanspruch gemäß § 397a Abs. 1 StPO richtet sich gegen die Staatskasse (§ 45 Abs. 3 RVG) oder den Verurteilten (§ 53 Abs. 2 S. 1 RVG). Ein Gebührenanspruch gegen den Nebenkläger selbst besteht gerade nicht (KG Berlin, Beschluss vom 13.05.2009, 1 Ws 37/09 Rn. 11 nach juris; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 397 a, Rn. 17a). Den Nebenkläger trifft damit kein Kostenrisiko (Wenske in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2014, § 397a, Rn. 30). Tritt die Staatskasse in Vorleistung, entfällt insoweit der Anspruch gegen den Verurteilten (§ 53 Abs. 2 S. 2 RVG). Der Verurteilte hat die Zahlungen der Staatskasse zu erstatten, soweit diese in Anspruch genommen wird, da die insoweit von der Staatskasse gezahlte Vergütung – entsprechend der Vergütung des gerichtlich bestellten Verteidigers gem. KV GKG Nr. 9007 – zu den Kosten des Strafverfahrens nach § 464a StPO gehört (MüKoStPO/Grommes, 1. Aufl. 2019, StPO § 464a Rn. 11; KK-StPO/Gieg, 8. Aufl. 2019, StPO § 464a Rn. 4b). Die Kosten der Berufungsinstanz hat der Verurteilte aufgrund der nach § 473 StPO ergangenen Kostentscheidung zu tragen. Zur gesetzlichen Vergütung nach § 45 Abs. 3 RVG gehören schließlich gemäß § 1 RVG außer den Gebühren grundsätzlich auch die nach § 46 RVG erforderlichen Auslagen und Aufwendungen des Rechtsanwalts (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 24. Aufl. 2019, RVG § 46 Rn. 2).

In Höhe der durch die Bestellung nach § 397a Abs. 1 StPO entstandenen Verfahrensgebühr für die Nebenklägervertreter sowie der nach § 46 RVG notwendigen Auslagen und Aufwendungen ist daher eine eigene Beschwer der Nebenklägerin nicht gegeben.

3. Auslagen – und damit eine Beschwer – der Nebenklägerin könnten allerdings bestehen, soweit diese aus einem vor oder neben der Bestellung nach § 397a Abs. 1 StPO begründeten, privatrechtlichen Mandatsverhältnis mit der Nebenklägervertreterin eine höhere als die gesetzlichegeschuldete Vergütung schuldet. Für die Bestellung nach § 397a Abs. 1 StPO ist es – anders als in § 140 StPO – nicht erforderlich, dass der Rechtsanwalt sein Wahlmandat niederlegt. Durch die (nachträgliche) Einfügung der einschränkenden Worte „aufgrund seiner Bestellung“ in § 53 Abs.?2 RVG hat der Gesetzgeber klargestellt, dass der Rechtsanwalt durch § 53 Abs.?2 RVG nicht gehindert ist, aus einem parallel zur Bestellung bestehenden Wahlanwaltsvertrag seine vertraglich geschuldete Vergütung vom Mandanten zu fordern (Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, RVG § 53 Rn. 3, beck-online).

Insoweit fehlt es aber derzeit ebenfalls an entsprechendem Vortrag.

 

Strafrecht II: Wenn die Polizeibeamtin „im Schritt gekniffen“ wird, oder: Was ist mit der sexuellen Belästigung?

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um dne zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmten BGH, Beschl. v. 13.03.2018 – 4 StR 570/17. Das LG hat die Angeklagte wegen sexueller Belästigung gemäß § 184i Abs. 1 StGB zum Nachteil einer Polizeibeamtin verurteilt.

Dazu hat das LG folgende Feststellungen getroffen: Nachdem die Angeklagte wegen eines anderen Geschehens festgenommen worden war, wurde sie in den Räumen einer Polizeiwache – in Anwesenheit der geschädigten Polizeibeamtin – von einer weiteren Polizeibeamtin körperlich durchsucht. Die Angeklagte, der die Durchsuchung missfiel, rief der Geschädigten zu: „Und Du willst wohl auch gleich in meine Fotze gucken? Soll ich auch in Deine greifen?“ Dabei griff sie der Geschädigten mit einer schnellen Bewegung in den Schritt und kniff sie dort schmerzhaft. Die Geschädigte war hierdurch schockiert; der Vorfall war ihr peinlich, und sie ekelte sich sehr.

Der BGH hat die Verurteilung durch das LG wegen eines Verstoßes gegen § 184i Abs. 1 StGB beanstandet. Er führt in der recht umfangreich begründeten Entscheidung – daher hier heute mal eine redaktionelle Zusammenfassung – aus, dass zwar die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des Straftatbestandes der sexuellen Belästigung im Sinne des § 184i Abs. 1 StGB erfüllt seien. Das LG habe indes nicht geprüft, ob der Strafbarkeit nach § 184i Abs. 1 StGB die Subsidiaritätsklausel dieser Vorschrift entgegenstehe.

Auslegungskriterien wie zum Begriff der sexuellen Handlung nach § 184h Nr. 1 StGB

  • Dabei geht der BGH in der in Literatur streitigen Frage der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der körperlichen Berührung „in sexuell bestimmter Weise“ i.S. von § 184i Abs. 1 StGB davon aus, dass das Vorliegen einer Berührung „in sexuell bestimmter Weise“ anhand der Auslegungskriterien zu bestimmen sei, welche die Rechtsprechung zum Begriff der sexuellen Handlung nach § 184h Nr. 1 StGB entwickelt hat (Fischer, StGB, 65. Aufl. 2018, § 184i Rn. 4 bis 5a; in diese Richtung auch BeckOK-StGB/Ziegler, Stand: 1. Februar 2018, § 184i Rn. 4 und 5); demnach könne eine Berührung sowohl objektiv – nach dem äußeren Erscheinungsbild – als auch subjektiv – nach den Umständen des Einzelfalls – sexuell bestimmt sein, wobei es allerdings nicht ausreiche, dass die Handlung allein nach der subjektiven Vorstellung des Täters sexuellen Charakter habe (Fischer, a.a.O.; a.A. – Bestimmung anhand objektiver Umstände und der Sexualbezug muss sich aus der Berührung als solcher ergeben MüKo-StGB/Renzikowski, 3. Aufl., § 184i Rn. 8; ders., NJW 2016, 3553, 3557; SK-StGB/Noltenius, 9. Aufl., § 184i Rn. 6; Hörnle, NStZ 2017, 13, 20; Hoven/Weigend JZ 2017, 182, 189; in diese Richtung auch Krug/Weber ArbR 2018, 59, 60). Mit Blick auf § 184h Nr. 1 StGB sprechen nach Auffassung des BGH für diese Auslegung insbesondere systematische Erwägungen. Zudem werde sie durch den Wortlaut sowie Sinn und Zweck der neuen Strafvorschrift gestützt. Eine Berührung in sexuell bestimmter Weise sei demnach zu bejahen, wenn sie einen Sexualbezug bereits objektiv, also allein gemessen an dem äußeren Erscheinungsbild, erkennen lässt. Darüber hinaus können auch ambivalente Berührungen, die für sich betrachtet nicht ohne Weiteres einen sexuellen Charakter aufweisen, tatbestandsmäßig sein. Dabei sei auf das Urteil eines objektiven Betrachters abzustellen, der alle Umstände des Einzelfalles kenne; hierbei sei auch zu berücksichtigen, ob der Täter von sexuellen Absichten geleitet war. Insofern gelte im Rahmen von § 184i Abs. 1 StGB nichts anderes als bei der Bestimmung des Sexualbezugs einer Handlung gemäß § 184h Nr. 1 StGB (vgl. hierzu die st.Rspr.; BGHSt 61, 173, 176; BGH NStZ 2002, 431, 432, 2017, 528; StV 2018, 231; StraFo 2015, 471).

Kneifen im Schritt Bezug zum Geschlechtlichen

  • Gemessen daran sei die Annahme des LG, die Angeklagte habe den Tatbestand des § 184i Abs. 1 StGB objektiv und subjektiv erfüllt, nicht zu beanstanden. Die Angeklagte habe die Geschädigte nach den Urteilsfeststellungen gezielt in den Schritt – also in den Bereich des primären Geschlechtsorgans – gekniffen. Hierdurch ergebe sich bereits nach dem äußeren Erscheinungsbild ein Bezug zum Geschlechtlichen (vgl. für Berührungen im Bereich der primären Geschlechtsorgane im Ergebnis übereinstimmend: BT-Drucks. 18/9097, S. 30; Fischer, a.a.O., § 184i Rn. 4; MüKo-StGB/Renzikowski, a.a.O., § 184i Rn. 8; Hörnle, NStZ 2017, 13, 20). Dieser sexuelle Bezug sei, ohne dass es hierauf noch maßgeblich ankäme, verstärkt worden durch die begleitende Äußerung der Angeklagten, aus welcher sich ergebe, dass gerade die Intimsphäre der Geschädigten als Reaktion auf die eigene, als störend empfundene körperliche Durchsuchung verletzt werden sollte. Da sich eine Berührung in sexuell bestimmter Weise bereits hinreichend aus den äußeren Umständen ergebe, sei es unerheblich, dass keine sexuelle Motivation der Angeklagten festgestellt sei, sondern sie naheliegend allein aus Renitenz und zur Provokation der Geschädigten handelte.

Aufgehoben hat der BGH, weil sich das LG nicht damit auseinander gesetzt hat, dass eine Strafbarkeit wegen sexueller Belästigung nach § 184i Abs. 1 StGB ausscheidet, wenn die Tat in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist. Aus der uneingeschränkt auf „andere Vorschriften“ verweisenden Subsidiaritätsklausel ergibt sich, dass § 184i Abs. 1 StGB von allen Strafvorschriften mit schwererer Strafandrohung verdrängt wird und nicht nur von solchen des 13. Abschnitts des Strafgesetzbuches (vgl. Fischer, a.a.O., § 184i Rn. 16; MüKo-StGB/Renzikowski, a.a.O., § 184i Rn. 14; SK-StGB/Noltenius, a.a.O., § 184i Rn. 13). Zwar verweist die Gesetzesbegründung in diesem Zusammenhang nur auf Straftatbestände, die eine mit § 184i StGB „vergleichbare Schutzrichtung aufweisen“ (BT-Drucks. 18/9097, S. 30). Dieser gesetzgeberische Wille hat aber im Wortlaut des § 184i Abs. 1 StGB keinen Niederschlag gefunden und ist damit unbeachtlich, da der Wortlaut die äußerste Grenze der Auslegung ist (vgl. SK-StGB/Noltenius, a.a.O., § 184i Rn. 13; MüKo-StGB/Renzikowski, a.a.O.; vgl. zur entsprechend weiten Auslegung der Subsidiaritätsklausel im Rahmen von § 246 Abs. 1 StGB: BGHSt 47, 243 ff.; so auch zu § 125 Abs. 1 StGB a.F. BGHSt 43, 237, 238 f.).

Im LG-Urteil sind aber, obwohl sich das nach Auffassung des BGH aufgedrängt hat, etwaige vorrangige Tatbestände nicht geprüft worden. Aus den Feststellungen ergab sich, dass die Angeklagte die Geschädigte „schmerzhaft“ kniff, was das Vorliegen einer Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB – dieses Delikt ist mit schwererer Strafe bedroht als § 184i Abs. 1 StGB – nahelegt.

Und, wer sich fragt, ob die Angeklagte überhaupt „beschwert“ ist: Ja, das ist sie nach Auffassung des BGH. Denn die Verurteilung nach § 184i Abs. 1 StGB anstatt (möglicherweise) nach § 223 Abs. 1 StGB beschwere die Angeklagte trotz des höheren Strafrahmens der letztgenannten Vorschrift. Aus einem zu milden Schuldspruch ergebe sich nämlich dann eine Beschwer, wenn das vom Tatrichter angewandte Strafgesetz völlig verschieden ist von demjenigen, welches in Wahrheit verletzt wurde (vgl. BGHSt 8, 34, 37; LR-StPO/Franke, 26. Aufl., § 354 Rn. 22; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl. 2018, § 354 Rn. 17). Dies müsse auch gelten, wenn der Strafbarkeit lediglich die formelle Subsidiarität einer Vorschrift entgegensteht, da auch das Nichteingreifen der Subsidiaritätsklausel Voraussetzung der Strafbarkeit ist.

Rechtsmittel I: Keine Unterbringung = keine Beschwer, oder Unzulässige Revision

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Heute dann mal ein wenig Rechtsmittelrecht. Nein, keine Entscheidungen zur Begründung des Verfahrensrüge, sondern allgemeines Rechtsmittelrecht.

Und da weise ich zunächst hin auf den BGH, Beschl. v. 18.07.2018 – 4 StR 259/18. Der Angeklagte ist durch Urteil des LG vom 26.07.2016 – im Beschluss steht „2017“, das ist aber wie sich aus dem BGH-Beschl. v. 02.02.2017 – 4 StR 553/16 – ergibt, falsch – wegen besonders schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Der BGH hat den Schuld- und Strafausspruch des Urteils mit Beschluss vom 02.02.2017 bestätigt, das Urteil auf die Revision des Angeklagten jedoch aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist. Mit Urteil vom 22.02.2018 hat das LG davon abgesehen, den Angeklagten unterzubringen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision und rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat der BGH als unzulässig angesehen:

„Das Rechtsmittel ist unzulässig. Das Landgericht hatte in der neuen Hauptverhandlung ausschließlich darüber zu befinden, ob der Angeklagte nach § 64 StGB unterzubringen war. Da es von einer Unterbringung abgesehen hat, ist der Angeklagte durch diese Entscheidung nicht beschwert (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 21. März 1979 – 2 StR 743/78, BGHSt 28, 327, 330 ff.; Beschlüsse vom 17. September 1987 – 4 StR 441/87, BGHR StGB § 64 Ablehnung 1; vom 19. Juli 2006 – 2 StR 181/06, NStZ 2007, 213; vom 4. April 2017 – 3 StR 112/17). Eine Beschwer ist Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels (BGH, Beschluss vom 24. November 1961 – 1 StR 140/61, BGHSt 16, 374, 376).“

Keine Beschwer – kein zulässiges Rechtsmittel- und was ist mit dem Fall Cleve?

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Die Zulässigkeit eines Rechtsmittels setzt grds. die Beschwer des Rechtsmittelführers voraus. Ist keine Beschwer gegeben, ist das Rechtsmittel unzulässig. So gerade noch einmal der BGH in Zusammenhang mit der Nichtverhängung einer Maßregel nach § 64StGB im BGH, Beschl. v. 02.06.2015 – 5 StR 206/15 (alt: 5 StR 133/14). Der Angeklagte hatte sich ausschließlich gegen die Nichtanordnung seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gewendet. Ergebnis: Rechtsmittel unzulässig:

Das Rechtsmittel ist mangels Beschwer des Angeklagten unzulässig. Der Angeklagte kann das Urteil nicht allein deswegen anfechten, weil gegen ihn neben der Strafe keine Maßregel nach § 64 StGB verhängt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 1979 – 2 StR 743/78, BGHSt 28, 327, 330 f.; Beschluss vom 29. August 2011 – 5 StR 329/11 mwN).

Das gilt nach der Rechtsprechung des BVerfG und des BGH auch beim Freispruch. Da könnte jetzt aber Bewegung in die Diskussion kommen durch das EGMR, Urt. v. 15.1.2015 – 48144/09 Fall Cleve (vgl. dazu auch hier), das vor allem auch im Fall Mollath von Bedeutung werden könnte (Gustl Mollath bekommt Hilfe vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte).